Reisetagebuch einer Numismatikerin durch die Türkei (2009) – Teil 5

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von Ursula Kampmann

8. März 2012 – Caesarea Cappadocia, wenige Städte in den römischen Provinzen haben eine umfangreichere Münzprägung gehabt, und doch ist nur wenig Römisches in der Stadt selbst erhalten geblieben.

23. Juni 2009
Nach unserem Ausflug auf den Nemrut Dagh waren wir in erster Linie erledigt. Das war aber nicht schlimm, denn wir tauschten den heruntergekommenen Kasten à la Americain gegen eine Oase der Erholung im Hotel El Ruha. Unser Zimmer war sogar am Vormittag schon bezugsfertig. So ließen wir unsere Koffer liegen und gingen zu den Fischteichen, um dort im Schatten zu sitzen, etwas zu essen und die Karpfen zu füttern.

Das Hotel El Ruha, eine Oase der Erholung. Foto: KW.

Viel gibt es über diesen Tag nicht zu berichten. Wir waren faul. Oh, etwas gibt es doch. Wir entdeckten in unserem Hotel eine Getränkekarte mit Cocktails. Das war überraschend, denn eigentlich gab es keinen Alkohol (genau wie in den hiesigen Teegärten und Restaurants). Aber da stand groß und deutlich Pina Colada auf der Karte (sogar fast richtig geschrieben). Natürlich mussten wir das ausprobieren. Wir bestellten also zwei Pina Colada. Was kam? Keine Ahnung. Es war rot, schrecklich süß, ein Geschmack irgendwo zwischen Kaugummi und Gummibärchen, kurz einfach untrinkbar. Wir brachten die Gläser zurück an die Theke. Und die entzückende Bedienung in ihrer alttürkischen Tracht erklärte in bestem Türkisch: Ananas yok, Rum yok, Kokos yok. Ach ja, yok heißt „haben wir nicht“…

Ein Blick in den Basar. Foto: KW.

24. Juni 2009
Der Vormittag war mit einem Gang durch den Basar ausgefüllt. Ganz tolles Erlebnis! Da gab es tatsächlich noch eine Gasse mit Kupferschmieden, wo die Schmiede am Arbeiten waren. Riesig die Auswahl an billigster Kleidung, dazu unzählige Auskochereien. Die haben vor der Tür einen niedrigen Tisch mit kleinen Hocker. Die Gäste nehmen da Platz und verzehren, was ihnen vom Grill gebracht wird. Für Vegetarier (oder Menschen, die wie ich Fleisch in Maßen verzehren) ist dieses Land wahrlich nichts. Ich kann keinen Kebab mehr sehen!!!

Ein Blick in die Ulu Cami, einst eine von Justinian erbaute Kirche. Foto: KW.

Vom Basar gingen wir in die alte Moschee. Hier war der Platz, an dem Iustinian dem hl. Stephanus Mitte des 6. Jahrhunderts eine Kirche erbaute. Heute zeugen nur noch die alten Kapitelle davon, die im Garten ausgestellt sind. Und das achteckige Minarett war früher der Glockenturm der Kirche.

Blick auf die Zitadelle. Foto: UK.

Am Abend gingen wir auf die Zitadelle. Wir fanden die richtige Treppe und stellten überrascht fest, daß dort sogar mehrsprachige Erklärungstexte angebracht waren.

Versuchen Sie das einmal zu lesen. Foto: KW.

Wir beredeten noch, dass es doch bemerkenswert sei, dass man sich die Mühe gäbe, sogar in Deutsch eine Beschreibung anzubringen, als wir von hinten eine Stimme hörten: „Sehen Sie sich erst einmal an, was für Deutsch das ist.“ Es war bemerkenswert. Dem Text fehlte einfach jeder Inhalt! Wir lachten und schon waren wir mitten im Gespräch mit Landsleuten.
Sie hießen Thomas und Christian, kamen aus Tuttlingen, studierten technische Biologie bzw. Architektur und waren auf dem Weg quer durch die Türkei. Wir luden sie ein, mit uns bei den Fischteichen zu essen. Es wurde ein lustiger Abend. Sie hatten noch vor, zum Hahnenkampf zu gehen und hätten uns gerne mitgenommen. Wir lehnten ab. Mich als Frau hätte hier wohl niemand in die Nähe einer Hahnenkampfarena gelassen.

