von Ursula Kampmann
22. Juni 2017 – Es sind nicht nur die großen Highlights, die den Reiz eines Landes ausmachen. Im Gegenteil. Es sind die vielen kleinen Sehenswürdigkeiten und Begegnungen am Rande, die dafür sorgen, dass man sich wohl fühlt. In dieser Folge segeln wir in Spaniens touristischem Windschatten. Und ich verspreche Ihnen, es ist deswegen kein bisschen weniger schön!
Frühstück im Parador. Foto: KW.
Sonntag, 26. März 2017
Heute wird die Uhr umgestellt, nichtsdestotrotz sitzen schon alle spanischen Familien beim Frühstück. Es ist ein munteres Treiben. Und ich bewundere wieder einmal die spanische Fähigkeit, gleichzeitig zu reden. (Ob sie auch gleichzeitig zuhören, habe ich noch nicht herausgefunden.)
Blick auf die Cueva de los Letreros. Foto: KW.
Unser heutiges Ziel ist ein Wagnis, denn nirgendwo ist zu erfahren, wann die Cueva de los Letreros (= Höhle der Zeichen) geöffnet ist. Man müsse sich telefonisch für einen Besuch anmelden, heißt es. Doch damit habe ich schlechte Erfahrungen. Das Englisch am anderen Ende des Telefons ist meist schlechter als mein Spanisch. Und dem Spanisch in landestypischer Geschwindigkeit fühle ich mich mit meinen paar Brocken Landessprache nicht gewachsen. Also fahren wir einfach los. Eine blendende Idee. Die Grotte ist gut ausgeschildert. Jeder Wegweiser informiert darüber, dass diese Attraktion den Weltkulturerbe-Status besitze. Lediglich der ziemlich steile Kiesweg am Ende des Weges, der zu einem eher improvisiert wirkenden Parkplatz führt, lässt uns zweifeln. Doch wir hören von weit oben Stimmen und sehen einen abgesperrten Bereich. Es sieht also tatsächlich so aus, als hätten wir die Höhle gefunden.
Gut, nicht gerade spektakulär, aber wir freuen uns trotzdem wie die Schneekönige, dass wir das Abri besichtigen können! Foto: KW.
Aber als wir oben ankommen, schließt der Guide gerade hinter der Gruppe, die er geführt hat, das Tor. Zum Glück hat er ein weiches Herz. Er lässt sich sofort überzeugen, auch uns die wunderbaren neolithischen Malereien zu zeigen, die ein paar enthusiastische Lokalpatrioten zur Sixtinischen Kapelle des Neolithikums ernannt haben. Vielleicht waren sie das tatsächlich einmal, vor langer Zeit bei ihrer Entdeckung. Doch inzwischen haben Wind und Elemente den größten Teil der kostbaren Malereien unsichtbar gemacht. Es handelt sich nämlich bei dieser Cueva nicht um eine Höhle im landläufigen Sinn, sondern um ein Abri, das seit seiner Entdeckung im 19. Jahrhundert den Unbilden des Wetters und der menschlichen Neugier (und Vorliebe zum Umgestalten von Zeichnungen auf öffentlichen Grund) ausgesetzt ist.
Umzeichnung des Wahrzeichens der Provinz Almeria: Der Indalo.
Trotzdem sieht man noch deutlich die winzig kleinen Ziegen, die von dem ikonischen Hüter mit seinem stilisierten Bogen beschützt werden. (Ich persönlich sehe darin eher die neolithische Version eines Paragliders.)
Der Hohepriester mit seinem gehörnten Kopfschmuck und den großen Sicheln in der Hand, ist dagegen völlig verschwunden. Unser Guide Daniel tröstet uns damit, dass man auf den vielen Fotos, die wir machen, die Umrisse besser erkennen könne. (Was man nicht tut, wie wir daheim merken.)
Die Höhlenbewohner hatten einen Klasse-Ausblick. Foto: KW.
