von Ursula Kampmann
24. Juli 2014 – Ein Bewunderer der griechischen Münzprägung kann eigentlich nur ins Schwärmen kommen, wenn es um Syrakus geht. Diese herrlichen Arethusaköpfe, sie prägen unsere Vorstellung von Syrakus. Oh edle Einfalt und stille Größe! Dass in der Realität einiges ganz anders aussieht, das sei schon in der Einleitung verraten.
Mittwoch, 23. April 2014
Trotz seiner freundlichen Bewohner und guten Küche hatte sich Akragas nicht unter unsere Lieblingsstädte eingereiht. Wir waren deshalb nicht besonders traurig, die Stadt zu verlassen, um in das Zentrum des antiken Siziliens zu kommen, nach Syrakus. Es war ziemlich schwierig gewesen, dort ein Zimmer nach unserer Vorstellung zu bekommen. Nur ein Agriturismo mit dem malerischen Namen „Villa dei Papiri“ hatte noch Platz für uns. Für diesen Agriturismo sprach, dass sich schon seine Website mit dem Münzbild der Arethusa schmückte. Dagegen sprach eine vernichtende Kritik im Internet. „AC was not working. Staff is not local and unprofessional, breakfast is a scandal for a so called agritourism in Italy.“ Ich weiß ja nicht, wo Claudio Rocchetti, Autor dieser Aussagen, sich herumgetrieben hat. In unserem Agriturismo kann er nicht gewesen sein.
Statt einem einzelnen Haus gibt es viele kleine Pavillons für die Gäste. Foto: KW.
Die Zimmer waren zwar klein, hatten aber alles, was man brauchte, und das auf einem für Sizilien sehr hohen Niveau. Dazu verfügte jeder Raum über eine Grünfläche mit Sonnenschirm, Tisch, Stuhl und Liege, wo man sich nach dem anstrengenden Sightseeing erholen konnte. Die Mitarbeiter waren unglaublich freundlich und bemüht. Und das Frühstück…
Ein kleiner Ausschnitt aus dem riesigen Frühstücksbüfett. Foto: KW.
… das war das Beste, das wir in Sizilien überhaupt hatten. Frische Früchte, frisches Gebäck, heimischer Käse und heimische Wurst, selbst gemachte Marmeladen, frischer Ricotta vom Bauern nebenan, frischer Orangensaft und vieles, vieles mehr.
Wir haben versucht, selbst eine Kritik zu veröffentlichen, die den eben erwähnten Verriss korrigieren könnte. Keine Chance. Sie erscheint einfach nicht. Vielleicht sind wir ja an der Technik gescheitert. Oder der Eigentümer des Agriturismo hat sich irgendwo Feinde gemacht, die im Internet Einfluss haben…
Zitronen im Zitronenhain vor unserer Haustür. Foto: KW.
Wenn Sie also einmal ein Quartier bei Syrakus suchen, die Villa dei Papiri können wir empfehlen. Das Ambiente ist wundervoll. Da stimmt einfach alles für den perfekten Traumurlaub. Ein kleines Flüsschen durchschneidet das Gebiet, das einen Zitronen- und einen Orangenhain beherbergt. Es herrscht himmlische Ruhe, nur unterbrochen vom Zirpen der Zikaden und dem Huschen der Eidechsen.
Die Quelle Ciane. Foto: KW.
Und gleich nebenan liegt ein Naturschutzgebiet mit der Quelle Ciane im Zentrum, das einen kleinen Eindruck gibt, wie man sich vielleicht die Quelle der Arethusa vor 2.500 Jahren vorstellen muss.
Auch diese Quelle war in der Antike heilig. Man verehrte hier Kyane, eine Gespielin der Persephone, die versucht hatte, den Raub ihrer Herrin zu verhindern. Sie konnte es nicht und war über ihr Versagen so traurig, dass sie sich buchstäblich in Tränen auflöste und zur Quelle wurde, wie Ovid in seinen Metamorphosen schildert.
