Es gibt Orte, die man einmal in seinem Leben gesehen haben muss. Gibraltar gehört dazu, auch wenn mir selbst nicht so ganz klar ist, warum. Es gibt schönere und interessantere Weltgegenden. Damit tröste ich mich zumindest, denn ich habe es nicht geschafft nach Gibraltar zu kommen… Nun, Ronda ist auch sehr hübsch, wie Sie in dieser Folge unseres numismatischen Tagebuchs „Auf nach Südspanien!“ lesen können.
Sonntag, 2. April 2017
Heute morgen sind wir wieder einmal früh aufgestanden, um all den Tagestouristen zuvor zu kommen, die täglich Gibraltar überschwemmen, um dort zollfrei einzukaufen. Wir fuhren also auf noch ziemlich leeren Straßen zu dem gegenüber Algeciras liegenden eindrucksvollen Felsen, der als eine der Säulen des Herakles gilt.
Es gibt eigentlich nur eines, was man über Gibraltar wissen muss: Dass es ein kleines Stück Großbritannien auf der spanischen Halbinsel darstellt. Und dies seit dem Spanischen Erbfolgekrieg. Das hat natürlich militärische Gründe. Wer auf dem Felsen von Gibraltar sitzt, kontrolliert mit ein paar Kanonen die Meerenge von Gibraltar, und das äußerst effektiv. Nicht umsonst galt dieser Felsen als eine der beiden Säulen des Herakles, an der man – in der Antike – möglichst nicht vorbei ins Ungewisse segeln sollte. Das Motto Karls V. deutete diesen Felsen um zu dem Eingang in das Weltmeer, das Spanien seine Herrschaft über ein Gebiet schenkte, in dem die Sonne nie unterging.
Die Briten sicherten sich die Kontrolle der Straße von Gibraltar durch einen Überfall. Am 4. August 1704 befahl der deutsche Prinz Georg von Hessen-Darmstadt den Angriff – und das ausgerechnet während der Siesta. Und tatsächlich lag ein großer Teil der spanischen Besatzung im Mittagsschläfchen, so dass der Überfall gelang.
Seitdem sitzen die Briten auf dem Felsen und prägen hin und wieder Medaillen auf dessen siegreiche Verteidigung. Den letzten Versuch, den Briten ihre spanische Enklave zu entreißen, unternahm eine spanisch-französische Flotte zwischen 1779 und 1783. Er ging als die große Belagerung von Gibraltar in die Geschichte ein und scheiterte. Was ihn in England zu einem bevorzugten Thema für Medaillen machte.
Heute ist Gibraltar ein British Oversee Territory, das der Souveränität Großbritanniens untersteht, aber ein eigenes Parlament und eine unabhängige Regierung hat. Für die Numismatik bedeutet das, dass Gibraltar über ein Münzrecht verfügt, und dass die britische Königin auf den Münzen Gibraltars zu sehen ist.
Gibraltar gehört also zu den vielen Staaten, die im Auftrag von Münzverlagen Sammlerausgaben in ihrem Namen anfertigen lassen. Dies führt zu witzigen Kombinationen, so wenn Elizabeth II. mit der 1.000 Jahr-Feier Österreichs kombiniert wird.
Natürlich gibt es ein paar Sehenswürdigkeiten in Gibraltar. Aber leider kann ich Ihnen nichts darüber sagen, denn kurz vor der britischen Grenze entdeckte ich zu meinem Ärger, dass mein Ausweis zusammen mit Kreditkarten und Geldbeutel sicher verwahrt im Hotelsafe lag. „Sorry, I am afraid I won’t be able to let you in.“ Zumindest wurde ich auf die höflichste britische Art und Weise daran gehindert, Gibraltar zu betreten. Denn obwohl Gibraltar tatsächlich Teil der EU ist, hat es sich nicht dem Schengen-Abkommen angeschlossen, weswegen jeder Tourist streng kontrolliert wird, ehe man ihn ins Land lässt – oder in meinem Fall eben nicht.
Damit war der Tag frei für ein spontanes Alternativprogramm. Wie gesagt, der Tag war noch jung, so entschlossen wir uns, in das spanische Rothenburg ob der Tauber zu fahren, nach Ronda, das ausschließlich über Landstraßen zu erreichen ist und von Gibraltar aus ca. 80 Kilometer entfernt liegt.