Wir verlassen den Bereich und sind total glücklich, dass wir es geschafft haben, in die Höhle zu kommen. Daniel erzählt uns, dass lediglich einmal pro Woche, am Sonntag punkt 12.00 Uhr, Führung sei. Für uns habe er halt noch eine Extraführung gemacht, aber all die anderen, die ebenfalls die steile Treppe zur Höhle heraufkeuchen, werden unverrichteter Dinge wieder hinuntergeschickt. Grins. Schadenfreude ist eben doch die reinste aller Freuden;-)
Danach wollen wir ans Meer. Um dorthin zu kommen, wählen wir eine kleine Straße, die uns in 33 km ans Ziel führen soll. Was wir in unsere Berechnungen nicht mit einbeziehen, ist die Tatsache, dass zwischen der Höhle und dem Meer eine Sierra liegt, ein kleines Gebirge, das uns zwar nicht in gigantische Höhen führt, aber durch 10.000 Kurven und eine wunderschöne Landschaft! So fühlt sich Spanien an. Eine Bäuerin winkt uns zu, und ich erwarte, dass Don Quichote jeden Moment hinter einem Gebüsch hervorspringt, um seinen Kampf mit unserem Auto aufzunehmen.
Was für ein Unterschied, als wir an die Küste kommen! Die Strecke ist in der Karte als landschaftlich besonders schön beschrieben. Und das war sie sicher vor vielleicht 20 oder 30 Jahren. Heute ist sie zugemauert mit jeder Menge Betonklötzen. Ach, schweigen wir darüber!
Montag, 27. März 2017
Heute ist ein richtig anstrengender Reisetag. Wir verlassen unseren Parador in Lorca, um nach Cordoba zu fahren. Wer sich beim Blick auf die Karte wundert, warum wir nicht erst nach Granada gehen, dem sei gesagt, dass man den Parador von Granada Monate im voraus buchen muss. Was ich auch tat. Nur hatte ich mich ein bisschen im Datum verschätzt. Es dauert noch eine Woche bis zur Reservierung. Deshalb die merkwürdige Streckenführung…
Nein, es handelt sich nicht um Göreme, sondern um die spanische Stadt Guadix, wo es aktuell noch rund 2.000 bewohnte Höhlen gibt. Foto: KW.
Also bleiben wir die nächsten vier Nächte in Cordoba. Um dorthin zu kommen, müssen wir knapp 400 Kilometer fahren, und nicht nur auf Autobahnen! Auf einmal bekommen wir große Augen. Wir glauben im türkischen Göreme zu sein. Überall Tuffsteingebirge. Und ein Schild weist auf Troglodyten, Höhlenbewohner, hin! Natürlich machen wir einen Stopp und fahren bei der nächsten Ausfahrt raus. Der Ort führt den hübschen Namen Purullena.
Alltagshöhlenbewohner in Purullena. Dieses ganz normale Haus hat ein paar Zimmer im Tuffstein. Foto: KW.
Wir finden Häuser, die eigentlich zum größten Teil aus Höhle bestehen. Nur vor der Höhle ist eine Hausfassade vorgeblendet.
In dem Hügel wohnen Menschen. Foto: KW.
Es sieht lustig aus, wenn aus einem der vielen Hügel ein Kamin heraussieht.
Keramik als Purullena wird in ganz Spanien verkauft. Allerdings teurer. Foto: KW.
Und dann kommen wir an vielen bunten Verkaufsständen vorbei und lernen, dass in Purullena und Guadix die spanische Keramikproduktion heimisch ist. Was in Granada und Cordoba für teuer Geld angeboten wird, gibt’s hier für einen Pappenstiehl. Wir decken uns mit Sparschweinen zu zwei Euro ein – schließlich kann man nie genug Sparschweine haben! Vor allem bei den hohen Zinsen, die’s Geld im Moment auf der Bank bringt.
Acci (= Guadix). Tiberius. As. Aus Auktion Aureo & Calico 290 (2017), Nr. 10.
Gleich um die Ecke liegt Guadix, das schon Plinius in seiner Naturgeschichte und der Geograph Ptolemaios nennen. Es hat sogar Münzen geprägt, und nicht mal allzu knapp!
