Türkischer Frühling – Teil 7

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von Ursula Kampmann

6. Juni 2013 – Ich glaube, auf der ganzen Welt gibt es niemanden, der nicht schon die Kuretenstraße von Ephesos entlang gelaufen ist, jedenfalls nach der Zahl der Touristen zu schließen, die man dort sieht. Und wir erlebten Ephesos an einem ruhigen Tag, relativ gesehen …

Sonntag, 28. April 2013
Nach einem letzten ausführlichen Frühstück und einem freundschaftlichen Abschied von der Betreiberin des Hotel Erguvan nahmen wir Abschied, um weiterzufahren. Ziel war das Herz des Tourismus an der türkischen Westküste, Ephesos. Wo wir ein Quartier zu finden planten? Nun, ganz einfach, in Kusadasi, zusammen mit Hunderttausenden von anderen Touristen, die dort jedes Jahr an die Küste strömen, um zu baden.
Doch der Weg dahin war nicht einfach. Ab Izmir mussten wir nämlich auf die Autobahn. Ich dachte, ich würde alle Straßenmautsysteme der Welt kennen. Doch in der Türkei scheiterte ich kläglich. Es gab einfach kein Ticket, das man an einer Barriere ziehen konnte; genauso wenig wie irgendeine Zahlstelle. Mit ungeheuer schlechtem Gewissen passierten wir den letzte Mautposten. Richtig nervös wurden wir allerdings erst, als gleich hinter der Station die Polizei lauerte. Vorsichtshalber bremsten wir, ich stieg aus und stürmte auf den Polizeiwagen zu, um zumindest meinen guten Willen zu bezeugen. Der Polizist grinste und beruhigte mich. Er machte keine Anstalten, uns zu verhaften. Erklären, wie wir uns eigentlich hätten verhalten sollen, konnte er allerdings auch nicht, da er keine Sprache außer Türkisch sprach. Und meine Türkischkenntnisse sind äußerst begrenzt. Nach langem Suchen in meinen Reiseführern stieß ich später auf einen Abschnitt, der erklärte, dass man vor dem Befahren der Autobahn bei der türkischen Post eine Karte kaufen müsse, die dann automatisch abgerechnet werde. Allerdings hatten wir während unseres gesamten Aufenthalts noch keine Post gesehen, und ich zweifle lebhaft daran, dass die Postbeamten eine Fremdsprache gut genug sprechen, um zu verstehen, was wir wollten. Nun, wenn die Türken die Straßengebühr auch von dummen Touristen wie mir einziehen wollen, dann müssen sie sich ein einfacheres System überlegen.

Blick auf das Hotel Kismet in Kusadasi. Foto: KW.

Wir passierten also erst einmal Selcuk, fuhren weiter auf die Küstenstraße und kamen in eine andere Welt. Das Meer ist nicht genug. Heutzutage will der Tourist mehr als ein bisschen Salzwasser. Das Geheimnis heißt „Aquapark“. In quietschbuntem Plastikdesign schwimmt der moderne Strandläufer zwischen Delphinen und kitzelt seine Nerven, indem er über Kilometerlange Wassertunnel kopfüber ins Nass rutscht. So jedenfalls verkündeten es die Plakate am Straßenrand. Bei Kusadasi gibt es das Adaland, „one of the best ten aquaparks of the world“, wie die New York Post schreibt. Von der Autobahn zu sehen sind drei Türme, die verblüffend an die der Basilius-Kathedrale in Moskau erinnern (tatsächlich ist die Website von Adaland auch dreisprachig: Türkisch, Englisch und Russisch). In Adaland kann man Krokodilen näherkommen und Stachelrochen von Hand füttern. Es gibt Shows mit Delphinen und Robben. Der Preis für dieses Vergnügen: 15 Euro. Wer mit Delphinen schwimmen will, muss 100 Euro berappen. Wir entschieden uns, unser Urlaubsbudget anders auszugeben.
Wir quartierten uns in einer ehemaligen Perle der türkischen Seeküste ein. Das leicht angestaubte, einstige Nobelhotel hat schon die Königin von England beherbergt, neben dem Königspaar von Belgien, von Schweden, dem Kronprinzen von Spanien, und dazu berühmte Politiker wie Jimmy Carter oder Lech Walesa. Das allerdings war vor einigen Jahrzehnten, als das Hotel auf dem wunderschön gelegenen Kap noch taufrisch war. Die Grand Dame des türkischen Tourismus ist inzwischen ein wenig in die Jahre gekommen, und in der Vorsaison sieht man dort selbst deutsche Touristen in einem verdreckten Auto, wie wir es fuhren, gern …
Wir genossen die bezaubernde Aussieht, die einen vergessen lässt, wie viele Menschen und Hotelbauten die einst so schöne Küste verschandeln. Und wir freuten uns auf eine Siesta im riesigen Hotelpark. Doch vorher, so beschlossen wir, würden wir nach Ephesos fahren. Es gibt nämlich zwei ruhige Zeiten zum Besichtigen: Den Mittag und den späten Nachmittag.

