7.500 Euro, so lautete die Schätzung, die das Münchner Auktionshaus Gorny & Mosch an ein 100 Litren Stück des Dionysios von Syrakus schrieb. Eigentlich ein vernünftiger Preis für diesen Münztyp.
SYRAKUS (Sizilien). Dionysios I., 406-367. 100 Litren, 406-405 v. Chr. Signiertes Meisterwerk des Euainetos. Franke-Hirmer 46, 128 (dieses Exemplar). Vorzüglich. Aus Auktion Gorny & Mosch 190 (2010), Nr. 65. Taxe: 7.500 Euro. Endpreis: 66.700 Euro.
Die Prägungen mit der Arethusa auf der einen Seite und dem mit dem Löwen ringenden Herakles auf der anderen, die von einem der besten Stempelschneider ihrer Zeit hergestellt wurden, sind nicht gerade selten zu nennen. Sie kommen immer mal wieder in Auktionen vor. Doch dieses Stück war etwas Besonderes. Während normalerweise auf der Wange der Arethusa kleine Pockennarben zu sehen sind – man hatte den Stempel wohl länger nicht gebraucht, er war gerostet und ließ diese Spuren von Rost nun auf dem Münzbild zurück, während die Rückseite häufig einen kleinen bis kräftigeren Doppelschlag aufweist, war die bei Gorny & Mosch angebotene Prägung perfekt, was sich sofort im Preis niederschlug. Der stieg von der Schätzung auf ein Endergebnis von 66.700 Euro, fast das 10fache des Ausgangspreises.
Griechen und Karthager
Unsere Münze entstand in den letzten Jahren des 5. vorchristlichen Jahrhunderts unter der Herrschaft des berühmt-berüchtigten Tyrannen Dionysios I. von Syrakus. Damals befand sich die ganze griechische Welt in Aufruhr. Der Peloponnesische Krieg zwischen Athen und Sparta (431-404 v. Chr.) um die Vorherrschaft in Griechenland hatte längst weite Kreise gezogen. In Sizilien löste ein lokaler Konflikt, der sich eigentlich fernab der großen Machtzentren im Südwesten der Insel abspielte, eine Lawine von Ereignissen aus. Die uralte Rivalität zwischen den Städten Selinunt und Segesta nahm weltpolitische Ausmaße an, als sich Syrakus auf die Seite von Selinunt stellte – sicher nicht aus Freundschaft, sondern um in Westsizilien an Einfluß gegenüber den Karthagern zu gewinnen. Segesta hingegen stand in alter Tradition auf Seiten der Karthager und hatte schon zuvor ein Bündnis mit Athen geschlossen, so daß sich Athen „genötigt“ sah, seinem Verbündeten zu Hilfe zu eilen.
Die Quelle der Arethusa in Syrakus. Die Stadtgöttin der Insel hatte keinen prächtigen Tempel als Heiligtum, sondern ihre bescheidene Quelle. Foto: Giovanni Dall’Orto / Wikipedia.
Für Athen lief der Peloponnesische Krieg nämlich alles andere als gut, deshalb freute man sich über den Vorwand, gegen Syrakus als Feind seines Bündnispartners Segesta zu Felde ziehen zu können, hätte doch die Eroberung der reichen und mächtigen Stadt Syrakus die Machtpositionen wieder zugunsten Athens verschoben.
Doch die sizilische Expedition wurde zu einem Desaster. Die Syrakusaner vernichteten die Athener Verbände und verurteilten die Überlebenden zu Zwangsarbeit unter katastrophalen Bedingungen. So rief Segesta schließlich die Karthager zu Hilfe. Die sahen gleichfalls ihre Chance und eroberten nun eine sizilische Stadt nach der anderen.
Dionysios I.