Einmal im Jahr hielten die Syrakusaner ein öffentliches Opfer für Kyane ab, bei dem ein Stier in der Quelle ertränkt wurde.
Papyrus. Foto: KW.
Die ganze Quelle ist von Papyrus umstanden und damit eines der wenigen Gebiete in Europa, wo man Papyrus außerhalb botanischer Gärten überhaupt sehen kann.
Wir schlossen diesen Tag ab mit einem großartigen Essen im etwas entfernten Restaurant, das dem gleichen Besitzer gehört wie die Villa dei Papiri. Kurz gesagt, es war köstlich!
Danach wanderten wir noch ein wenig durch das idyllische Naturschutzgebiet und zitterten vor Vorfreude, wenn wir daran dachten, dass wir am nächsten Tag ins gelobte Land der Numismatik, nach Syrakus kommen würden.
Donnerstag, 24. April 2014
Am nächsten Morgen zitterten wir auch, allerdings nicht mehr vor Vorfreude, sondern vor Angst um unser Auto, dass in einer gewaltigen Menge von anderen Autos in einem mehrfachen Kreisverkehr mit schier undurchschaubarer Vorfahrtsregelung eingeklemmt war. Wir fanden schließlich den Weg auf einen Parkplatz, und natürlich pilgerten wir als erstes zum Heiligtum, zur Quelle der Arethusa.
Syrakus. Tetradrachme, ca. 415-409. Vorderseite signiert von „Euth“, Rückseite von „Phrygillos“. Aus Auktion Gorny & Mosch 211 (2013), 85.
Arethusa war eine Nymphe. Als sie eines Tages nackt im Alpheios badete, sah sie der Flussgott und wollte sie nur noch vergewaltigen. Arethusa floh, doch Alpheios holte sie ein. Als es keinen anderen Ausweg mehr gab, verwandelte die Göttin Artemis die Nymphe Arethusa in eine Quelle und versetzte sie nach Sizilien. Alpheios soll vor Begehren unter dem Mittelmeer hindurch geflossen sein, um seine Wasser in Syrakus mit der Quelle zu mischen. Manche Autoren fanden so viel Begehren romantisch. Ich sehe das ein bisschen anders. Erstens frage ich mich, ob Arethusa wirklich eine Quelle werden wollte. Ich zumindest stelle mir das Leben einer Nymphe wesentlich interessanter vor. Und dann frage ich mich, ob die gute Arethusa ihre Wasser mit Alpheios mischen wollte. Ich persönlich hätte dazu jedenfalls keine Lust gehabt.
Wie auch immer, die Syrakusaner glaubten, diesem Wunder der Artemis eine Süßwasserquelle auf der Insel Ortygia zu verdanken. Damit wurde dieser Ort zu einer schwer einzunehmenden Festung, denn Wasser hatte man selbst für die längste Belagerungen genug. Dieses Wunder, Süßwasser auf einer Insel im Salzwasser zu haben, wurde von den Syrakusanern als göttlich und existentiell empfunden, weswegen Arethusa einer der wichtigsten Kulte und eine Seite jeder Tetradrachme gebührte.
Arethusa heute. Foto: KW.
Heute ist die Quelle Arethusa eingefasst von einer hohen Mauer, über deren Geländer sich die Touristen beugen. Hin und wieder werfen sie etwas in die Quelle. Meist leere Plastiktüten, Apfelbutzen, Papier… Und so war es eigentlich nicht wirklich verwunderlich, dass neben den Enten und Goldfischen Ratten im Teich der Quellnymphe leben. Ja, wir sahen eine dicke, fette Ratte durchs Wasser schwimmen. Ziemlich groß und mit nacktem Schwanz. Entsetzt wendeten wir den Blick ab. Unsere Pilgerfahrt war ziemlich schnell zu einem vorzeitigen Ende gekommen.
Ein Blick auf das Castello Maniace. Foto: KW.