Phanes. Stater. Gorny & Mosch 159 (2007), 188.

Der Mythos erzählt, dass Ephesos von dem athenischen Prinzen Androklos gegründet wurde. Tatsächlich existieren Spuren einer ersten griechischen Siedlung vom 11. Jh. v. Chr. Doch richtig archäologisch greifbar wird die Stadt erst später, so im 9. Jh., als das erste Artemision entstanden sein dürfte. Im 7. Jh. war Ephesos eine blühende griechische Stadt, die Tyrannen regierten. In diese Periode könnten die frühesten Münzen fallen, so der berühmte Stater des Phanes, der wegen seiner Hirschdarstellung mit Ephesos in Verbindung gebracht wird.

Ephesos, 1/24 Stater. Av: Löwenpranke. Gorny & Mosch 152 (2006), 1399.

Irgendwann im 6. Jh. geriet Ephesos unter die Kontrolle der Mermnaden. Zunächst herrschte ein Verwandter der lydischen Könige, später soll Kroisos Ephesos erobert haben. Gerne möchte man die Elektronmünzen mit den Löwenpranken mit dem lydischen Einfluss in Verbindung bringen. Wie auch immer, Kroisos erwies sich als großer Mäzen. Er soll bedeutende Mittel für den Bau des Artemisions bereitgestellt haben. Wie die Stadt damals ausgesehen hat, wissen wir nicht, da ihre Reste völlig unter Schwemmland begraben sind.

Ephesos, Drachme, 450-415. Gorny & Mosch 199 (2011), 425.

546/5 eroberten die Perser Ephesos. Man scheint gut miteinander ausgekommen zu sein, da sich Ephesos beim Ionischen Aufstand neutral verhielt. Erst als Athen als neue Führungsmacht feststand, wechselte Ephesos die Fronten, nur um während des Peloponnesischen Krieges auf die persische Seite zurückzukehren. Die ephesischen Stadtväter scheinen jedenfalls Meister darin gewesen zu sein, sich durchzulavieren.

Ephesos. Tetradrachme nach dem Typ Alexanders III., um 300. Gorny & Mosch 199 (2011), 213.

Alexander dem Großen ließen sie jedenfalls freundlich ausrichten, man bräuchte seine Hilfe nicht für den Wiederaufbau des Artemision, das 356 v. Chr. ein gewisser Herostrat in Brand gesetzt hatte. Man fürchtete um seine Unabhängigkeit. Dass dies gerechtfertigt war, zeigt das Vorgehen von Lysimachos: Als er Herrscher der Stadt wurde, siedelte er die Bürger dorthin um, wo heute Millionen von Touristen über die Kuretenstraße wandern.

Ephesos als Arsinoeia. Tetrobol. Gorny & Mosch 164 (2008), 197.

Die Quellen berichten, er habe die Kanalisation des alten Ephesos unbrauchbar gemacht, so dass den Bewohnern von Ephesos gar nichts anderes übrig blieb, als sich in das neue Arsinoeia – benannt nach der Gattin des Lysimachos – zurückzuziehen. Immerhin überlebte der neue Stadtname den Tod des Lysimachos nicht. Bald sprach man wieder von Ephesos, als die Stadt zunächst 281 an die Seleukiden fiel. Um 260 kamen die Ptolemaier, 197 die Seleukiden, und 188 mit dem Frieden von Apameia die Herrscher von Pergamon.

