Von der Lira zum Euro. Italiens Geschichte in Münzen – Teil 6: Die Erfindung des Faschismus

In Italien ist man der Überzeugung, man habe zwar den Ersten Weltkrieg (1914–1918) gewonnen, aber den Frieden verloren. Und tatsächlich ist nicht zu übersehen: Die Teilnahme am Krieg ist mit 600.000 Gefallenen, schwindelerregender Staatsverschuldung und einer schweren Wirtschaftskrise teuer bezahlt. Italiens imperiale Träume hingegen werden auf der Friedenskonferenz in Versailles nicht erfüllt: Man erhält lediglich Südtirol und einige kleinere Gebiete, nicht aber das so heiß begehrte Dalmatien und die Küstenstadt Fiume. Das Schlagwort von der „vittoria mutilata“ (verstümmelter Sieg) geht um. Die Menschen leiden unter frustriertem Nationalismus, Hunger, Arbeitslosigkeit und einer enormen Teuerung.

Vor dem Hintergrund dieser wirtschaftlichen und geistigen Krise entfaltet sich eine militante sozialistische Volksbewegung. Die Arbeiterschaft erzwingt den Achtstundentag, es kommt zu Streiks, Straßenkämpfen, zu Fabrik- und Landbesetzungen. Regierung und Parlament haben dem Verlust der Ordnung nichts entgegenzusetzen. Ohnehin sind seit 1921 die Sozialisten und die linke, 1919 gegründete Katholische Volkspartei die stärksten Kräfte im Parlament. Der Ausbruch einer kommunistischen Revolution nach russischem Vorbild scheint unmittelbar bevorzustehen.

Seit 1919 terrorisieren Mussolinis „Schwarzhemden“ (hier in einem Foto von 1929) die italienische Bevölkerung und gehen gegen jede Form von Streik oder linker Manifestation brutal vor. Viele Politiker sehen darin das kleinere Übel gegenüber einem gefürchteten Putsch der Kommunisten.

Benito Mussolini: Vom Reporter zum Führer zum Ministerpräsidenten

In diesem Klima von Gewalt und Angst wittert ein ehemaliger linksextremer Journalist seine Chance zum Aufstieg an die Macht. 1919 wechselt Benito Mussolini die Seiten und gründet seine Kampftruppe „fasci di combattimento“. Die Fasci leiten ihren Namen vom lateinischen „fasces“ ab – dem Ruten- bzw. Liktorenbündel mit dem Richtbeil, das im antiken Rom die Amtsgewalt der hohen Beamten, eben der Liktoren, symbolisierte: So knüpft Mussolini an die Tradition des römischen Imperiums an.

Wo immer die Arbeiterschaft in den Fabriken streikt, wo immer Bäuerinnen und Bauern Land besetzen, tauchen die schwarz behemdeten Faschisten Mussolinis auf. Systematisch machen sie sich an die Zerschlagung von Parteiorganisationen, Gewerkschaftsverbänden und kommunalen linken Vereinigungen, morden, rauben, plündern und brandschatzen. Recht und Gesetz scheinen in Italien keine Geltung mehr zu haben; das politische Verbrechen wird zum täglichen Ereignis.

Dennoch sehen weite Kreise – Industrielle, Großgrundbesitzer und Mafiosi, Bürgerliche und konservative Katholiken – in Mussolini und seinen Fasci das geringere Übel als in den Sozialisten und Kommunisten. Zugleich versteht es Mussolini als der „duce“ (Führer) der Fasci, deren Gewaltakte durch eine populistische Rhetorik zu begründen. Seine einprägsamen Parolen sprechen vor allem die Emotionen der Menschen an und üben eine starke Faszination aus. Die Faschisten erhalten schnell großen Zulauf.

1922 marschieren die Faschisten auf Rom und versetzen die Regierung in Angst und Schrecken. Der König ernennt Mussolini zum Ministerpräsidenten in der Hoffnung, die Kontrolle nicht völlig zu verlieren.

Im Oktober 1922 inszeniert Mussolini seinen legendären „Marsch auf Rom“: Zehntausende faschistischer Schwarzhemden marschieren in einem Sternmarsch auf die italienische Hauptstadt zu. Angesichts dieser Bedrohung plädiert die liberale Regierung dafür, den Ausnahmezustand auszurufen. Um einen gewaltsamen Putsch zu verhindern, ernennt der erschrockene König Viktor Emanuel III. (1900–1946) Mussolini zum Ministerpräsidenten Italiens (1922–1943) und beauftragt ihn mit der Bildung einer neuen Regierung. Damit ist die Entwicklung Italiens zum totalitären Staat eingeleitet. Und in Deutschland macht sich ein gewisser Adolf Hitler daran, den Duce und seine demagogische Rhetorik nachzuahmen.

