Von Hirschen, Heiligen und den Münzen der Stadt Zürich


mit freundlicher Genehmigung von Heiner Stotz, LHS Zürich

Waren Sie schon einmal in Zürich? Vielleicht sogar in der letzten Woche im Oktober, wenn traditionell alle großen Zürcher Auktionshäuser ihre Herbstauktionen abhalten? Dann haben Sie bestimmt beim Besuch der zahlreichen Auktionshäuser die Limmat überquert, und mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit haben Sie dazu die Münsterbrücke benutzt. Stellen Sie sich in Gedanken noch einmal auf diese Brücke:

Abb.1: Blick von der Münsterbrücke aus auf das Fraumünster. Foto: Sidonius / Wikipedia

Wenn Sie nach links schauen, sehen Sie das Fraumünster, wenn Sie nach rechts schauen, das Großmünster.

Abb. 2: Münsterbrücke mit Blick auf das Großmünster und die Wasserkirche. Foto: Roland, zh / Wikipedia

Zwei so große Kirchen, so eng nebeneinander, kein Wunder, daß da Reibereien entstanden, welche denn nun die bedeutendere sei. Das Fraumünster argumentierte bei jedem neuen Streit mit einer Urkunde, die Ludwig der Deutsche einst ausgestellt hatte und die immer noch im Kloster aufbewahrt wurde. Er soll auf Bitten seiner Tochter Hildegard, die Äbtissin des Fraumünsters war, große Stiftungen getätigt haben. Das Großmünster, das nebenbei mindestens genauso alt ist, hatte leider keine vergleichbare Urkunde aufzuweisen. Aber immerhin lagen dort ursprünglich die Reliquien der beiden bedeutendsten Zürcher Heiligen, Felix und Regula.
Die Legende berichtet, daß Felix zur berühmten Thebäischen Legion gehörte, deren Martyrium an unglaublich vielen und verschiedenen Orten stattgefunden haben soll. Mauritius, Kommandant der Thebäischen Legion und erster Besitzer der hl. Lanze, die später zu den Reichskleinodien gehören sollte, sah das Unheil der Christenverfolgung unter Kaiser Maximianus Herculius (286-305) kommen, und riet Felix, mit seiner Schwester Regula zu flüchten. Die Häscher Maximians sollen den beiden aber gefolgt sein und sie bei der Burg Turicum, also dem heutigen Zürich gestellt haben. Sie wurden gefoltert, blieben aber ihrem Glauben treu, worauf man sie zur Hinrichtungsstelle führte.

Abb. 3: Blick von der Münsterbrücke auf die Wasserkirche. Ausschnitt aus Abb. 2.

Die können Sie übrigens auch von ihrem geistigen Standort auf der Münsterbrücke sehen. Drehen Sie sich einfach um, rechts hinten, der kleine gotische Bau, das ist die Wasserkirche. Noch heute kann man dort – wenn man gute Verbindungen hat zur Stadtarchäologie Zürich – in den Untergrund steigen und den Stein bewundern, auf dem Felix und Regula ihr Leben ausgehaucht haben sollen. Die beiden wurden also enthauptet und sollen – ganz wie der hl. Dionysius in Paris und Klaus Störtebecker in Hamburg – mit den abgeschlagenen Köpfen in der Hand noch ein gutes Stück weitergelaufen sein, nämlich zum Großmünster, wo ihre Körper begraben wurden. Nun wäre ein Heiliger kein Heiliger, wenn er wie ein ganz normaler Toter friedlich in seinem Grab liegen bleiben könnte. Im Falle des Großmünsters schrieb man die Umbettung von Felix und Regula sogar Karl dem Großen zu.
Der habe nämlich einen Hirschen gesehen und sei diesem von Köln bis Zürich gefolgt, dort soll der Hirsch in die Knie gesunken sein und Karl der Große wußte sofort, daß er ihm als Bote Gottes den Platz gezeigt habe, wo man Felix und Regula ausgraben konnte.

Abb. 4: Karl der Große am Großmünster. Foto: roland, zh / Wikipedia

Den Wahrheitsgehalt dieser Geschichte wollen wir hier nicht erörtern. Eines aber steht fest: Im Mittelalter glaubten die Zürcher diese Legende. Sie verehrten neben Felix und Regula Karl den Großen, schufen eine mächtige Statue von ihm, die ihn mit Krone und Richtschwert zeigt, Sinnbild der kaiserlichen Machtfülle, die ihn das Großmünster gründen ließ, wie die Kleriker dort stolz behaupteten.

Abb. 5: ZÜRICH. Dicken o. J. (1500-1503). Zürcherwappen, oben Adler n. l. Rv. Der hl. Karl der Große. 9,63 g. Tobler (1974), S. 77 (dieses Exemplar). HMZ 1124. Leu Numismatik AG, Zürich 88 (2003), 1787. Schätzung 20.000 CHF. Zuschlag 31.000 CHF.

