Dorothea von Sachsen (1591-1617), Schwester des sächsischen Kurfürsten Christians II. und seit 1610 Äbtissin des Stifts Quedlinburg, lebte lieber in der Residenzstadt Dresden als im provinziellen Quedlinburg. Doch natürlich ließ sie es sich nicht nehmen, vom 31. Oktober bis zum 2. November 1617 die Feierlichkeiten anlässlich des Reformationsjubiläums persönlich in ihrem kleinen Herrschaftsbezirk zu leiten. Was uns heute, 500 Jahre und vier Reformationsjubiläen später, wie eine Selbstverständlichkeit anmutet, war damals eine Sensation. Es war nämlich das erste Mal, dass überhaupt ein Reformationsjubiläum stattfand.
Bonifatius III. ruft das erste heilige Jahr aus. Zeitgenössische Darstellung von Giotto aus der Lateransbasilika.
Was ist ein Jubiläum?
Jubiläum, „festlich begangener Jahrestag eines bestimmten Ereignisses“, so definiert der Duden heute das Wort. Doch die ursprüngliche Bedeutung war eine ganz andere. Sie hatte einen religiösen Beigeschmack und erinnerte an das alttestamentarische Jubeljahr, das die Päpste in das „Heilige Jahr“ umgeformt hatten. Seit 1300 ruft der Papst erst im Abstand von 100, später von 25 Jahren regelmäßig ein „Heiliges Jahr“ aus, das mit einem ganz besonderen Ablass der Sünden verbunden ist.
Luther schlägt die 95 Thesen an die Kirchentür von Wittenberg. Historistisches Gemälde von Ferdinand Pauweis (1830-1904).
Das „Heilige Jahr“ der Protestanten
Theologen der Universität von Wittenberg übertrugen dieses katholische Konzept auf protestantische Verhältnisse. Sie fragten am 27. März 1617 bei der obersten sächsischen Kirchenbehörde an, ob sie am 31. Oktober 1617, dem Datum an dem Luther gemäß protestantischer Tradition seine Thesen an der Schlosskirche von Wittenberg angeschlagen haben soll, ein „primus Jubilaeus christianus“, also ein erstes christliches Jubiläum, feiern dürften. Sie durften. Und noch mehr.
Christian II. von Sachsen (1583-1611). Gemälde von Zacharias Wehme in den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden.
Der politische Aspekt
Der sächsische Kurfürst fand diese Idee so bestrickend, dass er sie für sich selbst übernahm. Für alle Kirchen des protestantischen Sachsens wurde so ein Jubiläum angeordnet. Dafür arbeiteten die kirchlichen Ratgeber des Herrschers einen detaillierten Ablaufplan aus, der sich über drei Tage erstreckte und aus mehreren festlichen Gottesdiensten bestand.
Damit hoffte Christian II., seine schwindende Reputation als Führer der evangelischen Stände wiederherzustellen. Durch seine enge Zusammenarbeit mit dem (katholischen) Kaiser hatte er nämlich an Glaubwürdigkeit eingebüßt. Indem er seine eigene Jubiläumsanordnung an alle protestantischen Stände schickte und zur Nachahmung empfahl, gewann er gegenüber der calvinistischen Kurpfalz, die mit Sachsen in der evangelischen Welt um die Vorherrschaft konkurrierte, an Bedeutung zurück.
Quedlinburg. Dorothea von Sachsen, 1610-1617. 8 Dukaten 1617, Quedlinburg. Sehr selten. Sehr schön. Taxe: 25.000 Euro. Aus Auktion Künker 294 (2017), Nr. 3732.
Die folgsame Schwester
Natürlich unterstützte Dorothea von Sachsen ihren Bruder in seiner Politik. Auch sie ordnete in dem von ihr kontrollierten Stift Quedlinburg das dreitägige Reformationsjubiläum nach sächsischem Vorbild an. Und sie ließ wohl aus diesem Anlass eine Reihe von prachtvollen Gedenkmünzen herstellen, zu denen das in der Juni-Auktion 2017 von Künker unter Losnummer 3732 angebotene Stück gehört.
Münzen wie diese wurden in der frühen Neuzeit zu vielen wichtigen Festen herausgegeben. Es handelt sich um diplomatische Geschenke, wie man sie an befreundete und verbündete Fürstenhöfe schickte. Deshalb prägte man sie in unterschiedlichsten Nominalen, die man je nach Bedeutung des Beschenkten versandte. Wir kennen von den zwei Vorder- und dem einen Rückseitenstempel, die für diese Festemission geschnitten wurden, goldene Abschläge im Gewicht von 10, 8 1/2 und 8 Dukaten, sowie doppelte und einfache Taler.
Die Vorderseite zeigt das große Familienwappen der Äbtissin. Die Rückseite ist für ein Reformationsjubiläum überraschend. Man hätte eine Abbildung Martin Luthers oder einen ikonographischen Hinweis auf sein Werk erwartet. Stattdessen präsentiert die Prägung der Quedlinburger Äbtissin Dorothea Heinrich I., deutscher König von 919 bis 936.
Quedlinburger Schloss mit Stiftskirche. Foto: A. Preussler / CC BY-SA 3.0.
Heinrich I. und Quedlinburg
Heinrich trägt den Herrschermantel und die Krone. Er hält das Reichsschwert und den Reichsapfel. Rechts und links von ihm sehen wir die Kirchengebäude Quedlinburgs. Im Feld lesen wir seine Lebensdaten: Geboren 876, gestorben 936. Die Umschrift lautet – in Übersetzung – König Heinrich von Gottes Gnaden Kaiser der Römer, Herzog der Sachsen, Gründer der Abtei von Quedlinburg.
Und genau dies ist der Grund, warum Dorothea so eine ungewöhnliche Darstellung für ihre Münzen wählte. Heinrich der Vogler aus dem Geschlecht der Liudolfinger war Herzog von Sachsen, ehe er 919 zum deutschen König erhoben wurde und damit das Herrschergeschlecht der Ottonen an die Macht brachte. Dorothea wies mit dieser Darstellung also auf die immense Bedeutung des sächsischen Herzogs für die Geschicke des Reichs hin und bemäntelte dies mit der Tatsache, dass Heinrich in Quedlinburg begraben lag und als Gründer des Stifts galt.
Dorothea von Sachsen starb nur zwei Wochen, nachdem sie in Quedlinburg das Reformationsfest gefeiert hatte. Ihr folgte eine weitere Dorothea ins Amt der Äbtissin, Dorothea Sophie, Tochter des Herzogs Friedrich Wilhelm von Sachsen-Altenburg.
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