Schon die Straße, die nach Ronda führte, war den Ausflug wert! Wir fuhren über eine herrlich gewundene Strecke durch eine malerische Gebirgslandschaft, in der unzählige Störche hausen. Gut, dass in Spanien die Hochspannungsleitungen oberirdisch geführt werden. Auf jedem einzelnen Masten hatte sich ein Storchenpärchen ein Nest gebaut und zog seinen Nachwuchs auf. Was für eine Symbiose zwischen der modernen Technik und der Natur! Ich bin mir sicher, die Störche sind überzeugt, die Hochspannungsmasten würden einzig zu ihrer Bequemlichkeit errichtet.
Es gab eigentlich nur ein Element, das das Vergnügen an der Bergstraße etwas trübte. Während zum Beispiel die Tiroler dafür bekannt sind, dass sie selbstlos und wagemutig dem Touristen demonstrieren, bis zu welcher Höchstgeschwindigkeit er eine Kurve hätte nehmen können, ist der Vorgang des Überholens in Spanien eher eine theoretische Angelegenheit, von der man in der Fahrschule einmal gehört hat. Sprich, lange Autoschlangen kriechen dem würdigen älteren Herrn samt Gemahlin hinterher, während er die auf Verkehrsschildern angegebene Höchstgeschwindigkeit um 20 % oder mehr unterschreitet. Wenn man nun nicht bereit ist, zehn, zwölf Autos auf einmal zu überholen, wird man zu einem Glied dieser neuen sich ständig verlängernden Autoschlange, die im Pulk bis Ronda fährt.
Nichtsdestotrotz kamen wir nach einer wunderschönen Fahrt – ja, wir hatten 12 Autos auf einen Schlag überholt und waren deshalb ein wenig schneller als mit 30 Stundenkilometern nach Ronda gefahren – etwa um 11.00 Uhr an. Das ist für spanische Verhältnisse früh, was man sofort im lokalen Parkhaus sah. Ronda verfügt nämlich in seiner Neustadt über ein Parkhaus, das so gebaut ist, dass man einen Geschmack davon bekommt, was man verpasst hat, weil man nicht durch die engen Gassen der Stadt gefahren ist. Sprich, für jede Kurve braucht es mehrere Rangiermanöver. Nach einigen vergeblichen Versuchen, unser Auto in die freigebliebenen Lücken des ersten Parkdecks zu pressen, den wir sahen, stellten wir fest, dass es noch zwei weitere Parkdecks gab, die total leer waren. Hier brachten wir unser Auto unter, um Ronda zu erkunden.
Sagen wir es kurz: Ronda ist eine wunderhübsche Stadt mit seiner unglaublich hohen Brücke, die ein unglaublich tiefes Tal überspannt. Das ist es. Das müssen alle Touristen sehen, die auch Sevilla, Cordoba oder Granada ihren Besuch abstatten. Allerdings verteilen sie sich in Sevilla, Cordoba oder Granada denn doch über ein größeres Gebiet, während sie in Ronda alle auf einem Haufen stehen, um vor der Brücke ihr Selfie zu machen.
Dabei ist Ronda eigentlich uralt. Schon die Römer kannten es und gaben ihm den Namen Arunda. Natürlich nutzte das Militär die einmalige Lage, um dort eine Befestigung zu bauen. Auf den römischen Mauern errichtete der maurische Stadthalter von Al-Andalus seine eigene Festung. Sie wurde zu einem Schlupfloch, in dem sich vor allem nach Unabhängigkeit strebende kleinere Herrscher gerne verschanzten. Kein Wunder, dass Ronda zu den letzten islamischen Festungen gehörte, die der Reconquista Widerstand entgegensetzen. Die Stadt wurde erst 1485 von Ferdinand dem Katholischen erobert.
Ronda war zu weit vom Meer entfernt, um vom internationalen Handel zu profitieren. Und auch die Eisenbahn und moderne Straßen wurden erst spät gebaut. Damit lag es im Schatten der Geschichte, so dass sich die Architektur des 18. und 19. Jahrhunderts gut erhalten hat. Kein Wunder, dass Ronda in der Numismatik keinen allzu großen Niederschlag gefunden hat.
Nichtsdestotrotz gibt es eine relativ häufig in spanischen Auktionen angebotene Medaille, die eng mit Ronda verbunden ist. Es handelt sich um ein unter König Carlos IV. herausgegebenes Stück, das eine geradezu enigmatische Inschrift trägt. Wenn man sie auflöst kommt folgendes heraus: Bartolomé Felix Salvatierra Alferes mayor, Caballero del Orden de Alcántara proclama por el Rei y por la Patria.
