Am 15. März 1848 erschien in einer Lokalzeitung des gerade von den Vereinigten Staaten von Amerika erworbenen Territoriums Kalifornien, eine elfzeilige Notiz: „Goldmine gefunden. – In dem frisch ausgehobenen Wasserlauf für die kürzlich von Kapitän Sutter an der Gabelung des American River gebaute Sägemühle wurde eine beträchtliche Menge Gold gefunden. Ein einzelner Mann brachte Gold im Wert von 30 Dollar nach New Helvetia, das er dort in kurzer Zeit gesammelt hatte. Kalifornien ist ohne Zweifel reich an Mineralien. Große Chancen für Investoren in diesem Bereich. Gold ist in fast jedem Teil dieses Landes gefunden worden.“ Das war zumindest am 15. März 1848 noch hemmungslos übertrieben. Zum damaligen Zeitpunkt war Kalifornien eine recht verschlafene Grenzprovinz der Vereinigten Staaten, auf deren riesigem Gebiet etwa 14.000 Menschen hauptsächlich von Ackerbau und Viehzucht lebten.
Johann Augustus Sutter. *28. Februar 1803, Kandern / Baden-Württemberg, + 18. Juni 1880, Washington D. C.
Hier lag die Farm von Kapitän Johann Augustus Sutter. Dieser im badischen Kandern geborene Sohn schweizerischer Eltern kam im Jahr 1839 völlig abgebrannt in die USA. Die ersten Jahre seiner Biographie lesen sich wie der personifizierte amerikanische Traum. Zwar arbeitete Sutter nicht als Tellerwäscher, aber den Grundstock seines Vermögens legten 500 Dollar, die er als Preisboxer gewann. Durch schwere Arbeit und geschäftlichen Instinkt kam er nach wenigen Jahren so weit, dass er im damals menschenleeren Kalifornien ein Gebiet kaufen konnte, das etwa halb so groß war wie die Schweiz. Niemand interessierte sich dafür, da es sich um trockenes Land handelte. Doch durch ein geschicktes Aufstauen der vielen Bäche, die das Gebiet durchzogen, schuf Sutter ein landwirtschaftliches Paradies, in das er aus Deutschland und der Schweiz Siedler holen ließ.
Sutters Mühle in Coloma, wo der Schreiner James Marshall im Mühlengraben das erste Gold fand.
Der erste Goldfund
Und in dieses Paradies platzte am 24. Januar 1848 die Nachricht, dass James Wilson Marshall bei seiner Inspektion des Wasserlaufes der neuen Sägemühle im Flussbett zwei kleine Goldklumpen gefunden hatte. Sutter versuchte, den Schaden zu begrenzen. Er bat alle Beteiligten um Stillschweigen. Doch wer hätte eine solche Nachricht verheimlichen können? Das Gerücht breitete sich aus. Sechs Wochen nach dem Fund hatten praktisch alle Arbeiter von Sutters Farm ihren Posten verlassen, um auf seinem Land nach Gold zu suchen. Vier Monate später war die Bevölkerung von San Francisco von einigen Hunderten auf etwa ein Dutzend zurückgegangen. Die oben zitierte Lokalzeitung stellte mit folgender Schlagzeile ihr Erscheinen ein: „Das ganze Land hallt wider vom schmutzigen Ruf Gold! Gold!!!, während das Feld halb besät verwaist, das Haus halb gebaut und alles verlassen steht.“
Die Nachricht erreicht den Osten
Natürlich erregten diese Vorgänge das Interesse der Regierung. Der Gouverneur von Kalifornien, Colonel George Mason, brach im Juni 1848 selbst zu einer Inspektionsreise auf, um zu ergründen, ob an den Gerüchten etwas dran sei. Er besuchte die Goldfelder und sah dort etwa 4.000 Goldgräber, die täglich Gold im Wert zwischen 30.000 und 50.000 Dollar auswuschen. Der ausführliche Bericht des Gouverneurs an die Regierung in Washington war am 17. August fertig. Um dessen Glaubwürdigkeit zu erhöhen, legte er eine Teedose bei, die Gold im Wert von 3.900 Dollar enthielt. Seine Sendung erreichte die Hauptstadt Ende des Jahres 1848.
