Salton, Mark

Mark Salton (1914-2005), der gemeinsam mit seiner Gattin Lottie (1924-2020) eine beeindruckende Münzsammlung aufbaute, stammte aus der wohl bedeutendsten Dynastie deutscher Münzenhändler vor dem Ersten Weltkrieg. Hinter dem amerikanischen Namen Mark Salton verbirgt sich Max Schlessinger, Sohn von Felix Schlessinger (1879-1944), der seinerseits ein Neffe von Leo Hamburger dem Jüngeren (1846-1929) war. Leo Hamburger der Jüngere baute zusammen mit seinem Cousin Leo Hamburger dem Älteren (1836-1902) die wichtigste deutsche Münzenhandlung der Epoche vor dem Ersten Weltkrieg auf.

Stammbaum der Familie Hamburger.

Der Ursprung

Wir können den Ursprung des Geschlechts der Hamburger bis ins Judenghetto von Hanau zurückverfolgen, wo Loeb Hamburger (ca. 1730-1804) als Hoffaktor agierte. Seine Stellung trug ihm keine Reichtümer ein. Das von ihm erarbeitete Kapital reichte gerade aus, um seine Töchter mit einer Mitgift auszustatten und seinen drei Söhnen eine hervorragende Ausbildung zu finanzieren. Joseph (1801-1866) erlernte den Großhandel, Jakob (1803-1884) wurde Rabbiner und Julius (1806-1887) Rechtsanwalt. Joseph und Jakob eröffneten gemeinsam einen profitablen Zwischenhandel in Hanau. Ihr Geschäft blühte, bis der Bau der Eisenbahn die Spielregeln änderte. Plötzlich schickten Fabrikaten eigene Vertreter, und die Hanauer Kaufleute kauften in Frankfurt ein, wo die Auswahl größer war.

Die geschäftlichen Schwierigkeiten hatten konkrete Auswirkungen auf das Leben des ältesten Sohnes Leo von Joseph Hamburger. Der Vater konnte es sich nämlich nicht leisten, Lehrgeld für seinen Sohn zu zahlen. Er war dankbar, als ein Freund dem vierzehnjährigen Leo eine kostenlose Lehrstelle beim jüdischen Bankhaus Oberndörffer in München vermittelte.

Das Gemälde „Der Bleichgarten“ von Moritz Daniel Oppenheim gibt wahrscheinlich einen authentischen Platz im Hanauer Ghetto wieder, gemalt zu einer Zeit, als die Familie Hamburger dort lebte.

Leo Hamburger der Ältere

Nun konzentrierte sich das Bankhaus Oberndörffer nicht nur auf Geldgeschäfte, sondern unterhielt mehrere Münzenhandlungen. So lernte Leo Hamburger bei Abraham Merzbacher (1812-1885), dem Vater des wesentlich bekannteren Münzenhändlers Dr. Eugen Merzbacher (1845-1903). Leo entwickelte sich so gut, dass ihm nach Beendigung der Lehrzeit die Leitung der Wiener Filiale der Firma Oberndörffer anvertraut wurde. 1861 gründete Leo Hamburger seine eigene Münzenhandlung zuerst in Wien, um sie nur zwei Jahre später nach Frankfurt zu verlegen. Fortan stellte diese Münzenhandlung das wichtigste Einkommen der Familie Hamburger dar, wo ein großer Teil der Familienmitglieder Arbeit fand.

Katalog der Sammlung Ercole Gnecchi, durchgeführt von L. & L. Hamburger ab dem 7. Januar 1902.

Leo Hamburger der Jüngere

Eines dieser Familienmitglieder war Leo Hamburger der Jüngere, Cousin von Leo Hamburger dem Älteren. Leo Hamburger der Jüngere war der jüngste Sohn von Jakob, dem Geschäftspartner des Vaters von Leo Hamburger dem Älteren.