Vorbei an bröckelnden Barockfassaden wanderten wir zu Spitze der Insel, zum Castello Maniace, das seinen Namen nach einem Griechen trägt. Georgios Maniakes war es nämlich 1038 gelungen, Syrakus für den byzantinischen Kaiser zurückzugewinnen. Bei diesem Feldzug half ihm eine Garde von Warägern, wie man in Byzanz die Normannen nannte. Sie wurde von Harald Hardrada angeführt. Da der später zum norwegischen König wurde, war er versorgt, aber andere Söldner hatten gesehen, wie leicht sich auf Sizilien ein einträgliches Reich erobern ließ. Voilà, und hier nimmt die normannische Eroberung Siziliens ihren Anfang.
In restauro. Foto: KW.
Der staufische Festsaal des Kastells muss großartig sein. Leider war er in restauro. Aber immerhin, diesmal hatten wir das Kastell gesehen. Bei unserem ersten Besuch hatten uns noch Armeeangehörige mit Waffen verscheucht. Bis 2004 war nämlich das ganze Castello Maniace militärisches Sperrgebiet, wobei ich mir beim besten Willen nicht vorstellen kann, welche militärische Relevanz es gehabt haben mag.
Palazzo Bellomo. Foto: KW.
Danach besuchten wir das von Touristen zumeist links liegen gelassene, aber wirklich äußerst sehenswerte Museo Regionale di Palazzo Bellomo.
Verkündigung von Antonello da Messina. Quelle: Wikipedia.
Darin befinden sich einige unglaublich schöne Zeugnisse der Renaissance. Kostbarer Höhepunkt ist eine Verkündigung von Antonello da Messina, die das viel berühmtere Bild in Palermo, das wir natürlich auch noch sehen werden, sozusagen vorwegnimmt.
Aber irgendwann wurden wir dann trotzdem müde. Und so spazierten wir zum Dom von Syrakus, der ebenfalls etwas ganz Besonderes in sich birgt.
Santa Maria delle Colonne. Foto: KW.
Santa Maria delle Colonne, heilige Maria von den Säulen, heißt die barocke Hauptkirche von Syrakus, die sogar Sitz eines Erzbischofs ist. Die Säulen beziehen sich nicht etwa auf die barocke Fassade …
Das Innere von Santa Maria delle Colonne. Foto: KW.
sondern auf die antiken Säulen, die in die Wand der Kirche eingebaut sind. Hier nämlich stand früher der Tempel der Athena, einer der wichtigsten Gottheiten von Syrakus.
Syrakus. AE, 344-336. Kopf der Athena. Rv. Zwei Delphine um Stern. Aus Auktion Gorny & Mosch 216 (2013), 2166.
Schließlich wurde Syrakus 734 von Kolonisten aus Korinth gegründet. Und Pflanzstädte übernahmen gerne das gesamte Pantheon ihrer Mutterstadt. So auch Syrakus. Es erbaute Athena bereits im 7. Jahrhundert einen Tempel. Doch der war schon längst durch einen anderen ersetzt, als die Syrakusaner ihn im 7. Jahrhundert n. Chr. zu einer Kirche ausbauten, indem sie einfach die Zwischenräume zwischen den dorischen Säulen zumauerten.
Das Innere von Santa Maria delle Colonne. Foto: KW.
Die Cellawand wurde dagegen mit acht Rundbögen durchbrochen, so dass sie wie das Mittelschiff einer dreischiffigen Basilika wirkte.
Das Taufbecken von Santa Maria delle Colonne. Foto: KW.
Ein antikes Steinbecken arbeitete man zum Taufbecken um. Es stammt aus dem Athenatempel, und diente vor Tausenden von Jahren vielleicht schon einem ähnlichen Zweck wie heute. Immerhin wissen wir, dass am Eingang der griechischen Heiligtümer große, mit Wasser gefüllte Becken standen, in denen sich die Betenden reinigten, ehe sie den heiligen Boden betraten, da nur dem reinen Menschen der Zugang zu den Göttern gestattet war.
