Die Zürcher und ihr Geld 10: Der Querulant

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mit freundlicher Genehmigung des MoneyMuseum

In unserer Serie „Die Zürcher und ihr Geld“ nehmen wir Sie mit in die Welt des vergangenen Zürich. Er war ein Rechthaber und Querulant, der Pfarrer Waser. Mit seinen feurigen Anklagen machte er sich viele Feinde. Dazu gibt es wie auf einer guten DVD ein Making of, also welcher numismatisch-historische Hintergrund zu diesem Gespräch gehört.

18. April 1773. Cleophea Waser, geborene Scheuchzer, hilft ihrem Mann Johann Heinrich Waser, sich für die Sonntagspredigt fertig zu machen. Gezeichnet von Daniel Pelagatti / Atelier bunterhund. Copyright MoneyMuseum / Zürich.

Johann Heinrich Waser: (sehr gut gelaunt, den Text fast wie eine Beschwörung vor sich hin singend) Wenn wir jetzt sehen müssen, wie Ananias und Saphira, die nur ein Weniges von dem Gemeind- und Armengut stahlen, sogleich zu den Füssen des Knechtes Gottes sterben, wenn wir jetzt sehen müssen …

Cleophea Waser: (unterbricht ihn) Meinst du wirklich, dass du das tun solltest?

Was?

Na diese Predigt über das veruntreute Gemeindegut. Damit machst du dir nur noch mehr Feinde.

Wieso? Es muss doch jeder halbwegs vernünftige Mensch einsehen, dass es eine himmelschreiende Ungerechtigkeit ist, wie hier die Obrigkeit unsere Gemeindegelder veruntreut.

Ach Johann Heinrich, was ist denn schon passiert?

Was passiert ist? Da fragst du noch? Diese uns vorgesetzte Obrigkeit hat Gelder nicht eingezogen, die der Gemeinde zugestanden wären. 157 Pfund sind so der Staatskasse entgangen.

157 Pfund? Johann Heinrich, das ist weniger, als du im halben Jahr verdienst. Ist dieses Geld wirklich so viel Ärger wert?

(dozierend) Cleophea, es geht ums Prinzip. Wer im Kleinen nicht genau ist, der wird auch im Großen versagen. Wie ich sie hasse, diese Menschen, die sich immer damit entschuldigen, dass etwas doch „beinahe“ korrekt ist! Beinahe ein Christ kann einer werden, wenn er in seinem Leben nur einmal eine gute Predigt hört. Beinahe ein Gelehrter, wenn er nur dann und wann in Büchern blättert. Aber mir geht es nicht um das Beinahe. Ich will, dass es ganz und gar seine Richtigkeit hat.

Das ist nicht deine Aufgabe, Johann Heinrich. Du bist hier nur der Pfarrer.

Wer soll sich denn dann einmischen, wenn nicht ich? Wenn alle Welt die Augen verschließt, dann muss doch einer wachen.

Nein, Johann Heinrich, das ist nicht recht. Dafür haben wir unsere Obrigkeit, dass die darauf schaut, dass alles seinen rechten Gang geht. Es war schon richtig, dass du sie auf diesen Fehler hingewiesen hast. Und sie haben die Schuldigen ja auch bestraft.

Oh dieser Sündenpfuhl! 24 Pfund Buße sollten die Untervögte zahlen und dazu 4 Pfund Gebühr. Doch das Geld für die Buße nahmen diese Gottlosen aus der Armenkasse. Und das werde ich in meiner Predigt anprangern. (Im Predigtstil) Wenn wir jetzt sehen müssen, wie Ananias und Saphira, die nur ein Weniges von dem Gemeind- und Armengut stahlen, sogleich zu den Füßen des Knechtes Gottes sterben, meine Lieben, wer würde denn wohl so rasend sein, vorsätzlich eine einzige Sünde zu begehen?

Ich habe Angst, Johann Heinrich. Wenn du so weitermachst, dann werden sie dich am Ende von deiner Stelle vertreiben. Was sollen wir denn dann machen?

Johann Heinrich Waser, von J. R. Holzhalb nach Brunschweiler. Quelle: Wikipedia

Making of:
Johann Heinrich Waser (*1742, †1780) ist wohl die schillerndste Gestalt, welche die Aufklärung in Zürich hervorgebracht hat. Er verfügte durchaus über geniale Züge: In ihm verbanden sich ein überdurchschnittliches mathematisches Talent und ein immenser Fleiß mit Skrupellosigkeit und Verachtung jeglicher Obrigkeit. Dazu kam eine gehörige Portion Bosheit und Streitlust. All diese Charaktereigenschaften stellte Waser in den Dienst dessen, was wir heute als investigativen Journalismus bezeichnen würden. Er prüfte die Buchführung über Ein- und Ausgaben der verschiedenen Zürcher Ämter aus eigener Initiative und fand dabei einiges im Argen, vor allem hinsichtlich Übersichtlichkeit und Genauigkeit. Waser bemängelte dies mit einer Penetranz, die ihm überall Feinde einbrachte. Und bei den Mitteln, die er wählte, um andere bloßzustellen, war er nicht wählerisch.