25. Juni 2009
Unser letzter Tag in Urfa. Wir hatten uns viel vorgenommen. Schließlich hatten wir praktisch noch kaum etwas von der Stadt gesehen. Ich wollte ins archäologische Museum, aber es klappte nicht. Das Museum versteckte sich vor uns. Irgendwann fanden wir es, nur um festzustellen, dass es nicht das gesuchte war, sondern eines der unzähligen Atatürk-Museen.
Von denen gibt es praktisch in jeder Stadt eines. Der Vater aller Türken muss auf seinen Reisen durchs Land unendliche Mengen von Hemden, Hosenträgern, Spazierstöcken und Gewehren verstreut haben. Überall, wo er auch nur eine Teepause einlegte, ist der Ort, an dem er es tat, heute Gedenkstätte. In Urfa ist sie in einem sehr schönen, neu restaurierten Gebäude untergebracht, in das der Eintritt umsonst ist. Geboten werden einige Vitrinen mit Waffen, dazu ein Hemd und eine Weste von Atatürk sowie eine stocksteife Gruppe von würdigen Türken in Wachs, wie sie das Schicksal ihres Landes in die Hände nehmen.
Und für diese merkwürdige Gedenkstätte waren wir quer durch die Stadt bei der Hitze gelaufen! Wir waren sauer, auf einander, auf das Museum (dessen Wärter übrigens sehr nett war und überhaupt nichts für unsere Enttäuschung konnte), auf die Hitze, die Stadt und überhaupt und sowieso.

Ausruhen an den Fischteichen. Foto: KW.

Wir erholten uns in der Hauptpost, dem bestgekühlten Gebäude der Stadt. Und dann waren wir reif für den Fischteich. Wir haben wohl nichts in Urfa so ausführlich erlebt, wie diese Teiche. Allerdings hatten wir dort ein Freilichttheater live: Türkische Familien in Urlaub.
An diesem Tag suchte sich eine riesige Familie ihren Platz neben uns. Die Großmutter war schwer behindert, saß im Rollstuhl und wurde von verschiedenen Enkelinnen liebevoll betreut. Während die Familie an einem großen Tisch in der zweiten Reihe saß, hatte man die Großmutter an den Fischteich geschoben. Ständig war eine der jungen Frauen um sie, um ihr die Zeit zu vertreiben.
Ich hatte schon festgestellt, dass junge Türkinnen gerne lächeln, wenn sie angelächelt werden. Unter Frauen darf man das ungestraft und erntet damit eigentlich immer eine Reaktion. Ich lächelte also die Betreuerin der Oma an. Die lächelte zurück. Die Oma, die mit dem Rücken zu mir saß, fragte eindeutig – auch wenn ich natürlich nichts davon verstand – warum ihre Enkelin da lächle. Man erklärte es ihr. Darauf ein kurzer Befehl und die Oma wurde mitsamt Rollstuhl umgedreht, um die Touristin zu besichtigen. Ein erster Kontakt erfolgte mit ein paar Worten Englisch: „Where do you come from? What’s your name? My name is …“ Und als sie feststellten, dass ich aus Deutschland sei, gab es ein großes Hallo. Ein Mädchen wurde gerufen, das in Gießen Tiermedizin studierte und sehr gut Deutsch sprach. Wir, das heißt nur sie und ich, unterhielten uns. Bald stand eine große Schar weiblicher Wesen um uns herum und guckte zu. Sie standen neben und hinter Kurt und trotzdem war es so, als sei er überhaupt nicht da. Sie würdigten ihn nicht eines Blickes, während sie mit mir angeregt schwatzten. Es ist tatsächlich so: Unter Frauen tratscht man, ohne den Mann einzubeziehen, und unter Männern wird geredet, ohne die Frauen zu beachten. Man steht nebeneinander und doch sind die Welten so weit getrennt, als könne man nicht zusammen kommen.

Steintafel mit einem Plan der Anlagen um die Geburtsgrotte Abrahams. Foto: UK.

Am Abend gingen wir ein letztes Mal durch die Anlagen, um die Geburtsgrotte von Abraham zu suchen. Wir fanden sie nicht – und wir werden es überleben. Es ist einfach unglaublich, wie sehr die Hitze einem die Energie aus den Gebeinen saugt.

Blick aus dem Busfenster auf eine traumhafte Landschaft. Foto: KW.

26. Juni 2009
Am Freitag verließen wir Urfa mit schwerem Herzen. Wir erreichten nach knapp drei Stunden Gaziantep. Dort sahen wir, dass ein Bus nach Kaysari, dem antiken Caesarea Cappadocia abging. So kauften wir Tickets und fuhren eine halbe Stunde später los. 6 1/2 Stunden sollte die Fahrt dauern. Sie ging durch eine unglaublich prachtvolle Berglandschaft. Schließlich kamen wir ins bergige Kappadokien. Am späten Abend waren wir in Kaysari. Wir waren hundemüde, hungrig und mussten noch Hotel suchen. Doch wir hatten Glück. Man sprach Englisch an der Rezeption. Das Zimmer war genau das, was wir brauchten. Und zum Abendessen gab es sogar wieder einen Raki. Komisch, ich bin ja eigentlich niemand, der ständig sein Bierchen zum Essen braucht, aber allein die Tatsache, dass mich jemand davon abhalten will, es zu trinken, veranlasst mich, Alkohol trinken zu wollen. Ja, ja, der liebe Widerspruchsgeist.

