Die Euro-Münzen sind für alle Teilnehmerstaaten ein wunderbares Mittel, das eigene Selbstverständnis nach außen zu tragen, hin zu den eigenen Bürgern, die täglich mit ihrem Kleingeld umgehen, hin zu allen Europäern, zu denen die Münzen ihren Weg finden…Warum haben sich die Italiener entschieden, ausschließlich Kunstwerke auf ihren Euro-Münzen darzustellen? Und welche Rolle spielt im italienischen Selbstverständnis das berühmte Castel del Monte, das Friedrich II. erbaute?
Italien präsentiert sich in seiner Münzprägung ganz als die große Kulturnation. Der Grund dafür mag in dem gespaltenen Verhältnis liegen, das die Italiener zu ihrem Staat haben. Die Lega Norte fordert einen eigenen Staat für Norditalien, jeder Süditaliener begegnet der Regierung in Rom mit großem Misstrauen, die römische Zentralregierung tut sich schwer, den Bürgern ihre Entscheidungen schmackhaft zu machen, kurz: Der Staat ist in Italien eher ein Hindernis im normalen Leben als eine verbindende Gemeinschaft. So wären also staatliche Symbole, wie sie auf anderen europäischen Euro-Münzen zu finden sind – man denke nur an den deutschen Bundesadler und das Eichenlaub –, eher fehl am Platze in der italienischen Euro-Emission.
In Italien ging man einen anderen Weg, um auf den Münzen Symbole der italienischen Einheit darzustellen: Man entschied sich, die Leistungen der großen Kulturnation zu feiern, denn ob Mailänder, Römer oder Palermitaner, auf ihre Kunstwerke sind alle Italiener stolz!
Castel del Monte, das berühmteste Bauwerk Friedrichs II. Foto: Travus / http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5/deed.en
Die kleinste italienische Münze, das 1 Cent-Stück, zeigt auf der Rückseite Castel del Monte, ein Schloss, das Friedrich II. von Sizilien erbauen ließ. Warum nun wählte man ausgerechnet diesen Bau, um Italien im Münzbild zu symbolisieren? Was ist daran im besonderen Maße für alle Italiener verbindend? Welche Assoziationen werden wach, wenn man an Castel del Monte denkt?
Um dies zu ergründen, müssen wir mehr als 750 Jahre zurückgehen, in eine Zeit, als von Süditalien aus die halbe Welt beherrscht wurde.
Die Geburt Friedrichs II. Quelle: Wikicommons.
Ja, Süditalien war tatsächlich einst das Zentrum der Welt, als ein kleiner Knabe aus Apulien sich anschickte, halb Europa unter seiner Herrschaft zu vereinigen. Damals verstand man unter dem Königreich Sizilien nicht nur die Insel, die heute diesen Namen trägt, sondern Apulien, Kampanien und Kalabrien, kurz: ganz Süditalien bis zum Herrschaftsgebiet des Papstes. Und dieses Gebiet erbte Friedrich II. von seiner Mutter, der letzten Erbin eines großen Geschlechts, das unvermutet ausgestorben war. Von der anderen Seite erbte er den Anspruch auf den deutschen Königsthron, denn sein Vater, Kaiser Heinrich VI., hatte Friedrich bereits als Säugling von den deutschen Fürsten zum König wählen lassen. Wir wollen hier nicht den Aufstieg Friedrichs II. verfolgen. Er verlief abenteuerlich genug. Kurz: Der Knabe aus Apulien wurde zum mächtigsten Herrscher in Europa. Er machte Politik in der ganzen damals bekannten Welt, reorganisierte das deutsche Reich, eroberte Jerusalem zurück für die Christenheit, doch zu Hause fühlte er sich nur in seinem geliebten Apulien.
Gerade Süditalien war für Friedrich ein besonders schweres Erbe gewesen. Sein Vater war früh gestorben, und die Aristokratie hatte versucht, während Friedrichs Kindheit große Teile seiner königlichen Rechte zu usurpieren. Herzöge, Grafen und Ritter, sie hatten Burgen gebaut, wo sie eigentlich keine bauen durften, sie hatten die Einkünfte aus königlichen Steuern und Privilegien stillschweigend für sich genutzt, Recht gesprochen, wo ihnen das nicht zustand und ganz einfach so getan, als gäbe es über ihnen keinen Herrscher mehr. Friedrich hatte am eigenen Leibe gelernt, welche Schwächen der mittelalterliche Staat hatte, in dem sich jeder selbst am nächsten stand. Und so beschloss er, etwas Neues zu schaffen.
