827 schickte der Herrscher von Tunis ein Heer, um Sizilien zu unterwerfen. Auch wenn sich einzelne byzantinische Enklaven bis ins 10. Jahrhundert halten konnten, war die Insel um 900 n. Chr. fester Bestandteil der islamischen Welt. Und als solcher war sie integriert in das Handelssystem des Orients und nahm teil an all den damals modernsten Entwicklungen.
Noch heute sehen die Segelboote der arabischen Welt ähnlich aus wie im Mittelalter. Damals setzte ihre technisch fortschrittliche Takelage in Europa neue Maßstäbe. Foto: SajjadF / CC BY-SA 3.0
Arabische Einflüsse
Arabische Kapitäne legten bald in vielen Häfen Süditaliens wie Palermo oder Amalfi an, um Handel zu treiben. Dort sahen europäische Seefahrer zum ersten Mal ihre technisch weit überlegenen Schiffe. Sie verfügten zum Beispiel über eine Besegelung, mit der man nicht nur vor dem Wind fahren konnte, sondern sogar gegen den Wind kreuzen. Unter dem Namen „Lateinersegel“ wurde diese Takelage für die christlichen Schiffe übernommen. Der Kompass dagegen scheint eine gemeinsame Entwicklung von Arabern und Europäern zu sein.
Wie sehr die islamische Schifffahrt die des Westens beeinflusst hat, sehen wir daran, wie viele Lehnswörter aus dem Arabischen übernommen sind. Admiral, Kabel, Schaluppe, Barke und Monsun stammen aus dem Arabischen, und in anderen Sprachen, wie dem Spanischen und dem Italienischen, kann man einen noch größeren Einfluss feststellen.
Zitronen. Pflanzung in Syrakus. Foto: KW.
Neben dem Handel förderten die Araber den Feldbau durch neue Bewässerungstechniken. Sie führten eine ganze Reihe von Pflanzen ein, die heute selbstverständlich sind wie das Zuckerrohr, die Baumwolle, Zitronen, Orangen, Auberginen, Artischocken, Aprikosen und Reis. Auch der Maulbeerbaum und die Seidenraupenzucht kamen im 10. Jahrhundert nach Sizilien.
Wandernde Dichter und Musiker verbreiteten an den Höfen der kleinen sizilianischen Emire den verfeinerten Geschmack der arabischen Welt. Wie man sich kleidete, wie man sich benahm, wie man sich einrichtete, was man in seiner Freizeit tat, oder wie eine vornehme Einladung zu gestalten sei, das lernten die Adligen und ihre Diener aus den Erzählungen der weit gereisten Gäste. Bestimmt hörte man auch auf Sizilien, dass ein Musiker aus Bagdad in Südspanien eine verbindliche Speisefolge für jede festliche Einladung entwickelt hatte, eine Speisefolge übrigens, die bis heute bei feierlichen Menüs auflebt.
Mit den Arabern kamen auch ihre Bücher nach Sizilien, Bücher, die nicht mehr aus teurem und unhandlichem Pergament oder Papyros waren, sondern aus billigem Papier. Die Araber hatten dieses Material in China kennengelernt und es in der gesamten arabischen Welt verbreitet. Auch auf Sizilien wurde Papier selbstverständlich. Wir wissen, dass der Normanne Roger II. im 12. Jahrhundert Papier kannte und benutzte, während die ersten Papiermühlen in Deutschland und Italien erst im 14. Jahrhundert entstanden.
Die arabischen Bücher brachten die arabische Wissenschaft nach Sizilien und Unteritalien. Man braucht gar nicht zu erwähnen, dass unsere heutigen Zahlen auf die Araber zurückgehen und die Grundlagen der modernen Mathematik aus dem Osten importiert wurden.
Die medizinische Schule von Salerno. Miniatur aus einem Buch des Avicenna.
Salerno als abendländisches Zentrum der Medizin
Der Westen lernte viele griechische Schriftsteller mittels arabischer Übersetzungen kennen, so vor allem die medizinischen Werke des Galen und des Hippokrates. Dafür dass Salerno zum bedeutendsten Zentrum der Medizin im Abendland wurde, legte der enge Kontakt zu den islamischen Nachbarn den Grundstein, auch wenn Salerno von den Langobarden beherrscht wurde.