Westgoten. Sisebut (612-621). Acci (= Guadix). Triens. Aus Auktion Aureo & Calico 271 (2015), 2242.
Der Überlieferung nach soll dank des heiligen Torquatus von Acci in westgotischer Zeit ein wichtiges Bistum vor Ort existiert haben. Die Reliquien des Heiligen wurden übrigens ausgerechnet während der maurischen Eroberung Südspaniens entdeckt und nach Galicien ausgelagert, wo sie blieben, bis man sie 1592 im Triumph zurückbrachte. Na ja, der Mensch braucht eben Symbole. Ob echt oder erfunden, ist dabei eher nebensächlich.
Guadix. Nasriden von Granada. 1/2 Dirhem. Aus Auktion Aureo & Calico 266 (2015), Nr. 1055.
Der heutige Name der Stadt, Guadix, stammt aus dem Arabisch. Unter maurischer Herrschaft gab es hier ein bedeutendes Zentrum der Seidenproduktion.
Irgendwo auf dem Weg nach Cordoba. Man beachte die in Reih und Glied stehenden Olivenbäume. Die hässlichen Neubauten im Vordergrund sind dank Fotoshop beseitigt. Foto: KW.
Hinter Guadix biegen wir auf die Landstraße und fahren eine wundervolle Strecke zwischen endlosen Olivenhainen entlang. So viele Olivenbäume auf einmal habe ich weder in Griechenland noch in Italien gesehen. Quadratkilometer um Quadratkilometer, nichts als Olivenbäume! Und alle fünf Kilometer eine Ölmühle, in der man auch kleinere Mengen von Olivenöl kaufen kann. Wobei kleiner relativ ist. Ich jedenfalls habe keine Ahnung, was ich mit einem Fünfliterkanister Olivenöl machen soll…
Baena ist malerisch, allerdings fehlt für das Tüpfelchen auf dem i der blaue Himmel. Foto: KW.
Kurz nach drei Uhr erreichen wir Baena, das auf unserer Karte nicht nur gelb angemalt, sondern auch noch schwarz eingerahmt ist, sprich, unsere Karte behauptet, es handle sich um ein malerisches Städtchen. Leider ist der Himmel inzwischen ziemlich dunkelgrau, und es hat zu regnen angefangen, so dass das Pittoreske leichte Einbußen erleidet. Dazu kommt, dass wir im Moment mehr Hunger auf Reales als auf Künstlerisches haben. Wir werden vorbildlich via Verkehrszeichen in eine Parkgarage im Centro Monumental geleitet. Wir stellen unser Auto ab. Und dann ab zum nächsten Restaurant. Wenn es denn ein offenes Restaurant gäbe. Unter der Woche in der Vorsaison bei Regen scheint in Baena niemand Hunger zu haben.
Also frage ich verzweifelt und in meinem besten Rumpfspanisch eine Spaziergängerin, wo wir was zu essen bekämen. Sie strahlt mich an und meint, dass sie uns hinbringen würde, weil es sonst zu schwer zu finden sei. Ich bin kurz stolz auf mein Spanisch. Und dann gehen wir, und gehen, und gehen. Es regnet, und die Dame besteht darauf, mich unter ihren Schirm zu nehmen. Ein bisschen schwierig, da sie mir höchstens bis an die Achsel reicht. So werden wir beide nass, trotz Schirm, und finden es einfach wunderbar.
Kaum 15 Minuten später sind wir an der Stelle gelandet, wo wir von der Hauptstraße abgebogen sind. Dort befindet sich das einzige offene Restaurant. Unsere spanische Führerin verabschiedet sich mit mehreren kräftigen Umarmungen (Kurt kriegt auch eine ab), wünscht uns weiterhin eine gute Reise und weg ist sie.
Baena ist für sein Olivenöl berühmt. Foto: KW.
