Numismatische Miniaturen aus dem Norden – Teil 4: Die Schatzinsel. Schätze, Schätze und noch mehr Schätze

Gotland war eine besondere Insel. Dort lebten unabhängige Bauernfamilien auf ihrem eigenen Land, für das sie keinem Herren Dienst leisten mussten. Und das wiederum bedeutete, dass sie als Unternehmer tätig sein konnten. Sie waren dabei äußerst erfolgreich. Die mehr als 700 Schätze mit rund 180.000(sic!) Münzen, die man auf der Insel bisher gefunden hat, legen davon Zeugnis ab.

Für die Kurzfassung zur Geschichte der Insel Gotland lesen Sie bitte Teil 3 der numismatischen Miniaturen aus dem Norden.

Historisches Museum von Gotland. Foto: KW.

Wer sich detaillierter über die Geschichte Visbys und Gotlands informieren will, sollte unbedingt in das Historische Museum gehen, das zusammen mit allerlei anderem das Gotlands-Museum bildet. Ich kann und will nicht über die moderne Kunst in Gotland urteilen – sie interessiert mich dafür einfach nicht genug, aber über das historische Museum kann ich urteilen. Und es ist phänomenal!!!!

Das historische Museum ist nicht nur reich an einmaligen Objekten, sondern darüber hinaus didaktisch ausgezeichnet aufbereitet und durchgehend schwedisch – englisch beschriftet.

Wer neben der Kasse in den ersten Saal hineingeht, ist überwältigt von der Fülle der gotländischen Bildsteine, von denen die interessantesten und besterhaltenen hier ihren Platz gefunden haben. Sie entstanden zwischen dem 5. und dem 14. Jahrhundert und legen Zeugnis ab vom Reichtum der Gotländer und dem Wagemut, mit dem die Gotländer diesen Reichtum vermehrten. Schiffe stehen häufig im Zentrum der Darstellungen. Wir sehen sie unter geblähten Segeln dahingleiten oder von Ruderern mit mächtigen Stößen vorangetrieben.

Ausschnitt aus dem Bildstein von Abb. 08. Foto: KW.

Aber auch dem Kampf sind viele Darstellungen gewidmet. Ein Stein berichtet gar von einem Mann, der in einer Schlangengrube zurückgelassen wurde. Ihn empfängt eine schöne Jungfrau – na ja, so schön ist sie nicht auf dem Stein, aber wir wissen, was gemeint war – mit einem Horn voll schäumenden Mets in Walhall.

Hort von Gerum. Foto: KW.

Diese Bilder führen uns zurück in die Zeit, in der die zahlreichen Hortfunde auf Gotland unter die Erde kamen. Denken wir daran, es gibt auf der Insel über 700(!) Hortfunde. Und darin waren um die 180.000 Münzen – beeindruckend, wenn man weiß, dass „nur“ 80.000 Münzen auf dem schwedischen Festland gefunden wurden, das immerhin mehr als 10mal so groß ist wie Gotland und schon damals rund die 10fache Bevölkerung beherbergte.

Hort von Hogrän. Foto: KW.

Einige stammen aus römischer Zeit, die meisten aus der Epoche der Wikinger, also von 800 bis 1150. Schon in römischer Zeit müssen sich die Männer aus Gotland als Söldner, Piraten und / oder Händler gewaltige Schätze verdient haben, mit denen sie auf der Insel wahrscheinlich nicht so viel anfangen konnten. Vielleicht als Notgroschen vergruben sie ihre Schätze in der Erde.

Hort von Karls. Foto: KW.

Wer diese Schätze sehen will, der ist im historischen Museum genau an der richtigen Adresse! Denn es gibt einen Schatzraum, in dem ein marginaler Teil der Kostbarkeiten ausgestellt ist. Wobei – marginal ist relativ – der Raum besteht aus einer Vielzahl von Vitrinen, in denen Tausende von Münzen, Barren und Wertobjekten übereinander, untereinander und durcheinander liegen.

Hort von Hogrän. Foto: KW.

Vom Hortfund bestehend aus römischen Denaren reicht das Spektrum bis hin zu einem prächtigen römischen Weinservice angereichert durch einen goldenen Torques von 800 g Gewicht.

Torques aus dem Hortfund von Hogrän. Foto: KW.

