Juden im Fricktal – Einblick in die Wirtschafts- und Sozialgeschichte

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von Ursula Kampmann

1. September 2016 – Für all diejenigen, die aus dem hohen Norden kommen und nicht wissen, wo das Fricktal ist: Beim Fricktal handelt es sich um eine Region in der Nordschweiz, in der einige der malerischsten Städtchen am Rhein liegen, so das entzückende Laufenburg oder die Stadt Rheinfelden, wo die Judengemeinden im Fricktal ihren Sitz hatten. Das war im deutschen Reich nichts Ungewöhnliches. Und auch das, was Diemuth Königs an alltäglichem Geschehen um die winzige jüdische Minderheit rekonstruiert, wirft die Vorstellungen, die man sich über jüdisches Leben gemacht hat, nicht wirklich über den Haufen. Trotzdem macht einen die intensive Schilderung der alltäglichen Schikanen, die ständige Rolle, die den Außenseitern in einer christlichen Gesellschaft zugewiesen wurde, betroffen, genauso wie man verblüfft ist von den rituellen Schwierigkeiten, die damit verbunden waren, als Jude in einer christlichen Gemeinschaft sein alltägliches Leben zu leben.

Diemuth Königs, Juden im Fricktal – Geschichte einer Minderheit vom 13. bis zum 20. Jahrhundert. Schwabe Verlag, Basel. 278 S. mit 6 Abb. Kartoniert, Fadenheftung. 17 x 25 cm. CHF 38, Euro 38. ISBN 978-3-7965-3522-2.

Nehmen wir zum Beispiel den Beruf eines Viehhändlers. Hier waren einige Juden vollständig integriert, hatten ihre (christlichen) Stammkunden, denen sie regelmäßig Hornvieh und Pferde ab- und verkauften, und mit ihren Geschäftspartnern dafür – nach langem, lautem, an Schimpfwörtern reichen Handeln – einen fairen Preis vereinbarten. Aber nun musste das gekaufte Vieh dorthin getrieben werden, wo es verkauft werden sollte, und das ohne dass es auf der Strecke Gasthäuser gab, in denen koschere Kost angeboten wurde. Die jüdischen Händler lösten das Problem, indem sie einen Topf in den Gasthäusern deponierten, in denen sie normalerweise einkehrten. Auf dem Boden des Topfes stand mit Kreide in Hebräisch „kascher“ geschrieben, so dass das Personal darauf verzichtete, diesen Topf zum Kochen für die Gemeinschaft zu benutzen. Kehrte nun der Händler in einem der Gasthäuser ein, so kochte er mit den von ihm selbst mitgebrachten koscheren Lebensmitteln eigenhändig im koscheren Topf sein Abendessen.

Solche detaillierten Einblicke in den Alltag gibt es natürlich auch im finanziellen Bereich. Ein Viehkauf war in der frühen Neuzeit immer ein Kauf auf Kredit, bei dem je nach der Länge der vereinbarten Kreditlaufzeit Zinsen berechnet werden mussten. Dazu wurde die Summe nie in einer Währungssorte bezahlt, sondern in Duplonen, Taler und Louisdor und allem, was sonst noch im Fricktal zirkulierte, nicht zu vergessen die Naturalien, die fast immer anstelle eines Teils des Bargelds in Zahlung genommen wurden. Ein guter Viehhändler musste also ein Meister des Kopfrechnens sein, die aktuellen Kurse nicht nur für Münzen, sondern auch für die wichtigsten Verbrauchsgüter im Kopf haben. Vor dieser Aufgabe würden heute wahrscheinlich sogar unsere Börsenspezialisten verzweifelt kapitulieren.

Am meisten beeindruckt an der Arbeit von Frau Königs die Selbstverständlichkeit, mit der sie das bunte Panorama jüdischen Lebens am Rhein zeichnet. Da gibt es die kriminellen Betteljuden, die als Diebesbande die Zurzacher Messe im Jahr 1656 heimsuchen, oder die jüdischen Hausierer, die kleine Kinder beschäftigten, um Passanten ihren Trödel aufzuschwatzen. Und natürlich geht es um die städtischen Juden, die als Geldwechsler und Kreditgeber in Laufenburg und Rheinfelden so notwendig wie unbeliebt waren. Jäkle Schwab zum Beispiel war ein Händler und Bankier, der durchaus mit den Behörden zusammenarbeitete, wenn eine Schuld eingetrieben werden musste. Er war in der Zeit nach dem 30jährigen Krieg tätig, als viele hoch verschuldet waren und für ihre miserable Lage nicht die Regierung oder die Zeit, sondern ihren Kreditgeber verantwortlich machten. Und so hassten ihn diejenigen, die sein Geld genommen hatten. Wie das Klima vom Klerus durch Hetzpredigten vorbereitet wurde, bis eine Gruppe von Bürgern die Stadtregierung mehr oder weniger dazu zwang, die Juden aus der Stadt zu werfen, ist erschreckend zu lesen.

Dass mit der Judenemanzipation des 19. Jahrhunderts die Schikanen noch lange nicht beendet waren, zeigen die vielen Schicksale von jüdischen Geschäftsleuten, die die Autorin sorgfältig rekonstruiert.

Wer begreifen will, welche Rolle die jüdische Gemeinde im Wirtschaftsleben einer Durchschnittsgegend vom Hochmittelalter bis zum Ende des 2. Weltkriegs spielte, sollte das gut geschriebene und hervorragend recherchierte Buch von Diemuth Königs lesen. Es reduziert die Mythen über jüdische Geldverleiher und ihre Verfolgung durch christliche Gläubige auf die Tatsachen (und Böswilligkeiten) eines alltäglichen Miteinanders in einer kleinen Stadt. Und auf einmal sind die vergangenen Jahrhunderte nicht mehr weit entfernt. Die Menschen sind die gleichen geblieben. Sie fürchten das Fremde, suchen nach Sündenböcken und glauben, dass sie sicher nicht für ihre eigenen Schulden verantwortlich sind, sondern diejenigen, die ihnen das Geld aufgedrängt haben.