Numismatisches Tagebuch einer Reise quer durch Griechenland – Teil 4

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von Ursula Kampmann

14. Juli 2011 – Auf ihrer vierten Etappe der Griechenlandreise sucht Ursula Kampmann das antike Aigai (eines von vielen…), ein geöffnetes Museum und die prächtigen Gräber von Vergina…

9. Tag, 18. Juni 2011, ins Zentrum der Macht der Makedonenkönige
Nach dem Abschied von Ioannina war klar: Ganz gleich, wo wir hinfahren würden, das neue Ziel hatte kaum eine Chance mit Ioannina mitzuhalten!
Aber einen Fehler wollten wir sicher nicht mehr begehen: Uns so lange mit der Suche nach einem Hotel herumschlagen. So stürzten wir uns in Veria, dem antiken Beroia, gleich auf das erste Hotel, das an unserem Weg lag. Keine besonders gute Wahl. Unten beeindruckte es durch eine großzügige Lobby mit Marmor, doch das Zimmer war klein und eigentlich überall einer Reparatur bedürftig. Aber immerhin, die Klimaanlage ging. Und – noch unglaublicher – das Hotel verfügte über WiFi, so daß es gelang, den ersten Teil des Tagebuchs der Reise auf den Weg nach Deutschland zu bringen…

Aber natürlich blieben wir am Morgen gerade so lange im Hotel, wie wir brauchten, um unser Gepäck in das Zimmer zu werfen. Gleich fuhren wir weiter in Richtung Norden. Denn hier gibt es viele Sehenswürdigkeiten, so das makedonische Edessa, die alte Hauptstadt der Argeaden.

Die Wasserfälle von Edessa, ein beliebtes Ausflugsziel für Griechen. Foto: KW.

Der Name dieser griechischen Stadt ist – zumindest wenn man Herodot glauben will – vom phrygischen Wort für Wasser (= vedy) abgeleitet. In der Antike soll man von Edessa als von den Gärten des Midas gesprochen haben. Und tatsächlich bräuchte die Bewohner dieser Gegend der Tourismus nur wenig zu interessieren, da sie ihr Geld mit Obstanbau verdienen. Unzählige Kirsch-, Aprikosen- und Pfirsichbäume versorgen die Supermärkte Nordeuropas mit Früchten.
Wer beim Namen „Edessa“ eher an Urfa in Mesopotamien denkt, hat auch Recht. Diese Stadt wurde von Seleukos I. Nikator gegründet, um an das makedonische Edessa zu erinnern.

Edessa (Makedonien). Philippus I. Arabs. Rv. Ziege, darunter weitere unidentifizierbare Tiere. Aus Auktion Peus 398 (2009), 642.

Lange Zeit hat man bei Edessa das antike Aigai lokalisiert, heute will man es eher bei Vergina suchen, aber es gibt immer noch Gründe, die für Edessa sprechen. So eine Münze aus der Zeit Philipps I. Arabs. Sie zeigt eine Ziege; und eine Ziege spielt im Gründungsmythos von Aigai eine wichtige Rolle: Sie soll Anfang des 7. Jh. v. Chr. zwei Angehörigen des makedonischen Königsgeschlechts den Ort gezeigt haben, wo die neue Hauptstadt zu gründen sei.
Ob Edessa nun Aigai ist oder nicht, jedenfalls behielt die wasserreiche und fruchtbare Stadt im Lauf der Geschichte ihre Bedeutung, was für die Archäologen eher ärgerlich ist. Denn an die vermuteten Funde auf dem Burgberg werden sie wohl nie herankommen. Edessa ist eine lebhafte Stadt, deren moderne Häuser den ganzen Hügel bedecken.
Wichtigste Sehenswürdigkeit ist der Wasserfall, der bei griechischen Touristen wahre Anfälle des Entzückens und gigantische Fotoorgien auslöst. (Für Anwohner des Rheinfalls dagegen ist er eher eine nette Reminiszenz an daheim.)