Ephesos. Goldstater 88-86. LHS 103 (2009), 121.

Als die Attaliden ausstarben und die Römer Kleinasien als Provinz übernahmen, wurde Ephesos ihre Verwaltungsmetropole. Hier residierten die Statthalter und machten sich mit Sicherheit keine Freunde, denn als Mithradates VI., König von Pontos, ganz Kleinasien aufrief, sich gegen die Römer zu erheben, war Ephesos mit dabei. Berühmt geworden ist die Ephesische Vesper, bei der 80.000 Römer und Italiker umgebracht wurden.

Ephesos, Cistophor, 82-81. Gorny & Mosch 200 (2011), 1756.

Ephesos büßte dafür, als Sulla es 84 v. Chr. wieder zur Raison brachte. Die Gegner der Römer wurden umgebracht, die Stadt geplündert, das Territorium verkleinert. Und selbstverständlich mussten auch die Steuern für die Jahre 88 bis 85 rückwirkend gezahlt werden.

Ephesos. Marcus Antonius und Octavia. Cistophor, 39 v. Chr. Gorny & Mosch 185 (2010), 215.

Für Arsinoe IV., Konkurrentin der berühmteren Kleopatra, wurde Ephesos bzw. das Artemision zum Verbannungsort. Caesar hatte ihr diesen Aufenthalt zugewiesen, nachdem sie während seines Triumphzugs ihre Rolle gespielt hatte. Doch nach seiner Ermordung, und nachdem sich Marcus Antonius mit Kleopatra geeinigt hatte, war das Schicksal der Arsinoe besiegelt. Sie wurde hingerichtet.
Mit Augustus begann für Ephesos die große Blütezeit. Die Stadt erholte sich davon, dass alle Parteien in den verschiedenen römischen Bürgerkriegen ihre Ressourcen geschröpft hatten. Sie entwickelte sich zu einer der wichtigsten Hafenstädte des römischen Imperiums.

Ephesos. Augustus. Kistophor, ca. 25-20. Gorny & Mosch 207 (2012), 488.

Die Stadt, die unzählige Touristengruppen heute besichtigen, ist das römische Ephesos, das zu den volkreichsten Metropolen der antiken Welt gehörte. Auf 300.000 Menschen schätzt man die Einwohnerzahl. Das wäre fast so viel wie im römischen Alexandria. Doch im 3. Jh. begann der Hafen zu versanden. Ein schweres Erdbeben im Jahr 262 leitete einen wirtschaftlichen Niedergang ein, der nur dadurch gebremst wurde, weil Ephesos sich zu einem Zentrum des christlichen Glaubens entwickelte. Hier soll der Überlieferung nach die Jungfrau Maria ihren letzten Wohnsitz gefunden haben (nein, wir hatten weder Zeit noch Lust, diese Ruine zu besichtigen), dazu wurden einige wichtige Konzilien in der Stadt abgehalten. Kurz vor dem ersten Kreuzzug eroberten die Seldschuken die Stadt. In diesem Zusammenhang entstand das kleine Städtchen Selcuk, das es bis in die Moderne geschafft hat. Aus der Johanneskirche wurde die Hauptmoschee. Der Handel blühte, auch wenn er nicht mehr über den alten Hafen abgewickelt wurde. Und wenn es mit dem Handel einmal stockte, gab es immer noch die Seeräuberei. Vor allem die Venezianer hatten sich immer wieder mit diesem Problem auseinanderzusetzen. Doch mit dem Sieg der Osmanen sank Selcuk als Nachfolger des alten Ephesos auf den Status einer Provinzstadt ab.

Leider kein Museum für uns. Foto: KW.

Haben Sie sich schon einmal mit den Sitten und Gebräuchen von Touristengruppen beschäftigt? Als jahrelange Praktikerin kann ich Ihnen sagen: Die Pfade einer Gruppe sind leicht zu berechnen. Alle machen dasselbe, in demselben Rhythmus auf denselben Wegen. Wir beschlossen, uns also anders zu verhalten. Doch der erste Versuch scheiterte. Das hoch gepriesene, lokale Museum wurde leider gerade restauriert, als wir es zu besuchen versuchten.
Aber immerhin gibt es in Ephesos zwei Eingänge, durch die man es betreten kann. Wir wählten den unteren, sehr zur Verblüffung unzähliger Taxifahrer, die uns erklärten, das sei völlig unmöglich, und sie würden uns für wenig Geld zum richtigen Eingang bringen.

