Von der Lira zum Euro. Italiens Geschichte in Münzen – Teil 8: Der Mezzogiorno

Das Gefälle zwischen dem Norden und dem Süden Italiens lässt sich bis in die Antike zurückverfolgen. Seit der Gründung Roms – die der Legende nach im Jahre 753 v. Chr. erfolgte – erlebt die italienische Halbinsel eine nie mehr erreichte Blütezeit. Als jedoch das aufstrebende Rom seine Herrschaft auf Süditalien ausdehnt (seit 264 v. Chr.), beginnt der wirtschaftliche Abstieg.

Ständig wechselnde Fremdherrscher beuten während der nächsten 2000 Jahre die Stiefelspitze aus, die Landwirtschaft kann sich nicht aus der Umklammerung des Latifundiensystems befreien. Diese Großgrundbesitze entstehen in Italien im 2. Jahrhundert v. Chr. und werden von Sklaven, später dann von Bauern bewirtschaftet – von ehemals selbständigen Bauern, die mehr und mehr in Abhängigkeit der Grundbesitzer geraten. Seit dem Mittelalter gibt es Nachfolgeformen der Latifundien; die Ländereien werden jetzt häufig stückweise an Pächter vergeben, während die Grundbesitzer in den Städten leben. In einer solchen Welt ist an die Entwicklung selbständiger Städte nicht zu denken.

Zahlreiche Menschen reisen aus dem Süden in den Norden, um dort Arbeit zu finden. Ihre billige Arbeitskraft ist hochwillkommen.

Italiens Armenhaus: der „Mezzogiorno“

Von der Industrialisierung wird Süditalien kaum berührt und auch in der Landwirtschaft erzielt man geringere Erträge als im Norden. Nach dem Zweiten Weltkrieg (1939–1945) wird deutlich, dass der so genannte Mezzogiorno – abgeleitet von „Mittag, Süden“ – alle Symptome wirtschaftlicher Unterentwicklung aufweist: Hunderttausende der hier lebenden Italienerinnen und Italiener hausen in primitivsten Verhältnissen, viele sind unterernährt, es fehlt an den elementarsten hygienischen Einrichtungen. Die Arbeitslosigkeit beträgt bis zu 50 Prozent. So gibt es für die meisten süditalienischen Arbeiterinnen und Arbeiter nur eine Lösung: abzuwandern und für oft miserable Löhne im Norden oder im nahen Ausland zu arbeiten.

Die Rückständigkeit des Südens ist eine Bedingung für den Aufschwung des Nordens. Es sind die billigen „Gastarbeiter“ aus dem Mezzogiorno, die in den 1950er-Jahren das italienische Wirtschaftswunder schaffen – welches sich ausschließlich auf den Norden konzentriert. Im Süden hingegen entstehen von den Kommunisten geschürte Aufstände. Die Regierung in Rom sieht sich gezwungen, eine Agrarreform einzuleiten – Großgrundbesitzer werden enteignet und das Land an gut 100.000 Familien verteilt. Damit beabsichtigt Rom nicht nur eine Besänftigung der rebellierenden Bäuerinnen und Taglöhner; Ziel ist auch die Schaffung einer kleinen Klasse von Landbesitzern, die sich fortan der Propaganda der Kommunisten gegenüber als immun erweisen soll.

Im Süden, aber auch in den Fabriken des Nordens, kommt es immer wieder zu Streiks, die von den Kommunisten befeuert werden. Die Regierung versucht diesen Sprengsatz durch eine Agrarreform zu entschärfen.

Die Agrarreform ist ein Tropfen auf den heißen Stein: Nur eine winzige Minderheit der etwa sechs Millionen Landarbeiterinnen und Landarbeiter kommt in ihren Genuss. So verliert der Süden in den folgenden Jahren durch Abwanderung einen großen Teil seiner fähigsten Arbeitskräfte. Dennoch wandelt sich Italien in den nächsten Jahren zu einer der ersten sieben Industrienationen der Welt: Mitte der 60er-Jahre ist die Umwandlung von einem Agrarland in eine Industrienation abgeschlossen, und zu Beginn der 70er-Jahre ist das italienische Volk im Begriff, zu einer Wohlstandsgesellschaft zu werden. Die Probleme im Süden sind zwar nicht gelöst, doch durch Geldüberweisungen der Gastarbeiterschaft leben im Süden inzwischen breite Schichten in ähnlichem Wohlstand wie die Menschen im Norden.

Republik Italien. 2 Lire 1948, Aluminium. Foto: Facquis / CC BY-SA 4.0

Italiens Geld vom Kriegsende zum Wirtschaftswunder

Die ersten Münzen der Republik Italien zu 1, 2, 5 und 10 Lire gelangen im Dezember 1946 in Umlauf. Die Münzbilder für die neuen Münzen drücken den Wunsch nach Frieden und die Rückbesinnung auf traditionelle bäuerliche Werte aus – sei es durch einen Olivenzweig, eine Ähre Korn oder eine Traube.

Republik Italien. 1 Lira 1955, Aluminium. Foto: Facquis / CC BY-SA 4.0

Eine zweite Münzserie wird ab 1951 in Umlauf gebracht. Diese Emission trägt dem fortschreitenden Geldzerfall Rechnung – neu gibt es nun auch Stücke zu 20, 50, 100 und 500 Lire; die Prägung der 1- und 2-Lire-Stücke wird 1959 jedoch wieder eingestellt.

Die hier abgebildete Münze stammt aus dieser zweiten republikanischen Serie. Ihre Bilder symbolisieren den Aufbruch in ein neues, optimistisches Zeitalter, in wirtschaftlichen Aufschwung und fortschreitende Industrialisierung. Das 1-Lira-Stück zeigt ein Füllhorn – das Sinnbild des Überflusses – und auf der Vorderseite eine Waage, das klassische Symbol der Gerechtigkeit.

Republik Italien. 500 Lire 1955, Silber. Foto: Facquis / CC BY-SA 4.0

Die Münze zu 500 Lire zeigt auf ihrer Vorderseite einen wunderschönen Frauenkopf, umgeben von den Wappen aller italienischen Regionen. Auf der Rückseite symbolisieren die Karavellen des Entdeckers Christoph Kolumbus (*1451, †1506) den Aufbruch in die neue Zeit. Die 500-Lire-Münzen sind – erstmals seit langem wieder – aus Silber. Allerdings muss ihre Prägung bereits 1967 eingestellt werden: Denn der Silberpreis beginnt in den 60er-Jahren zu steigen und macht die Prägung von Silbermünzen wieder unrentabel.

 

In der nächsten und letzten Folge beobachten wir den Aufstieg Silvio Berlusconis und seiner Partei Forza Italia und erfahren, wie über das Aussehen der italienischen Euro- und Cent-Münzen entschieden wurde.

Hier finden Sie alle Folgen der Serie „Von der Lira zum Euro. Italiens Geschichte in Münzen“.