Bekannt ist vor allem das Ende von Wasers Leben. Er hatte bei Schlözer in Göttingen einen Artikel über einen Teil des Zürcher Staatshaushalts publiziert, genauer gesagt über den Kriegsfond. Dem hatte der Verleger eine Fußnote vorausgeschickt, in der er die Stadtväter der Unterschlagung und Bestechlichkeit beschuldigte. Dies war man in Zürich nicht hinzunehmen gewillt. An den Herausgeber der subversiven Schrift kam man nicht heran. Der Autor dagegen war schnell entlarvt. Waser wurde verhaftet. Bei einer Haussuchung stellte sich außerdem heraus, dass Waser seit Jahren in allen wichtigen Bibliotheken und Archiven Bücher, Akten und wertvolle Stiche gestohlen hatte. Darunter befand sich ein politisch brisantes Dokument, das die ursprünglichen Bedingungen enthielt, zu denen die Habsburger im Jahr 1452 der Stadt Zürich die Grafschaft Kyburg verpfändet hatten. Nach einem Prozess von zwei Monaten erging gegen Waser das Todesurteil. Am 27. Mai 1780 wurde er enthauptet.

Unser Hörspiel beschäftigt sich allerdings nicht mit dem bekannten Ende dieser umstrittenen Persönlichkeit, sondern mit dem Beginn seiner Karriere als Kritiker der Obrigkeit von Zürich. Schon sein erstes öffentliches Auftreten zeigt ihn als guten Rechner, der nur zu bereit war, sich in die Steuerabrechnungen der Zürcher Verwaltung zu vertiefen und allfällige Fehler – oder auch nur Ungenauigkeiten – als Verbrechen anzuklagen.

Am 23. September 1770 wurde der 28-jährige Johann Heinrich Waser zum Pfarrer der 3000-Seelen-Gemeinde Heilig Kreuz ernannt. Zu ihr gehörten die Gemeinden von Hottingen, Hirslanden und Riesbach. Waser begnügte sich nicht mit der Seelsorge. Bald begann er, die Gemeinderechnungen aufmerksam zu durchforsten – sehr zur Verwunderung der Untervögte, die eigentlich mit der Verwaltung beauftragt waren. Und tatsächlich fand Waser Unstimmigkeiten. Es ging um die so genannten Hintersassengelder, um Steuern, die von Einwohnern zu zahlen waren, die nicht das Zürcher Bürgerrecht besaßen. Diese Abgaben fehlten völlig in den Unterlagen. Waser zeigte dies bei den Obervögten an, denen die Beaufsichtigung der Untervögte oblag. Die prüften seine Eingabe, stellten deren Richtigkeit fest und bestraften ihre Beamten mit 24 Pfund, also 480 Schilling. Dies entsprach damals je nach Beruf 14 bis 48 Tageslöhnen. Es handelte sich also um eine nicht ganz unbeträchtliche Summe. Da den Untervögten keine direkte Schuld nachgewiesen werden konnte – eine Erhebung der Hintersassengelder war bereits seit Jahrzehnten nicht mehr erfolgt –, entschieden die Obervögte, dass die Gemeindekasse für die Strafe der Untervögte aufkommen solle. Der Missstand wurde behoben, ein neues Hintersassenbuch von der Kanzlei angelegt und die fälligen Gelder in Höhe von 157 Pfund eingezogen.

Zürich. Dukat 1775. Aus Auktion Münzen und Medaillen Deutschland GmbH 27 (2008) 2641

Damit war der streitlustige Priester nicht zufrieden. Ihm missfiel, dass die Staatskasse die Strafe der Untervögte übernommen hatte, die beiden „Schuldigen“ also straflos davongekommen waren. Hier hatte die Obrigkeit in seinen Augen versagt. Waser versuchte, sie zum Eingeständnis ihres Versagens zu bewegen. Da traf es sich gut, dass es bei einer von ihm einberufenen Versammlung der Gemeindehonoratioren zu Tätlichkeiten gekommen war. Der Friedensrichter verurteilte die drei daran Beteiligten zu je 10 Pfund Strafe. Waser zahlte diese Strafen selbst und forderte seine Ausgabe von der Gemeindekasse zurück.

