Der Rhein in der Bonner Bundeskunsthalle

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6. Oktober 2016 – Der Rhein ist eine der verkehrsreichsten Wasserstraßen der Welt. Seit Jahrtausenden befördert er nicht nur Güter und Menschen, sondern auch Ideen, Märchen und Mythen durch halb Europa. Die Bundeskunsthalle Bonn widmet Europas großem Fluss eine Ausstellung, die noch bis zum 22. Januar 2017 dauert.

Johann Adolf Lasinsky, Der Rhein bei Koblenz-Ehrenbreitstein, 1828. LVR-LandesMuseum Bonn. © LVR-LandesMuseum Bonn. Foto: Jürgen Vogel.

Navigation und Verbauung des Rheins

Geologische Entwicklungen und die Eingriffe des Menschen haben den Verlauf des Flusses massiv verändert; in seiner heutigen Form gibt es den Rhein erst seit dem Ende des 19. Jahrhunderts. Auf dem Wiener Kongress 1815 beschlossen die Flussanrainer die Erarbeitung eines Regelwerkes für die Rheinschifffahrt und gründeten die bis heute existierende internationale „Zentralkommission für die Rheinschiffahrt“.

Ausstellungsansicht. Foto: Simon Vogel, 2016. © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH.

Ebenfalls am Anfang des 19. Jahrhunderts begannen am Oberrhein die Arbeiten des Karlsruher Ingenieurs Johann Gottfried Tulla zur Rheinregulierung, die 1876 abgeschlossen wurden. Sie sollten vor allem den Hochwasserschutz verbessern, dienten aber auch der Landgewinnung und der Malariabekämpfung.

Darstellung des „zweihörnigen Rheins“ (Rhenus bicornis), Teil eines Grabmals. 2. Jahrhundert n. Chr. LVR-LandesMuseum Bonn. © LVR-LandesMuseum Bonn. Foto: Jürgen Vogel.

Strom der Römer

Für die Römer war der Rhein nicht nur Teil ihrer wohlorganisierten Infrastruktur und Grenze, sondern auch eine Gottheit, Rhenus, den Vergil in Anlehnung an die Gabelung des Flusses an seiner Mündung als bicornis, Zweihörniger, bezeichnete. Nach dem Sieg über den germanischen Heerführer Ariovist bestimmte Caesar den Rhein zur militärischen Grenze zwischen Gallien und Germanien. Zu ihrer Sicherung entstanden Straßen und Kastelle. Im Laufe der Zeit erwies sich diese römische Flussgrenze als friedlicher als der später gebaute Limes, der vom Mittelrheintal bis an den Oberlauf der Donau reichte.
Nach der Niederlage des Varus (9 n. Chr.) zogen sich die Römer auf das linke Rheinufer zurück, sie installierten feste Rheinflotten und begannen mit dem Ausbau der Städte. Auf dem Rhein setzten sie neue Schiffe und Technologien ein, die den Transport von Waren über weite Strecken ermöglichten. Die Organisationsformen und Verwaltungsstrukturen, die die Römer am Rhein hinterließen, waren das Fundament, auf dem die Christen ihre Kirche aufbauen konnten.

Das bebilderte St. Galler Legendar des Conrad Sailer: Die Überfahrt der hll. Columban und Gallus auf dem Bodensee von Arbon nach Bregenz, 1451/60. Stiftsbibliothek St. Gallen, Cod. Sang. 602, S. 33. © Stiftsbibliothek St. Gallen.

Achse der Kirche und Verwaltungszentren

Die Bedeutung der Kirche in den Rheingebieten wuchs kontinuierlich seit dem 6. Jahrhundert, fassbar in ihrem politischen Einfluss, den Sakralbauten und Bischofspersönlichkeiten. Während der karolingischen Herrschaft prägte der Bau von Klöstern, Kirchen und Kathedrale am Oberlauf des Rheins die Infrastruktur des christlichen Mittelalters. Die beiden Benediktinerklöster St. Gallen (719) und Reichenau (742) gehören (zusammen mit Fulda) zu den bedeutendsten karolingischen Klostergründungen, in deren Skriptorien einige der kostbarsten Codices des Mittelalters entstanden.
Köln wurde durch die Überführung der Reliquien der Heiligen Drei Könige aus Mailand im 12. Jahrhundert zu einem der wichtigsten Wallfahrtsorte der christlichen Welt und durfte aufgrund der großen Anzahl von Heiligen (z. B. die hl. Ursula und ihre 11 000 Jungfrauen) den Beinamen sancta tragen. Die Kathedralen von Chur, Basel, Konstanz, Straßburg, Speyer, Worms, Mainz, Bonn, Köln, Xanten und Utrecht schmücken den Strom mit einem Band von Kirchen, das Kaiser Maximilian als „Pfaffengasse“ bezeichnete.