Genau dieses Bild ist auf der ersten Dickmünze der Stadt Zürich zu finden, einem Dicken von 1500, wie er in der Auktion Leu 88 verkauft wurde. Schon früher hatten die Bürger dieses Bild benutzt, nämlich als sie in den Jahren zwischen 1417 und 1424 Plapparte prägten. Und sie hatten sich genau überlegt, warum sie Karl den Großen als Münzbild wählten und nicht Felix und Regula.

Abb. 6: ZÜRICH. Fraumünsterabtei. Äbtissin Judenta von Hagenbuch, 1229-1254. Pfennig. Die Köpfe der Stiftsheiligen Felix und Regula, sog. Doppelkopf. Cahn-Wüthrich 203var. Auktion Leu Numismatik AG, Zürich 88 (2003), 1730. Schätzung 600 CHF. Zuschlag 1.000 CHF.

Schließlich war offiziell die Äbtissin des Fraumünsters die Prägeherrin und ihre Vorgängerinnen hatten bei Gelegenheit selbst die Stadtheiligen als Münzbild benutzt. Seit einer Translatio im Jahr 873/5 besaß nämlich auch das Fraumünster Reliquien von beiden Heiligen. Ja, und auch einen Hirsch hatte man aufzuweisen. Der hatte zwar nicht Karl den Großen geführt, aber immerhin die Töchter Ludwigs des Deutschen. Die Damen seien von ihrer Burg am Albis auf das Leuchten seines Geweihs aufmerksam geworden und ihm dann hinterhergelaufen, wo er sie zu der Stelle führte, an der man das Fraumünster gründen solle.
Wollte man zu Beginn nicht das Münzbild des Fraumünsters zusammen mit dem Münzrecht usurpieren, änderte sich diese Einstellung schon bald. Nun erscheinen Felix und Regula auf den städtischen Prägungen, wohl weil das bürgerliche Selbstbewußtsein gewachsen und die Macht der Äbtissen des Fraumünsters zurückgegangen war.

Abb. 7: ZÜRICH. Guldiner 1512. Zwei Löwen mit zwei Zürcherwappen und dem gekrönten Reichswappen. Rv. Die Heiligen Felix, Regula und Exuperantius, in den Händen ihre abgeschlagenen Häupter, unten Jahreszahl. 29,67 g. Hürl. 422. HMZ 1121. Leu Numismatik AG, Zürich 88 (2003), 1806. Schätzung 12.500 CF. Zuschlag 12.000 CHF

Seit dem Jahr 1512 findet man aber nicht nur Felix und Regula, sondern einen dritten Kopflosen, den hl. Exuperantius. Sein Kult stammt nicht, wie der von Felix und Regula, aus dem 9., sondern erst aus dem 13. Jahrhundert, als eine langsam erstarkende Bürgerschaft diesen Heiligen für sich in Anspruch nahm, um Felix und Regula etwas entgegenzusetzen zu haben.
Ja, und damit wären wir fast am Ende unserer Heiligengeschichten angelangt, wenn nicht am 29. Januar 1523 der Rat von Zürich beschlossen hätte, in der Stadt die Reformation einzuführen. Ein Jahr später, am 30. November 1524 wurde das Fraumünsterstift aufgehoben. Die letzte Äbtissin erhielt eine Rente zugewiesen und heiratete. Gleichzeitig wurden all die anderen katholischen Institutionen beseitigt und aus der ungeheuren Menge von liturgischen Gefäßen ließ der Stadtrat Taler prägen, die heute den Namen Kelchtaler tragen.
Trotzdem verschwanden die Stadtheiligen auch nach der Reformation nicht völlig von den Zürcher Münzen.

Abb. 8: ZÜRICH. 2 Dukaten o. J. (1588-1600, Münzmeister Hans Ulrich III. Stampfer). Felix und Regula von vorne. Rv. Karl der Große auf seinem Thron sitzend. Hürl. 119 (dieses Exemplar). HMZ 1136. Aus der kommenden Auktion Leu Numismatik AG, Zürich 88 (2003), 1851. Schätzung 30.000 CHF. Zuschlag 26.000 CHF.

Auf einem Doppeldukaten ohne Jahr, der zwischen 1588 und 1600 hergestellt wurde, sieht man vorne Felix und Regula, hinten Karl der Große. Hier hatten wohl findige Händler, die im katholischen Ausland einkaufen wollen, auf das alte Münzbild bestanden, um größere Akzeptanz für ihre Dukaten zu finden.
Haben wir Sie neugierig gemacht auf Zürich und seine Heiligen? Dann besuchen Sie die Stadt doch, am besten anläßlich einer Auktion.