Edessa (Makedonien). Gordian III. Bronze. Av. Tranquillina. Rv. Roma n. l. sitzend, hinter ihr Stadtgöttin von Edessa, sie bekränzend. Aus Auktion Numismatik Lanz 150 (2010), 375.

Dafür liegt unten am Berghang eine schöne kleine Ausgrabung, bei der ein Tor mit einem Straßenabschnitt freigelegt wurde. Der Ort war leicht zu finden. Edessa ist sehr an einem Ausbau seines Tourismus gelegen. An den Wasserfällen entdeckten wir – mirabile dictu – eine Touristeninformation, in der Prospekte tatsächlich auch in deutscher Sprache erhältlich waren.
Und als wir das Grabungsgelände des antiken Edessa betraten, lief uns eine junge Frau nach. Wir dachten zuerst, wir hätten den falschen Eingang benutzt und müßten noch Eintritt zahlen, doch nein, der Eintritt sei frei, aber wir müßten unbedingt den Prospekt mitnehmen, um die Grabung richtig zu würdigen zu wissen.

Reste des antiken Edessa: Säulenstraße. Foto: KW.

Und dann wurden wir natürlich noch ermahnt, ja ein Auge auf die vielen Schlangen zu haben. Um ihre Ermahnung zu verstärken, trug die Dame einen langen Stock mit sich, wie er von vielen Griechen in Ausgrabungen mitgeschleppt wird. Mit ihm soll man sich die aggressiven Kriechwesen vom Halse halten. Wir hatten in den vergangenen Tagen eher erlebt, daß die armen Viecher eine Höllenangst vor uns Menschen haben und sich nur höchst ungern zeigen. Sie verstecken sich, sobald sie ein Vibrieren des Bodens spüren. Es ist also wesentlich effektiver, kräftig aufzutreten als einen Stock zu tragen. Und daß man sich nicht auf einen sonnigen Stein setzt, ohne den Sitz vorher zu überprüfen, das dürfte ja wohl sowieso sonnenklar sein…

Rekonstruktion des Torbereichs von Edessa. Foto: KW.

Es war heiß in Edessa. Die Ausgrabung war nett, interessant, aber nicht wirklich weltbewegend. So verzichteten wir auf den ausgeschilderten archäologischen Rundgang und machten uns auf, die berühmten Gräber von Leukadia zu besuchen.

Grab des Totengerichts / Levkadia. Foto: KW.

Wie es im offiziellen Reiseführer des „Kulturministeriums – Kasse für archäologische Mittel und Enteignungen“ (sic!) zu lesen steht: „Die Reste der antiken Stadt Mieza und ihrer Dörfer mit den jeweiligen Gräberstätten bilden einen Komplex von Baudenkmälern, der für die Geschichte des antiken Makedonien ebenso bedeutend ist, wie die Monumente von Aigai im heutigen Vergina.“ Während aber Vergina hoch gefeiert wird, liegen die fast noch prächtigeren Grabmäler von Levkadia gut versteckt und hinter sicheren Schlössern verschlossen.

Das verschlossene Grab des Totengerichts. Foto: KW.

Wir sind alle abgefahren, die wir finden konnten: Das Grab von Lyson und Kallikles, das Kinch-Grab, das Palmettengrab und das Grab des Totengerichts. Sie waren alle verschlossen. Man fragt sich, warum. Wenigstens die architektonischen Reste des Grabs des Totengerichts sind, wenn man den Fotos Glauben schenkt (und warum sollte man das nicht tun), wesentlich eindrucksvoller als das so genannte Grab des Philipp II.
Natürlich kann man das alles mit den Folgen der griechischen Wirtschaftskrise begründen. Böse Zungen könnten aber auch die Idee verbreiten, daß man die Gräber von Levkadia trotz ihrer Bedeutung ganz gerne vor der breiten Masse verbirgt, um keine Möglichkeit zu einem Vergleich mit Vergina zu bieten. Wenn man nämlich die Parallele ziehen würde, könnte man auf den Gedanken kommen, daß Vergina nicht so herausragend ist, wie immer behauptet. Ja. Es gibt großartige Goldobjekte. Doch vergleichbare kann man im archäologischen Museum von Thessaloniki bewundern. Ja. Die elfenbeinernen Köpfchen sind von großer Schönheit. Doch ähnliche Klinenbestandteile entdeckt man in vielen Museen Nordgriechenlands. Ist der Goldreichtum der Gräber von Vergina nicht einfach darauf zurückzuführen, daß sie nicht geplündert wurden? Und das ganz ohne Philipp II. zu bemühen…