Servietten des Cafés Minerva. Foto. KW.
Uns war weniger nach Reinigung als nach einer Zufuhr von Nahrungsmitteln. Und so ließen wir uns in einem traditionsreichen Café nieder und verspeisten mit Hochgenuss das typische Granita, eine besonders wasserreiche und kalte Form von italienischem Eis.
Der Arethusabrunnen zeigt die Verwandlung der verfolgten Nymphe in eine Quelle. Foto: KW.
Danach diskutierten wir, wie’s weitergehen sollte. Ich hatte vor vielen Jahren die phantastische Münzsammlung gesehen, die in Syrakus liegt. Sie war damals gut versteckt. Man musste schon wissen, dass es in der Soprintendenza einen kleinen Raum gab, wo die Schätze unter den strengen Augen einer freundlichen Carabiniera bewundert werden konnten, um diesen Raum dann auch zu finden. Damals fragte ich mich durch. Und als ich die Schatzkammer betreten hatte, fielen mir die Augen heraus. Ich darf mich selbst zitieren. 1998 veröffentlichte ich einen Artikel über das Münzkabinett von Syrakus: „Etwa 3000 Münzen, alles nur vom Feinsten, sind ausgestellt. Was soll man aufführen? Die über 20 perfekten syrakusanischen Dekadrachmen von allen griechischen Stempelschneidern mit Rang und Namen? Die Tetradrachmen von Naxos, Katane und Kamarina (natürlich nur vorzüglich und besser)? Die unzähligen Kleinmünzen, die ich in meinem ganzen Numismatikerdasein noch nie oder höchstens einmal gesehen habe? Die ersten drei Säle sind den einzelnen sizilischen Städten gewidmet und geben einen Überblick zur gesamten Münzprägung Siziliens. Im vierten Saal befindet sich die Sammlung des Marchesi Enrico Gagliardi und seiner Frau Maria Teresa. Dort findet man Prunkstücke aus dem gesamten Gebiet der Magna Graecia. Ein weiterer Saal ist der römischen, byzantinischen, mittelalterlichen und modernen Münzprägung auf Syrakus gewidmet. Richtig verblüfft ist man aber erst in den zwei Sälen, die den Münzfunden gewidmet sind. Die unzähligen Statere nach korinthischem Münzfuß waren wir ja schon von Reggio gewohnt, aber in Syrakus gibt es auch Funde aus klassischer Zeit, unter anderem einen, der neben der berühmten Frontaldarstellung der Quellnymphe Syrakus durch Kimon (nachgeahmt später zum Beispiel auf Münzen Larissas) und der Frontaldarstellung der Athena mit Helm von Eukleidas, die beiden Frontaldarstellungen des Apollon auf Münzen von Katane enthielt.“
Inzwischen, so hatten wir gehört, soll die Sammlung gut zugänglich im archäologischen Museum von Syrakus liegen. Also, auf ins archäologische Museum!
Apollontempel. Foto: KW.
Wir gingen vorbei an dem Apollontempel, der zu den frühesten Großtempeln auf Sizilien gehört. Er wurde um 570 erbaut und ebenfalls in eine christliche Kirche umgewandelt, die man aber dann zur Kaserne machte, so dass die Strukturen nicht so gut erhalten sind, wie im Athenatempel.
Syrakus, Agathokles, 317-289. 25 Litrae, ca. 310-305. Aus Auktion Gorny & Mosch 203 (2012), 73.
Es gibt natürlich auch syrakusanische Münzen mit dem Bild des Apollon, aber dieses Motiv wird relativ selten verwendet. Athena und Arethusa drängen diesen Gott in die Ecke – zumindest in der syrakusanischen Münzprägung.
Eingang in das Münzkabinett. Foto: KW.
