Irgendwann zwischen 1464 und 1469 wurde Erasmus in Rotterdam als der zweite Sohn eines Priesters und seiner Haushälterin geboren. Dies galt damals noch nicht als unauslöschliche Schande. Häufig wurde unehelichen Söhnen ein Dispens erteilt, der ihnen die Gleichstellung mit ehelichen Kindern ermöglichte. Viele fortschrittliche Priester hielten das Zölibat damals sowieso für unsinnig und erwarteten seine Aufhebung. Man denke nur an den Salzburger Erzbischof Wolf Dietrich von Raitenau (Fürsterzbischof von Salzburg 1587-1612), der mit seiner Lebensgefährtin Salome Alt 15 Kinder hatte und gar nicht daran dachte, seine Familie zu verstecken.
Erasmus von Rotterdam. Gemälde von Hans Holbein dem Jüngeren. Kunstmuseum Basel. Quelle: Wikipedia.
Wie auch immer, der junge Erasmus wurde von seinen Eltern sorgfältig erzogen und erhielt die beste Ausbildung, die man zur damaligen Zeit erhalten konnte. 1483 starben beide Eltern an der Pest. Erasmus musste sehen, wie er sich durchbringen konnte.
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Geschenke als Lebensgrundlage
Er entschied sich, den Augustinerchorherren beizutreten. Eine schlechte Entscheidung. Mit der Ortsansässigkeit hatte es der 1492 zum Priester geweihte Studiosus so gar nicht. Deshalb ergriff er die Chance, die sich ihm im Dienste des Bischofs von Cambrai bot. Er verließ das Kloster und reiste fortan als Privatgelehrter durch die Welt – im engen Kontakt mit hohen und höchsten Persönlichkeiten. Ob Heinrich VIII. oder Karl V., Erasmus hat sie alle als junge Männer gekannt und beeinflusst.
Erasmus konnte als Priester und Angehöriger der Augustiner keine Arbeit im traditionellen Sinn akzeptieren. Trotzdem wurde er durch seine schriftstellerische Tätigkeit reich. Natürlich erhielt er weder Tantiemen noch Vorschüsse von Verlegern. So etwas wie Urheberschutz und Copyright gab es schließlich im frühen 16. Jahrhundert noch nicht. Das System funktionierte anders: Jeder Mensch war damals in ein Netz von Geschenken und Gefälligkeiten eingespannt. Jedes Geschenk, jeder Dienst wurde nach einer absolut verbindlichen gesellschaftlichen Konvention mit einem Gegengeschenk, einer Gegenleistung beantwortet. Der Wert des Gegengeschenks war dabei fein abgestimmt nach dem Rang von Schenker und Beschenktem sowie der Bedeutung, die man einer Verbindung zumessen wollte. Schenkte ein einfacher Pfarrer seinem höher stehenden Brieffreund ein paar seltene Pflanzen für den Garten, so hatte der sich zu revanchieren. Unbedingt. Mit Geld, mit einem Buch, ja vielleicht mit einer antiken Münze.
Und natürlich konnte ein cleverer Mann – und das war Erasmus von Rotterdam – das System auch für sich nutzen, indem er hochstehenden Männern Geschenke schickte, die diese, zutiefst durch die Aufmerksamkeit des bedeutenden Schriftstellers geehrt, mit deutlich wertvolleren Gegengeschenk beantworteten.
Medaille auf Erasmus von Rotterdam, aus seinem eigenen Besitz. 1916.288. Historisches Museum Basel, Foto: A. Seiler.
Eine Medaille für Erasmus
Häufig verwendetes Geschenk war dabei eine Medaille des Erasmus mit seinem eigenen Bildnis. Ein Exemplar zeigt die Dauerausstellung des Historischen Museums Basel. Das Besondere daran ist, dieses einmalige Stück stammt nachweislich direkt aus dem Nachlass des Erasmus von Rotterdam.
Der hatte sich diese Medaille im Jahr 1519 von dem Antwerpener Künstler Quentin Massys (um 1466-1530) anfertigen lassen. Auf der Vorderseite war er selbst abgebildet mit einem schlichten Barett und einem ganz und gar nicht schlichten Pelzkragen. Eigentlich hätte ein Augustiner sich in so prachtvoller Kleidung nicht darstellen lassen können, doch Erasmus hatte 1517 einen päpstlichen Dispens erhalten, der ihn endgültig von der klösterlichen Residenzpflicht entband und ihm ein Leben als Weltgeistlicher eröffnete.
Seinen Namen ließ der Humanist bescheiden abkürzen: ER – ROT, jeder dem er die Medaille schickte, würde wissen, dass es sich um ERasmus von ROTterdam handelte. Dafür sind die beiden Inschriften in griechisch und lateinisch um so anspruchsvoller: „Zu einem lebendigen Bildnis gestaltetes Bild“ (in Latein) und „Das bessere Bild werden die Schriften zeigen“ (in Griechisch).