Der Bericht kam den Politikern, allen voran dem Präsidenten James Knox Polk, höchst gelegen. Kalifornien war nämlich erst seit einem Jahr im Besitz der Vereinigten Staaten. Ein Krieg und eine Kaufsumme von 15 Millionen Dollar waren nötig gewesen, um dieses Gebiet Mexiko abzunehmen. Im Norden war die Öffentlichkeit davon nicht allzu begeistert. Zum einen ärgerte man sich über die hohen Kosten, zum anderen fürchtete man, dass Kalifornien sich auf die Seite der Sklaven haltenden Südstaaten schlagen könnte.
Zeitgenössische Karte der Goldfelder Kaliforniens von 1849.
Der Bericht von Gouverneur Mason bot Argumente, die Politik der Regierung zu rechtfertigen. Besonders ein Satz wird den Präsidenten begeistert haben. Mason schrieb: „Jetzt [gemeint ist nach der Besichtigung der Goldfelder, Anm. d. Verf.] zögere ich nicht zu sagen, dass das Land, durch das der Sacramento und der San Joaquin fließen, mehr Gold birgt, als man brauchte, um hundertfach die Kosten des Mexikanischen Krieges zu bezahlen.“
Kein Wunder, dass plötzlich alle Zeitungen lange Artikel publizierten, die die Goldfunde in Kalifornien begeistert feierten und dabei auch ein klein wenig übertrieben. Die Bewohner der Ostküste verschlangen die Berichte über den „Wilden Westen“ und strömten in Vorträge von selbst ernannten Bergbauspezialisten. Einer von ihnen berichtete in New York, dass 100.000 Menschen Kaliforniens Goldressourcen in zehn oder zwölf Jahren nicht erschöpfen könnten, dass kalifornische Goldgräber täglich bis zu 1.000 Dollar verdienten, dass einer 36 Pfund Gold, also einen Wert von 9.000 Dollar an einem Tag erbeutet habe, ein anderer 12.000 Dollar in sechs Tagen und dass er selbst Goldklumpen gesehen habe, die 7 Pfund wogen.
Dass die Aussicht auf so immense Gewinne die unternehmungslustigen Männer nach Kalifornien zog, kann wohl jeder nachvollziehen. Zu Beginn des Jahres 1849 hatte sich die Bevölkerungszahl Kaliforniens von 1848 schon fast verdoppelt, 1850 lebten 92.000 Menschen dort, 1852 255.000 und Ende des Jahrzehnts 380.000. Es kamen vor allem junge Männer, und nicht die ärmsten. Denn die Reise vom Osten ins gelobte Land war teuer. Nur erfolgreiche Farmer, Händler oder Intellektuelle wie Rechtsanwälte und Ärzte konnten sie sich leisten.
Joseph Goldsborogh Buff überquert um 1849 auf seinem Weg nach Kalifornien mit seinen Planwagen einen Fluss.
Die Reise
Drei Wege standen den Reisenden zur Verfügung. Da war zum einen die Route quer durch den Kontinent, über Land entlang der Trails, die auch die Auswanderer in den Westen benutzten. Dieser Weg hatte zwei große Nachteile: er war strapaziös und gefährlich. Dafür war er billig, wesentlich billiger jedenfalls als die beiden Alternativen. Aber trotzdem brauchten die Goldsucher in spe Vorräte und Ausrüstung, einen Planwagen, um sie unterzubringen, und die dazugehörigen Zugtiere.
Werbeplakat für eine Reise rund um Kap Horn in 106 & 117 Tagen.
Die zweite Möglichkeit war der Seeweg rund um Kap Horn. 13.000 Seemeilen mussten zurückgelegt werden. Trotzdem kam der Reisende schon nach durchschnittlich sechs Monaten an. Das war wesentlich schneller als auf dem Landweg. Aber man brauchte für die Seereise mindestens 300 Dollar Reisegeld. Die Fahrt war zwar nicht ganz so strapaziös wie der Landweg, aber mit engem Raum, schlechtem Essen und der Seekrankheit hatten die Goldsucher auch an Bord zu kämpfen.
Werbeplakat für eine Schiffsreise von New York nach San Francisco via Nicaragua.
