Honni soit qui mal y pense oder Was machte man eigentlich mit den Spintrien?

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Spintrien sind äußerst beliebte und teure Sammelobjekte, aber wozu benutzte man sie eigentlich in der Antike? Alle drei Beispiele stammen aus Auktion MMAG 77 (1992), 144-146.

Ja, man zahlt hohe Preise für sie, für die sogenannten Spintrien, Bordellmarken, wie einem vertrauensvoll zugeraunt wird. Da gibt es Spezialisten, die wissen genau, wie die Dinger verwendet wurden: Am Eingang des Bordells habe man sie gekauft. Die Darstellungen müsse man sich als eine Art Katalog der Freuden vorstellen, die einen in eben dem Bordell erwarteten. Hatte man die Position gewählt, trat man in das Gemach, das die Nummer der Rückseite trug, und die meist aus exotischen Ländern kommenden Schönen wußten gleich, wie ihr Freier es gerne haben wollte.
Heute sind die Spintrien zu begehrten Sammelobjekten geworden. Das leicht anrüchige des Stammtisches haftet ihnen aber immer noch an, diesen kleinen Kunstwerken, auf denen der Akt so selbstverständlich dargestellt wird.

Ein bißchen Forschungsgeschichte

Büste des Tiberius. Wikipedia
http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Tiberius_NyCarlsberg01.jpg

Der erste, der die Spintrien mit Sex in Verbindung brachte, war ein Numismatiker namens Spanheim, der im Jahre 1664 eine Abhandlung über die Numismatik verfaßte. Er erfand den Namen „Spintrie“ für die kleinen Bronzestücke, die in der Antike sicher ganz anders hießen. Er holte ihn sich aus den Annalen des Tacitus, in denen die Regierungszeit des Tiberius beschrieben wird, dem Kaiser, dem man – wenn wir Sueton und Robert Ranke Graves, Ich, Claudius, Kaiser und Gott folgen wollen – heute noch erotische Exzesse unterstellt. Spanheims Phantasie regte eine Stelle bei Tacitus an (VI, 1), in der die erotischen Entartungen des Greises beschrieben werden: …“Da kamen denn auch zuerst die vorher unbekannten Namen auf, der Sellarier und Spintrier, nach des Ortes Scheußlichkeit und nach der Mannigfaltigkeit der Hingebung;“… Schon hatten die Spintrien nach den Lustknaben des Tiberius ihren Namen.
Heute sehen wir die Gestalt des Tiberius ganz anders als Tacitus oder Ranke Graves. Wir wissen, daß Tiberius einen gräßlichen Hautausschlag im Gesicht hatte, mit dem er sich nicht mehr in der Öffentlichkeit sehen lassen wollte. Der Kaiser zog sich nach Capri zurück, um nicht mehr mit dem lästigen Tagesgeschäft in Rom belästigt zu werden. Daß er Philosophen und Rechtsgelehrte auf seinen Alterssitz mitnahm, dürfte auch nicht gerade dafür sprechen, daß Tiberius sich mit unmündigen Jungs vergnügen wollte. Aber schon in der Antike war es unmöglich, den Schandmäulern den Mund zu verbieten.
Alle Numismatiker des 19. Jahrhunderts übernahmen die Interpretation der Spintrien als etwas, das mit dem Sexualakt in Verbindung stehen mußte. Cohen schrieb in seinem hervorragenden, bis heute noch benutzten Werk zur römischen Numismatik: …“Hinsichtlich des Gebrauchs der Tesseren und der Spintrien ist es wahrscheinlich, daß die ersten als Wertmarke oder Eintrittskarte gedient haben, teils im Theater, teils für die Badeanstalten. Die Spintrien könnten, wie man der besonderen Natur der Darstellung, die auf ihnen zu finden ist, entnehmen kann, als Eintritt zu den Floralien (die der Fruchtbarkeit der römischen Bevölkerung geweiht waren, und bei denen es Striptease zu sehen gab. Anm. d. Verf.) oder zu heimlichen Schauspielen gedient haben, von denen es zahlreiche gab in der Hauptstadt.“… Ja, und damit sind wir genau bei der Argumentation: So eine unanständige Darstellung kann ja nur mit etwas in Verbindung stehen, das Sexualität beinhaltet. Bordell, Orgien oder Striptease.
Ja, das war die Phantasie des 19. Jahrhunderts, einer Zeit, in der man zu Königin Viktoria von England sagte, als man sie auf die Geschehnisse der Hochzeitsnacht vorbereitete: „Close your eyes and think of England.“ Das 19. Jahrhundert, in dem es auf der einen Seite die schicksten Vergnügungslokale mit Ballettratten gab, auf der anderen Seite die brave Ehefrau, die am Herd stand und die Kinder aufzog. Himmel und Hölle, Tugend und Sexualität, die Spintrien mußten zu einem der beiden gehören und daß es sich dabei um nichts Tugendhaftes handeln konnte, zeigten sie ja schon durch ihre Darstellung.

