Unter den Augen der Artemis

Abydos, das Tor von Asien und seine Goldprägung

„Von Abydos zu diesem Küstenvorsprung hinüber wurden die Brücken gelegt von denjenigen, die dazu bestellt waren. … Es sind sieben Stadien von Abydos zum gegenüberliegenden Ufer. Kaum war die Brücke gelegt, da kam ein gewaltiger Sturm, der alles zerschlug und zerriß. Darüber erzürnte der König und befahl, dem Hellespont 300 Schläge mit der Geisel zu geben.“ Es war Xerxes, der anordnete, den Hellespont zu züchtigen, den Hellespont, diese Spalte zwischen Kleinasien und Europa.

Die Ägäis – die Dardanellen waren in der Antike der einfachste Weg für ein Landheer, von Asien nach Europa zu kommen. Foto: Wikipedia.

Abydos gehörte zu den wichtigsten Schauplätzen des Vormarschs der Perser, denn hier waren und sind die Ufer am nächsten zusammengerutscht. 7 Stadien, nach heutigen Messungen etwa 1,3 Kilometer, mißt der Hellespont bei Abydos.

Hero und Leander
Diese Nähe war schon in der Antike ein Thema. Hier in Abydos ist die Sage von Hero und Leander angesiedelt.

William Etty, Hero und Leander. Quelle: Wikipedia.

Leander, ein Bewohner von Abydos, liebte Hero, eine Aphroditepriesterin aus Sestos. Um mit ihr zusammen sein zu können, schwamm er jede Nacht über den Hellespont. Eine Lampe wies ihm den Weg. Als eines Nachts ein Sturm die Lampe auslöschte, ertrank der Liebende. Hero, die seinen Leichnam am nächsten Morgen fand, stürzte sich von einer Klippe in den Tod.

Die Geschichte von Abydos
Abydos war eine milesische Gründung aus der Zeit um 670 v. Chr. Doch wahrscheinlich lebten hier schon lange vorher Thraker. Es handelt sich also um uraltes Siedlungsland, das seine Bedeutung aus seiner strategischen Position am natürlichen Übergang zwischen Europa und Asien zog.

Xerxes läßt den Hellespont auspeitschen. Quelle: Wikipedia.

Als Xerxes hier seine Brücke errichten ließ, war Abydos schon seit einer Generation unter persischer Kontrolle. 514 war die Stadt erobert worden. 480 hielt Xerxes hier seine Heerschau ab, ehe er ins Griechische Mutterland zog, um dort seine schwersten Niederlagen zu erleiden.
Abydos wurde wieder frei, allerdings nicht für lange. Es kam unter die Kontrolle Athens, wurde ein Mitglied des Delisch-Attischen Seebunds und zahlte – wie wir aus der Überlieferung wissen, höchst widerwillig – seit 454/3 jährlich die hohe Summe von 4 Talenten (= 24.000 Drachmen) an Athen.
412/11 in der Endphase des Peloponnesischen Krieges nutzte Abydos die Niederlage der Athener bei Syrakus, um sich aus dem Seebund zu lösen. Vielleicht gehören in diesen Zusammenhang der prachtvolle und unike Goldstater mit einem Adler auf der Vorderseite und dem Medusenkopf auf der Rückseite. Das Gold stammte aus Astyra, einem bei antiken Schriftstellern öfters erwähnten Goldbergwerk, über das Abydos verfügen konnte. Zur Zeit des Xenophon (426-355) lieferten die Minen reiche Ausbeute, zur Zeit des Strabo (63 v. Chr. – 23 n. Chr.) dagegen waren sie erschöpft.
Jedenfalls geriet Abydos kurz danach unter spartanische Kontrolle und blieb die wichtigste Festung der Spartaner in Kleinasien, bis im sogenannten Königsfrieden von 388/7 alle kleinasiatische Gebiete wieder unter persische Kontrolle kamen.

Ein bis jetzt unbekannter, uniker Goldstater von feinstem Stempelschnitt
334 v. Chr. zog Alexander der Große über Abydos ins Persische Reich. Die Stadt wurde damit wieder frei, ein prächtiger Anlaß, um dies mit einer neuen Münzemission zu feiern. Wahrscheinlich gehört ein bis jetzt unbekannter, uniker Goldstater, der am 30. November 2010 in Genf versteigert werden wird, genau in diesen Zusammenhang.

Abydos. Goldstater, um 330 v. Chr. 8,60 g. Kopf der Artemis von vorne, einen Kranz tragend, darüber ein mit Akanthosblättern geschmückter Polos, an den Ohren lange Ohrgehänge, um den Hals eine Perlenkette. Rv. Adler n. l. stehend, davor Zweig eines Weinstocks mit Traube. Aus Auktion Numismatica Genevensis S.A. 6 (2010), 84. Unikum von größter historischer und künstlerischer Bedeutung. Taxe: 350.000 CHF.

Das Motiv hatte sich geändert: Auf der Vorderseite finden wir nun Artemis, der in Abydos ein wichtiger Kult gewidmet war, auf der Rückseite erscheint der Adler, den das ältere Stück noch auf der Vorderseite zeigte. Der Stempelschneider, der für diese Emission verantwortlich zeichnete, war ein großer Könner seines Fachs. Sein liebliches, frühhellenistisches Frontalporträt der Artemis, die auf ihrem Kopf einen Kranz und einen mit Akanthos geschmückten Polos trägt, ist von höchster künstlerischer Bedeutung. Trotz der Kleinheit des Formats wirkt die Darstellung monumental. Das Vorbild könnte durchaus ein lokales Standbild der Artemis gewesen sein.

Abydos zur Zeit des Hellenismus und der Römer
Bald dürfte Abydos seine eigene Münzprägung wieder aufgegeben haben. In den Jahren 328 bis 297 prägte es wohl im Namen Alexanders und seines Nachfolgers Philipps III. Danach nutzte Lysimachos die Ressourcen der Stadt und ließ Goldmünzen in seinem Namen herausgeben.
Seit 281 gehörte Abydos zum Seleukidenreich, 200 eroberte Philipp V. von Makedonien die Stadt, um sie anschließend zu zerstören. Als Abydos 188 zum Reich von Pergamon kam, war sie nur noch ein Schatten ihrer selbst. 133 wurde sie römisch, auch wenn die neuen Herren sie nominell für „frei“ erklärten. Abydos soll Rom treu geblieben sein im Mithridatischen Krieg, mit dem man eine letzte goldene Notemission in Verbindung bringen will, die auf der Vorderseite wieder Artemis, diesmal eine Büste der Jägerin n. r., zeigt, auf der Rückseite den Adler.

Nachleben der Stadt
Abydos lebte als Zollstation noch bis in die spätbyzantinische Zeit. Wann die Stadt unterging, ist heute unbekannt. Es gibt auch kaum Ausgrabungsergebnisse, denn das einstige Stadtgebiet liegt heute mitten im militärischen Sperrbezirk.

Ganz in der Nähe des antiken Abydos fand im 20. Jahrhundert die Schlacht von Gallipoli statt. Foto: Wikipedia.

Seit der Schlacht von Canakkale, auch bekannt als die Schlacht von Gallipoli, vom 19. Februar 1915 bis zum 9. Januar 1916 gilt die Gegend um Abydos als der verletzlichste Punkt der Türkei.