Besonders Clevere versuchten sich an einer Mischung aus Land- und Seeweg. Sie fuhren mit dem Schiff zur Landenge von Panama, und überquerten sie teils in von Einheimischen geruderten Einbäumen, teils zu Fuß. Diese Passage war gefährlich, da Cholera und Malaria viele Goldsucher umbrachten, bevor sie überhaupt nach Kalifornien kamen. Doch wenn man gesund blieb, konnte man innerhalb von fünf Tagen am Pazifik sein. Dort wartete man allerdings ziemlich lange auf eine Passage nach Kalifornien. Die meisten Schiffe, die in Panama anlegten, waren voll mit Goldsuchern und wollten niemanden mehr mitnehmen. So blieb den Wartenden nichts anderes übrig, als überhöhte Preise und Bestechungsgelder zu zahlen, um weiterzukommen.
Ende des Jahres 1848 waren die Goldfunde im Osten publik gemacht worden, 1849 trafen die ersten Goldsucher ein. Man nennt sie nach diesem Jahr „Fortyniners“, also Neunundvierziger.
Handelsschiffe im Hafen von San Francisco um 1850.
Die Situation vor Ort
Was für Gegebenheiten fanden die Fortyniners vor? Und wie gingen sie damit um? Wie können wir uns erklären, dass sie ohne Rücksicht auf bestehende Besitzverhältnisse hemmungslos gruben, wo sie Gold vermuteten? Warum hatte ein reicher Mann wie Sutter keine Möglichkeit, seinen Besitz gegen die anstürmenden Goldbesessenen zu verteidigen?
Dazu ein kleiner Exkurs zur damaligen politischen Lage. Kalifornien hatte nach dem Kauf den Status eines Territoriums der Vereinigten Staaten von Amerika. Damit war es rechtlich den Mitgliedern des Staatenbundes nicht gleichgestellt. Diese besaßen eine eigene Verfassung und eine begrenzte Selbstbestimmung, außerdem eine eigene Regierung mit einem gewählten Gouverneur. Der Gouverneur von Kalifornien dagegen war von der Zentralregierung als Verwalter eingesetzt. Eine entwickelte Exekutive mit Polizei und Sicherheitskräften gab es nicht. Und die ohnehin kleine Streitmacht des kalifornischen Gouverneurs schmolz dahin, da viele Soldaten zu den Goldfeldern desertierten. So fehlten in Kalifornien während der Anfangsphase des Goldrausches die gesicherten Rechtsverhältnisse, die man aus dem Osten kannte.
Der riesige Besitz von Sutter, auf dem das erste Gold gefunden worden war, stellte natürlich einen besonderen Anziehungspunkt für die Goldgräber dar. Sutter versuchte, sich dagegen zu schützen, indem er beim Gouverneur um Schutz seines Besitzes nachsuchte. Er bewies dem Beamten, dass er sein Territorium ordnungsgemäß von den ehemaligen Besitzern gekauft hatte. Die Mexikaner, damals die rechtmäßige Regierung, hatten den Kauf bestätigt. Aber der neue amerikanische Gouverneur erkannte diesen Anspruch nicht an. Der Beamte war sich bewusst, dass er keinen wirksamen Schutz ausüben konnte, und wollte das Ansehen der Regierung nicht durch ihr völliges Versagen gefährden. Das Recht der Besitzenden auf ihr Eigentum – sonst geheiligtes Dogma in den Vereinigten Staaten – wurde zumindest während der ersten Phase des Goldrausches außer Kraft gesetzt.
Die Gesetze der Goldgräber von Springfield. Sie wurden so eilig herausgegeben, dass dem Drucker sogar ein Rechtschreibfehler im Stadtnamen passierte.
Basisdemokratie und Lynchjustiz
Den Goldsuchern kam dieser rechtlose Zustand natürlich gelegen. Sie schufen sich ihre eigene Rechtsprechung und Verwaltung. Besonders in den ersten beiden Jahren des Goldrausches etablierte sich ein gut funktionierendes System einer Basisdemokratie:
Waren so viele Goldgräber in einem Bezirk, dass Probleme nicht mehr durch mündliche Absprachen geregelt werden konnten, kam man zu einer Versammlung zusammen. Dort legte man zuerst die Grenzen des Bezirks fest, für den die Beschlüsse gelten sollten. Dann bestimmte man die Größe des einzelnen Claims, wie viele Claims ein Goldgräber besitzen durfte und andere Modalitäten. Ein Beamter für exekutive Aufgaben wurde gewählt und die Strafen festgelegt, die bei Zuwiderhandlungen gelten sollten.
Einen Claim abzustecken war einfach. Für den Besitzernachweis waren keine juristischen Vorkenntnisse erforderlich.
