Von der Lira zum Euro. Italiens Geschichte in Münzen – Teil 4: Italien als kolonialer Newcomer

Der junge italienische Staat hat mit drückenden Problemen zu kämpfen: mit Schuldenbergen, tiefer Armut, einer geringen Industrialisierung, schlecht ausgebauten Transportwegen und einer hohen Analphabetenrate unter der Bevölkerung. Die Nation ist zwar größtenteils geeint – aber gleichzeitig tief gespalten.

Italiens Enthusiasmus in Sachen Kolonien erfahren 1896 einen Dämpfer, als Äthiopiens Kaiser Menelik II. (hier in einer Darstellung einer französischen Zeitung) die Italiener in der Schlacht von Adua besiegt. Die Italiener sind geschockt, die Regierung muss zurücktreten, Äthiopien bleibt – vorerst – unabhängig.

Zwischen dem Norden und dem Süden des Landes zeigen sich unvereinbare Unterschiede: Dem reichen, industrialisierten Bürgertum des Nordens steht das arme, traditionell ausgerichtete Landproletariat des Südens gegenüber. Zudem nehmen die papsttreuen Katholiken an der politischen Gestaltung ihrer Heimat so gut wie keinen Anteil, weil der Papst den Gläubigen jede aktive Mitarbeit am laizistischen Staat untersagt hat.

Um von den wirtschaftlichen und sozialen Problemen im Land abzulenken – und um Italiens neuen Status als Großmacht zu demonstrieren –, leitet die italienische Regierung ein Kolonialprogramm ein und macht sich daran, in Afrika Land zu erwerben. Zunächst erobern die italienischen Truppen Eritrea (1885–1896) und Somalia (1889–1905), doch im Jahre 1896 unterliegt das italienische Expeditionsheer unterwartet bei dem Versuch, auch das abessinische (äthiopische) Hochland zu besetzen. Diese Niederlage bedeutet eine schwere Erschütterung der außenpolitischen Stellung Italiens – und des nationalen Selbstbewusstseins seiner Bürgerinnen und Bürger. Trotzdem gelingt mit der Zeit die Beherrschung kleinerer afrikanischer Gebiete, die nicht immer kriegerisch, sondern oft käuflich erworben werden.

Italienische Artilleriebatterie bei Tripolis, um 1911.

Im Herbst 1911 marschieren italienische Truppen in das zum Osmanischen Reich gehörige Libyen ein. Hier soll die verarmte süditalienische Landbevölkerung neuen Siedlungsraum finden. Solche Großmachtpolitik findet in der italienischen Bevölkerung allgemeine Anerkennung – man feiert sie als Wiederaufnahme der imperialen Politik des antiken Roms. Die Türkei allerdings ist über die Besetzung ihrer Gebiete alles andere als erfreut. Als Konstantinopel die italienische Forderung nach freier Hand bei der Besetzung Libyens ablehnt, erklärt Italien dem Osmanischen Reich kurzerhand den Krieg. In diesem Krieg wird übrigens erstmals ein Flugzeug eingesetzt – der italienische Hauptmann Carlo P. Piazza (*1871, †1917) unternimmt von Tripolis aus einen Aufklärungsflug über ein türkisches Militärlager.

Im Windschatten des Italienisch-Türkischen Kriegs (1911/12) sehen die Balkanländer ihre Stunde gekommen, sich gegen das Osmanische Reich zu erheben. Angesichts dieser Bedrohung willigt die Türkei 1912 in einen Friedensvertrag ein. Italien erhält die libysche Hauptstadt Tripolis und den Küstenstreifen der Kyrene sowie einige Inseln im Ägäischen Meer. Damit ist die Schmach der Niederlage in Äthiopien wenigstens zum Teil getilgt; das italienische Nationalbewusstsein erhält neuen Auftrieb.

Königreich Italien. Somaliland. Viktor Emanuel III. ½ Rupie 1912. Aus Auktion H.D. Rauch 99 (2015), 1188.

Zu Anfang der 1890er-Jahre wechselt am Horn von Afrika ein Flecken Erde seinen Besitzer: Der sich in Geldnöten befindende Sultan von Sansibar verkauft der italienischen Regierung für 120.000 Rupien Somaliland, wie diese Region fortan genannt werden wird. Italien erhofft sich von diesem Landerwerb sowohl einen innen- wie außenpolitischen Prestigegewinn. Zudem soll der Landkauf eine Beruhigung der Lage im eigenen Land bringen: Die Überbevölkerung in Italien hat in den letzten Jahren bedrohliche Ausmaße angenommen und braucht dringend ein Ventil. Die Städte quellen über – in Mailand leben anno 1910 an die 580.000 Menschen; 1880 waren es gerade einmal 320.000. Das ist beinahe eine Verdoppelung der Einwohnerzahl und die führt notgedrungen zu Wohnungsnot; durchschnittlich teilen sich in Mailand 3,8 Personen ein Zimmer. Dadurch verschlechtern sich die ohnehin bereits üblen sanitären Zustände in den Städten noch mehr. Seuchen wie Typhus, Cholera, Pocken und Syphilis wüten. Streiks, Demonstrationen und Straßenblockaden sind an der Tagesordnung.

Königreich Italien. Kolonie Eritrea. Umberto I. 1 Tallero (5 Lire) 1891. Aus Auktion Künker 350 (2021), 1872.

Diesen Zuständen hofft die Regierung in Rom nun zu begegnen, indem sie neue Siedlungsgebiete in Afrika schafft. Nach Afrika wandern allerdings vor allem die Armen aus – und das sind vornehmlich Menschen aus dem Süden. Jene, die es sich leisten können, kaufen sich eine Fahrkarte nach Amerika, ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Zwischen 1900 und 1910 verlassen über 600.000 Italienerinnen und Italiener ihre Heimat.

Um seinen herrschaftlichen Ansprüchen Nachdruck zu verleihen, gibt Italien für seine afrikanischen Kolonien eigene Münzen aus: Für Eritrea wird der Tallero im Wert von 5 Lire geprägt – in römischen und mailändischen Münzstätten. Von Italien aus werden die Münzen dann nach Afrika verschifft. In Somaliland wird eine italienische Rupie mit einem Wert von 8 italienischen Lire in Umlauf gesetzt, bevor 1925 die italienische Lira selbst zur offiziellen Währung der Kolonie wird.

 

In der nächsten Folge beobachten wir, wie sich die italienische Mafia etabliert und wie die steigenden Brotpreise zu gewalttätigen Aufständen führen.

Hier finden Sie alle Folgen der Serie „Von der Lira zum Euro. Italiens Geschichte in Münzen“.