Huntington, Archer Milton (1870-1955)

von Hadrien Rambach

Archer Huntington, der knapp 2 Meter große Stiefsohn des Eisenbahnmagnaten Collis P. Huntington, entwickelte schon früh ein Interesse an der hispanischen Kultur – wahrscheinlich angeregt durch eine Reise nach Mexiko, die er als Jugendlicher unternahm. 1892 reiste er zusammen mit einem Yale-Professor zum ersten Mal nach Spanien – es war die erste von vielen solcher Reisen, vor allem nach Nordspanien, dem Schauplatz von „El Cid“, einem Gedicht, dass er kommentierte, übersetzte und später zusammen mit einigen eigenen Werken veröffentlichte. Huntington nahm auch an archäologischen Ausgrabungen teil, wie die der Ruinen der römischen Stadt Italica bei Sevilla im Jahre 1898. Der Eisenbahnerbe lehnte eine Stelle als Manager ab, um sich ganz auf seine Leidenschaft fokussieren zu können.

Er machte sich eifrig daran, eine Sammlung mit Objekten aller Art zusammenzustellen, die jede Epoche und jedes Landes abbilden sollte, in dem der Einfluss Spaniens auch nur im Entferntesten spürbar war. Dazu reiste er unermüdlich um die Welt, um Münzen, Bücher, Gemälde, Skulpturen, Glasobjekte, Töpferwaren und eine Reihe anderer Artefakte zu sammeln. Ziel dieses gewaltigen Unterfangens war es, ein visuelles, enzyklopädisches und faszinierendes Gesamtbild aller Epochen und Aspekte hispanischer Kultur zusammenzustellen. In diesem Kontext gründete er auch die Hispanic Society of America in New York – ein kostenloses Museum mit Forschungsbibliothek für das Studium der Künste und Kulturen von Spanien, Portugal und Lateinamerika. Die numismatische Komponente seiner Sammlung umfasste eine beeindruckende Anzahl von Münzen, die zweieinhalb Jahrtausende abdeckte – von der vorrömischen Zeit spanischer Ureinwohner zum römischen Kaiserreich, der Machtübernahme der Westgoten, dem islamischen Spanien der Umayyaden (wofür Huntington Arabisch lernte), dem Mittelalter bis hin zum Reich von Ferdinand und Isabella und ihren königlichen Nachfolgern. Als Sammler hielt er sich strikt an die Richtlinie, Münzen nur außerhalb Spaniens zu erwerben, da er kein Interesse daran hatte, Schätze aus dem Land zu entfernen. Collis‘ Neffe Henry E. Huntington und seine Frau (ab 1913) gaben zwischen 1908 und 1917 mehr als 21 Mio. Dollar für Kunstobjekte von Duveen aus. Im Vergleich dazu war die Summe, die Archer Huntington für Münzen ausgab, verschwindend gering.

Huntington spendete das Grundstück und finanzielle Mittel für den Bau des ersten Gebäudes der American Numismatic Society, das 1908 in Audubon Terrace (am Broadway) fertiggestellt wurde. Huntington sponsorte auch die Veröffentlichung der „Numismatic Notes“ der ANS. Bei der Zusammenstellung seiner Sammlung machte Huntington viele neue Bekanntschaften und kreuzte den Weg vieler angesehener Händler und Sammler: Sabine Bourgey veröffentlichte Dokumente von unschätzbarem Wert über seine Kaufgewohnheiten, denn Huntington hatte viele seiner Münzen von ihrem Großvater bezogen. Obwohl Huntington Ende 1955 starb, hatte er bereits im April 1907 angekündigt, dass er seine Käufe einstellen würde – eine Entscheidung, die er im November 1908 bekräftigte, obwohl sein letzter Kauf bei Bourgey im Januar 1913 stattfand. Von 1910 bis zu seinem Tod war Huntington Ehrenpräsident der American Numismatic Society und überließ 1946 der ANS seine Sammlung. Er machte die Hispanic Society of America 1949 zur Eigentümerin der Sammlung, aber die Münzen verblieben bei der ANS. Nach Huntingtons Tod wurden ca. 6.390 weitere Münzen in seinem Tresor gefunden, die mit dem Rest seiner Sammlung vereint wurden.

2012 und 2013 versteigerte Numismatica Ars Classica die römischen Goldmünzen der Sammlung Huntington.

Obwohl die Sammlung Huntington mehr als fünfzig Jahre lang in einem Museum aufbewahrt wurde, ist sie aufgrund der von der Hispanic Society of America auferlegten Beschränkungen kaum erforscht worden und nur wenige Wissenschaftler durften die Münzen bearbeiten. Die Sammlung lag bei der American Numismatic Society, die Wissenschaftlern Zugang zu den Münzen gewährte; allerdings beschloss die Hispanic Society of America am 23. Januar 2008, die 37.895 Münzen zu verkaufen, und die Bemühungen der ANS, diese Entscheidung zu revidieren, schlugen fehl. Die Sammlung wurde am 8. März 2012 von Sotheby’s (New York) als Ganzes mit verdeckten Geboten zu einem Preis von angeblich 25 bis 30 Millionen Dollar versteigert. Die römischen Goldmünzen wurden in zwei Auktionen von Numismatica Ars Classica (Zürich) erneut angeboten: in Auktion 67 (17. Oktober 2012) und Auktion 71 (16. Mai 2013).

Bibliographie:

  • Meryle Secrest, Duveen. A life in art, New York 2004, p. 120; M. Bendala, J. Maier, C. del Alamo, S. Celestino and L. Prados, „Archer M. Huntington y la arqueología Española“, in: Arqueología, coleccionismo y antigüedad. España e Italia en el Siglo XIX, Sevilla 2006, pp. 65-81; Robert Hoge, Andrew Meadows and Ute Wartenberg Kagan, „‘Truth and Plain Dealing’: the fate of the Archer Huntington collection of Spanish coinage“, in: ANS Magazine (Winter 2008), pp. 22-30; Sabine Bourgey, Sous le signe du métal. Histoire d’une famille du marché de l’art, Paris 2011, p. 116-125.
  • Hadrien Rambach, „Provenance glossary“, in: Numismatica Ars Classica, Auction 91: the George W. La Borde collection of Roman aurei – Part I, Zürich, 23 May 2016, pp. [67]-[79].
  • Hadrien Rambach, „Provenance glossary“, in: Numismatica Ars Classica, Auction 99: the George W. La Borde collection of Roman aurei – Part II, Zürich, 29 May 2017, pp. 47-63.
  • Hadrien Rambach, „Provenance glossary“, in: Numismatica Ars Classica, Auction 105: the George W. La Borde collection of Roman aurei – Part III, Zürich, 9 May 2018, pp. 82-105.

 

Dieser Artikel wurde zuerst in einem Katalog des Auktionshauses Numismatica Ars Classica veröffentlicht.