Ausstellungsansicht. Foto: Simon Vogel, 2016. © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH.

Am Rhein, dem Strom der Kaiser, gründeten die Herrscher ihre Verwaltungszentren auf vormals römischen Lagern, z. B. Nimwegen oder Valkhofburg. Die 842 verfassten „Straßburger Eide“ bestimmten wesentlich die territorialen Entwicklungen und legten den Grundstein für die Teilung des Karolingerreiches in Alemania und Francia. Dies war die Basis der vornationalen Ausprägung der späteren Staaten Preußen- Deutschland und Frankreich, die jahrhundertelang Kriege um die Rheingrenze führten.

Tillman Reichelman, Kokosnusspokal, 1566. LVR-LandesMuseum Bonn. © LVR-LandesMuseum Bonn. Foto: Jürgen Vogel.

Strom der Händler

Über die Jahrhunderte bildete der Rhein als Strom der Händler die Grundlage für den europaweiten Warenumschlag. Bernstein, Edelmetalle, Musikinstrumente, gotische Schnitzaltäre und Leintücher aus Flandern, Steingut aus Frechen, englische Schafswolle, kölnische Rheingoldfäden oder Möbeln von David Roentgen aus Neuwied wurden zu den Messen in die Niederlande, nach Österreich, Frankreich, in die Schweiz und transalpin bis nach Italien verschifft. Der Rhein beförderte nicht nur Waren und Menschen; er war auch ein Förderband für den Kulturtransfer und den Austausch von Bildern und Schriften, von Zimelien und Druckwerken, die neueste Ideen in Europa vertrieben.

Rheingold-Dukat, Rheinpfalz. Karl-Philipp (1716-1742), o. J. Deutsche Bundesbank, Frankfurt am Main. © Deutsche Bundesbank, Frankfurt am Main.

Rheingold

Legendär ist der Ruf des Rheins als Fluss der Schätze. Schon Kelten, Römer und Germanen wuschen Gold aus dem Rheinsand. Die badischen Großherzöge nahmen jährlich etwa die 30 Kilogramm Rheingold aus verpachteten Rheinabschnitten ein. Davon wurden in den Jahren 1807 bis 1814 fast 30.000 Dukaten geprägt. Einen Höhepunkt erreichte die Goldgewinnung während der Tulla?schen Rheinbegradigungsmaßnahmen. Noch heute kann man Gold an den Rheinquellen finden; der Strom schwemmt jährlich ca. 200 Kilogramm an.

Das Nibelungenlied und die Klage (Manuskript D), um 1220-30. Bayerische Staatsbibliothek München, Cgm 31, fol. 1v. © Bayerische Staatsbibliothek München.

Das Nibelungenlied, das im Burgunderland am Rhein bei Worms spielt, gehört zum Strom wie der dauerhaft kontroverse heroische Kompositionszyklus zur Nibelungensage Richard Wagners. Im Jahr 1755 wurden die Handschriften des Nibelungenliedes wieder entdeckt und haben vor allem im 19. Jahrhundert die Künstler inspiriert.

Hans Makart, Der Ring des Nibelungen, um 1870. Belvedere, Wien. © Belvedere.

Die Geschichte um den legendären, im Rhein versenkten Schatz der Nibelungen und spektakuläre Funde, wie z. B. der Neupotzer Hortfund, beflügeln bis heute die Schatzsucher.

Jan Frans van Douven, Porträt des Kurfürsten Johann Wilhelm von der Pfalz, vor 1708. Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim. © Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim, Foto: Jean Christen.

Festungen und Residenzen

Römische Kastelle und karolingische Kaiserpfalzen säumen den Rhein, als Hort, Lager und Festung. Der Friedensvertrag von Münster bestimmte 1648 nach dem Dreißigjährigen Krieg den Rhein als Grenze der Souveränität zwischen Frankreich und Deutschland. Seit dem Pfälzischen Erbfolgekrieg galt der Fluss Frankreich als natürliche Grenze. Aber die Rheinufer wurden nicht nur umkämpf und befestigt, sondern auch verschönert: Holländische Landschaftsdarstellungen des 17. Jahrhunderts überliefern die friedvollen Idyllen am Niederrhein.

Jodocus Schlappal, Maskenzugfolge, Blatt 7, 1825. Kölnisches Stadtmuseum. © Kölnisches Stadtmuseum. Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln.