Man geht etwa eine halbe Stunde von der Innenstadt bis ins archäologische Museum. Es ist nicht gerade ein schöner Weg, entlang der ziemlich belebten Straßen. Wir kamen verschwitzt und müde an – und dennoch voller Vorfreude auf die Münzsammlung. Doch die Enttäuschung war bitter. Nein, man könne nicht ins Münzkabinett, das sei seit etwa einer halben Stunde geschlossen. Ich gebe zu, ich habe Erfahrung mit dem Wort „Chiuso“ in Italien. Normalerweise heißt das, dass es im Museum zu wenig (oder lustloses) Personal gibt, das die Säle schließt, für die sich – zumindest in den Augen der Verantwortlichen – eh niemand interessiert. Die Numismatik gehört da immer dazu. Wenn man also ein wenig charmant und SEHR beharrlich insistiert, dass man zu gerne die Sammlung sehen würde, extra deswegen angereist sei, und doch bitte, bitte nur ein kleines Minütchen in den verschlossenen Saal gelassen werden möchte, dann hat man eigentlich eine gute Chance – wenn die Bitte demütig genug vorgetragen wird. Ich insistierte also, höflich, demütig und ausdauernd. Und die Dame an der Eingangskontrolle war reizend. Sie setzte alle Hebel in Bewegung, nur leider bewegte sich nichts. Irgendwann stand ich in der Mitte von fünf verschiedenen Museumsangestellten, darunter die Numismatikerin des Hauses. Sie alle erklärten mir, dass sie leider gar nichts tun könnten. Weil nämlich die Sammlung verschlossen sei. Den Schlüssel habe ein Rentner. Der würde freundlicherweise jeden Vormittag die Sammlung aufschließen und auf Besucher warten. Aber der sei nun nach hause gegangen. Und niemand im ganzen Haus habe jetzt die Möglichkeit, die Sammlung aufzuschließen. Aber ich sei ja Numismatikerin, kein Problem, da solle ich doch nächstes Jahr vorbei schauen, wenn der Kongress in Messina stattfindet. Ah, ja. Und wenn ich nicht so lange warten wolle, dann solle ich doch einfach morgen Vormittag vorbeikommen. Da sei sicher jemand in der Sammlung. Also, morgen auf jeden Fall!
Wir waren ziemlich genervt. Das Museum interessierte uns keine Spur mehr. Also gingen wir.
Die Törtchen des Alfio Neri. Foto: KW
Was unsere gute Laune rettete, war die beste Pasticceria von ganz Syrakus, wenn nicht von ganz Sizilien. Ein paar Dutzend Meter entfernt, in einer sehr unromantischen Nebenstraße fand sich ein kleines Lädchen mit einer phänomenalen Auswahl an Törtchen und Torten. Sollte Sie jemals ein Kummer quälen, sollte Sie die Freundin verlassen haben oder die Münzsammlung auch für Sie versperrt sein, die Törtchen von Alfio Neri, Via Pausania 3 geben Ihnen Ihre gute Laune zurück!
Wir waren nicht bescheiden beim Einkauf. Es war echtes Frustfressen. Aber danach ging es uns besser. Wir beschlossen, den Tag in der archäologischen Grabung von Syrakus zu beschließen, und dann eben morgen Vormittag noch einmal ins Museum zu gehen. Wir hatten ja – im Gegensatz zu Bustouristen – die Möglichkeit, selbst zu planen. Und das würden wir nutzen, um morgen die Münzen zu sehen.
Der Busparkplatz der archäologischen Grabung. Foto: KW.
Die archäologische Grabung war gleich um die Ecke. Nur wo es die Tickets gab, das war eines der vielen Rätsel des Landes. Wir fanden den Schalter, weil wir uns nach typisch deutscher Manier exakt nach den Schildern richteten, so unwahrscheinlich ihre Richtung auch sein mochte. Die Ticketbude lag nämlich weit abseits und entfernt von der Grabung, hinter einer unendlichen Reihe von Souvenirläden, deren Ware nicht dazu taugte, uns auch nur in Versuchung zu führen.