Königreich Italien. Banknote Buoni di Cassa. 1 Lira 1894. Aus Auktion Künker 179 (2010), 9243.

In den ersten Augusttagen des Jahres 1914 nimmt der Bedarf an Zahlungsmitteln in ganz Europa sprunghaft zu: Es ist der Beginn des Ersten Weltkriegs – Truppen müssen aufgeboten, Waffen und Vorräte beschafft werden. Um schnell Geld ausgeben zu können, wird in den kriegsbeteiligten Ländern die Pflicht der Notenbanken zur Einlösung des Papiergeldes in Gold aufgehoben. In Italien erübrigt sich diese Suspendierung allerdings, weil im Land bereits seit Jahrzehnten vor allem die Papierlira umläuft.

Königreich Italien. Viktor Emanuel III. Buono da Lira 1 1924. Aus Auktion H.D. Rauch e-Live 11 (2012), 1529.

Bis zum Ende des Krieges 1918 verliert die Papierlira ein Fünftel ihres Wertes. Aber ihr wahrer Zerfall beginnt erst nach Kriegsende: 1926 ist der Wert der Lira um die Hälfte gefallen – im Vergleich zu ihrem Nachkriegskurs! Erst 1927 stabilisiert sich die italienische Währung: 4,7 neue Lire haben nun den Wert einer Vorkriegslira.

Bereits ab 1922 sind in Italien auch keine Kleinmünzen mehr in Umlauf, sondern bloß noch Token mit den Worten „BUONO DA L. 1“ und „BUONO DA L. 2“ (Gutschein für eine bzw. 2 Lire) – auch wenn sie vom Staat ausgegeben werden.

Doch nicht allein der Zerfall und der Mangel an umlaufendem Geld macht den Italienerinnen und Italienern nach Kriegsende zu schaffen. Der abrupte Stopp der Kriegsindustrie und die Rückkehr der Soldaten von der Front lässt die Arbeitslosenzahlen in die Höhe schnellen. Aber auch viele, die noch Arbeit haben, leiden Armut: Durch die Inflation sind die Lebenshaltungskosten im Jahre 1918 mehr als 2,6 Mal so hoch wie vor Kriegsbeginn.

Königreich Italien. Viktor Emanuel III. 20 Lire 1923. Aus Auktion Künker eLive 55 (2019), 299.

Nach den Entbehrungen der Kriegsjahre ist die Enttäuschung über die wirtschaftliche Misere unter der italienischen Bevölkerung umso größer. Streiks und Hungerrevolten erschüttern das Land, und für eine Weile scheint es, als ob sich eine Revolution nach russischem Vorbild auch in Italien ereignen könnte. Im Norden des Landes besetzen Arbeiterinnen und Arbeiter die Fabriken; im Süden annektieren landlose Bauern unbebautes Land. Schließlich setzen die Schwarzhemden unter Benito Mussolini diesem Treiben ein gewaltsames Ende. 1923 gibt es in Italien – zum einjährigen Jubiläum der Machtergreifung seiner Faschisten – Münzen aus Aluminium zu 20 und 100 Lire und mit den Fasces, dem Liktorenbündel, auf der Rückseite.

Mussolini ist übrigens nicht der Erste, der das Liktorenbündel aus der antiken Mottenkiste holt: Während der Französischen Revolution gelten die Fasces als Symbol für die Bündelung der freiheitlichen Kräfte; als Sinnbild der Republik erscheinen sie 1904 auf französischen Münzen. Auch auf amerikanischen Münzen ist das Liktorenbündel zu sehen, so auf dem Mercury-Dime von 1919. Doch wie alles haben auch die Fasces zwei Seiten: Denn die Ruten und das Richtbeil stehen nicht nur für die republikanischen Träger der Staatsgewalt, sondern auch für die konkrete Ausübung von Macht. Mit Ruten wurden nämlich Menschen gezüchtigt und mit der Axt Todesurteile vollstreckt. Dieser Aspekt ist es, der bei Mussolini im Mittelpunkt steht.

Königreich Italien. Viktor Emanuel III. 20 Lire 1931. Aus der Sammlung des MoneyMuseum.

Die später unter dem faschistischen Regime ausgegebenen Münzen tragen alle zwei Datierungen: In arabischen Zahlen wird jeweils das Jahr nach christlicher Zeitrechnung angegeben, in römischen Ziffern die neue Zeitzählung nach faschistischer Art. Auf dem abgebildeten 50-Lire-Stück von 1931 sind die beiden Zahlen auf der Rückseite deutlich erkennbar.

 

In der nächsten Folge betrachten wie die Beziehung zwischen Kirche und Faschismus näher und ein italienisches Oberhaupt, das ein großer Anhänger der Numismatik war.

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