Indiana Jones am Automaten?

Systematisch große Summen in Münzen abheben und darin nach verborgenen Schätzen suchen? „Coin noodling“ scheint eher ein Internettrend zu sein, als eine weltweite Massenbewegung. Foto: Peggy und Marco Lachmann-Anke on Pixabay.
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Blockieren faule Jugendliche unsere Geldautomaten? Englischsprachige Medien berichten in diesem Tenor über einen Trend, der im Internet viral ging, also extreme Aufmerksamkeit erhalten hat. In einem Video zeigt ein Jugendlicher, wie er 1.100 australische Dollar in Scheinen in einen Wechselautomaten schiebt und dafür Münzrollen bekommt. Zuhause öffnet er die Rollen und sucht darin nach wertvollen Münzen: Fehlprägungen, Sammlerstücke usw. Alles, was nicht mehr wert ist als der Nennwert, geht zurück an die Bank, interessante Münzen behält er, um sie auf Ebay oder über andere Kanäle zu verkaufen. „Coin noodling“ heißt diese Beschäftigung, also in etwa „Geld manipulieren“.

 

Systematisch Schätze suchen

Nach „Daily Mail Online“ sehen sich diejenigen, die systematisch an Wechselautomaten nach besonderen Münzen suchen, als Schatzsucher des 21. Jahrhunderts. Sie nutzen einfach eine gute Investmentmöglichkeit, um bequem Geld zu machen.

„Daily Mail Online“ titelte gar, die Banken würden „toben“. Tatsächlich zitiert das Medium lediglich Bankkunden, die sich darüber beschweren, dass den Mittelständlern durch Coin noodler das Wechselgeld fehle.

Der Zeitungsbericht führt diesen Trend zurück auf den Kanal Gold Coast Picker, der ein Video zum Coin noodling bei Youtube, Tiktok und Facebook gepostet habe. Ein jugendlicher „Goldsucher“ behaupte in dem Clip, dass er mindestens 10 Prozent Gewinn mache. Was er dabei allerdings nicht einrechnet ist die Zeit, die er investieren muss, um all die Münzen zu durchforsten.

Was ebenfalls verschwiegen wird: „Coin noodling“ ist kein neuer Trend. Als die Schweiz 1968 ihre silbernen Umlaufmünzen durch solche aus Kupfer-Nickel ersetzte, suchten Eidgenossen noch über Jahre recht systematisch nach altem Geld. Schließlich hatte der Silberboom damals den Metallwert der Münzen deutlich über ihren Nennwert gehoben. Und überall auf der Welt beschafft sich der ein oder andere Sammler moderner Münzen ein paar Münzrollen in der Bank oder an Automaten in der Hoffnung, so billig an seltene Stücke zu kommen.

Was Sammler und Coin noodler unterscheidet: Für Sammler ist der Gang zum Automaten die Ausnahme, nicht die Regel. Ihnen geht es um ihre Sammlung und die Freude am Sammeln als Zeitvertreib, nicht darum, Münzen sofort wieder gewinnbringend zu verkaufen.

 

Bringt Coin noodling Geld?

A propos verdienen. Es werden immer wieder Summen genannt, die man angeblich verdienen kann, wenn man seine aus dem Automaten gezogenen Schätze veräußert. Das Zehn- bis Hundertfache des Nennwertes zum Beispiel. Oder „bis zu 2.000 Euro“ im Portemonnaie, also im Umlaufgeld, wie die „Kreiszeitung“ titelt. Im Artikel selbst erfährt man dann, dass es sich bei diesem 2.000-Euro-Stück um eine extrem seltene Prägung handelt (eine 2-Euro-Münze aus Monaco mit dem Porträt von Grace Kelly); echte Hoffnung, eine solche Münze im Alltag zu finden, braucht man sich nicht machen.

In der Tat gibt es bei Ebay immer wieder Angebote zu horrenden Preisen. Aber werden diese Münzen auch zu solchen Preisen verkauft? Wohl nur, wenn man schlechtinformierte Käufer findet. Stichwort Wissen: Coin noodler sind keine Sammler und keine Münzexperten. Youtube-Videos, die in den Kommentaren als „toll“ oder „lehrreich“ gelobt werden, zeigen, wie man sich die Münzen aus dem Automaten holt und dann durchstöbert – nicht gerade hochwertiges Insiderwissen. Um Fehlprägungen oder andere wertvolle Münzen zu identifizieren, greifen die Noodler bestenfalls auf Standardwerke zurück.

Tatsächlich sollten Sie vorsichtig sein bei derartigen Ratschlägen. In einem Video demonstriert jemand, wie er Euro-Münzen, die er im Umlauf gefunden hat, nach Fehlprägungen und besonders seltenen Gedenkmünzen durchgeht. Dabei stellt er alle möglichen Behauptungen auf, wie es zu Fehlern beim Prägen seiner Münzen gekommen sei. In den Kommentaren zeigt sich, dass einige Betrachter des Videos sehr viel besser informiert sind und darauf hinweisen, dass unter all den gezeigten Münzen keine einzige Fehlprägung zu finden sei – alles im Bereich der Prägetoleranzen und -zufälligkeiten. Und damit alles andere als ein Investment. Dies ist auch etwa das Niveau der meisten Coin-noodler-Videos.

Wenn auch Sie wissen wollen, wie Sie nicht auf derartige Angebote hereinfallen und sich ein solides Fachwissen aufbauen, dann lesen Sie die Beiträge unseres Autors numiscontrol!

Und wer verdient wirklich am Coin noodling?

Ja, es ist sicher möglich, an seltene Münzen zu kommen, indem man an Wechselautomaten im großen Stil Münzrollen zieht. Aber es ist auch eine zeitintensive Vorgehensweise. Kann man davon leben? Eher nicht. Hilft es beim Sammeln? Vielleicht. Macht es Spaß? Da muss jeder für sich entscheiden, ob er ein derart brachiales Vorgehen als befriedigend empfindet. Ist es ein neuer weltweiter Trend? Neu: ganz sicher nicht. Ein weltweiter Trend? Wenn man schaut, wie über das aktuelle Coin noodling berichtet wird, wirkt es eher, als werde ein Internet-Hype durch Medienberichte geadelt. Australiens Bankensystem scheint das Coin noodling zu verkraften und auch der Mittelstand geht nicht an einem flächendeckenden Bargeldmangel zugrunde.

Im Internet wird Coin noodling vor allem in Videos auf verschiedenen sozialen Plattformen propagiert. Gold Coast Pickers sucht nicht nur nach wertvollen Münzen, sondern auch nach Matchbox-Autos und VHS-Kassetten, die sich zu Geld machen lassen. Ein anderer Kanal, PJ’s Coin Capers, hat sich ganz auf australische Umlaufmünzen spezialisiert, die man im Portemonnaie oder eben in Münzrollen finden kann. Mit solchen Videos gelingt es Medienproduzenten, ihre Abonnentenzahlen zu erhöhen, Likes zu sammeln und über Affiliate-Links für Mikroskope, Lupen und Fachliteratur bei Onlinehändlern den Wert ihrer Marke zu erhöhen. Für sie lohnt es sich definitiv, das Interesse am Coin noodling zu bedienen.

 

In gewohnt reißerischem Stil stellt Daily Mail das Thema dar.

Über die Möglichkeiten, mit Schätzen im Umlaufgeld selbst Geld zu machen, berichtete die Kreiszeitung.