Die Zürcher und ihr Geld 5: Der Sold von Pavia

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mit freundlicher Genehmigung des MoneyMuseum

In unserer Serie „Die Zürcher und ihr Geld“ nehmen wir Sie mit in die Welt des vergangenen Zürich. Diesmal stehen wir im Gemach der Äbtissin der Fraumünsterabtei im Jahr 1512. Sie versteckt einen Söldnerführer auf der Flucht. Dazu gibt es wie auf einer guten DVD ein Making of, also welcher numismatisch-historische Hintergrund zu diesem Gespräch gehört.

1512. Katharina von Zimmer, Äbtissin der Fraumünsterabtei, versteckt den Anführer des Zürcher Fähnleins vor Pavia, Hauptmann Jakob Stapfer, in ihrem Gemach. Gezeichnet von Dani Pelagatti / Atelier bunterhund. Copyright MoneyMuseum / Zürich.

Äbtissin: (außer Atem) Schnell, schnell, hier herein.

Hauptmann: (angstvoll) Oh mein Gott, gleich sind sie da.

(entschlossen) Nein, das wagen die nicht. Kein Zürcher würde ohne Erlaubnis das private Gemach der Äbtissin der Fraumünsterabtei betreten. Hab’ keine Angst, hier bist du sicher. (kurze Pause) Was ist denn eigentlich los?

Meine eigenen Soldaten wollen mich umbringen.

Aber warum denn?

Sie beschuldigen mich, ich hätte einen Teil ihres Solds unterschlagen.

Den vom Feldzug nach Pavia?

Ja. Aber sie beschuldigen mich zu Unrecht! Ich habe das Geld nie bekommen! Du weißt doch, wie die hohen Herren sind. Vor den Soldaten halten sie eindrucksvolle Reden. Versprechen ihnen Gold, Gold und nochmals Gold. Aber wenn es dann darum geht, dem Hauptmann die Gelder auszuzahlen, dann können sie sich auf einmal an kein Versprechen mehr erinnern.

Also jetzt ganz langsam, damit ich es auch verstehe. Wer zahlt hier wem den Sold?

Schau, der Kardinal Schiner hat im Auftrag des Papstes die Tagsatzung überredet, ihm ein Heer von 18.000 Mann zur Verfügung zu stellen. Natürlich hat sich daran ein Zürcher Fähnlein beteiligt. Ich führte das Kommando.

Das weiß ich.

Als Hauptmann des Heeres hatte ich die Verantwortung für die Soldzahlungen. Der Papst kann schließlich nicht persönlich jedem einzelnen Zürcher seine 2 Dukaten pro Monat in die Hand drücken. Der päpstliche Zahlmeister gibt mir die gesamte Summe und ich rechne mit meinen Männern ab.

Soweit ist das klar.

Nach dem Sieg von Pavia versprach uns Kardinal Schiner, daß je 100 Männer 12 zusätzliche Soldzahlungen bekommen sollten. Mir hat er gesagt, daß ich davon zwei Soldzahlungen für mich behalten kann, und unter den Männern 10 Soldzahlungen verteilen soll.

Mit anderen Worten, die Männer sollten 10 % mehr Sold erhalten; sie dachten aber ihnen stünde mehr zu.

Ja, und dann stimmte die Anzahl der Männer, die Schiner auf seiner Liste hatte, nicht mit der tatsächlichen überein. Und außerdem ist die Auszahlung nie komplett geleistet worden. Aber das interessiert die Zürcher nicht. Alle kommen zu mir und wollen ihr Geld.

Na, Hand aufs Herz, du bist doch bestimmt nicht zu kurz gekommen, auch wenn die Soldzahlungen nicht komplett geleistet wurden.

Wer an der Quelle sitzt, trinkt. Aber ich war mit Sicherheit nicht unehrlicher als jeder andere Hauptmann im Schweizer Heer.

Ludwig XII. als Lodovico XII. von Orléans Herzog von Mailand, 1500-1512. Testone o. J. Crippa 3/A. Aus Auktion Künker 183 (2011) 1799.

Making of:
Im März des Jahres 1510 schloss die Eidgenossenschaft mit Papst Julius II. einen Vertrag, der es dem obersten Kirchenhirten erlaubte, zum Schutz des Heiligen Stuhls gegen jeden Feind fünf Jahre lang in der Schweiz Söldner anzuwerben. Damit brachen die Eidgenossen endgültig mit Ludwig XII. von Frankreich, der noch im Jahr 1500 seine Erbansprüche auf das Herzogtum Mailand mit Hilfe von schweizerischen Söldnern durchgesetzt hatte. Dieser politischen Kehrtwendung waren Streitigkeiten der Tagsatzung – eines Treffens der Vertreter eidgenössischer Orte – mit dem französischen König vorausgegangen, welcher den Eidgenossen vertraglich geregelte Handelsvorteile vorenthielt. Diese sahen damit ihre ureigensten Interessen bedroht. Die Lombardei war traditionell der wichtigste Absatzmarkt für die Produkte der schweizerischen Viehzucht, hier konnte bei Missernten Getreide, Reis und Wein bezogen werden.