Waser mischte sich in alle möglichen Verwaltungsangelegenheiten der Gemeinde ein; und das oft nicht ganz zu Unrecht. So verklagte er zum Beispiel einen Wirt, der gegen die strengen Sittenmandate verstoßen hatte. Die Sache wurde vom Untervogt untersucht, eine Strafe gegen den Wirt verhängt. Auch diese Strafe schien Waser nicht ausreichend. Er zeigte den Wirt erneut an, erlitt aber beim zweiten Mal eine Abfuhr vor Gericht.

In der Sache hatte Waser also meistens Recht, doch die Mittel, die er wählte, um seinen Anklagen zum Sieg zu verhelfen, widersprachen jeder Form von christlicher Nächstenliebe. Seine Amtsgewalt als Pfarrer gab ihm die Möglichkeit, mit seinen Predigten die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Und Waser machte auf der Kanzel ausgiebig Gebrauch davon. Die Verbissenheit, mit der er sich gegen vermeintliche Ungerechtigkeiten hinsichtlich der Hintersassengelder wehrte, gipfelte in der Predigt vom 18. April 1773, die den Ausgangspunkt unseres kleinen Hörspiels bildet. Er hatte für diese Predigt einen Abschnitt aus der Apostelgeschichte gewählt, den er in seinem Sinne deutete: „Wenn wir noch jetzo sehen müssten, wie Ananias und Saphira, als sie nur ein weniges von dem Gemeind- und Armengut stahlen, sogleich zu den Füssen des Knechtes Gottes niederfallen und sterben, meine Lieben, wer würde denn doch wohl so rasend sein, vorsätzlich nur eine einzige Sünde zu begehen.“ Von Gemeinde- und Armengut war im Neuen Testament natürlich nie die Rede gewesen!

Diese Predigt kostete Waser noch nicht das Amt, das tat ein Brief ans Almosenamt vom 12. Oktober 1773, in dem er die leidige Angelegenheit der Hintersassengelder erneut aufgriff. Erhalten ist die Antwort, die 30 (!) Folioseiten umfasst. In ihr beschwerten sich die Obervögte nun ihrerseits über den Querulanten und forderten eine Untersuchung der gegenseitigen Vorwürfe. Nach vier turbulenten Sitzungen vor einem extra zu diesem Zweck eingerichteten Ausschuss wurde Waser seines Amtes enthoben.

Schon in der Frühzeit seiner „Karriere“ als Kritiker des Zürcher Staatswesens zeigt sich Waser als Querulant und Besserwisser, wie es sie auch heute noch gibt. Er selbst sah dies freilich anders. In seiner Einleitung zum „Historisch-diplomatischen Jahrzeitbuch“ verfasste er eine Art persönliches Glaubensbekenntnis, das in unserem Hörspiel sinngemäß zitiert wurde. Es lautet: „Der größte Teil der Erdbewohner lassen es bei allem, was sie tun und vornehmen, fast immer bei einem Beinahe bewenden. Und nur selten findet man Wenige, die das, was sie in der Welt vorstellen, ganz sind. Die Ursache hievon ist bald erraten, denn man hat am wenigsten Mühe und Gefahr, wenn man mit einem Beinahe zufrieden ist. Beinahe ein Christ kann einer werden, wenn er in seinem Leben nur einmal eine gute Predigt hört, beinahe ein Gelehrter, wenn er nur dann und wann für die lange Weile in Büchern herumblättert, beinahe ein ehrlicher Mann, wer sich nur auch ein wenig in Acht nimmt, nicht gar ein Schurke zu sein, beinahe ein Menschenfreund, wer nicht ein offenbarer Bösewicht und Räuber ist (…). Aber was man sein sollte, ganz zu sein, das fällt unendlich schwerer (…). Nur selten findet man hie und da noch einen ehrlichen und entschlossenen Mann, der Mut hat, durchzubrechen und die Hindernisse zu besiegen. Und von diesen wenigen wird noch der eine oder andere ein Opfer der beinahe Staatsklugheit, beinahe Gerechtigkeit, beinahe Patriotismus. Beinahe – beinahe – denn auf Erden ist fast alles nur immer beinahe.“

In der nächsten Folge verlassen wir die Schweiz und belauschen den Zürcher Erfolgsmann Leonhard Ziegler in Indien: „Ziegler – the soldier millionaire, who would not know him?“

Alle anderen Folgen der Serie finden Sie hier.

Die Texte und Zeichnungen entstammen der Broschüre zur gleichnamigen Ausstellung im MoneyMuseum Zürich. Vertonte Auszüge sind als Video hier erhältlich.

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