2

Wie auch immer, für heute hatten wir eindeutig genug. Wir brauchten aber noch irgendeinen Aufsteller nach der frustrierenden Suche der makedonischen Gräber! Und tatsächlich wir fanden ihn. Wir entdeckten in Beroia eine Taverne, in der sonst sicher keine Touristen einkehren. Jedenfalls war die Speisekarte nur in griechischer Sprache geschrieben. Der Kellner verwunderte sich zutiefst, daß ich zwar kein Griechisch konnte, dafür bravourös meine Leibspeisen aus der umfangreichen Karte herausfischte: Tzaziki, Auberginensalat, Bällchen aus Zucchetti, gefüllte Auberginen und ein heißes Bohnengericht. Na ja, ich erklärte es ihm dann mit Händen und Füssen: Auch bei dem Erlernen einer Sprache muß man Prioritäten setzen. Und was kann wichtiger sein, als fähig zu sein, das zu bestellen, was einem schmeckt?

10. Tag, 19. Juni 2011, Vergina oder Tag der geschlossenen Museen
Wir waren früh wach. Die Nacht war unangenehm gewesen. Es bestand die Möglichkeit, entweder mit eingeschalteter Klimaanlage zu erfrieren oder mit ausgeschalteter Klimaanlage zu ersticken. Eine interessante Wahl. Wir probierten die ganze Nacht, welcher Tod angenehmer sei. Dummerweise kamen wir beide zu unterschiedlichen Schlußfolgerungen. Am Morgen hatten wir trotzdem überlebt und konnten es gar nicht erwarten, nach draußen zu kommen.

Koinon von Makedonien. Bronze, Beroia(?). Av. Alexander n. r. Rv. Alexander hoch zu Roß. Aus Auktion Rauch Sommerauktion 2009, 183.

Auch wenn es in Beroia, keine große Grabung gibt, sondern die antiken Überreste einzeln im Stadtbild zu finden sind, diese Polis gehört zu den ältesten und bedeutendsten Makedoniens. Hier fand man neolithische Idole, die auf eine Besiedelung seit der Jungsteinzeit hinweisen.
Thukydides ist der erste, der Beroia in seiner Geschichte des Peloponnesischen Krieges erwähnt. Hier trafen 432 die Heere Athens und Perdikkas II. aufeinander. Unter den Diadochen erlebte die Stadt einen Aufschwung. Der endete auch nicht nach der Eroberung Makedoniens durch die Römer. Beroia war die erste Stadt, die sich ergab. Das wurde von Rom belohnt.

Koinon von Makedonien. Bronze, Beroia(?). Av. Alexander n. r. Rv. Jüngling aus Schale über brennendem Altar opfernd; links davon Preistisch mit zwei Preiskronen, dahinter Preisamphora auf hoher Säule. Aus Auktion Giessener Münzhandlung 126 (2003), 1763.

Nerva verlieh Beroia die Neokorie und erhob es in den Rang einer Metropolis. Fortan tagte hier der Provinziallandtag; hier trafen sich also die lokalen Politiker; hier wurden die wichtigsten Spiele abgehalten. Und so will man auch die Prägungen des Koinon von Makedonien in Beroia lokalisieren.
Im Jahr 50 n. Chr. soll Paulus Beroia besucht haben. Die Tribüne, von der aus er predigte, ist in ein modernes religiöses Zentrum integriert (haben wir uns geschenkt). Ende des 3. Jahrhunderts litt die Stadt unter den Folgen der Völkerwanderung, doch unter byzantinischer Herrschaft muß sie noch einmal geblüht haben, dafür sprechen die 51 Kirchen, die es damals gegeben haben soll. Wann genau die Osmanen Beroia eroberten, ist heute nicht mehr zu rekonstruieren. Jedenfalls mußten sie die Stadt im Jahr 1912 aufgeben, als ganz Makedonien wieder an Griechenland fiel.

