Drusus und Seianus – Thronfolge im alten Rom


mit freundlicher Genehmigung von Hans Voegtli / ACAMA

Das römische Gemeinwesen war beim Tod des Augustus keine erbliche Monarchie. Die Herrschaft über die Römer ging nach seinem Tod nicht automatisch auf den nächsten männlichen Anverwandten über. Im Gegenteil, komplizierte, rechtliche Schritte waren die Voraussetzung, daß der Thronwechsel problemlos von statten ging.

Augustusstatue von Primaporta

Was bedeutete das damals überhaupt, Herrschaft über die Römer? Augustus behauptete ja von sich selbst, er habe lediglich an Autorität die anderen Römer überragt. Doch die Wahrheit sah anders aus. Er verfügte vor allem über zwei Privilegien, die ihn zu einem unumschränkten Herrscher machten. Für seine militärische Herrschaft war das Imperium Proconsulare am wichtigsten. Während ein einfacher senatorischer Prokonsul lediglich in einer Provinz sein Amt ausübte und in dieser seiner Provinz tatsächlich die gleichen Vollmachten besaß wie Augustus, verfügte der Kaiser über eine ganze Reihe von Provinzen. Die waren zudem so ausgewählt, daß alle wichtigen Heeresteile in ihnen stationiert waren. Damit war er natürlich jedem anderen römischen Beamten militärisch weit überlegen und konnte mit Waffengewalt jeden Widerstand brechen. Die Herrschaft des Augustus und seiner Nachfolger war – auch wenn sie es noch so gut zu verschleiern wußten – nichts anderes als eine Militärdiktatur.

Um die Senatoren aber in dem Glauben zu wiegen, daß alles seinen gewohnten demokratischen Gang ginge, ließ sich Augustus eine zweite Macht verleihen, die Tribunicia Potestas. Sie räumte ihm die gleichen Privilegien ein, wie sie früher die Volkstribunen besessen hatten. So konnte der Kaiser ganz legal jeden Gesetzesvorschlag einbringen und gegen jeden Beschluß eines Beamten das Veto („ich verbiete“) einlegen. Im wesentlichen stützte sich das Kaisertum während des gesamten ersten Jahrhunderts n. Chr. auf diese beiden Privilegien.
Doch ein Schönheitsfehler blieb. Beide Vollmachten waren nicht erblich, sondern wurden vom Senat verliehen. Wollte nun Augustus, oder irgendein anderer Kaiser nach ihm, auf die Wahl seines Nachfolgers Einfluß nehmen, so mußte er durchsetzen, daß dieser Nachfolger noch zu seinen Lebzeiten das Imperium Proconsulare und die Tribunicia Potestas verliehen bekam. So gab es also – bei einer ordentlich geregelten Nachfolge – stets zwei „Kaiser“. Starb einer von ihnen, so lief alles weiter wie bisher, nur mußte sich der Überlebende wieder um einen neuen Mitregenten umsehen. Augustus hatte das mehrmals in seiner Amtszeit getan. Agrippa – Ehemann von Iulia, der Tochter des Augustus, und Vater der potentiellen Nachfolger, Caius und Lucius Caesar – war sein Mitregent gewesen. Er wurde von Tiberius – dem Stiefsohn des Augustus – abgelöst.

TIBERIUS, 14-37 AD. As im Namen des Drusus des Jüngeren, 22-23. PIETAS Verschleierte weibliche Büste mit Diadem n. r. Rv. DRVSVS CAESAR TI AVGVSTI F TR POT ITER um SC 15,12 g. BN 48, 74. BMC 133, 98. RIC 97, 43. C. 1.

Auch Tiberius sorgte sich nach seiner Machtübernahme um die Nachfolge. Er besaß einen leiblichen Sohn, Drusus, und hatte auf Befehl des Augustus seinen Neffen Germanicus adoptiert. Damit verfügte Tiberius über zwei potentielle Mitherrscher. Wer nun die Macht mit ihm teilen sollte, dies ließ Tiberius erst einmal offen. Er gab beiden jungen Männern die Chance, sich in politischen und militärischen Aktionen zu bewähren. Erst als Germanicus im Jahre 19 n. Chr. starb, entschloß sich Tiberius, Drusus zum nächsten Kaiser zu machen, und veranlaßte den Senat, seinem Sohn im Frühjahr des Jahres 23 die Tribunicia Potestas zu verleihen. Anläßlich dieses Ereignisses wurde unsere Münze geprägt. Wir lesen in der Umschrift DRVSVS CAESAR TI AVGVSTI F TR POT ITER Drusus Caesar, Sohn des Tiberius Augustus, der für mehrere Jahre die Macht eines Tribunen inne hat. Damit hätte nun eigentlich alles so schön geregelt ablaufen können. Doch Tacitus berichtet uns, daß Drusus einen Neider hatte, den Stadtpräfekten Seianus.
Wenn wir den packenden Bericht des Tacitus lesen, müssen wir uns vor Augen halten, daß sein Autor stolz darauf war, im Senat zu sitzen, und auf einen Ritter wie Seianus nur verächtlich herabblicken konnte. So unterstellte er Seianus alles Schlechte. Er behauptete, einzig sein Ehrgeiz sei der Grund gewesen, daß Seianus sich an die Ehefrau des Drusus heranmachte, die der leichtlebige Kaisersohn viel zu oft allein ließ. Nur um Livilla zu verführen, habe sich Seianus von seiner eigenen Frau getrennt. Es kam sogar zu einer öffentlichen Rauferei zwischen dem gehörnten Ehemann und dem Liebhaber. Kurz darauf, am 14. September des Jahres 23, starb Drusus. Kein Wunder, daß ein – von Tacitus genüßlich kolportiertes – Gerücht behauptete, Seianus habe dessen Ehefrau dazu überredet, ihn zu vergiften.
Tiberius schenkte diesen üblen Verleumdungen keinen Glauben, im Gegenteil, er baute systematisch Seianus zu seinem Nachfolger auf, bis er – aus uns heute nicht mehr nachvollziehbaren Gründen – von seiner Politik abwich und Seianus fallen ließ. Die ehrwürdigen Senatoren rächten sich: Sie töteten Seianus und rotteten seine ganze Familie aus. Als deshalb beim Tod des Tiberius kein Erbe vorhanden war, der über die nötige Erfahrung verfügte, übergaben sie auf eigene Initiative dem jungen Caligula die herrscherlichen Privilegien. Der neue Kaiser versagte völlig. Wohl kaum ein Senator wird sich eingestanden haben, daß Seianus seine Sache wohl besser gemacht hätte.

Literatur:
J. Bleicken, Augustus. Berlin 1998.
E. Meise, Der Sesterz des Drusus mit den Zwillingen und die Nachfolgepläne des Tiberius, JNG 16 (1966), 7-22.
Z. Yavetz, Tiberius. Der traurige Kaiser. München 1999.