Die Zukunft von Cash

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von Ursula Kampmann

In den 80er Jahren gab es im Bayerischen Rundfunk eine Krimiserie über den letzten Detektiv Jonas, der mit seinem Supercomputer Sam in der damals weit entfernten Welt von 2009 die schwierigsten Fälle löste – und dabei vollelektronisch mit Euros und Cent zahlte, und das zu einer Zeit, als die EU noch EG hieß und deren Politiker über die Einführung des ECU verhandelten. In Sachen Computer und Euro würde sich der letzte Detektiv im Europa von heute sehr wohl fühlen. Völlig verblüfft wäre er dagegen, dass sich das Ende des Bargelds weit nach hinten verschoben hat, dass sich im Gegenteil fast alle Münzstätten darüber freuen können, dass die Zentralbanken immer mehr Münzen von ihnen verlangen.

Diese Erscheinung ist nicht das, was Zukunftsforscher erwartet haben. Sie gingen davon aus, dass bequeme Zahlungsmittel wie Kredit- und Cash-Karte relativ schnell das alte Bargeld ersetzen würden. Um den Widerspruch zwischen dem Erwarteten und dem Eingetroffenen aufzuklären, hat die Niederländische Zentralbank kürzlich eine Studie durchgeführt, die sich mit den psychologischen Hintergründen der verschiedenen Zahlungsmethoden beschäftigt.
Das Ergebnis dürfte eigentlich niemanden überraschen. Man stellte fest, dass sowohl ältere als auch jüngere Menschen sich gerne beide Zahlungsoptionen offen hielten: Sie nahmen Bargeld und Kreditkarte zum Einkaufen mit. Welches Zahlungsmittel sie benutzten, hing von der Höhe der Summe ab, die zu bezahlen war. Dabei tendierten Menschen mit einem finanziell schwächeren Hintergrund eher dazu, beim Bargeld zu bleiben. Kein Wunder, sie fürchteten den leichten Kontrollverlust, den die zeitversetzte Abbuchung vom Konto mit sich bringt.
Werbung oder negative Schlagzeilen über Phishing beeinflusste die Wahl zwischen Bargeld und Kreditkarte durchschnittlich nicht mehr als 24 Stunden! Daraus kann man schließen, dass die Entscheidung, wie man zahlt, eher durch Gewohnheit als durch den Verstand gesteuert ist.

Das große Verdienst der Studie liegt vor allem darin, dass man – statt sich dauernd auf die technischen Möglichkeiten zu konzentrieren – die Akteure in den Mittelpunkt gestellt hat. Und vielleicht gibt das die Richtung an, um einmal einen neuen Gedankenweg zu gehen: Sich die Interessen der Akteure des Zahlungsmarktes anzusehen, um so abzuschätzen, in welche Richtung die Bewegung geht.

Der Staat als Akteur
Im Zentrum aller Überlegungen muss dabei der Staat und seine Interessen stehen. Dabei kann man vor allem in zwei Richtungen denken: Die Bemühungen des Staates, die finanziellen Transaktionen seiner Bürger durchschaubarer zu machen und Kosten zu sparen.

Gesetzliche Maßnahmen gegen Barzahlung:
Italien war das erste Land in Europa, dass die Barzahlung von mehr als 1.000 Euro vollständig verboten hat. In Spanien dürfen Inländer seit dem 19. November 2012 nur noch maximal 2.500 Euro in bar zahlen. Für Touristen gelten Sonderkonditionen. Auch in Griechenland hat man über Verbote diskutiert.
Die Tendenz ist klar zu erkennen. Die staatliche Überwachung von Einkommen und Ausgaben der Bürger soll engmaschiger werden, um Steuersünder leichter zu finden. Hier mag es deshalb in absehbarer Zukunft gesetzliche Veränderungen geben, die die Produktion der hohen Banknotenwerte beeinflussen. Doch zum einen ist das für die Münzproduktion nicht von Belang, zum anderen verbietet der Staat damit sowieso nur etwas, das eher ungewöhnlich geworden ist, das Zahlen von hohen Summen mit Bargeld.