Eingangshalle des Museums in Beroia. Foto: KW.

Beroia verfügt über ein ausgezeichnetes archäologisches Museum, das – man höre und staune – tatsächlich geöffnet war, auch wenn die geschlossene Türe erst anderes vermuten ließ. Doch während wir noch suchten, wo die Öffnungszeiten angeschrieben sind, eilte ein Wärter herbei, um uns aufzumachen und uns unsere 2 Euro für den Eintritt abzunehmen. Warum hätte er auch in den heißen Sälen warten sollen? Während unseres ganzen, immerhin gut anderthalbstündigen Aufenthalts kam kein einziger anderer Tourist, um das Museum zu besichtigten.

Kopf des Flußgottes Olganos. Foto: KW.

Und das war schade, denn das Museum von Beroia hat viel zu bieten! Mal ganz abgesehen von den sagenhaften Inschriften und Grabstelen, vor allem aus römischer Zeit.

Tanagrafigürchen. Foto: KW.

Besonders bemerkenswert sind die qualitätsvollen Tanagrafiguren aus Grabfunden. Sie sind zu Gruppen angeordnet, denen man deutlich ansieht, daß sie alle aus derselben Form stammen, auch wenn sie hinterher noch überarbeitet wurden.

Einige Bronzemünzen aus Grabfunden. Foto: KW.

Auch einige Münzen aus Grabfunden waren ausgestellt, natürlich nicht bestimmt und schlecht beleuchtet, aber immerhin!

Blick in den Museumsgarten. Foto: KW.

Besondere Überraschung bot der Blick in den Museumsgarten. Hier waren nicht – wie sonst häufig in Griechenland – ein paar eher minderwertige steinerne Reste ausgestellt, sondern ganze Bataillone von künstlerisch hervorragenden Exponaten. Sie standen in Reih und Glied so eng hinter- und nebeneinander, daß man nur die vordersten bewundern konnte.

Detail aus einer Grabstele. Foto: KW.

So zum Beispiel diese Grabstele, wohl vom Beginn des 3. Jahrhunderts n. Chr. (ich warte schon auf den Archäologen, der mich fachkundig korrigiert). Oben ein überaus geglücktes Frontalportrait, darunter eine Darstellung der ganzen Familie.

Detail eines Sarkophags. Foto: KW.

Bei anderen Kunstwerken mußte man schon klettern, um sie genau zu besehen wie bei diesem Sarkophag mit der reizvollen Darstellung einer Schlange.

Wir waren restlos begeistert vom archäologischen Museum und freuten uns schon richtig auf das byzantinische, das unser Reiseführer vollmundig als „hochmodern“ und „architektonisch eine Sehenswürdigkeit“ pries. Es war gar nicht leicht zu finden. Wir brauchten drei Anläufe quer durch die Stadt, bis wir das Gebäude entdeckten.
Und dann wunderten wir uns. Groß standen die Öffnungszeiten angeschrieben: Di-So 8.30-15.00 (wie fast alle Museen). Es war Sonntag. Es war 11.00. Nichtsdestotrotz war die Tür zu. Und das nachdem wir fast eine Stunde das dumme Museum gesucht hatten. Natürlich gaben wir nicht auf. Ich zückte das Handy und war gerade dabei, die am Eingang angegebene Nummer anzurufen, während Kurt – wesentlich pragmatischer – die Klingel betätigte. Tatsächlich kam ein Mann heraus. Doch statt uns einzulassen, teilte er uns mit, daß geschlossen sei. Ja, es hätte Schilder gegeben, leider seien die abgerissen worden. Und man habe das Museum auf Grund von Sparmaßnahmen im Rahmen der Wirtschaftskrise für die Öffentlichkeit geschlossen.
Ach ja, kann man ja verstehen. Allzu viele Touristen treiben sich wirklich nicht in Beroia herum. Allerdings werden es wohl auch nicht mehr werden, wenn man die Sehenswürdigkeiten rund um die Stadt schließt.