Marianne und Germania – eine schwierige Nachbarschaft

Seit 1789 trafen die unvereinbaren Nachbarn Frankreich und Deutschland, Marianne und Germania, in den Revolutions- und Koalitionskriegen aufeinander. Das Elsass wurde als Département du Haut Rhin der Ersten Französischen Republik eingegliedert, germanische Tracht und Brauchtum verboten. Die seit 1789 von Schaffhausen rheinaufwärts errichteten Freiheitsbäume bezeugten auf beiden Seiten des Rheins Sympathien für die französischen Jakobiner. Nach linksrheinischen Annexionen wurden 1798 vier départements français am Westufer mit den Hauptstädten Trier, Mainz, Koblenz und Aachen eingerichtet. Der Koalitionsfrieden von Lunéville leitete ab 1803 die Auflösung des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation ein und war Voraussetzung für den Rheinbund, eine Allianz der rheinischen Territorialfürsten, den Bonaparte 1806 unterzeichnete.

Wilhelm Camphausen, Rheinübergang der 1. Schlesischen Armee bei Kaub am 1. Januar 1814, 1860. Mittelrhein Museum Koblenz. © Mittelrhein Museum Koblenz.

Auf rechtsrheinischem Gebiet wandelte sich die revolutionäre Begeisterung der Franzosenzeit zum offenen Widerstand gegen Napoleons Herrschaft. Nach seinem gescheiterten Russlandfeldzug passierte er Anfang November 1813 den Rhein bei Mainz; der preußische General Blücher folgte ihm 1813/14 bei Kaub über den Rhein und schlug den Kaiser der Franzosen mit Wellington bei Waterloo.

Auf rechtsrheinischem Gebiet wandelte sich die revolutionäre Begeisterung der Franzosenzeit zum offenen Widerstand gegen Napoleons Herrschaft. Nach seinem gescheiterten Russlandfeldzug passierte er Anfang November 1813 den Rhein bei Mainz; der preußische General Blücher folgte ihm 1813/14 bei Kaub über den Rhein und schlug den Kaiser der Franzosen mit Wellington bei Waterloo.

Carl Schütz, Das Lendersdorfer Walzwerk, 1838. Leopold-Hoesch-Museum & Papiermuseum Düren. © Leopold-Hoesch-Museum & Papiermuseum Düren. Foto: Peter Hinschläger.

Industrialisierung der Rheinlande

Als Souverän der annektierten rechtsrheinischen Gebiete förderte Napoleon die Modernisierung von Verwaltung und Gesetzgebung sowie die Industrialisierung der Rheinlande mit Konzessionen für Färbereien und Metallverarbeitung. Am Oberrhein waren kalvinistische Emigranten und Hugenotten mit Seidenmanufakturen und Färbereien schon seit 1700 zu Wohlstand gelangt. Basler Kaufleute unterhielten 390 Rheinschiffe für den Transport von Textilwaren. Im 19. Jahrhundert erforderte der Kohleabbau Regulierungsarbeiten und führte zur Urbanisierung und zur beginnenden Wasserverschmutzung durch die Entsorgung industrieller Abwässer. Diese Praxis übernahm auch die chemische Industrie, die in den 1860er Jahren aus der Farbenherstellung hervorging, um sich später auf Pharmaindustrie und andere Branchen zu spezialisieren (BASF, Bayer, Hoechst, Ciba, Geigy, Sandoz).

Joseph Beuys, Rhein Water Polluted, 1981. Kölnisches Stadtmuseum. © Kölnisches Stadtmuseum. Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln.

Die im 20. Jahrhundert fortgesetzte Verunreinigung durch die chemische Industrie rheinaufwärts und rheinabwärts führte zu Umweltkatastrophen, wie z. B. der Sandoz-Katastrophe, die mehr als 500 Kilometer flussaufwärts ein Fischsterben verursachte und Massenproteste gegen die Flussverschmutzung auslöste.

Carl Joseph Begas d.Ä., Die Lureley, 1835. BEGAS HAUS – Museum für Kunst und Regionalgeschichte Heinsberg. © BEGAS HAUS Heinsberg / Franz Schotten, Hückelhoven.

Vater Rhein

Mme de Staëls Bestseller „De l’Allemagne“ (1810) stellte dem intellektuellen Europa Deutschland als „Vaterland der Seele“ vor und lockte hinfort die Künstler dorthin. Englische Reisende priesen schon vor 1800 die pittoreske Schönheit des Rheintals. Maler und Schriftsteller waren die Protagonisten eines Prozesses, der den Vater Rhein innerhalb weniger Jahre zu einem frühen Ziel des modernen Tourismus machte. Der Kulturtransfer des englischen „Gothic Revival“ bewirkte im Rheinland die Rekonstruktion kriegszerstörter oder in der Franzosenzeit gesprengter Schloss- und Burgruinen. Die Hochburgen der Rheinromantik, die Felsenge der Loreley, das Binger Loch und die Burg Stolzenfels, die neugotische Schöpfung Kronzprinz Friedrichs von Preußen, wurden gemalt und besungen. Sulpiz Boisseré trieb die Wiederaufnahme des 1248 begonnenen Baus des Kölner Doms als Symbol des deutschen Nationalstaats voran, für dessen Vollendung (1880) spendete selbst Napoleon III.