Altar Hierons II. Foto: KW.
Bewaffnet mit den Tickets gingen wir eine gute Viertelstunde zur eigentlichen Grabung. Entgegen kamen uns in allen Sprachen lauthals schimpfende Touristen, die gerade eben entdeckt hatten, dass sie die Eintrittskarten nicht bei der Grabung kaufen konnten. Wir passierten den gewaltigen Altar Hierons II., der einstmals die wirklich gigantische Länge von exakt einem Stadion gehabt haben soll. Heute stehen von ihm allerdings nur noch die Grundmauern, weil man ihn im 16. Jahrhundert als Steinbruch für die spanischen Befestigungsanlagen benutzt hatte.
Das Theater – ziemlich verunstaltet. Foto: KW.
Danach besuchten wir das berühmte griechische Theater aus dem 5. Jahrhundert v. Chr., das sicher hübscher aussieht, wenn es nicht gerade zur Event Location umgebaut wird.
So genannte Gräberstraße. Foto: KW.
Darüber liegt ein Bezirk mit zahlreichen ziemlich unspektakulären Grabkammern. Etwas beeindruckender ist die so genannte Gräberstraße, deren tiefe Rillen aber aus spanischer Zeit stammen sollen, als hier eine Wassermühle ihren Dienst tat.
Das Ohr des Dionysios. Foto: KW.
Zeitgleich mit drei weiteren Touristengruppen besichtigten auch wir das Ohr des Dionysios, und kamen in den ziemlich zweifelhaften Genuss einer Gesangseinlage eines sich für Caruso haltenden Reiseleiters, der nur leider übersehen hatte, dass die spezielle Akustik des Orts, die jedes Geräusch – auch die falsch gesungenen Töne – um das 42fache verstärkt, nicht für seine laute Stimme geeignet war.
Die Latomien. Foto: KW.
Wir flohen in die Latomien und fanden dort tatsächlich einen ruhigen Ort, wo wir die Atmosphäre ein wenig auf uns wirken lassen konnten. Immerhin, hier endete die berühmt-berüchtigte Expedition der Athener nach Syrakus…
Sie erinnern sich an das Hilfegesuch der Segestaner, mit dem sie die Athener um Hilfe gegen das feindliche Syrakus baten? Wir haben bei unserem Besuch von Segesta davon erzählt. Nun, die Athener kämpften damals im 5. Jahr den Peloponnesischen Krieg mit Sparta. Sie hielten es für eine gute Idee, Sizilien zu erobern, um dann mit diesen Ressourcen im Hintergrund, Sparta in die Knie zu zwingen. Alkibiades wurde zum Feldherrn bestimmt, aber in letzter Sekunde wegen des Hermenfrevels durch Nikias ersetzt, der sich von Anfang an vehement gegen den Feldzug gewehrt hatte. Das erste Jahr der Kampagne brachte keine Ergebnisse, so dass sich die Athener im Frühjahr 414 für eine Belagerung von Syrakus entschieden. Die scheiterte. Die Spartaner hatten ein Entsatzheer geschickt, die Korinther eine kleine Flotte, und so kam es zum Desaster. Den Athenern gelang es nicht einmal mehr, sich geordnet zurückzuziehen. Ihr riesiges Heer wurde bei der Flucht gestellt und Tausende getötet. Die 7.000 Überlebenden sperrte man in den damals unterirdischen Steinbruch von Syrakus, der jetzt, eingestürzt, in einen so malerischen Garten umgewandelt ist. Wer noch arbeitsfähig war, wurde als Sklave verkauft. Die anderen starben unter kläglichsten Bedingungen im Dunkeln, ohne das Licht des Tages wieder zu sehen.
Das Amphitheater. Foto: KW.