Man muss schon lange suchen, bis man den historischen Hintergrund dazu erfährt: Der Bürgermeister von Ronda, Bartolomé Felix Salvatierra, beging anlässlich der Ernennung von Carlos IV. zum König von Spanien ein großes Fest. Die Festordnung dazu hat sich erhalten. Und im Rahmen der Feierlichkeiten wurden, wie im 19. Jahrhundert üblich, Medaillen geprägt. Sie zeigen auf der Vorderseite den neuen König, auf der Rückseite das Stadtwappen von Ronda.
Wie gesagt, kunsthistorisch hat die Stadt nicht allzu viel zu bieten. Aber sie ist berühmt als die Heimat des modernen Stierkampfs. Hier entwickelte sich aus der frühneuzeitlichen, zur Volksbelustigung abgehaltenen Corrida der heutige Sport mit seinem komplexen Regelwerk, was bei all seiner Ernsthaftigkeit natürlich nicht überdecken kann, dass die Stierkämpfe immer noch der Volksbelustigung dienen (was natürlich auch für Boxkämpfe, Autorennen und die Olympischen Spiele gilt).
Die Corrida der frühen Neuzeit wurde nämlich nicht in einer Arena, sondern auf einem großen Platz abgehalten, und zwar nicht nur in Spanien. Es gab verschiedene Varianten, wie der Stier umgebracht wurde. Typisch für Spanien war der adlige Torreador, der von seinem Pferd aus eine ca. ein Meter lange Lanze so in den Nacken des Stieres stieß, dass sie an der Sollbruchstelle abbrach und stecken blieb. Wer die meisten Lanzen in den rund 20 auf dem Platz herumtollenden Stieren hinterlassen hatte, galt als Sieger.
Die Adligen ließen sich nur dann dazu herab, einen Stier mit dem Degen zu töten, wenn der sie „beleidigte“, indem er entweder ihr Pferd verletzte oder „ihre“ Lanze wieder abschüttelte. Normalerweise wurden die Stiere nur von den „minderen“ Teilnehmern umgebracht, wenn die Luft raus war bei der Corrida. Dann kamen die einen mit ihren Muletas und lenkten die Viecher ab, so dass andere den Stieren die Sehnen durchschneiden konnten. Danach gab es ein Gemetzel, an dem sich gerne auch Zuschauer beteiligten. Tote gab es immer – und zwar nicht nur unter den Stieren – oder, wie Luis de Cabral über einen Stierkampf auf der Plaza Mayor in Madrid schrieb: „Die Stiere waren ordentlich; sie haben fünf oder sechs Männer getötet und eine große Zahl anderer verletzt.“
In Ronda wurde wie gesagt der moderne Stierkampf „erfunden“. Heutzutage teilen sich Banderilleros, Picadores und die nun zu Fuß kämpfenden Torreros die Aufgaben bei der Hatz auf den Stier.
Ronda verfügt auch über eine prächtige Arena, die aber nur noch zu historischen Stierkämpfen in alten Kostümen genutzt wird, den sogenannten Stierkämpfen à la Goya. Mit ihren 66 Metern Durchmesser soll die Arena nämlich zu groß sein, um spannende Kämpfe zu garantieren.
Wir schauten uns weder Arena noch Stierkampf an, gingen auch nicht ins angeschlossene Museum, sondern drängten uns durch die Massen in die Altstadt. Die bot dann doch ein paar sehr hübsche, ruhige Plätze. Wir entschlossen uns für ein kleines Café gegenüber der größten Kirche der Stadt, wo wir Mittagspause machten. Es war wirklich ein großer Spaß, in Ruhe da zu sitzen, während jede Menge interessant gekleideter Touristen an uns vorbei zogen.
Und das war’s. Recht viel mehr gab es in Ronda nicht zu sehen. Wir machten uns auf den Rückweg.
Die nächste Folge unseres numismatischen Tagebuchs führt uns ins Zentrum der Sehnsucht aller Spanien-Touristen, nach Granada. Wie viel ich Ihnen über diesen Teil unserer Tour erzählen werde, muss ich mir noch überlegen.
Alle Folgen des numismatischen Tagebuchs „Auf nach Südspanien“ finden Sie hier.