Lorenz Clasen, Germania als Wacht am Rhein, 1880. Kunstmuseen Krefeld. © Kunstmuseen Krefeld.

Wacht am Rhein

Die französische Niederlage von Sedan im September 1870 und die Ausrufung Wilhelms I. zum deutschen Kaiser am 18. Januar 1871 verschärften die Erbfeindschaft zwischen Kaiseradler und Trikolore: Die von Rouget de Lisle 1792 für die Rheinarmee komponierte Marseillaise wurde zur Hymne des Widerstands gegen die „Wacht am Rhein“, die die Germania-Nationaldenkmäler gegen Frankreich beschworen.

Willy Römer, Französische Soldaten am Deutschen Eck in Koblenz, 1918/19. Stiftung Deutsches Historisches Museum, Berlin. © bpk / Kunstbibliothek, SMB, Photothek Willy Römer / Willy Römer.

Nach dem für das Deutsche Reich und die Mittelmächte verlorenen Ersten Weltkrieg forderte der Versailler Vertrag als Reparationszahlung an Frankreich von der Weimarer Republik den Bau des Grand Canal de l’Alsace von Basel nach Straßburg. Deutschland durfte auf dem linken und innerhalb von 50 Kilometern auf dem rechten Rheinufer weder Befestigungen besitzen und errichten noch Truppen stationieren oder Manöver durchführen. Der deutsch-französische Kalte Krieg führte ab 1919 zur Demontage der Industrieanlagen und bis 1923/24 zur Besetzung von Rhein und Ruhr mit insgesamt 85000 Soldaten; erst 1930 zogen die Franzosen ihre Truppen aus dem Rheinland ab.
Während des Zweiten Weltkriegs griffen Marschall Montgomery und die Alliierten im September 1944 die Stadt Arnheim an, um die Brücke über den Rhein zu erobern; die Befreiung an der Brücke von Remagen durch die Alliierten leitet das Ende des Zweiten Weltkriegs an der Westfront ein. Baden und Pfalz kamen unter französische, rechtsrheinische Gebiete unter amerikanische, die nördlichen Rheinlande und das Ruhrgebiet unter englische Besatzung. Auf den Rheinwiesen zwischen Remagen und Köln entstanden Kriegsgefangenenlager.

Der Rhein. Bad Honnef, Blick auf die Inseln Nonnenwerth und Grafenwerth. Foto: © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH.

Neuordnung Europas

Die Konferenz der Alliierten in Potsdam im Juni 1945 besiegelte die Rückkehr der ehemaligen NS-Reichslande Elsass und Lothringen an Frankreich. Auf die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs folgte ab 1948 die territoriale und politische Neuordnung Europas mit Gründung und Sitz des Europarats in Straßburg sowie, ab 1951, der Rüstungskontrolle Deutschlands durch die Hohe Kommission der Union für Kohle und Stahl. Im Juli 1948 optierte der parlamentarische Rat auf der Konferenz der Ministerpräsidenten der westlichen Besatzungszonen bei Koblenz für eine föderative Verfassung der Bundesrepublik Deutschland. Westdeutschland und die Bonner Republik werden im Westen verankert.

Europa am Rhein

Die flache Mündung des Rheins war jahrhundertelang Sturmfluten ausgesetzt. Privilegien zur Förderung von Verkehr, Wirtschaft und Handel durch die Verwaltung des Wasserhaushalts für Kanäle, Deiche, Brücken und Schleusen am Niederrhein sollten die möglichen Schäden begrenzen. Für Entdecker, Kolonisten und Auswanderer, die von einem besseren Leben jenseits des Atlantiks träumen, war die Rheinmündung ein Tor zur Neuen Welt.
Das Europort-Panorama des Rotterdamer Fotografen Paul Martens beendet die europäische Flussbiografie. Hier wird der Rhein global, hier treffen die Schiffe der rheinischen Flotte auf Ozeanriesen.

Die Ausstellung wird von einem umfangreichen Programm begleitet. Alle Informationen dazu finden Sie auf der Seite der Bundeskunsthalle Bonn.