27. Juni 2009
Kayseri, das römische Caesarea ist uraltes Kulturland. Bereits 3000 v. Chr. soll es hier eine Siedlung gegeben haben. Seine Lage an der Seidenstraße, dem uralten Handelsweg durch Kleinasien nach China, sorgte dafür, dass es unter den verschiedensten Herrschern eine wichtige Handelsstadt blieb.

Ariarathes IV. Tetradrachmon, 185/4. Gorny & Mosch 199 (2011), 526.

Hier hatten die Könige von Kappadokien seit Ariarathes I. (332-322) ihre Residenz. Damals hieß die Stadt Mazaka. Erst einer der vielen Ariaratheis, die auf den ersten gefolgt waren, ließ sie in Caesarea umbenennen. Dies geschah, um die Römer günstig zu stimmen, genauer gesagt wohl Tiberius, denn der letzte König Kappadokiens war völlig auf den guten Willen der Kaiser angewiesen.

noneHier hatten die Könige von Kappadokien seit Ariarathes I. (332-322) ihre Residenz. Damals hieß die Stadt Mazaka. Erst einer der vielen Ariaratheis, die auf den ersten gefolgt waren, ließ sie in Caesarea umbenennen. Dies geschah, um die Römer günstig zu stimmen, genauer gesagt wohl Tiberius, denn der letzte König Kappadokiens war völlig auf den guten Willen der Kaiser angewiesen.

Archelaos. Hemidrachme. Gorny & Mosch 142 (2005), 1613.

Er hieß Archelaos und war wegen der Überzeugungskraft seiner Mutter an die Herrschaft gekommen. Sie war eine berühmte Hetaira, deren Charme auch der Triumvir Marcus Antonius völlig erlag. So erzählt jedenfalls die Propaganda des Augustus. Dies nämlich sei der einzige Grund gewesen, warum Marcus Antonius Archelaos als König von Kappadokien einsetzte. Jedenfalls gelang es Archelaos, rechtzeitig ins Lager des Augustus überzuwechseln. Er behielt seine Krone und diente als Puffer zu den Parthern und dies lange Jahre, bis Tiberius auch ihn seines Amtes enthob, um das Königreich an die Provinz Syrien anzuschließen.

Caesarea. Traian. Tridrachme. Gorny & Mosch 204 (2012), 1859.

Im Gegensatz zum Reich von Kommagene blieb Kappadokien unter römischer Herrschaft. Die Stadt wurde zu einem wichtigen Zentrum der römischen Herrschaft im zentralen Kleinasien. Bestes Zeugnis dafür sind die unzähligen Münzen, die in Caesarea ausgegeben wurden. Als der sasanidische König Shapur I. die Stadt nach seinem Sieg über Kaiser Valerian I. im Jahr 260 n. Chr. zerstörte, sollen 400.000 Einwohner hier gelebt haben. Im 4. Jahrhundert richtete ein Bischof ein kirchliches Zentrum leicht nordöstlich der alten Stadt ein. Hier entstand die neue Stadt, die unter Iustinianus in eine Festung verwandelt wurde.

Danishmendiden. Fals, 536-570, Kayseri(?). Gorny & Mosch 172 (2008), 7066.

Auch unter den Danischmenden und den Seldschuken blieb Kayseri, wie die Stadt jetzt hieß, ein wichtiges Zentrum. Auch die Osmanen trugen ihr Teil zum Stadtbild bei. Wie gesagt, hier verlief die Seidenstraße und brachte der Stadt Reichtum. Antike Überreste sind in Kayseri kaum mehr zu sehen, dafür umso mehr Moscheen und Karawansereien.

Caesarea. Septimius Severus. Didrachme. Numismatik Lanz 149 (2010), 436.

Wir nahmen uns den ganzen Tag Zeit, Kaysari zu erkunden. Ich gebe es ja zu, ich war hauptsächlich gekommen, um endlich den Mons Argaios zu sehen, den heiligen Berg der Bewohner von Caesarea, der anstelle eines Kultbildes auf ihren Münzen dargestellt wird.

Muslimischer Friedhof, im Hintergrund der Mons Argaios. Foto: UK.