Friedrich II. mit seinem Falken. Aus seinem Buch „De arte venandi cum avibus“ („Über die Kunst mit Vögeln zu jagen“) aus dem späten 13. Jahrhundert. Quelle: Wikicommons.
Hier müssen wir ein paar Worte über das Wesen Friedrichs II. sagen. Er scheint der Herrscher des Mittelalters zu sein, der uns „modernen“ Menschen am nächsten steht. Er ist es, der das Experiment, das Beobachten der Natur in den Mittelpunkt der Erkenntnis stellte, der versuchte, jedes Problem mit dem Verstand zu lösen. Sein Buch über die Falkenjagd ist voll von Beispielen für seine Gabe, aus der Natur zu lernen, die alten Autoritäten zu missachten, um anhand der Beobachtung seine Schlüsse zu ziehen. Man hat diese Fähigkeit Friedrichs II. darauf zurückzuführen versucht, dass er an einem Ort geboren wurde, wo viele Kulturen aufeinanderprallten. Palermo zum Beispiel war eine der farbigsten Städte der damals bekannten Welt, wo aus Orient und Okzident die Händler zusammenkamen, um Waren zu kaufen und zu verkaufen, wo Gelehrte sich trafen und Menschen vieler Religionen miteinander sprachen. Man hat Friedrich nachgesagt, dass er sich als kleiner Junge in dieser Stadt herumgetrieben hat, sich völlig ohne Aufsicht bei den reichen Händlern zum Mittagessen einladen lassen musste. Dies ist mit Sicherheit nicht wahr, böswillige Propaganda eines ihm feindlich gesinnten Papstes, der dem mächtigen Kaiser eine gründliche Ausbildung absprechen wollte. Doch Friedrich wird mit Sicherheit von der Weltgewandtheit der Menschen profitiert haben, die er als junger Mann kennenlernte. Sie werden ihm viele der Vorurteile genommen haben, die den durchschnittlichen mittelalterlichen Menschen prägten.
Und so konnte Friedrich frei von irgendwelchen Vorbehalten sein geliebtes Süditalien neu organisieren. Er tat es in einer Art und Weise, die zum Vorbild wurde für den modernen Staat, in dem wir heute leben. Als Erstes monopolisierte Friedrich die Gewalt für den König. Er erließ im Jahre 1221 ein Gesetz, das vorschrieb, dass alle Burgen, die widerrechtlich von irgendwelchen kleinen Fürsten gebaut worden waren, ihm übergeben werden mussten. Die meisten ließ er zerstören, einige wandelte er zu königlichen Festungen um. Dabei brach er mit einem der elementaren Gesetze der Feudalgesellschaft. Bis dahin waren Festungen zusammen mit einem Gebiet, aus dem sie finanziert werden sollten, treuen Gefolgsleuten übergeben worden. Dies barg natürlich die Gefahr, dass solche Gefolgsleute überlaufen konnten zu einem Feind und damit dem König wichtige strategische Schlüsselpositionen entziehen mochten. Friedrich wollte dieses Risiko nicht eingehen, er übergab die Festungen Berufssoldaten und kam für Instandhaltung, Versorgung und Besatzung selbst auf. Auch blieben die Burgen im Normalfall nur von einer kleinen Besatzung bewacht. Erst in einer Krisensituation schickte der Kaiser Verstärkung.
Grundriss des oktogonal angelegten Castel del Monte. Quelle: Travus / Wikicommons.
Natürlich ließ Friedrich auch neue Befestigungen bauen. Zu ihnen gehörte Castel del Monte, das mit Sicherheit im Jahre 1240 im Bau, vielleicht sogar schon fast fertig war. In ihm spiegelt sich wohl am besten das rationale Denken des großen Kaisers wider. Man hat oft versucht, in Castel del Monte den planenden Geist Friedrichs, der großes Vergnügen an Rechenaufgaben und Logik fand, zu sehen. Ein achteckiges Gebäude umrahmt von acht Türmen, die selber jeweils wieder einen achteckigen Grundriss aufweisen, umgibt einen achteckigen Innenhof, in dessen Mitte sich einst ein Brunnen befunden haben soll. Die Acht gehörte im Mittelalter zu den christlichen Zahlen. Wir erinnern hier nur an das Oktogon der Grabeskirche in Jerusalem und an den achteckigen Zentralbau der Pfalzkapelle zu Aachen, die einst Karl der Große bauen ließ. Beide Bauten hatte Friedrich mit seinen eigenen Augen gesehen und ihre unbeschreibliche Atmosphäre wahrgenommen.