Das Theater von Ephesos. Foto: KW.

Tatsächlich war es sehr wohl möglich. Wir betraten etwa beim Theater das Grabungsgebiet. Es ist schon von seiner Größe her beeindruckend. Man soll um 100 v. Chr. mit einem ersten bescheidenen Bau begonnen haben, der in der Kaiserzeit mehrfach renoviert und vergrößert wurde. Als der Apostel Paulus sich also mit der berühmten Demonstration der Silberschmiede konfrontiert sah („Groß ist die Artemis von Ephesos“), war die Kulisse wesentlich bescheidener als heute.

Die Straße zum Hafen. Foto: KW.

Leider gesperrt ist die große Prachtstraße, die zum einstigen Hafenareal führte. Die Arkadiané ist mehr als einen halben Kilometer lang, wurde wohl bereits in spätrepublikanischer Zeit (allerdings wesentlich bescheidener) gebaut und trägt ihren heutigen Namen nach dem Kaiser Arcadius (395-408), der sie prachtvoll ausstattete. Die berühmte Straßenbeleuchtung, die kein Reiseleiter zu erwähnen vergisst, gab es allerdings nur sehr kurze Zeit. Sie wurde im 6. Jahrhundert installiert, und nirgendwo wird erwähnt, wie lange sie in Betrieb war.

Andere Länder, andere Sitten: Japaner auf Reisen. Foto: KW.

Immer wieder lehrreich ist ein Blick darauf, wie andere Nationen reisen. Japanische Reiseführer schlagen derzeit anscheinend vor, man möge, um dem Dreck des Landes zu entkommen, Handschuhe tragen. Der Mund wird gegen Keime völlig verhüllt. Und während deutsche und russische Touristen auch im unpassendsten Ambiente möglichst knapp bekleidet herumlaufen, um aus jedem Sonnenstrahl das Äußerste an Bräune zu quetschen, verhüllt die gepflegte Japanerin sich dezent und benutzt einen zusammenklappbaren Sonnenschirm.

Agora. Foto: KW.

Vom Theater kommt man über die „Tetragonos-Agora“, übrigens kein archäologischer Hilfsbegriff, sondern ein auf Inschriften überlieferter Name. Hier hatte der Handel seinen Platz, was man vielleicht noch an den vielen kleinen, abgeteilten Läden nachvollziehen kann.

Die Celsus-Bibliothek. Foto: KW.

Während man auf der Agora fast alleine ist (alle Gruppen gehen dran vorbei), ist die kleine Fläche vor der Celsus-Bibliothek der Dreh- und Angelpunkt aller Führungen. Als Münchner fühlt man sich ans Oktoberfest erinnert, und zwar so zwischen 18.00 und 19.00 Uhr an einem sonnigen Samstag Abend, wenn alle Bierzelte überfüllt sind. Reiseführer schreien in allen Sprachen der Welt, die einen ein wenig lauter, die anderen noch lauter. Tausendmal pro Sekunde wird ein Foto von der Bibliothek gemacht, und jeder einzelne Besucher hat das Gefühl, seines wird das Schönste und unglaublich interessant für die Daheimgebliebenen. Vor der Celsus-Bibliothek muss man seine Fluchtinstinkte deaktivieren, um die prachtvolle, kleinteilig geschmückte Fassade bewundern zu können. Denn die Celsus-Bibliothek ist der Höhepunkt des Gruppen-Touristen. Die wenigsten interessieren sich dafür, wer Tiberius Iulius Celsus Polemaeanus wirklich war. Er stammte eigentlich aus Sardeis. Seine politische Karriere begann unter Vespasian. Sie führte ihn bis hinauf in das Amt des Consul, dem eine Position als Proconsul der Provinz Asia folgte. Ephesos war das Verwaltungszentrum. Und Celsus gefiel es hier. Er ließ sich auch nach dem Ende seiner Amtszeit in Ephesos nieder und wurde ein großer Mäzen der Stadt. Seine Stiftungen waren so bedeutend, dass die Ephesier ihn zu einem neuen Gründerheros erhoben, was bedeutete, dass er die Sondergenehmigung erhielt, sich innerhalb der Stadtmauern begraben zu lassen. Er ruht unter seiner Bibliothek, die als Grab verstanden werden muss, dass seinem Besucher einen speziellen Service bot.