Sparmaßnahmen bei der Münzprägung:
Eine der häufigsten Meldungen der vergangenen Monate war, dass wieder ein Staat seine kleinste Münzeinheit abgeschafft hat, oder zumindest darüber nachdenkt. Die Produktionskosten sind bei den aktuellen Metallpreisen enorm hoch, und die Bevölkerung scheint die Kleinstnominale zwar gerne zu nehmen, aber sie nicht wieder in den nationalen Geldumlauf einzuspeisen. In den industrialisierten Ländern dürfte es nur mehr eine Frage der Zeit sein, bis sie ganz verschwunden sein werden.
Nun stellen die Kleinstnominale aber einen wesentlichen Teil der Produktion dar. Allein in Deutschland wurden – zum Beispiel im Jahr 2011 – mehr als eine Milliarde 1- und 2-Cent-Stücke geprägt, während von allen restlichen Nominalen zusammen gerade einmal 580 Millionen Stücke geprägt wurden. Es dürfte also einen erheblichen Einbruch an Prägevolumen kommen, wenn diese Münzen wegfallen.
Doch Europa ist nur ein kleines Licht, wenn es um den jährlichen Münzbedarf geht. Die Veranstalter des Workshops „The Anatomy of the ideal Coin“ rechneten für den gesamten Euro-Raum mit einer jährlichen Neuproduktion von 4 Milliarden Münzen für ca. 500 Mio. Einwohner, während allein der Subkontinent Indien mit seinen 1,2 Milliarden Einwohnern 6,7 Milliarden und China mit 1,5 Milliarden Einwohnern etwa 9 Milliarden Münzen bräuchte – Tendenz steigend. Denn geht man davon aus, dass beide Nationen – wie ich vielen anderen Schwellenländern – noch nicht den vollen Grad an Urbanität erreicht haben, wird allein hier der Münzbedarf in den kommenden Jahren derart steigen, dass er die Einbrüche in der Eurozone leicht wettmacht.
Nur ein Vergleich, Japan hat mit „nur“ 126 Millionen Einwohnern, aber einer Bevölkerungsdichte von 337 Einwohnern pro Quadratkilometern einen Münzbedarf von 3,5 Milliarden Stück – fast so viel wie in der gesamten Eurozone, bei der allerdings die Einwohnerdichte bei 116 Einwohnern pro Quadratkilometer liegt. Noch spektakulärer wird das, wenn man an die 7 Millionen Einwohner von Hongkong denkt, für die für 2012 225 Millionen Münzen gebraucht wurden – bei einer Einwohnerdichte von fast 6.400 Einwohnern pro Quadratkilometern. Mit anderen Worten, während im dicht besiedelten Hongkong pro Einwohner 32 Münzen geprägt werden müssen, reichen in Japan 10, in der EU 8, in Indien derzeit gar 6. Der Münzbedarf scheint also eng an die Urbanität gebunden zu sein, und dass diese in den nächsten Jahren deutlich zunehmen wird, dürfte unbestreitbar sein.
Nimmt man jetzt noch die Tatsache dazu, dass derzeit in vielen Ländern aus Kostengründen über die Ablösung der niedrigsten Banknotenwerte durch Münzen diskutiert wird, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass staatliche Entscheidungen vielleicht Einfluss haben auf die Produktionszahlen einzelner Münzstätten, aber keine einschneidenden Auswirkungen auf die Gesamtzahl der produzierten Münzen.

Die nationale Frage:
Die Frage nach der Verbindung zwischen eigener Münzprägung und Nationalstolz kann hier nur kurz angerissen werden. Während in Europa aus wirtschaftlichen Gründen nationale Eitelkeiten leichten Herzens beiseite gelegt werden – man denke an das Ende der schwedischen Münzprägung auf schwedischem Boden nach knapp 1.000 Jahren im Jahr 2001, ist in anderen Teilen der Welt eher eine Zunahme der Betonung einer nationalen Identität zu spüren. Es fragt sich, in wie weit dies zu einer Zunahme nationaler Münzstätten führen könnte, die den jetzt schon engen Markt für die Münzprägung noch enger macht.

Die Lehre von Sandy:
Können Sie sich noch an Sandy erinnern? Der Hurrikan, der zu Überschwemmungen und Stromausfällen führte, legte das öffentliche Leben in der Metropole New York vollständig lahm. Und er zeigte, wie nutzlos Kreditkarten und Goldreserven sind, wenn eine Naturkatastrophe die Technik – auch nur für kurze Zeit – ausschaltet. Es sollte also im Interesse jeder verantwortungsvollen Regierung liegen, eine Alternative zu Zahlungssystemen bereitzuhalten, die leicht Opfer der Naturgewalten, aber auch von Terroristen sein könnten.

Fassen wir die Ergebnisse kurz zusammen: Weltweit haben Regierungen derzeit kein Interesse daran, das Zahlen mit und das Prägung von Münzen vollständig abzuschaffen. Auch wenn es in den meisten großen Industrienationen zu einem Wegfall der kleinen Nominale und damit zu einem erheblichen Prägevolumen kommen wird, dürfte das durch die weltweite Zunahme der Urbanität bei weitem ausgeglichen werden.

