Marken: Kultur, Verbindungen, Gemeinschaften

Antonio Crisà, Mairi Gkikaki, Clare Rowan (Hrsg.), Tokens. Culture, Connections, Communities. Royal Numismatic Society Special Publication No. 57. Royal Numismatic Society, London 2019. 241 S., Abbildungen in Schwarz-Weiß. Hardcover, 22 x 30,2 cm. ISBN: 0-901405-35-3. £40.
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Sie gehören ja irgendwie schon zur Numismatik, auch wenn es sich nicht um Münzen handelt: Die Marken, vielleicht besser bekannt unter ihrer englischen Bezeichnung Tokens. Auch wenn es sich dabei nicht um staatliches Geld handelt, haben Marken Geldfunktion, sie garantieren den Erhalt einer Leistung, eines Objekts und verschieben den Zahlprozess oder eine Prüfung der Berechtigung auf eine Leistung an eine andere Stelle im Ablauf einer Transaktion, um eine effektivere Abwicklung eines Prozesses zu gewährleisten.

Wozu Marken dienten

Wow, das war jetzt aber theoretisch! Also ganz praktisch: Nehmen wir an, der Kaiser verteilt mal wieder Getreide und Öl unter den bedürftigen römischen Bürgern. Dann macht es ja Sinn, dass deren Rechtsstatus und Bedürftigkeit nicht am Fuß der Tribüne überprüft werden, wo alle auf ihr Getreide warten, sondern irgendwann irgendwo im Vorfeld. Wer die Prüfung erfolgreich besteht, bekommt eine Marke – im Lateinischen Tessera. Und mit dieser Tessera kann er dann das Getreide abholen.

Oder die Sache mit den Biermarken – und bitte denken Sie dabei nicht an heutige Gasthäuser mit einer Fülle von unterschiedlichen Bieren und Speisen – wir sprechen von einfachen Bierhäusern, wo es eine Sorte Bier gibt und das Essen extra bezahlt werden muss: Eine Kellnerin erleichtert sich – übrigens bis Mitte des 20. Jahrhunderts – ihr Leben, wenn sie vor dem Beginn des Geschäfts von der Wirtin eine bestimmte Menge an Biermarken erhält, von denen sie jedes Mal, wenn sie an der Theke Bier für die Gäste holt, so viele abgibt, wie sie Bier übernimmt. Von dem, was bei Feierabend in ihrer Geldbörse ist, muss sie die Summe der fehlenden Marken abziehen, um so ihr Trinkgeld zu errechnen.

Von der Jungsteinzeit bis heute?

Und das sind nur zwei von unzähligen Einsatzmöglichkeiten für Marken. Aber ihre Funktion steht eigentlich nicht im Mittelpunkt des Tagungsbandes, der die Vorträge publiziert, die anlässlich eines Kolloquiums in Warwick, das im Juni 2017 unter dem Titel „Tokens: Culture, Connections, Communities“ stattfand, gehalten wurden. Die Aufsätze reichen von neolithischen Objekten, die als Tokens gedeutet werden, bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Den Link zur Moderne schafft ein Artikel von Bill Maurer, der athenische Tokens mit Fragen von Blockchain-Technologie vergleicht und dabei darüber spekuliert, wie ein Archäologe der Zukunft all die greifbaren Überbleibsel interpretieren wird, die mit der Blockchain-Technologie in Verbindung stehen.

Der Tagungsband legt seinen Schwerpunkt dabei eindeutig auf die Antike und die Archäologie. Die athenischen Ton-Marken und ihre römischen Äquivalente aus Blei werden in neun (von 16) Artikeln abgehandelt. Und ja, selbstverständlich ist darunter ein ausführlicher Beitrag zu der Gruppe der Spintrien und verwandter Produkte, bei dem Alexa Küter zu dem sehr nachvollziehbaren Schluss kommt, dass die These, es handle sich nicht um Wert-, sondern um Spielmarken immer noch am wahrscheinlichsten ist. Das Mittelalter ist mit einem Beitrag vertreten, die frühe Neuzeit mit drei Beiträgen, die sich alle vier mit Großbritannien beschäftigen. Dazu kommt eine Einleitung und der schon erwähnte Beitrag mit Bezug auf moderne Blockchain-Technologie. Das 19. und 20. Jahrhundert fehlen genauso wie der Rest der Welt.

Dies wäre nun alles kein Problem, würde der Verlag diesen Band nicht mit einem Klappentext bewerben, der behauptet, es handle sich um das erste wissenschaftliche Werk, das das komplette zeitliche Spektrum von der Vorgeschichte bis zur Moderne abdecke. Das stimmt nicht. Der Sammelband fokussiert sich auf die Antike mit einem besonderen Schwerpunkt auf Athen und Rom und bezieht am Rande ein paar englische Themen mit ein. Was sicher nicht verwundert, wenn man in Betracht zieht, dass die Herausgeber ausschließlich in der Antike verwurzelt sind.

Die Neuzeit findet in der Numismatik nicht statt

Damit spiegelt dieser Band hervorragend, wie die historischen Perioden in der numismatischen Forschung heute gewichtet sind. Die Neuzeit ab 1800 findet mehr oder weniger nicht statt. Lustig ist, dass man dies noch nicht einmal bemerkt. Wie sonst könnte man erklären, dass dieser Buchklappentext verfasst wurde.

Hätte man tatsächlich die ganze Geschichte der Tokens analysieren wollen, wäre es unvermeidlich gewesen, auch die Phänomene des 19. und 20. Jahrhunderts zur Kenntnis zu nehmen. Mir fallen da auf die Schnelle gleich zwei Autoren ein, die tatsächlich dafür hätten sorgen können, dass ein epochenübergreifender Band entstanden wäre: Hans-Ludwig Grabowski mit seiner tiefschürfenden Studie zu Geld und Geldersatz in den deutschen Konzentrationslagern und Ruedi Kunzmann, der umfassende Kataloge zu den Bier-, Milch- und Konsummarken der Schweiz geschrieben hat.

Zusammenfassung

Nun, beide hätten wohl eher keine Lust gehabt, auf Englisch vorzutragen, aber das ist eine andere Geschichte. Fassen wir also zusammen: Wer mehr über antike Tokens wissen möchte, der sollte sich diesen Sammelband kaufen. Vor allem für diejenigen, die sich für die Wirtschaftsgeschichte Athens interessieren, wird viel geboten.

Wer mehr über die Funktion und Bedeutung von Tokens lernen möchte, muss auf ein anderes Buch warten.