Die Hanghäuser. Foto: KW.

Ein Glück, dass die gleich nebenan gelegenen Hanghäuser einen ziemlich hohen Eintritt für ihre Besichtigung erheben, der zusätzlich zum (auch nicht billigen) Gesamteintritt entrichtet werden muss. Das bedeutet, dass alle Reisegruppen, die Ephesos in anderthalb Stunden erledigen, keinen Fuß hier herein setzen. Es ist ruhig. Ein Umstand, den man nach dem Trubel vor der Celsus-Bibliothek gerne mit gut 10 Euro bezahlt.

Auf dem gläsernen Steg durch Hanghaus 2. Foto: KW.

Über einen gläsernen Steg läuft man durch eine Pracht, wie man sie sich draußen kaum vorstellen kann. Böden mit Mosaiken, Wandmalereien und Marmortäfelung, alles in verschachtelten Räumen, es fällt schwer, sich vorzustellen, wie die verschiedenen Wohneinheiten voneinander abgegrenzt waren.

Blick in ein Luxusappartement. Foto: KW.

Trotzdem gibt uns dieses Hanghaus einen ausgezeichneten Einblick, wie die römische Oberschicht in einer Großstadt wohnte.

Mosaik mit der Darstellung von Meeresgottheiten. Foto: UK.

Während wir im Zusammenhang mit den Römern gerne an alleinstehende Villen denken, wird beim Besuch dieser Ausgrabung schnell klar, dass wir uns eher eine Art Appartementblöcke vorstellen müssten, allerdings unglaublich luxuriös ausgestattet. Damals wie heute war Platz in einer Stadt der größte Luxus, den sich nur die wenigsten leisten konnten.

Leicht ist das Fotografieren nicht immer. Foto: KW.

Um Ihnen dieses Foto zu liefern, haben wir keine Mühe gescheut!

So genannter Hadrianstempel. Foto: KW.

Der Eingang zu den Hanghäusern liegt direkt an der so genannten Kuretenstraße, die von Archäologen auch gern als Embolos bezeichnet wird. Wir müssen uns diese Straße als eine Art Hauptader der Stadt vorstellen, an der die wichtigsten repräsentativen Gebäude lagen, so auch der Hadrianstempel, der sicher nicht der Tempel war, in dem die Neokorie für diesen Kaiser angesiedelt war. Es dürfte sich eher um eine private Kultstätte handeln, wobei dies nur eine private Hypothese ist. Wozu der Bau wirklich gedient hat, dazu läuft im Rahmen des Österreichischen Archäologischen Instituts nämlich derzeit ein Forschungsprojekt.

Neokorietempel des Domitian. Foto: KW.

Wie groß man sich einen Neokorietempel wirklich vorstellen soll, das sieht man angesichts des Baus für Domitian. Und dazu gibt es eine kleine Geschichte, die ich für sehr typisch halte, was das Denken der kleinasiatischen Oberschicht zur Römerzeit angeht. So ein Neokorietempel war nämlich eine bedeutende Quelle des städtischen Stolzes. Es war so ähnlich wie heute bei Olympischen Spielen. Es war zwar sauteuer, einen Neokorietempel zu verwalten, und wirtschaftlich brachte es null und nichts, aber als Politiker konnte man sich in der Anerkennung aller anderen städtischen Politiker sonnen, die zu einer Versammlung des Koinon von Asia nach Ephesos zum Neokorietempel kommen mussten. Für diese stolzen Momente warf man gerne Tausende von Denaren und Aurei aus dem Fenster.
Nun war Ephesos im 1. Jh. hinsichtlich der Neokorietempel ziemlich kurz gekommen. Pergamon besaß schon seit Augustus einen, Symrna hatte einen unter Tiberius gekriegt. Und Ephesos wollte auch einen haben. Doch erst Domitian ließ sich erweichen. Begeistert begann man in Ephesos mit dem monumentalen Bau – und fiel ziemlich auf die Nase, weil Domitian – sicher erinnern Sie sich – nach seinem Tod der Damnatio memoriae verfiel. Nun hatte man in Ephesos einen tollen Tempel, dessen Gott nicht mehr erwähnt werden durfte. Schön blöd. Aber man fand einen Ausweg: Man widmete den Tempel um, statt Domitian wurde nun die flavische Dynastie verehrt.

