von Ursula Kampmann
18. Februar 2016 – Es kommt mal wieder ganz bescheiden daher, das neue Büchlein aus der Feder von Niklot Klüßendorf. Als Band 31 der Schriften des Hessischen Staatsarchivs Marburg tarnt sich die geldgeschichtliche Grundlagenarbeit. Und es handelt sich wirklich um eine Grundlagenarbeit, denn wir haben außer diesem Büchlein kaum Nachricht darüber, wie aus Objekten des täglichen Zahlungsverkehrs Sammelobjekte werden.
Niklot Klüßendorf, Das Notgeld der Stadt Melsungen seit 1917. „Behelf“ und „Ware“ als zwei Seiten der Medaille. Schriften des Hessischen Staatsarchivs Marburg, Bd. 31. Marburg 2016. 94 S., 14 teils farbige Abbildungen, broschiert. ISBN 978-3-88964-216-5. 16 Euro.
Basis ist die Archivarbeit. Viele Stunden muss der Autor im Archiv gesessen haben, um all die Quellen zu sammeln, anhand derer er exemplarisch die Geschichte des Notgelds der Stadt Melsungen erzählt. Er berichtet von der großen Notlage der Bevölkerung und davon, dass die Reichsbank nicht mehr schnell genug Geld drucken konnte, um Unterstützungen an die Bedürftigen in der Provinz auszuzahlen. Er erzählt von couragierten Bürgermeistern, die Notgeld in Auftrag gaben, um wenigstens den alltäglichen Zahlungsverkehr aufrecht zu erhalten. Unglaublich, dass in so einer Zeit sogar noch ein Streit um Urheberrechte ausgefochten wurde. Kurz, Niklot Klüßendorf rekonstruiert all die kleinen und großen Entscheidungen, Ereignisse und Umstände, die mit dem Notgeld für einen einzigen, nur rund 32.000 Einwohner umfassenden Kreis zusammenhängen.
Man sollte bei der Lektüre also immer mitdenken, dass Ähnliches wohl in Hunderten von Städten geschah. Dass Melsungen nur ein Beispiel für all die Probleme ist, mit denen eine Bevölkerung zu kämpfen hat, deren Zentralbank nicht mehr in der Lage ist, sie mit Geld zu versorgen.
Das Notgeld aus Melsungen in seinen verschiedenen Formen.
Und aus den Akten geht dann auch schnell hervor, dass der Mensch sich nicht verändert hat in all den Jahren. Denn das Notgeld entwickelte sich sofort zum Sammler- und Spekulationsobjekt. Die Aufsichtsbehörden in den Einzelstaaten sahen das gar nicht gerne. Sie versuchten, per Erlass den Verkauf zu unterbinden. Aber spätestens seit Mai 1918 wurde die Verordnung aufgeweicht. Erst gab es eine Ausnahmeregelung für öffentliche Sammlungen. Und nach dem Ende des ersten Weltkriegs kümmerte sich niemand mehr darum.
Denn jetzt hagelte es geradezu Anfragen. Niklot Klüßendorf hat sie sich alle angesehen und aufgelistet. Das zu lesen ist vergnüglich, denn es zeugt vom Menschlich-Allzumenschlichen. Da bittet das Stadt-Kammeramt von Hall in Tirol, man möge ihm Stücke für seine gemeinnützige Sammlung (kostenlos) überlassen. Die Stadt Gummersbach möchte gleich sieben Sätze des Notgelds für die Sammlung und schickt den größten Teil davon entsetzt zurück, als sie 57,80 Mark dafür zahlen soll. Der Regierungspräsident in Kassel verwendet sich persönlich für den Hanauer Geschichtsverein, der sich (kostenlose) Scheine für seine Sammlung wünscht. Und aus Dortmund fragt ein Sammler im Auftrag des dortigen Kunst- und Gewerbemuseums nach den Konditionen für die Lieferung nach Scheinen. Dem Museum waren sie wohl zu teuer, denn die Rechnung geht an den Sammler (und die Scheine wahrscheinlich trotzdem ins Museum – aber das wissen wir nicht).
Auch die Sammler waren phantasievoll, wenn es darum ging, die Melsunger Behörden zu überzeugen, ihnen Notgeld natürlich gegen Rechnung zuzuschicken. So stellte einer in Aussicht sich für die Zusendung der Münzen und Scheine mit einem der „berühmten Bamberger Lebkuchen“ zu bedanken.
Und natürlich schrieben auch die Händler die Gemeinden an. Nicht nur die etablierten Häuser. Der entstehende Markt hatte eine ganze Reihe von kurzlebigen Firmen hervorgebracht. Dazu gehörte ein Händler namens Kittel, dem es im Mai 1923 gelang, die Restauflage der gesamten Notgeldbestände Melsungens zu erwerben. Ob er daran verdient hat? Kittel kaufte kurz vor der großen Entwertung, die aus den 7.551 Mark, die eine Goldmark am 2. Mai wert war, 57.646.000 Mark am 1. Oktober machte.
Denn, so vergnüglich das Büchlein von Niklot Klüßendorf zu lesen ist, den bitteren Hintergrund darf man bei der Lektüre nie vergessen. Die Bürger von Melsungen hatten in der Inflation ihre gesamten Ersparnisse verloren. 2.4 Millionen Markt hatten sie während des Ersten Weltkriegs bei der Städtischen Sparkasse in Kriegsanleihen angelegt, was damals als eine so sichere Anlageform galt, dass die Sparkasse selbst einen Großteil der bei ihr angelegten Kundengelder in Höhe von 6,5 Millionen Mark in Kriegsanleihen investierte. Nach der Umstellung auf Rentenmark waren diese Millionen gerade noch 211 Rentenmark wert.
Es lohnt sich, die drei Stunden zu investieren, um Niklot Klüßendorfs neuestes Büchlein zu lesen. Nach der Lektüre hat man viel gelernt, über Bürokratie – ihre Grenzen und Chancen, über Sammler, Händler und Museen, über Menschen und Geld. Wie gesagt, ich glaube nicht, dass Sie nach der Lektüre dieses Büchleins einen Notgeldschein mit den gleichen Augen ansehen wie vorher.