Heute versuchen spirituell interessierte Heimatforscher, eine Zahlenmythologie in das Castel del Monte hineinzudeuten, die ursprünglich vielleicht sogar beabsichtigt gewesen sein mag – wenn auch mit Sicherheit nicht in dem Umfang, den ihr manche zuschreiben. Man hat das Kastell zu einem Zentrum der Einweihung machen wollen, in dem Friedrich II. eine neue Religion weit ab von Christentum und Islam geschaffen haben mag. Solchen verstiegenen Vorstellungen hilft die Tatsache, dass sich kaum jemand vorstellen kann, wozu dieser prunkvolle Bau einst diente. Er war anscheinend nie in die Landesverteidigung Apuliens miteinbezogen und wurde nach dem Tod des großen Kaisers hauptsächlich als Gefängnis benutzt. Um was handelte es sich also beim Castel del Monte? Verteidigungsbau, Jagdschloss, Symbol der kaiserlichen Herrlichkeit? Wir werden wohl nie mit Sicherheit wissen, was der kluge Kopf Friedrichs damit beabsichtigte.
Doch Castel des Monte ist heute noch Symbol für alles, was Friedrich in seinem Staat verwirklichte: Ein Herrscher, der nicht über, sondern unter dem Gesetze stand und zum Wohl seines Volkes Gesetze erlassen wollte; eine bezahlte Beamtenschicht, die die Verwaltung unter der strengen Kontrolle des Königs durchführte; die Möglichkeit zur Beschwerde über staatliche Beamte für alle Bewohner des Königreichs; die Vereinheitlichung eines Rechts in seinem Staate, vor dem alle Bürger nach ihrem Stande Gerechtigkeit erfuhren; die Möglichkeit für Begabte, aufzusteigen im Dienste des Königs, und die Sorge des Herrschers, ihnen damit zu helfen, indem er eine Universität im Lande schuf und großzügig Stipendien für die Ausbildung verlieh. Friedrich schränkte das Waffentragen in seinem Reich stark ein, verbot die private Fehde und Akte persönlicher Rache. Gleichzeitig übernahm er den Schutz des Schutzlosen: In der Not durfte jeder den Namen des Königs anrufen, ein Angreifer, der sich darüber hinwegsetzte, wurde vom König schwer bestraft.
All diese Gesetze lassen die neue Zeit ahnen, die Friedrich II. zu bringen beabsichtigte.
Doch Friedrich scheiterte. Im Kampf mit einem Papsttum, das den säkularen Staat fürchten musste und im Interesse des eigenen Machterhalts den Kaiser bekämpfte bis zu dessen Untergang, ging Friedrich unter. Seine Nachkommen wurden ausgerottet, umgebracht, die Enkel Friedrichs wurden in Castel del Monte bis zu ihrem Tod eingekerkert.
Ansicht des Castel del Monte von 1844, Gemälde von Victor Baltard. Quelle: Travus / Wikicommons.
Erst im Jahre 1876 kaufte der italienische Staat das mittlerweile völlig heruntergekommene Castel del Monte, das damals hauptsächlich Hirten, Räubern und politischen Flüchtlingen als Unterschlupf diente. 25.000 Lire zahlte man damals den Eigentümern, eine Spottsumme – schon die notwendigsten Renovierungen kosteten den gleichen Betrag.
Heute kommen Besucher aus aller Welt herbei, um in diesem Bau den Geist Friedrichs II. von Sizilien zu spüren, des Mannes, der halb Europa beherrschte und seiner Zeit weit voraus gewesen zu sein scheint. Sie sehen ein großartiges Zeugnis einer Zeit, in der Apulien, heute ein armes Land, das hauptsächlich von der Landwirtschaft lebt, der Mittelpunkt der Welt war: Als Europa beherrscht wurde von Süditalien, das nach einer kurzen Blüte in einen Dornröschenschlaf verfiel, aus dem es bis heute noch nicht richtig aufgewacht ist.
Das Castel del Monte steht übrigens auch auf der Liste des UNESCO Weltkulturerbes…
… und ist Thema mehrerer Websites, z.B. dieser hier.
Mehr über Friedrich II. erfahren Sie in dieser frei zugänglichen ZDF Sendung „Friedrich II. und der Kreuzzug“.