Eingang zum Museum der Funde von Vergina. Foto: KW.

Da hat das moderne Museum von Vergina schon ganz andere Öffnungszeiten: Di-So 8.00 bis 19.00. Und die sind auch nötig. Im 10-Minuten-Takt werden riesige Gruppen vor allem griechischer Touristen herangekarrt, um das so genannte Grab Philipps II. zu bewundern. Gott sei Dank, nimmt hier die griechische Altertumsverwaltung wenigstens einen angemessenen Eintritt: 8 Euro. Wir wollen nur hoffen, daß die Einkünfte, die Vergina generiert, auch für die Zugänglichmachung anderer Grabungen benutzt werden.

Larnax und Goldkranz, die man Philipp II. zuschreiben will. Foto: Sarah Murray / Wikipedia.

Ich gebe zu, Vergina macht mich immer wieder wütend. Das liegt vielleicht daran, daß ich kurz nach der Gründung Mazedoniens im Jahre 1991 in Athen war. Damals stand ganz Griechenland Kopf, weil ein Balkanstaat es gewagt hatte, den geheiligten Namen des Königreichs Makedonien für seinen Staat zu okkupieren! Noch schlimmer, die Nationalflagge zeigte den Stern von Vergina! Es waren nicht nur Eitelkeiten; Griechenland fürchtete tatsächlich um die Integrität seines Territoriums. Schließlich kam Makedonien erst 1913 zu Griechenland; und man stritt noch nach dem Zweiten Weltkrieg, zu welchem Land Makedonien gehören solle.
Athen jedenfalls schloß damals sofort die Grenzübergänge nach Mazedonien und verbot, den Hafen von Thessaloniki zu benutzen, über den der Staat 80% seiner Importe abgewickelt hatte.
Jeder, der damals Griechenland mit offenen Augen besuchte, konnte sehen, wie Geschichte und archäologische Funde bemüht wurden, um das Recht Griechenlands auf den Namen „Makedonien“ zu verteidigen. Sogar auf den Telefonkarten, die ich damals kaufte (ja, ja, das waren noch die Zeiten, in denen man von einer Telefonzelle aus mit einer Telefonkarte telefonierte…), stand groß zu lesen: Makedonien bleibt griechisch! Überall wurde das makedonische Erbe betont, und im Dora-Stratou-Theater in Athen war das ganze Programm makedonischen Trachten und Volkstänzen gewidmet. Übrigens, die Grabungen in Vergina wurden 1992 abgeschlossen…
Der Boykott gegen Mazedonien wurde 1994 aufgehoben, und seitdem haben sich die Verhältnisse normalisierten; doch man muß bei dem 1997 eröffneten Museum in Vergina immer den nationalistischen Hintergrund im Auge behalten. Anders kann man es nicht erklären, daß jede Diskussion, ob die Funde wirklich Philipp II. zugeordnet werden können, ausgeblendet ist.

So genanntes Grab Philipps II.

Was dafür spricht? Nun erstens einmal die reichen Funde, die wirklich beeindruckend sind. Ein anderes Argument lieferte ein griechischer Pathologe, der aus einem Rest des nach der Verbrennung übergebliebenen Schädels daraus schließen will, daß die Augenhöhle des Toten verletzt wurde – was uns die antiken Schriftsteller über Philipp überliefern. Leider haben sich die Kollegen des Pathologen gegenüber diesem Ergebnis äußerst kritisch geäußert. Nehmen wir nun noch die berühmten zwei Beinschienen, von denen eine etwas kürzer war als die andere. Philipp soll auf Grund einer weiteren Kriegsverletzung einen verkürzten Fuß gehabt haben, was wunderbar dazu passen würde. Allerdings waren diese Beinschienen nicht das einzige Set, das „Philipp“ ins Grab mitgegeben wurde. Und die anderen waren meines Wissens alle gleich lang.
Wie auch immer, ich liebe die Idee, daß es sich bei den Funden um die Grabbeigaben Philipps handelt. Nichtsdestotrotz ist es wissenschaftlich nicht erwiesen. Und es ist eine grobe Form von Geschichtsklitterung, wenn man in einem so entscheidenden Punkt nicht anmerkt, daß die Interpretation der Funde umstritten bleibt. Für mich ist das wissenschaftlich unredlich!