Prozessionsstraße zum Artemision. Foto: KW.

Werden Sie allmählich müde? Also, wir waren es sicher. Beim Blick auf die Uhr stellten wir fest, dass wir mittlerweile fast fünf Stunden durch die Grabung gelaufen waren. Pflichtgemäß schauten wir uns noch die Staatsbauten an, also das Bouleuterion und das Prytaneion, und fanden dass allzu viel Steine an einem Tag ungesund sind.

Das Eldorado des touristischen Einkaufs. Foto: KW.

Völlig erschöpft saßen wir mit einem Glas Granatapfelsaft auf dem Platz vor dem Eingang zur Grabung von Ephesos und bewunderten die Waren, die dort angeboten wurden.

Echt falsche Uhren von allen Edelmarken. Foto: KW.

Da gab es echt falsche Uhren aller Nobelmarken …

Touristenfälschungen. Foto: KW.

… und die berüchtigten Touristenfälschungen, von denen manche Menschen immer noch glauben, dass es sich um echte Münzen handle.

Das Heiligtum der Artemis von Ephesos. Foto: KW.

Ein wenig erholt, machten wir uns auf, noch ein letztes anzusehen, das Heiligtum der Artemis von Ephesos. Es liegt eigentlich gleich an der Straße, die von Selcuk zur Grabung führt, ist aber trotzdem ein wenig schwierig zu finden. Man muss auf der Schnellstraße nämlich eine 90 Grad Kurve scharf nehmen, und der Pfeil zum Artemision ist nur für luchsäugige Touristen sichtbar. Wir fuhren besagte Schnellstraße also zweimal in die eine oder einmal in die andere Richtung, ehe wir es schafften, rechtzeitig die Einfahrt zu erspähen.
Belohnt wurden wir mit einem Idyll, wo die Störche ihr Nest bauten und die Frösche friedlich quakten. Touristen waren nicht zu sehen. Mittlerweile war es nämlich am Eindunkeln.

Foto von der Grabung im Artemision auf der erklärenden Tafel. Foto: KW.

Dabei ist das Artemision für uns Numismatiker doch der entscheidende Ort! Hier haben wir unseren einzigen chronologischen Fixpunkt, mit dem wir versuchen, die frühe Elektronprägung zu datieren. Bei der Grabung kamen nämlich unter einem der Fundamente eine kleine Zahl von Elektronmünzen heraus. Mit ihrer Hilfe will man das Rätsel um den Beginn der Münzprägung lösen, was nicht ganz einfach ist, weil die Grabung schon vor einigen Jahrzehnten stattfand und die Publikation mehr Fragen offen lässt als beantwortet.

Ephesos. Hadrian, Cistophor. Gorny & Mosch 133 (2004), 317.

Jedenfalls geben die Münzen heute einen wesentlich besseren Eindruck davon, wie der Tempel der Artemis, einst eines der sieben Weltwunder, ausgesehen haben muss. Dieser Cistophor zeigt uns die prachtvollen mit Friesen verzierten Säulentrommeln. Deutlich zu sehen ist auch die Türe im Tempeldach, aus der eine als Artemis gekleidete Priesterin anlässlich der großen Festlichkeiten vor die staunende Menge trat.

Vorbei. Vorbei und verloren für immer. Eine spanische Reisegruppe störte uns aus unseren melancholischen Gedanken auf. Es wurde wieder laut. Sehr laut. Wir zogen uns zurück.

Folgen Sie uns im nächsten Teil der Reise in das fast völlig zerstörte Milet und zu seinem bedeutenden Heiligtum, dem Apollonorakel von Didyma.

Alle Teile der Serie „Türkischer Frühling“ finden Sie hier.