Nun möchte man bei einem Torques ja eher an einen keltischen Stammeshäuptling denken, aber diese Interpretation passt nun gar nicht. Der Reif weist nämlich einen Durchmesser von 24 Zentimeter auf, was selbst für den dickhalsigsten Wikinger zu viel gewesen sein dürfte. Man geht daher heute davon aus, dass das Stück für eine Statue angefertigt wurde. Ähnliches sieht man übrigens auf dem Kessel von Gundestrupp, der ebenfalls im Norden, in Kopenhagen, besichtigt werden kann…

„Nordische Brakteaten“ – Schmuckstücke, die sich aus römischen Medaillons entwickelt haben. Foto: KW.

In Visby kann man außerdem ein paar Beispiele der so genannten „Nordischen Brakteaten“ bewundern. Es handelt sich dabei nicht um Münzen im eigentlichen Sinn, sondern um eine Weiterentwicklung der römischen Goldmedaillons, mit denen die verbündeten Barbaren geehrt wurden. Wer keins von den Römern direkt ergattern konnte, ließ sich selbst so ein Ding herstellen, wobei der Stil natürlich nichts mit dem römischen gemeinsam hat.

Der Hortfund von Spilling. Foto: KW.

Auch der Hortfund von Spilling. Foto: KW.

Immer noch der Hortfund von Spilling. Und damit ist’s aber genug. Foto: KW.

Und dann erst die mittelalterlichen Funde!!!! Sie sind zum Teil einfach unglaublich umfangreich. Der Hortfund von Spilling, um nur ein Beispiel zu nennen, enthält rund 67 – siebenundsechzig(!!!!) – Kilo Silber. Die Objekte kommen dabei aus 20 verschiedenen Ländern, vor allem im Orient.

Karte der Hortfunde von Gotland. Foto: KW.

All diese Funde wurden, und das ist aussagekräftig für die soziale Struktur von Gotland, nicht in der Stadt Visby, sondern auf dem freien Land gefunden – und zwar über ganz Gotland verstreut. Vom 9. bis zum 11. Jahrhundert fand man die reichen Silberschätze im Landesinneren, erst ab ca. 1075 konzentrieren sich die Hortfunde immer mehr an die Küste.

Gotländischer Bauernhof, allerdings ein paar Jahrhunderte später. Wieder errichtet im Freilichtmuseum von Bunge. Foto: KW.

Es waren also die reichen Händler-Bauern, die als Familienoberhäupter den Reichtum ihres Geschlechts zusammentrugen, vermehrten und vergruben. Sie mehrten ihren Besitz durch eine kluge Bewirtschaftung ihres Bauernhofs und transportierten ihre Güter nicht in die nächste Stadt, sondern über das Meer, um sie mit größerem Profit zu verkaufen. Ihren Profit scheinen sie dann allerdings nicht mehr investiert, sondern als Familienschatz im Haus verborgen zu haben. Warum der dann nicht mehr gehoben wurde? Wer weiß? Vielleicht starb der Familienvater vor Visby bei der Verteidigung der Freiheit Gotlands und vergaß, seinen Erben dieses Geheimnis mitzuteilen. Vielleicht brauchte man das Silber auch einfach nicht und ließ es in seinem Versteck. Denn in den Wikinger-Sagas bringt das Heben eines Schatzes immer auch Gefahren mit sich.

Der Hort des Stavar. Foto: KW.

Wir müssen nicht an Siegfried und den Hort der Nibelungen denken. Eine andere Geschichte ist hier präsenter, die von Stavar dem Großen. Der verteidigte sein Land gegen den norwegischen Wikinger Erik Jarl. Dabei verlor er das Leben. Doch 1880 sah ihn sein Nachkomme. (Zugegeben, der war ziemlich besoffen, als er dies tat.) Stavar versprach dem betrunkenen Göran, ihm den Schatz zu geben, weil er sein Nachkomme sei. Doch der erinnerte sich daran, dass an Schätzen immer Unheil klebe, weswegen er darauf verzichtete. Stavar gab ihm also nur ein paar Münzen aus dem Hort und versprach ihm, dass er es bei seinen Nachkommen wieder versuchen wollte. Die kontaktierten in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts den zuständigen Archäologen, als sie den heimischen Bauernhof aufgaben. Sie wollten damit auf keinen Fall die Ansprüche auf ihren Schatz verlieren. Ob sie 1975 tatsächlich zumindest einen Teil davon erhalten haben, als spielende Schulkinder „ihren“ Schatz auf dem Grundbesitz ihres Bauernhofs entdeckten, habe ich leider nicht in Erfahrung bringen können.