Währenddessen hatte in Syrakus Dionysios I. die Macht übernommen. Offiziell war die Stadt damals eine Demokratie, besser gesagt, eine Oligarchie, denn die eigentliche Macht teilten wenige unter sich. Dionysios hütete sich, die Verfassung anzutasten. Vielmehr ließ er sich – ganz legal – zum strategos autokrator ernennen, also zum regierenden Feldherrn. Angesichts der drohenden Gefahr durch die Karthager verstand es Dionysios, seine Position immer weiter auszubauen und zu festigen. Dazu trug sicher auch bei, daß er seine Heimatstadt vor den Karthagern retten konnte – allerdings wurde das karthagische Heer nicht durch syrakusanische Truppen dezimiert, sondern durch eine Seuche. So konnte Dionysios einen Kompromißfrieden aushandeln, in dem er zwar auf einen Gutteil des bisherigen Einflußgebietes von Syrakus verzichtete, aber damit eine weitere Bedrohung durch Karthago abwendete – zumindest vorläufig, denn der gewiefte Taktiker Dionysios dachte schon viel weiter.
Goldene Notmünzen
Unsere Münze ist, wenngleich undatiert, sicher in der kritischsten Phase des Krieges zwischen Syrakus und Karthago, in den Jahren 406 / 405 v. Chr., als das karthagische Heer vor den Toren der Stadt stand, als Notprägung entstanden. Eine Goldmünze als Notprägung? Aber natürlich, in den griechischen Poleis vom späten 6. bis zum mittleren 4. Jahrhundert dominierte Silber als Münzmetall, Bronze kam erst gegen Ende des 5. Jahrhunderts zögerlich auf. Die berühmten „Eulen“ von Athen beispielsweise sind fast durchgängig aus Silber, nur in Notzeiten wurde das Gold, das sozusagen als strategische Reserve auf der Akropolis lagerte, ausgemünzt. So geschehen in der Endphase des Peloponnesischen Krieges, in den Jahren 407 / 406 v. Chr., als die Spartaner Athen von ihren Silberminen in Laurion abgeschnitten hatten, also kurz vor unserer Syrakusaner Münze.
Reste der unter Dionysios von Syrakus erbauten Stadtmauern. Foto: Giovanni Dall’Orto / Wikipedia.
Doch wozu benötigte man das Geld? Zum Handel? Als Umlaufmünzen? Letzteres wohl kaum, denn eine Goldmünze war und ist einfach zu wertvoll als „Wechselgeld“. Viel entscheidender war, daß man seine Truppen und seine Verbündeten bezahlen mußte. Gerade Dionysios war bekannt für seine Söldnerheere – und die wollten Geld sehen, sonst hätten sie sich sehr schnell auf die Seite des Feindes geschlagen.
Die besten Stempelschneider
Bemerkenswert ist, daß Dionysios nicht einfach irgendwelche Graveure beauftragte, schnell die entsprechenden Stempel herzustellen, sondern sich an die besten ihrer Zunft wandte, die damals in Syrakus versammelt waren. Neben Euainetos, der die Stempel zu unserem Stück herstellte, gehörte auch Kimon zu ihnen, und beide schufen neben dem goldenen 100-Litren-Stück vor allem die berühmten Dekadrachmen mit der Arethusa und der galoppierenden Quadriga.
Auch unsere Münze zeigt die Quellnymphe Arethusa als Symbol der Stadt Syrakus. Auf der Rückseite jedoch sehen wir, wie Herakles mit dem mächtigen Löwen von Nemea ringt – die erste seiner zwölf Taten. Ob wir hierin einen aktuellen Bezug sehen dürfen? Herakles / Syrakus / Dionysios als Sieger über die bedrohliche Gefahr, die von dem Löwen / den Karthagern ausgeht? Wollte Dionysios womöglich sogar auf seine weiteren Pläne anspielen und die Abwendung der karthagischen Gefahr „nur“ als erste seiner Taten verstanden wissen?
Vieles werden wir wohl nie wissen, aber daß der stolze Käufer ein wundervolles Exemplar dieser historisch bedeutenden Serie für seine Sammlung erworben hat, ist sicher!