Hortfunde in Syrien

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von Ursula Kampmann

15. Juni 2017 – Frédérique Duyrat legt mit „Wealth and Warfare – The Archaeology of Money in Ancient Syria“ in der Reihe Numismatic Studies der American Numismatic Society ein umfangreiches Buch vor, das wesentlich mehr ist als eine bloße Auflistung von Hortfunden und ihre systematische Auswertung zu Geldumlauf und Chronologie. Ziel ihrer Arbeit ist es, wie sie selbst es in ihrem Vorwort formuliert, „die Grenzen festzulegen von dem, was wir aus dem Münzumlauf lernen können, die Daten des Handels mit den Daten legaler Ausgrabungen zu vergleichen, die chronologische Entwicklung des Münzumlaufs zu verstehen und wie sehr politische Ereignisse oder Krieg sie beeinflusst haben, zu evaluieren, was Münzfunde uns über Reichtum und Armut der Menschen sagen können, die sie gesammelt haben.“

Frédérique Duyrat, Wealth and Warfare. The Archaeology of Money in Ancient Syria. Numismatic Studies 34. The American Numismatic Society, New York 2016. 596 S., Abbildungen und Karten in Schwarz-Weiß, 28,8 x 22,6 cm. Hardcover. ISBN: 978-0-89722-346-1. $200 zzgl. Versandkosten ($140 zzg. Verdsandkosten für ANS-Mitglieder).

Im Zentrum der Abhandlung stehen also die vielen Hortfunde, die irgendwann in Syrien gemacht wurden, wobei Duyrat unter Syrien nicht nur die heutige Nation versteht, sondern das gesamte Gebiet, das in der Antike als Syria bekannt war. Aber natürlich kann sich niemand, der sich heutzutage mit Syrien beschäftigt, um eine Auseinandersetzung mit der Frage drücken, ob und inwieweit die Münzen, die heute auf dem Markt sind, aus alten Hortfunden stammen oder erst in Zeiten des Islamischen Staats in den Westen gekommen sind. Als die Autorin das Buch bei der Sorbonne einreichte, begann in Tunesien der Traum des Arabischen Frühlings, der im Alptraum des syrischen Bürgerkriegs endete. Natürlich zitiert Duyrat all die Schauermeldungen über die Terrorfinanzierung durch Antikenverkauf. Leider waren ihr die relativierenden Aussagen jüngster Studien zu diesem Thema noch nicht zugänglich.

Aber sehen wir uns zuerst den Aufbau des Buches an. Frédérique Duyrat stellt als Ausgangspunkt ihrer Arbeit beeindruckende 360 Hortfunde zusammen. Abgebildet sind die darin enthaltenen Münzen nicht, selbst wenn sie nicht anderweitig veröffentlicht wurden. Angegeben ist zunächst der Fundort (soweit bekannt), das wahrscheinliche Datum des Vergrabens, eine Liste des Inhalts, die Bibliographie und anderweitige Anmerkungen. Zu den Münzfunden kommen die Münzen, die bei 58 staatlichen Ausgrabungen gefunden wurden, vorgestellt nach demselben Prinzip.

Es folgt die Auswertung, wobei die Autorin sich zunächst der chronologischen Probleme, der Horttypologie und vor allem der Rekonstruktion von verlorenen Horten widmet, die mittels des Handels erhalten, aber auch verstreut wurden. Sie trägt in diesem Kapitel eine Fülle von Evidenz zusammen, wie seit dem 19. Jahrhundert die ländliche Bevölkerung Hortfunde fand bzw. suchte; sie an einen Mittelsmann verkaufte, der sie nicht wegen ihres Metallwerts einschmolz, sondern auf westliche Märkte brachte. Und sie zeigt genau, wie durch die neuen Gesetzgebungen nicht das Verschwinden der Horte endete, sondern dass lediglich die Informationen verschwanden, die früher mit jedem Hortfund verbunden werden konnten. Sehr anschaulich schildert sie das Verhalten eines (zeitgenössischen) Sammlers in Tripolis, der ihr einen Hortfund aus Nordsyrien zeigte, den ein Bauer in seinem Garten gefunden (und über die Grenze geschmuggelt) hatte. Der Sammler beharrte auf strikter Anonymität und enthüllte nur widerwillig den exakten Fundort der Münzen. Aufgrund rechtlicher Implikationen konnten der Münzfund nicht in den Katalog aufgenommen werden, sicher ein Verlust für die Wissenschaft.
Es folgen die Untersuchungen, die man in so einer Publikation erwartet, aufgeschlüsselt nach dem Inhalt der Funde:

  • Münzen vor Alexander
  • Alexander und seine Nachfolger (333-280)
  • Die zwei Syrien
  • Von Königen zu Städten

Zwei Schlusskapitel fassen die allgemeinen Erkenntnisse zusammen über die Behältnisse der Münzfunde und die Verberger, über die Münzbenutzung und die Monetarisierung.
Ein ausführliches Literaturverzeichnis, 37(!) Karten und ein Index erleichtern die Handhabung des schwergewichtigen Buches.

Frédérique Duyrat zeigt in ihrem Buch, dass ein heutiger Numismatiker nicht mehr ignorieren kann, dass seine Arbeit nicht nur hehre Wissenschaft ist, sondern in einem gesellschaftspolitischen Kontext steht, in dem ein Kampf zwischen Bürgern und Staaten tobt um die Frage, wer das Recht habe, sich des historischen Erbes anzunehmen. Sie liefert deshalb nicht nur eine wissenschaftliche Auswertung der Hortfunde, sondern stellt sich der Frage, wie mit der Situation umzugehen sei.
Als wissenschaftlich denkender Mensch steht für sie die Erkenntnis an oberster Stelle, was sich nicht zuletzt ausdrückt in einem unauffälligen Satz: „Die Bedeutung von Material aus Ausgrabungen, seien sie legal oder nicht, braucht nicht weiter zu erörtert werden.“ Denn der Wert einer Münze für die Allgemeinheit liegt eben zuerst in ihrer wissenschaftlichen Botschaft begründet, und erst dann darin, wer sie besitzt.

So erlaubt sich die Rezensentin auch einen anderen Schwerpunkt zu setzen als Duyrat, wenn sie „in der Hoffnung“ schreibt, dass „eines Tages das kulturelle Erbe Syriens seinem Volk zurückgegeben wird“. Man könnte auch hoffen, dass eines Tages die unzähligen Münzen nicht ausschließlich in Syrien, sondern in der ganzen Welt zu sehen sind, und dass diejenigen, der mit diesen Münzen zu tun haben, sich dem Land näher fühlen und mehr Engagement für das heutige Syrien aufbringen als es derzeit geschieht.

Europäer können das Buch über Oxbow beziehen.

Für interessierte Käufer aus den USA dürfte es einfacher sein, das Buch im ANS Store zu kaufen.