Dionysosgruppe aus dem Prinzengrab. Bestandteil einer Kline.

Ganz abgesehen davon ist die Qualität der ausgestellten Funde spektakulär. Es wäre eine ästhetische Freude, sie alle zu sehen, würde sich das Museum nicht selbst so wichtig nehmen. Der Besucher kommt in einen abgedunkelten Raum, in dem alles Licht auf die Funde konzentriert ist. Am besten man packt seine Begleitung gleich fest an der Hand, damit man sich nicht in dem Dunkel verliert, während man über Treppenstufen stolpert.

Kopf eines alten Mannes. Bestandteil einer Kline.

Vor allem die Elfenbeinschnitzereien sind einfach phantastisch. Mein Lieblingsstück ist der Kopf eines bärtigen Mannes. Übrigens haben sich derartige Elfenbeinschnitzereien nicht nur in Vergina erhalten. Man trifft sie in vielen Museen Makedoniens. Die mit Elfenbein verzierte Kline scheint Standardausstattung gewesen zu sein im Grab bedeutender Makedonen.

Silbergeschirr aus dem Prinzengrab.

Genauso wie das Silbergeschirr. Hier ein prächtiges Ensemble, das aus dem „Prinzengrab“ stammt. Schließlich hat man ja nicht nur das Grab „Philipps“ gefunden, sondern drei weitere Kammergräber (denen die in Levkadia architektonisch nicht nachstehen). Nichtsdestotrotz sind die Funde so präsentiert, als würden sie alle mit dem „Philippgrab“ in Zusammenhang stehen.

Aigai oder makedonischer Stamm der Mygdones oder Krestones. Ziegenbock n. r. Rv. Quadratum Incusum. Aus Giessener Münzhandlung 146 (2006), 155.

Aber genug geschimpft. Denken wir lieber an die herrlichen, die prachtvollen, die einzigartigen Münzen von Aigai. Der majestätische Ziegenbock, der darauf zu sehen ist! Da ist es wirklich völlig nebensächlich, daß diese wunderschönen Stücke kaum in Aigai entstanden sein können. Zwei Argumente sprechen dagegen: erstens ist es ziemlich unwahrscheinlich, daß in der königlichen Hauptstadt eine städtische Münzprägung stattfand; und zweitens bedeutet Aix, von dem Aigai seinen Namen ableitet, Ziege. Und die Statere zeigen einen veritablen Ziegenbock!
Ähnlich umstritten wie diese Münzen ist – wie schon im Zusammenhang mit Edessa erwähnt – die Tatsache, ob die Anlage von Vergina überhaupt identisch ist mit dem makedonischen Aigai. Der große Kenner der makedonischen Geschichte und Archäologie, N. Hammond, machte 1968 als erster den Vorschlag, dem heute begeistert und mit guten Argumenten gefolgt wird.

Die Grabungen von Vergina: Wegen zu geschlossen. Foto: KW.

Ich hätte Ihnen nun natürlich sehr gerne die architektonischen Reste der einstigen Palastanlage gezeigt. Leider ist das nicht möglich. Ohne Angabe von Gründen sind die gesamten Ausgrabungen von Vergina vorerst bis zum 31. Dezember 2011 geschlossen.

Versäumen Sie nicht, uns in der nächsten Ausgabe nach Dion zu begleiten, wo Alexander einst opferte, ehe er zu seinem Feldzug gegen die Perser aufbrach. Wir fahren auf den Olymp und nach Thessalien…

von Ursula Kampmann

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