Julius II., Papst 1503-1513. Giulio ohne Jahr, Rom. Aus Auktion Künker 217 (2012), 2645.

So zog im Jahr 1512 ein 18.000 Mann starkes eidgenössisches Heer nach Italien und erzwang am 1. Juni 1512 die Kapitulation der von den Franzosen besetzten Städte Cremona und Pavia. Mailand ergab sich ebenfalls. Damit waren innerhalb von wenigen Wochen die französischen Truppen fast völlig aus Oberitalien verdrängt.

Den Oberbefehl über das eidgenössische Heer hatte Freiherr Ulrich von Hohensax geführt; ihn unterstützte der Zürcher Hauptmann Jakob Stapfer, dem das Kommando über das Zürcher Kontingent anvertraut gewesen war. Geehrt und gefeiert brachte Stapfer die Geschenke des Papstes für die Zürcher nach hause: ein Prunkschwert und einen Herzoghut, die heute noch im Schweizerischen Landesmuseum, Zürich bewundert werden können.

Allegorie auf das Reislaufen und seine gesellschaftlichen Folgen: Links ein prosperierender eidgenössischer Reisläufer, wie die Schweizer Söldner seit dem Spätmittelalter genannt wurden, rechts ein invalider Bettler, 16. Jahrhundert. Quelle: Wikipedia.

Doch schon bald nach der Heimkehr Stapfers begannen Gerüchte in Zürich umzulaufen. Der Hauptmann habe vom Papst mehr Gelder für Sold eingenommen als er an die Zürcher Reisläufer ausgezahlt hätte. Aufgebrachte Reisläufer forderten von ihm den ausstehenden Sold. Stapfer wurde von seinen Gegnern auf offener Straße angegriffen. Er floh in ein Gotteshaus, um Asyl zu erhalten. Doch nicht einmal das konnte die Attacken der wütenden Zürcher Reisläufer stoppen. Nur das energische Eingreifen der Katharina von Zimmern, Äbtissin des Fraumünster von 1496 bis 1524, das uns zu unserer Hörspielepisode inspirierte, rettete dem Hauptmann das Leben. Die entschlossene Frau versteckte den Verfolgten in ihrem eigenen Gemach. Von dort aus gelang es Stapfer, nach Zug zu fliehen, der Heimatstadt seiner Mutter.

Möglich wurde die Anklage der Soldunterschlagung nur durch die Doppelfunktion, welche im Spätmittelalter jeder Anführer einer Kriegerschar bekleidete. Er hatte nicht nur das militärische Kommando inne, sondern trat gleichzeitig als oberster Zahlmeister auf. Seiner Kontrolle waren die Soldzahlungen unterstellt, welche von den Auftraggebern der Reisläufer an ihn weitergegeben wurden, damit er sie unter seinen Untergebenen verteilte.

Nach der Flucht Stapfers bereitete man in Zürich den Prozess gegen den einstigen Helden vor. Wichtige Zeugen wurden zu einer schriftlichen Stellungnahme aufgefordert, darunter Matthäus Schiner, Kardinal von Sitten und wichtigster Parteigänger des Papstes in der Schweiz, und Freiherr von Hohensax, Anführer der eidgenössischen Truppen. Ulrich von Hohensax schickte am 10. November 1512 die Zahlungsrödel an den Zürcher Rat. Diese brauchte man zur Kontrolle, um festzustellen, ob tatsächlich alle Männer, welche in dieser Liste aufgeführt waren, auch am Feldzug teilgenommen und ihren rechtmäßigen Sold erhalten hatten. Matthäus Schiner erteilte Auskunft zu den Übersölden, also den zusätzlich nach dem Sieg ausgezahlten Geldern, um die sich ein großer Teil der Streitigkeiten rankte. Er stellte fest, dass er den Zürchern jeweils pro 100 Mann zwölf Übersölde bewilligt hatte. Von diesen sollte Stapfer 10 Übersölde an seine Männer verteilen, die zwei restlichen könne er nach seinem eigenen Gutdünken verwenden.