Wir retteten uns vor dem Verdursten, indem wir uns am Ausgang einen wunderbaren, frisch gepressten Orangensaft gönnten. So gestärkt, schleppten wir uns weiter zum Amphitheater aus römischer Zeit. Es war übrigens einer der größten Bauten dieser Art im Imperium Romanum. Hier also verbrachten die Syrakusaner mit Vorliebe ihre Freizeit, indem sie beim Abschlachten von Tieren und Gladiatoren zusahen.
San Nicolò dei Cordari. Foto: KW.
Unser letzter Blick galt der Kirche St. Nikolaus der Seiler, deren Name darauf hinweist, dass es hier noch im 19. Jahrhundert ein blühendes Seilergewerbe gab. Wegen der hohen Luftfeuchtigkeit, die in den Grotten herrschte, war die Hanfverarbeitung darin besonders leicht zu bewerkstelligen. So gibt es immer noch eine Seilergrotte, die allerdings schon seit fast 30 Jahren für das Publikum wegen Gefahr von Steinschlag gesperrt ist.
Gut, stattdessen hat man von den gepflasterten Wegen aus – in die Kirche hinein kann man natürlich nicht – einen schönen Blick auf die Wasserbehälter unter der Seilerkirche, die einst dazu dienten, das Amphitheater zu fluten, um auch mal eine so richtig schöne Seeschlacht bieten zu können.
Das war’s. Wir waren müde. Wir wankten in Richtung Auto und hatten genug für einen Tag. Und morgen, ja morgen, da würden wir die Münzsammlung von Syrakus sehen.
Freitag, 25. April 2014
Das Museum hatte noch kaum geöffnet, da standen wir schon eifrig da, voller Vorfreude auf die Sammlung. Ach ja. Die vielen hilfreichen Seelen, die am Vortag versprochen hatten, heute könnten wir die Sammlung sehen, mussten erneut bedauern. Es sei halt heute ein Feiertag, und da würde der Rentner nicht kommen, um den Raum aufzusperren. Es täte ihnen schrecklich leid, aber da könnten sie halt nichts machen. Wir wüssten ja, nur der Rentner habe den Schlüssel, um aufzusperren. Aber morgen, morgen, da könnten wir die Sammlung sehen.
Nun, morgen mussten wir um die Mittagszeit in Palermo das Auto zurückgeben. Da das Museum erst um 9.30 öffnete, war es zeitlich unmöglich, den Besuch des Münzkabinetts einzuschieben, was ein hilfreicher Kustos nicht einsah. Die Lösung sei doch ganz einfach. Wir sollten uns vor der Ankunft in Palermo einfach die Hände schmutzig machen und dann den Leuten von der Autovermietung sagen, uns sei auf dem Weg ein Reifen geplatzt, und deshalb seien wir zu spät mit der Abgabe dran… Was wir mit dem intakten Reifen machen sollten, das sagte der hilfreiche Wärter nicht.
So kam es, dass wir die Münzsammlung von Syrakus nicht zu Gesicht bekamen. Und wenn sich irgendwer in Syrakus jemals wundern sollte, dass so wenige Leute die einzigartige Sammlung besuchen, dann könnte er oder sie sich doch einmal überlegen, ob es wirklich Sinn macht, die Sammlung nur für wenige Stunden an einigen Tagen zu öffnen.
Aber das fällt uns ja immer wieder in Museen auf: Die wenigsten sind auf die Bedürfnisse der Besucher zugeschnitten. Kunststück, die kommen ja auch nur einmal alle heiligen Zeiten und haben keine Lobby. Die Verantwortlichen dagegen können sich in ihrem Museum genauso einrichten, wie es ihnen bequem ist. Und wenn dafür die Bedürfnisse der Besucher auf der Strecke bleiben, wen interessiert’s?
In der nächsten Folge von „Blühendes Sizilien“ verbringen wir noch einige Zeit in Syrakus, ehe wir nach Palermo aufbrechen.
Sie finden hier alle Teile der Reihe „Blühendes Sizilien“.