Langobarden. Gisulfo I. von Salerno (946-977). Follaro. Aus Auktion Künker 137 (2008), 3778.
Salerno verfügte bereits im 7. Jahrhundert n. Chr. über ein Hospiz der Benediktiner. Dabei handelte es sich um eine Herberge, in der Bedürftige untergebracht wurden. Wer arm, alt, in Not oder fremd war, der konnte hier auf Hilfe, eine Mahlzeit und Unterkunft rechnen. Reisende, die krank geworden waren, wurden im Hospiz so lange gepflegt, bis sie in der Lage waren, ihren Weg fortzusetzen. So interessierten sich die Mönche natürlich für Medizin. Und sie werden sehr dankbar gewesen sein, als sie im 10. Jahrhundert einen Juden fanden, der lange in sarazenischer Gefangenschaft gelebt hatte. Er war in der Lage, einige medizinische Abhandlungen zusammenzustellen, deren Informationen er zum großen Teil arabischen Schriften entnahm.
Langobarden. Gisulfo I. von Salerno (946-977). Follaro. Aus Auktion Künker 137 (2008), 3779.
Damit bekamen die Mönche Zugriff auf ein weit entwickeltes Gesundheitswesen. Die Araber selbst waren allerdings nicht die Erfinder, sondern hatten es bei der Eroberung des Irak übernommen und perfektioniert. In Bagdad kannte man Krankenhäuser, an die Schulungszentren für Ärzte angeschlossen waren. Es gab Vorlesungssäle, Bibliotheken, eigene Apotheken und selbstverständlich Ärzte, die sich auf bestimmte Krankheiten spezialisiert hatten. Zwischen 800 und 1300 wurden von mehr als 70 Autoren medizinische Schriften in arabischer Sprache publiziert. Und in Salerno begann man, diese zu übersetzen.
Constantinus Africanus bei der Untersuchung des Harns. Mittelalterliche Miniatur.
Den Durchbruch für Salerno soll im 11. Jh. ein Mann namens Constantinus Africanus gebracht haben. Wir wissen wenig über ihn. Vielleicht verdiente er sich seinen Lebensunterhalt ursprünglich als Händler von Arzneipflanzen. Er soll bemerkt haben, wie zurückgeblieben selbst diejenigen in Salerno waren, die versuchten, ihren Schülern medizinische Grundkenntnisse zu vermitteln. Dies veranlasste ihn, im Osten Medizin zu studieren und medizinische Schriften zu sammeln. Er kam zurück nach Italien und übersetzte als Laienbruder des Klosters Monte Cassino all das, was er aus dem Osten mitgebracht hatte. Durch seine lateinischen Versionen verbreiteten sich die Erkenntnisse des Hippokrates und des Galen über Salerno in den Westen.
Tabula Rogeriana des Al Idrisi, 1154. Bibliothèque nationale de France.
Arabisches Wissen unter den Normannen
Auch nach der Eroberung durch die Normannen verfügten die neuen Herren über diese Erkenntnisse. Sie förderten die arabischen Wissenschaften und die moslemischen Wissenschaftler geradezu. So verdankte der Westen zum Beispiel den entscheidenden Wissenssprung in Sachen Geographie dem normannischen König Roger II. und vor allem dem von ihm finanzierten Gelehrten al-Idrisi. Er fertigte im königlichen Auftrag eine Beschreibung der Erde samt einer Vielzahl von Karten an. Er befragte dafür Reisende, die nach Sizilien kamen, und er machte selbst vom König finanzierte Expeditionen, die ihn bis an die Westküste Englands führten. Erst durch al-Idrisi erfuhr der Westen, dass es Länder wie Indien oder China gab.
In der nächsten Folge wechselt Sizilien wieder einmal seine Herrscher: Die Normannen kommen.
Alle Folgen der Serie finden Sie hier.
Und wenn Sie mehr Bilder aus Sizilien sehen wollen, empfehlen wir Ihnen unsere Serie „Blühendes Sizilien“.