Die Münzprägung der iranischen Hunnen und ihrer Nachfolger

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von Ursula Kampmann

3. Dezember 2015 – Als Robert Göbl 1967 seine „Dokumente zur Geschichte der iranischen Hunnen in Baktrien und Indien“ publizierte, führte er nicht nur den Begriff der „iranischen Hunnen“ in die Wissenschaft ein, sondern beschäftigte sich mit einem Gebiet und einer historischen Epoche, die bis dahin ein Stiefkind der Wissenschaft geblieben war. Basis seiner Forschung war dabei die Numismatik, und tatsächlich lässt sich die Vergangenheit der Völker, die einst in Afghanistan und dem angrenzenden Indien, in Teilen des Irans, Turkmenistans und Pakistans siedelten, eben nur mit Hilfe der Numismatik rekonstruieren, da andere Quellen lediglich im begrenzten Maße zur Verfügung stehen.

Klaus Vondrovec, Coinage of the Iranian Huns and their Successors from Bactria to Gandhara (4th to 8th century CE). Studies in the Aman ur Rahman Collection Bd. 4. Wien, Österreichische Akademie der Wissenschaften, 2014. 2 Bde, 960 S., durchgängig farbige Abbildungen. Hardcover. 21,5 x 30,2 cm. 978-3-7001-7695-4. 179 Euro.

Nun kann der durchschnittliche Westeuropäer Afghanistan dank der Schreckensmeldungen, an die wir uns seit dem Oktober 2001 gewöhnt haben, zumindest grob lokalisieren. Über die Geschichte dieser einst so reichen Region weiß er dagegen kaum etwas, vor allem dann nicht, wenn mit Geschichte Ereignisse gemeint sind, die sich vor der russischen Besetzung zutrugen. Was übrigens auch am relativ niedrigen Forschungsinteresse bis etwa zur Jahrtausendwende liegen könnte. Im Jahr 2001 wurde nämlich ein internationales Forschungsprojekt ins Leben gerufen, das sich speziell mit der Geschichte des Westlichen Himalaya beschäftigte. Es war interdisziplinär angelegt und förderte damit die Archäologie, Geschichte, Kunstgeschichte, Epigraphik und Linguistik. Natürlich trug auch die Numismatik ihren Teil bei. Und so siedelte Klaus Vondrovec seine Neubearbeitung des alten Themas von Robert Göbl im Rahmen von CHWH (= Cultural History of the Western Himalaya) an, nicht mehr – wie 1967 – auf einer Materialbasis von 1.200 Münzen, sondern basierend auf rund 6.500 Münzen, die sowohl aus Münzfunden innerhalb Afghanistans stammen als auch aus Auktionskatalogen westlicher Münzhandlungen.

Als Materialbasis diente Klaus Vondrovec zunächst die Spezialsammlung von Aman ur Rahman. Oder sagen wir besser, eine der vielen Spezialsammlungen von Aman ur Rahman, von denen ja schon einige die Wissenschaft inspiriert haben. Doch um dem Katalog die angestrebte Allgemeingültigkeit zu verschaffen, integrierte der Autor zusätzlich die Bestände zahlreicher großer Münzsammlungen wie Berlin, London, New York, Oxford, Paris und Wien, sowie einiger bedeutender Spezialsammlungen wie Bern und einer ganzen Reihe von Privatsammlungen, so z. B. die Sammlung Righetti.

Das Material wurde auf 10 Kapitel verteilt katalogisiert.
1.) Kidarites
2.) Dinars: Kidarite and Alkhan Periods
3.) Alkhan
4.) Tobazini
5.) Hephthalites
6.) Sasanian Coinage and Imitations
7.) Nezak
8.) Alkhan-Nezak Crossover
9.) Western Turk Period
10.) Gandharan Copper

Dabei ist jedem einzelnen Kapitel ein ausführlicher Kommentar vorangestellt. Grob gesprochen werden dabei zunächst die Münzbilder detailliert analysiert, um dann eine historische Übersicht zu bieten, mit deren Hilfe die Münzen ins Gesamtbild eingeordnet werden können. Es folgt der eigentliche Katalog, dessen Nummerierung als Hommage an den „Gründervater“ dieses Felds, Robert Göbl, die Nummerierung Göbls übernimmt. Was nicht wirklich der Übersicht dient. Hier hätten sich wohl viele Katalogschreiber einen mutigen Schnitt mit neuen Nummern gewünscht (und dazu einen Index, in dem die alten Göbl-Typen den neuen Vondrovec-Nummern gegenübergestellt werden).
Wie auch immer, der Katalog ist reichlich illustriert, den Fotos wurde dabei besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Vor allem für die Bronzemünzen ist es nicht immer einfach, die Details der Prägung anhand der Fotos nachzuvollziehen. Aus diesem Grund gibt der Autor dort, wo es nötig ist, illustrierende Zeichnungen bei, die in jedem Fall hochwillkommen sind! Man hätte sie sich, um ehrlich zu sein, sogar noch öfter gewünscht. Wie wichtig diese Umzeichnungen sind, zeigt ein Blick in die „Typologische Übersicht“ (ein Dank an den Autor für dieses wunderbare Hilfsmittel!). Obwohl Klaus Vondrovec hier aus jeder einzelnen Serie das beste Bild vom besterhaltenen Exemplar auswählte, das es für diese Emission gab, wird der Nicht-Eingeweihte einiges an Mühe beim Suchen aufwenden müssen.

Die Münzprägung der iranischen Hunnen und ihrer Nachfolger wird eben auch nach der Veröffentlichung dieses Katalogs ein Gebiet für Spezialisten bleiben. Ein lohnendes Gebiet! Denn diese Münzen führen einen in eine andere Kultur und in eine andere Welt, von deren Vielschichtigkeit selbst der größte Teil der Historiker nichts ahnt. Nur ein einziges Beispiel: Im gleichen Jahrzehnt, als in Tours ein lokaler Machthaber namens Karl Martell einen Plünderungszug der Muslime militärisch zurückschlug und sich damit für die nächsten Jahrtausende Ruhm sicherte, anerkannte der chinesische Kaiser Li Longji, der damals in Xi’an residierte, den Herrscher von Kabul. Die Entfernung zwischen Kabul und Xi’an entspricht dabei ziemlich genau der Entfernung, die von den Boten Karls des Großen zurückgelegt werden musste, um Harun ar-Raschid zu besuchen. Und die Gesandten Karls des Großen konnten den größten Teil ihrer Reise bequem auf einem Schiff zurücklegen…

Man muss mit solchen Vergleichen arbeiten, um sich klar zu machen, welche Bedeutung das Reich der iranischen Hunnen einst hatte. Es ist das Verdienst von Klaus Vondrovec, dass er die Fülle der zu wissenden Details über die Kulturen zwischen Baktrien und Gandhara vom 4. bis zum 8. Jahrhundert zusammengetragen und systematisiert hat. Für jede wissenschaftliche Bibliothek ist die Neubearbeitung des alten Göbl ein absolutes Muss.