Es ist übrigens nicht nur das einzig offene, es ist auch ein hervorragendes Restaurant. Der Jefe bringt die Karte mit Übersetzung in Englische, Französische und sogar ins Deutsche(!). Lesen tue ich die Karte dann doch auf Spanisch, weil das verständlicher ist als die mit Google Translate entstellten Versionen. Ich bestelle: Orangensalat, Kroketten nach Art des Hauses und Churrasco. Und kaum 5 Minuten später kommt eine Tortilla auf den Tisch. Ich denke, so gut ist mein Spanisch also doch nicht. Spannend, was ich da bestellt habe. Aber es schmeckt. Skeptisch werde ich erst, als kaum fünf Minuten später das nächste Gericht kommt, große Bohnen mit einem Spiegelei darüber. Und da ist auch schon der Jefe. Sein Kellner hat die beiden Gerichte am falschen Tisch abgestellt. Erst guckt er ein bisschen merkwürdig, weil wir dabei sind, die Tortilla zu essen, aber dann lachen wir alle. Er klopft mir auf die Schulter und findet, sei alles nicht so schlimm. Zur Küche gewandt ruft er etwas, das ich als „Noch eine Tortilla bitte“ interpretiere.
Nach dem Essen streiten wir uns, weil ich die Tortilla zahlen will. (Sie hat nämlich super geschmeckt, und wir werden so etwas bestimmt wieder bestellen.) Der Jefe findet, sein Fehler, und nein, er denke gar nicht daran. Den Vorteil hat der Kellner, der zweimal zurückkommt und nachfragt, ob wir uns mit dem Trinkgeld nicht doch geirrt hätten.
Reklame für die Semana Santa. Foto: KW.
Auf dem Rückweg stellen wir fest, wie hübsch dieses Baena ist, natürlich wäre es noch viel hübscher gewesen, wenn irgendetwas offen gewesen wäre.
Was man so braucht. Von der Kutte … Foto: KW.
So bewundern wir die Schaufenster, in denen all das ausgestellt ist, was der echte Spanier für die Semana Santa braucht: Trommeln und Federbüsche, Kapuzenmäntel und römische Helme.
… bis zum pseudorömischen Helm. Foto: KW.
Und dann stellt sich die Aufgabe des Tages: Wie kommen wir von der Parkgarage aus der Stadt? Es ist eine echte Herausforderung. Wir drehen Runde um Runde, in den schmalsten Sträßchen, die auch noch rechts und links zugeparkt sind. Natürlich gibt es hin und wieder Straßen, die nach unten führen, aber die sehen eigentlich wie ein Fußgängerweg aus, so dass man jeden Moment mit einer Treppe rechnet. Endlich entdecken wir eine Busstation, und wo ein Bus fahren kann, können wir das auch, denken wir. Irgendwie geht’s dann auch.
Erst nachdem wir wieder auf einer ordentlichen Straße ein paar Kilometer hinter Baena sind, sehen wir im Rückspiegel, durch welch arabisch anmutendes Straßengewirr wir da gefahren sind. Geradezu eine Touristen-Reuse: In die Stadt hinein lotsen einen endlos viele Schilder. Wie der Tourist die Stadt verlässt, ist seine Sache.
Um 18.00 kommen wir erschöpft in Cordoba an. Der Parador liegt wirklich hoch über der Altstadt. Allerdings in ein paar Kilometern Entfernung. Wie auch immer, am Abend versuche ich noch, unser nächstes Quartier zu bestellen. Keine leichte Aufgabe. Am Wochenende scheint ganz Spanien an die Küste zu fahren. Die Hotels verlangen Mondpreise. Nach endlosen Telefonaten treibe ich dann noch ein Zimmer in Algeciras auf. Aber das ist Zukunftsmusik. Erst freuen wir uns auf unsere Zeit in Cordoba.
In der nächsten Folge besichtigen wir Cordoba. Zusammen mit Myriaden von Touristen besuchen wird die Mezquita und verzichten darauf, im Pulk über die römische Brücke zu laufen. Wir finden eine tolle numismatische Ausstellung im archäologischen Museum und lernen einen Maler kennen, der einige spanische Banknoten gestaltet hat. Last but not least statten wir El Cordobes unsere Referenz ab.
Alle Folgen des numismatischen Tagebuchs „Auf nach Südspanien“ finden Sie hier.