Schatzraub in Bengasi oder Hollywood auf libysch?

[bsa_pro_ad_space id=4]

3. November 2011 – Man fühlt sich an Hollywoodvorlagen erinnert, an „Ocean’s Eleven“ und andere Exponenten des Einbruchsgenres. Doch diesmal ist das Thema der Traumfabrik in USA zum Albtraum für Archäologen, Kunstfreunde und den neuen libyschen Staat geworden. Verschiedene Medien berichteten in der letzten Zeit von einem der größten Raubeinbrüche, die antike Objekte zum Ziel hatten, und der im Frühjahr dieses Jahres in Bengasi verübt wurde.

Der Einbruch wurde Interpol erst im Juli gemeldet, die Angaben gehen auseinander, ob er sich im Mai oder gar bereits im März ereignete. Die Räuber bohrten sich hartnäckig durch die Betondecke eines Kellerraums der National Commercial Bank of Benghazi. Sie brachen Stahlbehälter auf und öffneten die versiegelten Holzkisten, in denen der „Schatz von Bengasi“ lagerte.
Dabei handelte es sich um etwa 7.700 Münzen, sowie um Juwelen und Medaillons, Arm- und Halsbänder, Ohrringe und Ringe. Dazu kamen noch rund 50 kleine Objekte, darunter Statuetten, aus Bronze, Glas und Elfenbein sowie eine Anzahl Edelsteine. Der Großteil der Objekte soll aus der Zeit Alexanders des Großen stammen. So lauteten die ersten Meldungen.

Doch jetzt wurde bekannt, dass dieser Schatz, der in zwei hölzernen Militärkisten aus dem Zweiten Weltkrieg lagerte, wohl ohne offizielle Autorisierung aus der Bank in ein anderes Bankgebäude verbracht wurde. Von den beiden Kisten kam jedoch nur eine an, der Stahlcontainer, in dem sie transportiert wurden, wurde offensichtlich aufgebrochen.
Die Räuber scheinen jedenfalls gezielt vorgegangen zu sein. Hafed Walada, ein libyscher Archäologe, der am King’s College, London, lehrt, erklärte: „Ich habe das Gefühl, dass es einen Kontaktmann in der Bank gab. Der Schatz war dort seit vielen Jahren, wenige wussten von ihm.“

Doch was ist der „Schatz von Bengasi“ eigentlich wirklich? Serenella Ensoli, Archäologin an der Università Seconda di Napoli und spezialisiert auf libysche Altertümer, sagte, es handle sich um „einen sehr großen Verlust des archäologischen Erbes für die ganze Welt.“ Der Wert des Schatzes sei „unschätzbar“ wegen seiner historischen Bedeutung. „Die Sammlung ist nicht gut untersucht worden; es ist ein riesiger Verlust für Libyens Erbe.“
Die Klassische Archäologin Dorothy Lobel King kritisiert an dieser Äußerung, dass große Teile des Schatzes sehr wohl publiziert seien und sich online finden ließen – nur eben nicht die Münzen. Ausgehend von alten Verzeichnissen äußert sie Zweifel daran, dass der Schatz überhaupt Goldmünzen enthielt.

Doch lautet weiterhin eine Angabe, der Schatz habe 364 Goldmünzen enthalten neben 2.433 Silbermünzen, 4.484 Bronzemünzen, 306 Juwelen und 43 anderen Altertümern. Gerade von letzteren konnte Frau King zahlreiche alte Fotografien ausfindig machen.
Der sogenannte Schatz kam Anfang des 20. Jahrhunderts bei archäologischen Grabungen der Italiener zutage. Ein Teil wurde am Artemistempel in Kyrene, einer antiken Stadt nahe Bengasi, ausgegraben. Bei diesen Objekten aus dem 7. und 6. Jahrhundert v. Chr. handelt es sich vor allem um Keramik, aber auch ziselierte Goldplättchen gehörten dazu – allerdings keine Münzen. Diese stammen alle aus jüngerer Zeit, teilweise erst aus islamischer Zeit, und aus anderen Fundstätten.
Während des Zweiten Weltkriegs waren diese Funde im Kolonialmuseum des Ministeriums für das italienische Afrika in Rom ausgestellt. Erst 1961 kehrten die Objekte wieder nach Libyen zurück, wo sie in der Bank eingeschlossen wurden.

Interpol und die UNESCO sind nun intensiv bemüht, den Schatz von Bengasi zu finden. Doch wertvolle Zeit ging verloren. Manch einer vermutet, die libysche Übergangsregierung scheute die negativen Schlagzeilen und verheimlichte deswegen so lange den Raub. Es gibt keine heiße Spur und Archäologen fürchten, dass die Stücke kaum noch aufzufinden sind, wenn sie außer Landes gebracht wurden.
Obwohl vor allem die Münzen niemals fotografiert wurden, erregten Bronzemünzen auf dem libyschen Schwarzmarkt den Verdacht, aus dem Raub zu stammen. In Goldmünzen und einer Goldstatuette, die ein Bauer in Ägypten schmuggelte, meinte man gleichfalls Teile des Schatzes zu erkennen. In Ägypten lebende Libyer sammelten daraufhin Geld, um die Statuette dem libyschen Staat zurückzukaufen. Doch all diese Zuweisungen sind pure Spekulation. Und nach fünfzig Jahren im Tresor und offensichtlich keiner gründlichen Publikation ist überhaupt zu fragen, wie man feststellen sollte, welche Münzen zu diesem mysteriösen Schatz gehören und welche nicht.

Yussuf ben Nasr, Leiter der Altertümer in Bengasi, äußerte sich Reuters gegenüber: „Diese Stücke sind ein nationaler Schatz von unschätzbarem Wert, Objekte unserer Geschichte, die verloren gingen … Wir können nicht viel mehr tun, als Institutionen in der ganzen Welt bitten, uns dabei zu helfen, libysche Altertümer anzukaufen, wenn sie auf dem Markt auftauchen, damit sie zurückgegeben werden können. Wir suchen weiterhin im ganzen Land, erstellen Verzeichnis von allem, was vermisst wird und informieren Schulkinder und Pfadfinder über den verschwundenen Schatz.“

Wie sich auch in anderen Bürgerkriegsregionen zeigte, stellt die eigentliche Kriegsphase oftmals gar nicht die große Gefahr für Altertümer dar. So bestätigte auch ein Expertenteam der UNESCO im September, dass die libyschen Ausgrabungen kaum unter den Kämpfen gelitten hätten. Die kritische Zeit beginnt jedoch erst: Die schwache Regierungsgewalt und die unzähligen Waffen im Umlauf begünstigen Plünderungen.
Hafed Walada hat deswegen in aller Stille ein Projekt begonnen: Er hat Kontakt zu einem Offizier aufgenommen, um den Mann von der Bedeutung zu überzeugen, die dem Schutz der antiken Denkmäler und der Museen zukommt. Hoffen wir, dass es Libyen gelingt, künftige Plünderungen zu verhindern.
Für den Schatz von Bengasi kommt dieser Wunsch freilich zu spät. Obwohl er vor fast hundert Jahren ausgegraben wurde, hatte man ihn stets nicht nur vor Dieben sondern vor allem von Wissenschaft und interessierten Besuchern abgeschirmt. Die Räuber freilich hielten auch die Stahlschränke nicht ab.

Verschiedene englischsprachige Zeitungen berichteten von dem Schatzraub. Hier

hier

… und hier.

Die Archäologin Dorothy King listet viele der archaischen Funde aus der Tempelgrabung in Kyrene in ihrem Blog auf.