Am 26. Dezember 1512 erging ein Urteilsspruch gegen Stapfer, in dem er verurteilt wurde, den Zürcher Reisläufern das ihnen auf dem Papier zustehende Geld zu übergeben – darunter übrigens die gesamten zwölf Übersölde pro 100 Mann. Zusätzlich wurde Jakob Stapfer wegen Unterschlagung von Soldgeldern zu einer Strafe von 400 Gulden Strafe verurteilt.
Dagegen wehrte sich der Hauptmann. Er wies auf das Grundproblem aller Söldnerführer hin: Die Auftraggeber hätten nicht die Summen bezahlt, welche sie versprochen hatten. Die berühmten zwölf Übersölde habe er verteilt, allerdings nicht an die einfache Mannschaft, sondern an die ihm unterstellten Pannerherren und Räte. Den elften und zwölften Übersold habe er als ihm zustehend an sich genommen, wozu Pannerherren und Räte ihre Zustimmung erteilt hatten. Er selbst habe von diesem Feldzug höchstens 1.000 Gulden nach Hause gebracht und könne die an ihn gestellten Ansprüche, selbst wenn er dies wolle, nicht erfüllen.

Stapfer hatte mächtige Freunde, welche Zürich unter Druck setzten, den Prozess wieder aufzunehmen. Nicht nur einige eidgenössische Städte und Gemeinden, sogar die Tagsatzung und der Doge von Venedig sprachen sich zu Gunsten des beliebten Hauptmanns aus.

Kardinal Matthäus Schiner in einem zeitgenössischen Stich. Quelle: Wikipedia.

Der Zürcher Rat nahm also den Prozess wieder auf und untersuchte weiter. Man stellte fest, dass es Unstimmigkeiten gab zwischen dem Soldrödel des Matthäus Schiner, nach dem der Sold gezahlt worden war, und dem Soldrödel des Jakob Stapfer, nach dem die Gelder verteilt werden sollten. Auf der Liste Stapfers standen wesentlich mehr Männer als auf der Schiners. Stapfer hatte zusätzlich zu den offiziell geworbenen Reisläufern noch Männer ohne Soldzusage aufgenommen, welche die Hoffnung auf reiche Beute dazu veranlasste, in den Krieg zu ziehen. Mit Hilfe des „offiziellen“ Soldrödels von Schiner konnte ein Teil der Forderungen an Stapfer zurückgewiesen werden.

Überhaupt stellte sich im Jahr 1514 die Angelegenheit dem Zürcher Rat ganz anders dar. Nun urteilte eine Kommission, dem Stapfer sei „in etlichen stucken unguetlich geschechen.“ Die Übersölde mußten zwar von allen, unter die sie verteilt worden waren, zurückgegeben werden, doch ansonsten sollten die gegenseitigen Forderungen als erledigt gelten. Die Strafe für Stapfer wurde zurückgezogen.

In der Schlacht von Marignano war Stapfer dann nicht dabei. Als regulären Hauptmann hatten ihn die Zürcher wohl doch nicht so schnell wieder einsetzen wollen. Doch immerhin führte er die Freiknechte, also die Söldner, welche nicht zum offiziellen Kontingent der Zürcher gehörten, sondern sich als unabhängige Reisläufer verdingt hatten. Für Stapfer war dies ein Glück. Er überlebte die verlorene Schlacht, welche die Schweizer einen hohen Blutzoll kostete.

Stapfer blieb im Kriegsgeschäft. Er ließ sich von Eberhard von Reischach als Hauptmann für ein Heer von 10.000 Reisläufern anheuern, das Ulrich von Württemberg unterstützen sollte. Der Rat von Zürich aber hatte sich entschlossen, das freie Reislaufen von Zürchern zu unterbinden, um damit ein staatliches Monopol auf die „Vermietung“ von Söldnern einzurichten. An Eberhard von Reischach wurde deshalb ein Exempel statuiert. Er wurde in Acht und Bann getan und in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Was mit Jakob Stapfer geschah, ist unsicher. Jedenfalls veranlasste ihn die Behandlung, die er in Zürich erfuhr, sich von seiner Heimatstadt endgültig zu verabschieden. Er trat in die Dienste des Stifts St. Gallen und gab das Zürcher Bürgerrecht im Jahr 1522 auf.

In der nächsten Folge erfahren Sie, was etwa zur gleichen Zeit die Rettung des Seelenheils kostete – sofern man sich in den Ablasshandel flüchten wollte. Doch nicht immer waren Mann und Frau diesbezüglich einer Ansicht, wie der nächste Dialog zeigt.

Alle anderen Folgen der Serie finden Sie hier.

Die Texte und Zeichnungen entstammen der Broschüre zur gleichnamigen Ausstellung im MoneyMuseum Zürich. Vertonte Auszüge sind als Video hier erhältlich.

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