Der wahre Zweck

Spintrien gibt es auch mit durchaus „anständigen“ Motiven. Hier ein Beispiel aus Auktion MMAG 81 (1995), 237, das die Göttin Ceres zeigt, vielleicht mit den Gesichtszügen der Livia.

Wie aber sahen das die Römer? Wozu dienten die Marken wirklich? Dazu kann uns die Rückseite der Stücke einen kleinen Hinweis geben. Darauf finden wir nämlich Zahlen von 1 bis 16. Die einzelnen Nummern sind nicht mit einem bestimmten Motiv verbunden. Im Gegenteil, wenn man genau nachprüft, entdeckt man, daß es noch ganz andere Bilder gibt, die zum Teil mit den sogenannten Spintrien stempelgleich sind: Das Portrait des Kaisers Augustus zum Beispiel mit seiner Strahlenkrone, das Portrait Livias und das Doppelportrait der Enkel des Augustus, die dieser adoptiert hatte, Victoria, ein Tempel, das Capricorn. Diese Darstellungen kann man nun beim besten Willen nicht mehr mit Bordellen in Verbindung bringen.
Die Spintrien und die Marken mit den Augustusporträts werden in die Periode des Tiberius datiert, aber es gibt auch spätere runde oder eckige Objekte aus Knochen, die auf der Rückseite die Zahlen tragen, auf der Vorderseite christliche Symbole. Das Entscheidende an all diesen Marken scheint also nicht die „Vorderseite“ mit den variablen Motiven gewesen zu sein, sondern die „Rückseite“ mit den sich immer gleich bleibenden Zahlen. Auch bei uns gibt es Objekte, deren Darstellung völlig variieren kann, deren Werte aber immer gleich bleiben. Ich spreche von Spielkarten. Und eine ähnliche Funktion dürften die Spintrien gehabt haben, Steine in einem Spiel zu sein, dessen Regeln wir heute nicht mehr kennen. Der Akt war im Rom der frühen Kaiserzeit nichts, was man nicht erwähnen durfte. Auch wenn Augustus mit allen Mitteln die alten Sitten der Vorväter wieder einführen wollte, scheiterte er damit – sogar in seiner eigenen Familie. So gehörten diese Darstellungen zum Alltag, und man konnte mit ihnen auch Gebrauchsgegenstände wie Spielsteine, Villenwände oder Öllampen verzieren. Private Firmen stellten diese Spielmarken her und vertrieben sie – wie später die Kontorniaten.
Und die Moral von der Geschicht? Nichts ist so schmutzig, wie es die schmutzige Phantasie des Betrachters machen kann.

Literatur:

  • T. V. Buttrey, The Spintriae as a Historical Source, NC 1973, 52-69.
  • Bono Simonetta und Renzo Riva, Le tessere erotiche romane, Lugano 1981.

 

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