Geld und Kirche im mittelalterlichen Europa

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von Ursula Kampmann

25. Juni 2015 – Ein Thema wiederholt sich in der christlichen Ikonographie: Der Wucherer, der um seinen Hals einen Sack schwer von Geld trägt und vom Teufel in den Höllenschlund hinabgezogen wird. Wer diesen armen Verdammten auf einem Kirchenportal sieht, wagt zu bezweifeln, ob die christliche Kirche des Mittelalters überhaupt irgendetwas mit Geld zu tun haben wollte. Aber wie immer, die Wahrheit ist wesentlich vielschichtiger, als man es sich vorstellen mag.
Svein Gullbekk und Giles Gasper haben es sich zur Aufgabe gemacht, diese Wahrheit zu erforschen. Deshalb riefen sie 2013 gemeinsam ein Projekt ins Leben, das einen Rahmen für all die Forscher bildet, die der Verbindung zwischen den scheinbaren Antipoden nachgehen wollen. Eingeladen, sich mit der Thematik zu beschäftigen, sind nicht nur Numismatiker, sondern auch Archäologen, Historiker, Theologen, Anthropologen und Volkskundler. Vorangegangen war ein Kongress, der zeigte, wie unglaublich viel Neues auf diesem Feld zu entdecken ist. Die Kongressakten wurden in dem vorliegenden Aufsatzband publiziert.

Giles E. M. Jasper, Svein H. Gullbekk (Hrsg.), Money and the Church in Medieval Europe, 1000-1200. Practice, Morality and Thought. Ashgate Publishing, Farnham, 2015. 304 S. mit 21 Taf. in Farbe und Schwarz-Weiß. 16,3 x 24,1 cm. Hardcover. ISBN: 978-1-4724-5681-6. GBP 70.

Mit einer unglaublichen Münze beginnt Giles E. M. Gasper seine Einführung ins Thema. Es handelt sich um einen Penny des englischen Königs Knut des Großen (1018-1035), der auf beiden Seiten den Beginn des Johannesevangeliums zeigt: „Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott.“ Diese Münze steht symbolisch für das weite Spannungsfeld, das sich dem Forscher auftut, wenn er nach Verbindungen zwischen Geld und Kirche sucht. Denn während die Kirchenportale den Wucherer als Sünder verdammten, waren die Bischöfe, Äbte und Weltgeistlichen im Alltag so gar nicht abgeneigt, Geld zu nehmen und auszugeben, um ihre Geschäfte zu tätigen. Quellen dafür gibt es viele, von theologischen Texten zu Chroniken und Urkunden, Rechnungsbüchern und Heiligenlegenden, von kirchlichen Bauten zu den Münzen selbst, deren Darstellungen und deren Niederlegung, vielleicht sogar im kirchlichen Zusammenhang.

Die Aufsätze, die dieser Einführung folgen, sind in drei große Themenkomplexe unterteilt. Im ersten beschäftigen sich vier Forscher mit der Haltung innerhalb der Kirche zum Geld. Turpe lucrum – schnöder Mammon? Das Vorurteil, dass das die einzige Reaktion der Kirche auf das sich im Hochmittelalter mehr und mehr verbreitende Geld war, stellt Rory Naismith in Frage. Den klösterlichen Quellen und ihren Aussagen zum Thema geht Giles Gasper nach. Die Wahrnehmung der falschen Münze ist Thema von Greti Dinkova-Bruun und das Werk des Alan von Lille über die Tugend des rechten Wirtschaftens stellt Odd Langholm in das Zentrum seiner Forschungen.

Dass die Kirche trotz ihrer Skepsis gegenüber dem neuen Zahlungsmittel natürlich im täglichen Leben ständig davon Gebrauch machte, zeigen die folgenden Beiträge, die mit Buying, Selling and Building: The Use of Money by the Church (Kaufen, Verkaufen und Bauen: Der kirchliche Umgang mit Geld) überschrieben sind. Wim Vroom, der eine Monographie zur Finanzierung des mittelalterlichen Kathedralenbaus publiziert hat, fasst hier seine Erkenntnisse zusammen. James Bolton beschäftigt sich mit dem England des 12. Jahrhunderts, Björn Paulsen mit Dänemark zwischen 1060 und 1160. S. J. und N. J. Mayhew widmen sich der engen Verbindung zwischen Kirchen und Märkten im England des Domesday Books, wie sie in Kirchenbezeichnungen wie St. Mary le Port oder St. Mary in the Market bis heute zum Ausdruck kommen.

Der dritte Teil der Publikation ist der Verbindung von Geld und Macht gewidmet. In wie weit waren Münzen, das christliche Ritual und die Erlösung miteinander verbunden? Hier widmet sich Sebastian Steinbach einem seiner Lieblingsthemen: Der klösterlichen Münzprägung unter den Ottonen und Saliern. Jens Christian Moesgaard behandelt die Münzprägung der Normandie und Lucia Travaini, die ja bereits ein erhellendes Buch über die Funktion des Geldes im italienischen Mittelalter publiziert hat, beschäftigt sich mit Opfern, Bräuchen und Geldgeschenken. Svein Gullbekk, der Gastgeber schließt den umfassenden Aufsatzband ab mit einem Blick auf die norwegischen Verhältnisse.

Die Lektüre dieses Buchs ist erhellend. Nicht immer unkompliziert zu lesen, führt uns das hochspannende Thema zurück in eine Zeit, in der das Geld noch keine Selbstverständlichkeit darstellte. Wie die moralische Institution mit diesem neuen Medium umging, ihre abwechselnde Skepsis und Akzeptanz, das wird hier mustergültig von vielen Seiten beleuchtet. Die Lektüre macht wieder einmal klar, dass „die Kirche“ nicht eine Einheit ist, sondern aus vielen verschiedenen Vertretern bestand, die alle ihre eigene Einstellung zum Geld finden mussten. Natürlich sind Tendenzen sichtbar, aber auch Abweichungen von der Regel.

Bis 2016 läuft das Projekt „Money and the Church in Medieval Europe“ noch. Wir sind gespannt auf alle weiteren Ergebnisse. Die neue Schriftenreihe, in der dieser Aufsatzband als erster erschienen ist, ist jedenfalls offen für weitere Publikationen. Es ist zu hoffen, dass dieser interdisziplinäre Ansatz noch viele Forscher inspiriert und noch viele interessante Facetten dieses spannenden Themas zum Vorschein kommen.