Auf der Rückseite finden wir das persönliche Symbol des Erasmus, den römischen Gott Terminus mit dem Motto CONCEDO NVLLI – Ich weiche niemandem. Diese Darstellung war das persönliche Symbol von Erasmus, mit dem er auch seine Briefe siegelte. Es war eine Fehlinterpretation eines Geschenkes, das er von einem unehelichen Sohn des schottischen Königs Jakobs IV. (1473-1544/5) erhalten hatte. Der gab ihm einen Ring, auf dem der griechische Gott Dionysos dargestellt war. Dieser Gott des Rausches passte nun nicht in das Konzept eines Humanisten und Priesters, so dass ihn Erasmus kurzerhand missverstand (missverstehen wollte?) und als römischen Gott Terminus deutete. Mit dieser Rückseitendarstellung erhob Erasmus also Anspruch auf nicht mehr endenden Ruhm, denn Terminus war für ihn derjenige, der den Tod bringt. Die Umschrift heißt hier „Der Tod ist die letzte Linie der Dinge“ (in Latein) und „Bedenke das Ende eines langen Lebens“ (in Griechisch).
Erasmus gehörte zu denjenigen, die das Medium der Medaille, die zwar in Italien schon bekannt, in Deutschland aber noch nicht verbreitet war, nördlich der Alpen populär machte. Ihm waren diese numismatischen Preziosen noch keine Sammelobjekte, sondern Kommunikationsmittel, die relativ billige Möglichkeit, seinen Bewunderern sein Bild zukommen zu lassen (und dafür ein Gegengeschenk in Empfang zu nehmen).
Dass es tatsächlich genau darum ging, wird deutlich, wenn man hört, dass Erasmus versuchte, Dürer zu überzeugen, von ihm einen Kupferstich anzufertigen. Dessen Abzüge wären in der Produktion noch billiger ausgefallen. Tatsächlich ausgeführt wurde eine Prägemedaille von deutlich kleinerem Durchmesser als die Gussmedaille. Auch hier waren die Herstellungskosten wesentlich geringer.
Medaille auf den polnischen König Sigismund I., aus dem Besitz des Erasmus von Rotterdam. 1893.367. Historisches Museum Basel, Foto: P. Portner.
Ein Geschenk aus Polen
Wie sahen nun die Gegengeschenke aus, die Erasmus erhielt? Ein gutes Beispiel dafür ist die Goldmedaille mit dem Porträt des polnischen Königs Sigismund, ebenfalls aus dem Besitz des Erasmus und auch in der Dauerausstellung des Historischen Museums Basel zu sehen. Sie wiegt fast 82 g, hatte also bereits einen beträchtlichen Metallwert. Großzügiger Spender war Severin Boner, Rat und Finanzexperte des polnischen Königs. Einer seiner Söhne hatte eine Zeitlang im Haushalt des Erasmus gelebt. Erasmus hatte den direkten Draht in den polnischen Hochadel weiter gesponnen, indem er seine Edition der Komödien des Terentius im März 1532 den Söhnen Boners widmete. Nun war ihm ein großzügiges Geschenk sicher.
Vater Boner schickte seine eigene Medaille (36 g Gold) und die Medaille seines Herrschers (82 g Gold) an Erasmus zusammen mit einem gedrechselten Schreiben, dass das kostbare Material, aus dem die Medaillen seien, symbolische Entsprechung fänden in der Höhe der Wertschätzung, die er für Erasmus hege. Es ist ein Zeichen, wie wichtig es Boner war, seine Großzügigkeit der Nachwelt zu überliefern, dass er auf die Rückseite der schwereren Goldmedaille eingravieren ließ: Severin Boner schickte dem Erasmus von Rotterdam das Geschenk (in Latein).
Wegen ihres hohen Werts sollte Erasmus die Medaille auch in seinem Testament ausdrücklich aufführen, um sie dem Bonifacius Amerbach zu hinterlassen: „Item 1 guldner pfennig doruff der küng vss Bolandt“ (Dazu eine goldene Münze, darauf der König von Polen).
Das Testament des Erasmus
Und damit sind wir bei den Gründen, warum die Nachlassenschaft des Erasmus von Rotterdam ausgerechnet im Historischen Museum Basel zu finden ist. Der hatte die Stadt am Rhein nämlich zu seinem Lieblingsaufenthalt gemacht. Denn in Basel hatte sich ein besonders tüchtiger Drucker niedergelassen, Johann Froben (um 1460-1527), der Erasmus in seine Heimatstadt holte.
Bonifacius Amerbach. Gemälde von Hans Holbein dem Jüngeren. Kunstmuseum Basel. Quelle: Wikipedia.
Froben hatte die Druckerei von Johannes Amerbach (um 1441-1513) übernommen, dessen Sohn Bonifacius (1495-1562) das Druckergewerbe aufgegeben hatte und an der Universität Basel Jurisprudenz lehrte. Erasmus begann den gewitzten Juristen, der über exzellente Verbindungen zu Froben verfügte, zu schätzen. Ob Amerbach Erasmus geholfen hat, im Jahr 1525 den päpstlichen Dispens zu erhalten, dass er als Priester und ehemaliger Augustiner seinen Besitz vererben durfte?
Jedenfalls setzte der große Humanist seinen Freund am 12. Februar 1536 zum Testamentsvollstrecker und Erben ein. Wenig später, am 12. Juli 1536 starb Erasmus von Rotterdam. Wie hoch ihn seine Mitmenschen schätzten, wird allein durch die Tatsache klar, dass der katholische Priester mitten in den religiösen Auseinandersetzungen der Reformation im Münster des reformierten Basel beigesetzt wurde.
Lesen Sie im zweiten Teil, was Bonifacius Amerbach im Nachlass fand und wie er das Erbe verwaltete.
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Mehr zu dem anfangs erwähnten Wolf Dietrich von Raitenau finden Sie wo? Natürlich in der MünzenWoche.