Die Gotländer leisteten sich die besten Künstler ihrer Epoche: Relief mit Christi Geburt vom Eingang der Kirche von Bro (heute 389 Einwohner). Foto: KW.

Sie merken, es lohnt sich, nicht nur in Visby zu bleiben, sondern ganz Gotland zu erkunden. Denn Gotland besitzt nicht nur die größte Dichte an Schatzfunden, sondern auch die schier unglaubliche Zahl von über 100 romanischen Kirchen. Das Land war reich, sehr reich. Und man darf sich schon fragen, ob die Zahl der Hortfunde nach 1150 deshalb so stark zurückgegangen ist, weil die Bauern-Händler ihr Geld nun lieber in ihr Seelenheil in Form einer Kirche investierten.

Kirche von Bro. Foto: KW.

Diese Kirchen sind alle sehr ähnlich gestaltet. Sie haben einen Chor, ein Schiff und einen vorgelagerten Turm, dessen erstes Stockwerk oft in den Kirchenraum integriert wurde.

Leidensweg Christi. Relief von der Kirche von Martebo (heute 174 Einwohner). Foto: KW.

Bemerkenswert sind die Steinmetzarbeiten. Sie sind von unglaublicher Qualität!

Schlacht von Visby 1361. Gemälde aus der Kirche von Bunge (heute 886 Einwohner). Foto: KW.

Mindestens ebenso bedeutend sind die zahlreichen Malereien, die in diesen Kirchen zum Vorschein gekommen sind.

Anbetung der Könige. Einige der feinsten Kunstwerke aus den gotländischen Kirchen befinden sich heute im Museum von Visby. Foto: KW.

Auch das Innere der Kirchen weist große Ähnlichkeiten auf. Bemerkenswert ist nicht nur der reich mit Skulpturen geschmückte Taufstein.

Opferstock von Bunge. Foto: KW.

Auch die Opferstöcke sind interessant und gelegentlich aufwändig gestaltet.

Die gotländische Version eines Klingelbeutels. Foto: KW.

Besonders bemerkenswert scheint mir der typisch Gotländische „Klingelbeutel“ zu sein, eigentlich ein „Klingelbrett“. An einem geschnitzten Brett ist ein zweites, teilweise abgedecktes Brett angebracht, auf das ein gespendetes Geldstück zu liegen kam.

Ofen zur Erzeugung von Teer. Foto: KW.

Warum aber waren die Gotländischen Bauern so reich? Mal abgesehen vom Zwischenhandel, mit dem man natürlich auch viel Geld verdienen kann. Nichtsdestotrotz, irgendwelche eigenen Produkte müssen ja wohl als Startkapital gedient haben…

Die Lösung auf diese Frage entdeckten wir im Museum von Bunge, einem Freilichtmuseum, das gotländische Bauerngehöfte aus verschiedenen Epochen zeigt. Mal davon abgesehen, dass die Insel Gotland natürlich fruchtbar ist und ihre Fischer sicher jede Menge Heringe fingen, die man mit Salz haltbar machen und an alle Christen verkaufen kann, die regelmäßig die Fastenzeit einhalten, nun, abgesehen davon produzierten die gotländer Bauern ein Gut, das unverzichtbar ist für die Schifffahrt: Sie siedeten Teer und lieferten ihn zusammen mit anderen Verbrauchsgütern wie Wachs, Getreide und Seile direkt an die Häfen der Ostsee, um so selbst ihren Profit zu machen. Doch anders als die Händler-Bankiers Italiens legten sie ihr dabei erworbenes Geld nicht in Fürsten an, sondern vergruben es im Boden.

So ist Gotland fürwahr zur Schatzinsel geworden, die nicht nur Geschichte und Münzen im Übermaß bietet, sondern dazu auch den größten Schatz, den heute eine Insel bieten kann, Ruhe und Erholung.

Alle bisher erschienen Teile dieser Serie über Schweden, seine Geschichte und seine Münzprägung finden Sie auf dieser Seite.