Wir wissen nicht, welche Ausbildung Leo Hamburger der Jüngere mitbrachte. Jedenfalls kaufte er sich mit der Mitgift seiner Gattin Meta Feuchtwanger als Teilhaber in die Münzenhandlung seines Cousins ein. Wahrscheinlich hatte Leo Hamburger der Ältere selbst diese Ehe vermittelt. Er hatte die Familie Feuchtwanger während seiner Münchner Lehrzeit kennen und schätzen gelernt.

Seit 1889 führten die beiden Cousins unter dem Namen L. & L. Hamburger regelmäßig Auktionen durch. Sammlungen wie die von Prinz Alexander von Hessen, Ercole Gnecchi, Carl Friedrich Pogge, Paul Stroehlin oder Hans Wunderli von Muralt illustrieren, welche Bedeutung das Auktionshaus L. & L. Hamburger für den deutschen Münzenhandel vor dem Ersten Weltkrieg hatte.

Die Untersuchungen im Zusammenhang mit der Münzenhändlerdynastie Hamburger und Schlessinger deuten darauf hin, dass Heiratsverbindungen bei der Gründung deutscher Münzenhandlungen eine entscheidende Rolle spielen könnten. Dafür dürfte sich ein Nebenergebnis der Studie als richtungsweisend herausstellen: Eine gemeinsame Cousine der beiden Leo Hamburger heiratete Adolph Hess, wahrscheinlich der Gründer der gleichnamigen Münzenhandlung, die er 1871 nach Frankfurt verlegte.

Ein Streit ums Erbe

Am 12. Februar 1902 starb Leo Hamburger der Ältere. Sein Teilhaber Leo Hamburger der Jüngere führte das gemeinsame Geschäft fort, bis ihm der älteste Sohn von Leo Hamburger dem Älteren, der nach dem Großvater den Namen Joseph trug, das Erbe streitig machte. In einem sehr unschönen Gerichtsprozess wurde geklärt, dass Joseph Hamburger der Firmensitz mit Wohnhaus zustand, wo L. & L. Hamburger bisher residiert hatten, während Leo Hamburger das komplette Lager und die vollständige Bibliothek zugesprochen wurde. Sowohl Joseph als auch Leo Hamburger führten ihre eigene Münzenhandlung bis zu ihrem jeweiligen Tode weiter.

Felix und Hedwig Schlessinger.

Die Verbindung der Familien Hamburger und Schlessinger

Die Verbindung zwischen den Familien Hamburger und Schlessinger kam durch eine Heirat zustande. Röschen (1844-1932), die ältere Schwester von Leo Hamburger dem Jüngeren, heiratete den Bankier Max Schlessinger (1835-1896), dessen Liebenswürdigkeit durch die Lebenserinnerungen seiner Tochter Sophie (1880-1972) bezeugt ist. Sophie gibt uns auch ein lebensvolles Bild ihres älteren Bruders Felix – des späteren Münzenhändlers Felix Schlessinger (1879-1944). Sie schildert ihn als einen temperamentvollen, intelligenten und witzigen Heranwachsenden, der in eine ähnliche Zwangslage geriet wie Leo Hamburger der Ältere: Sein Vater Max starb viel zu früh am 4. Juni 1896 an Krebs. Damit verlor die Familie ihren Ernährer und der 17-jährige Felix die Aussicht auf eine väterliche Unterstützung bei seiner Existenzgründung.

Eine noch viel schlimmere Tragödie wurde für Felix zur Chance: Der einzige Sohn von Leo Hamburger dem Jüngeren nahm sich im Jahr 1904 – wie Familiengerüchte besagten aus Liebeskummer – das Leben. Leo Hamburger holte sich den mittellosen ältesten Sohn seiner Schwester Röschen in Haus, damit er eines Tages seine Münzenhandlung übernehmen sollte.

Handexemplar von Felix Schlessinger für eine seiner Berliner Auktionen.