Die Stadt liegt malerisch unterhalb dieses selbst jetzt noch mit Schnee bedeckten Berges. Es handelt sich um einen Vulkan mit zwei Gipfeln, der seinen Darstellungen auf Münzen tatsächlich ähnlich sieht. Leider hüllte sich der Berg heute den ganzen Tag in Wolken. Es war überaus schwierig, ihn zu fotografieren, und das obwohl wir es mehrfach versuchten.

Zahlreiche Läden sind in die Zitadelle eingebaut. Foto: KW.

Kayseri ist auch heutzutage ein wichtiges Zentrum der Teppichherstellung und vor allem des Teppichhandels. Alle mittelalterlichen Moscheen, Medresen, Karawansereien sind in den Basar integriert. Sogar die Zitadelle bietet Platz für zahlreiche kleine Läden, in denen der Besucher alles Mögliche vom Kinderspielzeug über Kleidung bis zu Goldschmuck und Teppichen kaufen kann.
Ach ja, Teppiche. Und nicht zu vergessen, die lieben Schlepper. Es ist einfach zu lästig. Kaum merken sie, daß man nicht Türkisch spricht, fragen sie einen, woher man sei, dann beginnt ein Gespräch, in dem sie ihren „guten Freund“ in eines der Geschäfte abschleppen wollen. Man kann sich eigentlich kaum auf höfliche Art und Weise wehren. Irgendwann quatschte uns wieder einer auf Deutsch an, woher wir seien. Ich war müde, durstig, hatte keine Lust und sagte, ohne nachzudenken: „Nein, nicht schon wieder, ich will keinen Teppich kaufen.“ Das bremste den Mann aus. Er war sozusagen sprachlos, und wir kamen ohne große Auseinandersetzung davon.

Typischer Tonsarkophag für die Gegend um Kaysari. Foto: UK.

Unser erster Weg gleich am Morgen führte uns ins Museum (das war eine Fluchtreaktion: ein Mann versuchte, uns in seinen Teppichladen zu zerren und war uns schon durch die halbe Stadt gefolgt, ehe wir ihn überzeugen konnten, dass wir erst was anderes vorhätten). Das Museum liegt außerhalb der Innenstadt. Es handelte sich um so ziemlich den verfallensten Bau des Viertels – daneben war ein supermodernes Krankenhaus. Man reagierte begeistert, sperrte auf (wir dürften wohl die ersten und einzigen Besucher des Tages, wenn nicht der Woche, vielleicht sogar des Monats gewesen sein) und schickte uns in die beiden Säle.

Neolithisches Idol. Foto: UK.

Große Überraschung: Das Material war umwerfend. In einer kleinen Vitrine lagen wunderschöne neolithische Frauenidole. Dazu ausgezeichnete hethitische Keramik, Siegel und Keilschrifttäfelchen, Stelen und und und. Man hatte genug zu schauen, auch wenn einem die Hitze im Gebäude schier die Luft raubte.

Keilschrifttäfelchen. Foto: UK.

Lästig waren auch die beiden Jungs, die losgeschickt worden waren, um die Touristen zu überwachen, damit die keinen Blödsinn machen. Gaaaaanz unauffällig guckten sich die zwei genau das an, was wir uns angeguckt hatten und auf ihren kleinen Stirnen las man überdeutlich „Was finden die nur an dem Scheiß?“

Sarkophag mit den 12 Taten des Herakles. Foto: KW.

Die römische Abteilung enttäuschte ein wenig, auch wenn das Material sehr gut war: Ein Sarkophag mit der Darstellung der 12 Taten des Hercules, guter Goldschmuck, darunter ein bezaubernder Ohrring mit der detaillierten Darstellung eines Dionysoskopfes, kleine Bronzen (alles scharf gereinigt und abgebeizt) – und kein einziger Hinweis auf den Kult des Mons Argaios. Ich war richtig enttäuscht, wenn ich dran denke, welche gewaltige Rolle dieser Berg in der Numismatik spielt! Und hier so gar kein Hinweis!

Moschee, im Hintergrund der Mons Argaios. Foto: UK.

Den Nachmittag verbrachten wir mit einem Bummel zwischen all den seldschukischen und osmanischen Bauten. Kaysari hat uns für einen Tag wirklich gut gefallen. Und wie göttlich kühl es hier ist! Kaum noch 35 Grad!

Morgen geht es weiter, wahrscheinlich nach Ankara oder wohin auch immer ein Bus uns bringt.

Er sollte uns tatsächlich nach Ankara bringen. Begleiten Sie uns bei unserem Besuch im Anatolischen Museum und dem Grabmal von Atatürk. Ich kann Ihnen eindrückliche Bilder versprechen. Ach ja, und wußten Sie, daß Atatürk eine kleine Münzsammlung hatte?

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