Die Wirtschaft
Man möchte meinen, dass es mittlerweile die Wirtschaft ist, die jede Entwicklung im Zahlungsverkehr treibt. Während die Banken im Zahlungswesen wie unbewegliche Dinosaurier ruhig vor sich hinexistieren, haben vor allem die großen Internet-Konzerne und Telefongesellschaften die Überweisung für sich entdeckt.
Doch es bleiben zwei grundlegende Interessenskonflikte: Der Händler, der eine Zahlung entgegennimmt, möchte möglichst wenig dafür bezahlen. Und das Unternehmen, das die Zahlung übermittelt, möchte möglichst viel daran verdienen.
Folglich werden sich lediglich die Händler, die nicht anders können, für neue, teurere Zahlungssysteme öffnen. Gerade im Kleinhandel liegt der Sachverhalt diametral entgegengesetzt. Nun ist es aber traditionell der Kleinhandel, in dem vor allem Münzen benutzt werden, was vielleicht der Grund dafür ist, dass Kredit- und Cash-Karte im täglichen Leben die Münze nicht in dem Maß verdrängt haben, wie man sich das in den 80er Jahren vorgestellt hatte.
Neue Zahlungssystem scheinen die alten nicht zu verdrängen – jedenfalls nicht in einem bedrohlichen Maße, sondern sich eher dort zu etablieren, wo eine neue Form des Wirtschaftsverkehrs geschaffen wurde. Paypal ist völlig unsinnig beim Zahlen im Restaurant. Es macht aber viel Sinn, wenn über nationale Grenzen hinweg kleine Summen für Käufe im Internet transferiert werden sollen. M-Pesa ist in Kenia vor allem deshalb so erfolgreich, weil es keine Alternative gibt. Würde leicht zugängliches Bargeld in ausreichendem Maße überall zur Verfügung stehen, bliebe abzuwarten, ob nicht Händler und Kunden bereitwillig auf dieses immer noch günstigste Mittel der Transaktion zurückgreifen würden.
Es ist also im Interesse des wichtigsten Umschlagplatzes für Münzen, des Kleinhandels nämlich, Bargeld weiterhin als gängiges Zahlungsmittel zu akzeptieren und seinen Einsatz zu fördern. Von Seiten der Wirtschaft ist keine Änderung zu erwarten, solange immer neue Unternehmen mit immer neuen Zahlungsmitteln die alten Gewinne erzielen wollen.

Wir: Die Nutzer
Während es in den 60er Jahren in Deutschland noch möglich war, ohne ein Bankkonto alle geschäftlichen Transaktionen eines Durchschnittbürgers durchzuführen, muss der mündige Kunde von heute aus einer Vielzahl von Zahlungssystemen wählen. Er tut dies auf die gleiche Art wie immer: Er sucht nach dem bequemsten, billigsten und überschaubarsten Weg der Zahlung.
Das bedeutet, er handelt, wie er es gewohnt ist: Im Laden zahlt er bei kleinen Summen cash, bei großen mit Kreditkarte. Rechnungen überweist er mit einer Überweisung – inzwischen gerne auch elektronisch. In der Schweiz verlangt er nach einem Einzahlungsschein und geht zur Post. Mit Paypal beschäftigt er sich höchstens, wenn er im Internet bei einem ausländischen Händler eine Kleinigkeit bestellt hat.
Das Bemerkenswerte daran ist, dass sich dieser Durchschnittsbürger von nichts aus der Ruhe zu bringen lassen scheint. Nicht einmal der NSA-Skandal hat daran etwas geändert. Im vollen Wissen dessen, dass ein Geheimdienst jeden einzelnen Kauf, für den elektronisch gezahlt wurde, rekonstruieren kann, setzen Menschen in aller Welt weiterhin ohne darüber nachzudenken ihre Kreditkarte ein.
Natürlich gibt es Unterschiede darin, wie häufig die Kreditkarte bzw. Bargeld zum Einsatz kommen. In Norwegen oder Schweden mit seiner weit verstreuten Bevölkerung wird die Kreditkarte häufiger gezückt als in Deutschland, wo das nächste Ladenzentrum, der nächste Bankautomat in der Regel höchstens 500 Meter weit entfernt ist.
Von uns Nutzern ist also keine große Eigeninitiative zu erwarten. Wir machen weiter wie wir es gewohnt sind.

Wenn wir all dies nun zusammenfassen, dürfte die logische Schlussfolgerung sein, dass es in den nächsten 10 Jahren hinsichtlich des Bargeldbedarfs wohl nationale Verschiebungen, aber keine entscheidenden Änderungen geben wird.
Hinsichtlich einer langfristige Prognose sollte man sich besser zurückhalten, denn sonst könnte es einem gehen wie denen, die Ende des 19. Jahrhunderts voraussagten, dass die Innenstädte eines Tages im Pferdemist der Droschken ersticken würden…

Mehr zur Zukunft von Cash finden Sie in unserem Archiv.