Felix Schlessinger

Das Schicksal von Felix Schlessinger wäre ein wunderbarer Stoff für einen Drehbuchschreiber. Felix vereinte in seiner Person Wagemut, Verantwortungsgefühl und eine gehörige Portion Chuzpe. Er war das Urbild eines schneidigen deutschen Offiziers, und zwar in solchem Maße, dass Felix zur verschwindend kleinen Minderheit der Wehrpflichtigen jüdischer Konfession gehörte, die zum Unteroffizier ernannt wurden.

Wohl auf Vermittlung von Leo Hamburger dem Jüngeren heiratete Felix Hedwig Feuchtwanger, eine Cousine des bekannten Schriftstellers Lion Feuchtwanger. Im Zusammenhang mit der Heirat machte Leo Hamburger der Jüngere Felix Schlessinger zu seinem Compagnon, wie übrigens auch seinen Schwiegersohn David Nussbaum.

Während des Ersten Weltkriegs stand Felix Schlessinger als Unteroffizier der Reserve an der Front. Er nahm an der Schlacht von Verdun teil, wurde verwundet, verschüttet und für seine Tapferkeit mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet.

Wer Felix Schlessinger war, möge diese charakteristische Episode beispielhaft zeigen, die uns seine Schwester Sophie überliefert: Ernst Wachtel, Ehemann der ältesten Schwester Rosalie war – zu Recht oder zu Unrecht, das bleibe dahingestellt – wegen Wehrzersetzung zu mehreren Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Er kam in die Landeszuchtanstalt Münster, wo er wegen der unerträglichen Versorgungslage fast verhungerte. 1918 endete der Krieg. Sophie schreibt: Nur wer diese Zeit miterlebt hat, kann sich einen Begriff von dem Chaos, das nach dem Kriegsende war, machen. Da gab es Arbeiterräte, Soldatenräte und so weiter, und alles ging drunter und drüber. Felix als entlassener Soldat, ging mit zwei Kameraden ins Zuchthaus in Münster in Westfahlen, wo Ernst seine Strafe verbüßte, und forderte sofortige Entlassung des Gefangenen, was ihm auch gelang.

Nach dem Krieg kehrte Felix Schlessinger nach Frankfurt zurück, wo die Münzenhandlung – wie der gesamte deutsche Münzenhandel – während der Hyperinflation enorme Einbußen hinnehmen musste. Leo Hamburger der Jüngere war zu diesem Zeitpunkt schon so alt, dass er die Realität nicht mehr nachvollziehen konnte. 1923 war deshalb die bekannteste deutsche Münzenhandlung mehr oder weniger bankrott. Das Erbe, das Felix Schlessinger einst hätte antreten sollen, gab es nicht mehr. So entschied sich Felix, nach Berlin zu gehen, um dort seine eigene Münzenhandlung zu gründen. Die wurde ein voller Erfolg. Zu seinen bedeutendsten Auktionen zählt die Versteigerung der „Doubletten“ der Eremitage.

Karteikarte des Amsterdamer Judenrats, die die Verschleppung von Felix Schlessinger nach Auschwitz am 23. Oktober 1944 dokumentiert.

Das Ende des jüdischen Münzenhandels in Deutschland

Und dann ernannte Paul von Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler. Weil die Münzenhandlung Felix Schlessinger wie viele andere Auktionshäuser in jüdischer Hand wichtig für die deutsche Devisenbeschaffung war, blieb das Geschäft bis zum Mai 1936 unangetastet. Eine neue Gesetzgebung bedeutete ab dann praktisch Berufsverbot. Sie zwang Felix Schlessinger, mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen nach Amsterdam zu emigrieren. Er verlor dabei sein gesamtes Vermögen, rettete aber die Bibliothek und – nach monatelanger Prüfung durch die Reichsbank – seinen Lagerbestand an Münzen.

Noch einmal baute sich Felix Schlessinger eine neue Existenz auf. Er führte in seiner Amsterdamer Münzenhandlung eine Reihe von Auktionen durch und ermöglichte seinem Sohn Max die Eröffnung einer eigenen Münzenhandlung in der Leidschen Kade 83.