Bei einem Claim handelte es sich um ein abgegrenztes Stück goldhaltigen Landes, das ein einzelner Goldsucher ausbeuten durfte. Man kennzeichnete einen Claim, indem man an den Ecken Holzpflöcke einschlug und eine Mitteilung daran befestigte, wem dieser Claim gehörte. So ein Claim konnte verkauft und gekauft werden, aber meist durfte jeder Mann nur einen Claim besitzen und der Rechtsanspruch erhielt sich nur so lange, wie der Goldgräber seinen Claim ausbeutete. Zog er weiter oder bearbeitete er ihn längere Zeit nicht, so konnte ihn ein anderer für sich reklamieren. Verließ ein Goldgräber für kurze Zeit seinen Claim, so genügte es, seine Gerätschaften liegenzulassen, um den Anspruch zu erhalten. Wer seine Geräte wegräumte oder mitnahm, den nannte man nicht ordentlich, sondern dumm.
Howard Gardiner zum Beispiel, ein Greenhorn, das 1849 nach Kalifornien kam, fand mit seinen Freunden schon kurz nach der Ankunft Gold. Doch wie enttäuscht waren die Neulinge, als sie nach einem Abstecher zum nächstgelegenen Laden wieder zu „ihrem“ Land zurückkamen und dort einen anderen Goldsucher fanden, der ihren Claim für sich selbst abgesteckt hatte. Keine Werkzeuge hatten ihn darüber informiert, dass hier schon andere am Graben waren. So verloren die Anfänger ihren vielversprechenden Claim und mussten, ohne irgendetwas unternehmen zu können, weiterziehen.
Streit unter Goldgräbern. Stich von Charles Nahl 1856.
Nicht immer gingen solche Auseinandersetzungen friedlich aus. Jeder Goldgräber war bewaffnet und gerne bereit, seinem Recht mit der Waffe in der Hand Nachdruck zu verleihen. Trotzdem bemühte man sich in den Goldgräberlagern um eine geregelte Rechtsprechung. Bei Streitfällen wurde die Versammlung aller Bürger einberufen und ein Mehrheitsentscheid gefällt. Es gab auch eine Art gewählten Richter, den Alkalden, der bei weniger wichtigen Rechtsverletzungen ein Urteil sprach. Bei schweren Vergehen bildeten die Goldgräber unter Leitung des Alkalden eine Jury, die sehr schnell und effektiv – wenn auch nicht immer ganz gerecht – urteilte und das Urteil gleich vollstreckte.
Lynchjustiz: Die Hinrichtung des Rafael Escobar, der des Mordes beschuldigt wurde. Er war bereits der zehnte Mann, den man an diesem Baum hängte.
Als Strafen standen lediglich Prügel, Ausweisung oder Tod zur Verfügung, da kein Camp über ein Gefängnis verfügte. Wohlgemerkt, dies war die ordentliche Form der Gerichtsverhandlung. Dazu kam von Zeit zu Zeit noch die Lynchjustiz, bei der der Mob ohne umständliche Beweisaufnahme unliebsame Mitmenschen teerte und federte, vertrieb oder gleich aufhängte.
Diese ungeklärte rechtliche Situation dauerte nur bis 1850. In diesem Jahr wies Kalifornien die nötige Bevölkerungszahl auf, um als neuer Staat in die amerikanische Konföderation aufgenommen zu werden. Dafür waren 65.000 Einwohner erforderlich, Kalifornien besaß bereits 92.000. Vor allem der besitzenden Schicht, den Händlern und Investoren, lag an geregelten Verhältnissen und dem Schutz ihres Eigentums. So bemühten sie sich, eine verfassungsgebende Versammlung zusammenzurufen. Darin gab es Kaufleute und Händler, Farmer und Rechtsanwälte. Die größte Bevölkerungsgruppe, die Goldgräber, waren nicht vertreten. Denen fehlte jegliches Interesse an einer staatlichen Kontrolle, was sich auch an der Wahlbeteiligung zeigte. Nur 12.061 Wähler der fast 100.000 Wahlberechtigten äußerten sich zur Verfassung. Das war äußerst ungewöhnlich. Nur zum Vergleich: An der Präsidentschaftswahl von 1840 beteiligten sich im gesamten Staatsgebiet der USA 78 % aller Wahlberechtigten.
Im nächsten Teil lesen Sie, was es hieß, in den Goldfeldern zu leben und zu schuften.