Doch am 10. Mai 1940 überrollte die deutsche Wehrmacht die Niederlande, Belgien und Luxemburg. Eine deutsche Verwaltung wurde installiert, die nicht nur die Münzenhandlung von Felix Schlessinger mitsamt Bibliothek und Lager beschlagnahmte, sondern Hedwig und Felix Schlessinger erst ins KZ Westerbork, dann ins KZ Theresienstadt verschleppte, um sie am 25. Oktober 1944 in den Gaskammern von Auschwitz zu ermorden.

Aus Max Schlessinger wird Mark Salton

Max und sein Bruder Paul, zu dem Zeitpunkt 26 resp. 22 Jahre alt, gelang die Flucht. Mark Salton schilderte selbst sein abenteuerliches Entkommen: Niederländische Freunde versteckten ihn vor den NS-Schergen in Amsterdam, ehe er erst durch das besetzte, dann das freie Frankreich zu den Pyrenäen gelangte. Zu Fuß überquerte er die Bergkette in Gewaltmärschen, um sich in Nordspanien den spanischen Behörden zu stellen. Er wurde im KZ Miranda de Ebro gefangen gesetzt, bis die niederländische Botschaft von Madrid seine Ausreise nach Portugal organisierte.

Die niederländische Botschaft in Lissabon offerierte dem vielsprachigen Max Schlessinger eine Position. Er wäre wohl ein hochrangiger Diplomat der Niederlande geworden, hätte er nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht beschlossen, in die USA auszuwandern.

Dort nahm er den Namen Mark Salton an. Er heiratete nach nur drei Monaten Bekanntschaft die junge Lottie Aronstein, die ein ähnliches Schicksal wie er erlitten hatte. Lottie war kurz nach den Novemberpogromen mit ihrem Vater und ihrem kleinen Bruder geflohen und nach einer Odyssee um die halbe Welt in New York angekommen, wo sie sich ihren Lebensunterhalt als Diamantenschleiferin verdiente.

Festpreislisten der Münzenhandlung Mark M. Salton-Schlessinger.

Der Aufbau der Salton Collection

Mark Salton dürfte mit dem Gedanken gespielt haben, seinen Lebensunterhalt wie sein Vater im Münzenhandel zu verdienen. In den 1950er Jahren war er ein bekanntes Gesicht in allen amerikanischen und europäischen Münzenhandlungen. Er gab einige wenige Festpreislisten mit Münzen heraus, die jedoch nur in winziger Auflage erschienen.

Doch bereits kurz nach seiner Ankunft fand Mark Salton Arbeit als Analyst in der internationalen Abteilung der Manufacturers Hanover Trust Company, damals eine der größten Banken von New York. Er machte Karriere, die den Münzenhandel überflüssig werden ließ. 1966 gingen er und seine Frau für mehrere Jahre nach Rom, um die italienische Zweigstelle des Manufacturers Hanover Trusts zu leiten. In dieser Zeit wandelten sich die beiden von Händlern zu Sammlern, die sich besonders für die Kunst der Medaille begeistern konnten.

Lottie und Mark Salton in der Schweiz. Foto: Ira Rezak.

Mark Salton starb nach einem erfüllten Leben am 31. Dezember 2005 im Alter von 92 Jahren. Ihm folgte seine geliebte Gemahlin Lottie Salton, geborene Aronstein am 18. April 2020.

Beide hinterlassen uns ein berührendes Zeugnis, dass es trotz schlimmster Erfahrungen möglich ist, neu anzufangen. Sie haben sich entschlossen, die Erlöse, die aus ihrer Sammlung fließen werden, drei gemeinnützigen Organisationen zukommen zu lassen, die sich dem Ziel widmen, durch die Erinnerung an die Menschen, die dem Holocaust zum Opfer fielen, eine Wiederholung ihres Schicksals hoffentlich unmöglich zu machen.