von Ursula Kampmann
4. Juli 2013 – Wissen Sie, wie man sich verhält, wenn am Ende der Welt das Auto streikt? Wir lernten es – learning by doing. Begleiten Sie uns in der heutigen Folge nach Aphrodisias, einem so genannten Geheimtipp, der es in einigen Jahren an Touristenmassen mit Ephesos wird aufnehmen können.
Mittwoch, 1. Mai 2013
Inzwischen hatten wir unser Vertrauen darauf verloren, in der Türkei vor Ort spontan ein hübsches Zimmerchen zu finden. So buchten wir via Internet ein Hotel in Hierapolis. Die Bilder wirkten vertrauenserregend: Mit direktem Blick auf die Kalksinterterrasse, ein großer Swimmingpool und ein kleiner Garten. Es war ein angenehmes Gefühl, spät am Abend in der Stadt anzukommen und zu wissen, wo wir unser müdes Haupt zur Ruhe betten würden. Allerdings war es dann gar nicht so einfach, diesen Platz für unser müdes Haupt zu finden. Pamukkale ist nämlich eigentlich nur ein winziges Nest mit rund 2.500 Einwohnern, aber die Zahl der Hotels ist dafür umso größer. Sie liegen inzwischen nicht mehr oben, über den heißen Quellen, sondern unten in einer Art Dorf. Es gibt Massen von diesen Hotels, und sie sehen auf den ersten Blick alle gleich aus: Ein L-förmiger Wohnkomplex um ein winziges Schwimmbad, darum ein paar Sträucher, eine Dachterrasse, von der man, wenn man an der richtigen Stelle steht, tatsächlich von Fern etwas Weißes sieht. Anfang Mai waren allerdings all diese Terrassen noch nicht in Betrieb. Dafür waren die Swimmingpools leer, zwei Schönheitsfehler, die uns überhaupt nicht störten.
Die Truppe des Ayapam-Hotels in Pamukkale. Türkische Gastfreundschaft in Reinstkultur. Foto: KW.
Denn das Ayapam, in dem wir Quartier gefunden hatten, bestach nicht (nur) durch seine Infrastruktur, sondern durch die unglaubliche Freundlichkeit seiner Betreiber. Nihal von der Rezeption strahlte, wann immer wir mit einem Anliegen kamen. Hüseyin, der Hotelpage, bezauberte jeden Gast, indem er ihm unten die Koffer in den Lift einlud, um oben – wenn der Lift angekommen war – schon vor dem Aufzug zu stehen, und lächelnd die Koffer in Empfang zu nehmen. Ramazan, der Hotelmanager, aß jeden Abend im Speisesaal das Gleiche, was er auch seinen Gästen servieren ließ. Und das kann man verstehen.
Türkisches Essen vom Feinsten im Hotel Ayapam präsentiert vom Küchenchef Nurettin Tastan. Foto: KW.
Denn die Qualität des Essens war beeindruckend! Nurettin und Melita, die am Nachmittag begannen, die fein duftenden Köstlichkeiten vorzubereiten, teilten am Büffet ihr Essen aus und nahmen gerne die Komplimente der Gäste entgegen. Nicht zu vergessen Yusuf, der Kellner, der sich erst darüber freute, dass wir auf Türkisch bestellten, um uns dann in bestem Deutsch zu antworten. Und damit ist die gute Stimmung, die in diesem Hotel herrschte, noch lange nicht ausreichend beschrieben: Kurz, wir fühlten uns wirklich sehr, sehr wohl.
2. Mai 2013
Am frühen Morgen fuhren wir nach Aphrodisias, das von einigen Reiseführern noch als „Geheimtipp“ gehandelt wird. „In der Frage, ob die Ruinen mit denen in Ephesos vergleichbar sind, scheiden sich die Geister, was in jedem Fall für Aphrodisias spricht, ist die Ruhe, die man hier vor Reisegruppen hat“, so der Online-Führer bacoo stellvertretend für viele andere Publikationen, die Aphrodisias unter die „unbekannten“ Attraktionen zählen. Wir fingen an, an diesen Aussagen zu zweifeln, als wir die neuen Straßen sahen, die vor nicht allzu langer Zeit auf doppelte Reisebusbreite gebracht worden waren.
Transport vom Parkplatz zur Grabung. Foto: UK.
Unsere restlichen Zweifel schwanden, als Schilder uns zu einem gigantischen Parkplatz leiteten, von dem aus wir mit einem entzückenden Traktor-Züglein zur Grabung selbst kutschiert wurden. Wir waren früh da. Es standen erst zwei Busse auf dem Parkplatz. Als wir zurückkamen, war er mit rund 30 Bussen voll. Damit mag Aphrodisias noch nicht an die Zahlen von Ephesos heranreichen, aber von Ruhe ist mit Sicherheit nichts mehr zu spüren.
Aphrodisias. Caligula, 37-41. Kleinbronze. MMDe 20 (2006), 205.
Historisch gesehen, bleibt Aphrodisias weit hinter der Bedeutung von Ephesos zurück. Viel weiß man nämlich nicht über dessen Frühgeschichte vor dem 1. Jh. v. Chr. Der Ausgräber Kenan T. Erim nimmt an, dass es hier einen uralten Kult der Ischtar-Astarte gegeben habe, die als Nin, Ninai, Nana oder Enana bezeichnet wurde. Davon habe sich der Name der Stadt Ninoe abgeleitet, was man mit dem Beginn der römischen Herrschaft als Aphrodisias übersetzt habe. Denn Aphrodite war modern bei den Römern. Nicht umsonst beriefen sich Sulla und Caesar auf ihre guten Beziehungen zur Liebesgöttin. Und tatsächlich berichtet Appian im 2. Jh. n. Chr., Sulla habe im Krieg gegen Mithradates von Pontos in Kleinasien vom Delphischen Orakel den Rat erhalten, die karische Aphrodite zu ehren.
Aphrodisias / Plarasa. AE, 1. Jh. v. Chr. Lanz 131 (2006), 85.
Etwa aus dieser Zeit stammen die frühesten Münzen von Aphrodisias, die wir kennen. Sie zeigen allerdings nicht Aphrodite, sondern eine Doppelaxt und einen Panzer. Außerdem liest man darauf nicht nur den Stadtnamen von Aphrodisias, sondern auch den von Plarasa, was für eine enge Verbindung der beiden Städte spricht. Doch die große Zeit von Aphrodisias begann erst, als Octavian die Caesarenmörder besiegte. Aphrodisias war von den Truppen des Labienus geplündert worden, nun erhielt es als Belohnung für seinen Widerstand städtische Freiheiten, Steuerautonomie und ein erweitertes Asylrecht für seinen Aphroditetempel. Eine Periode des Wohlstands machte aus der kleinen Provinzstadt zwischen Lydien und Phrygien das prächtige städtische Zentrum, dessen Spuren wir heute besichtigen können.
Fries vom Porticus des Tiberius. Foto: KW.
Ausschlaggebend war dafür auch die berühmte Bildhauerschule der Stadt. Ganz in der Nähe gab es reiche Marmorbrüche, deren Rohstoff benutzt wurde, um hier geradezu vorindustriell Halbfertigprodukte nach Musterbüchern zu schaffen.
Derselbe Frauenkopf – einmal perfekt, einmal nicht ganz. Foto: KW.
Die Menge an guter (und nicht ganz so guter) Bildhauerkunst, die man in Aphrodisias zu sehen bekommt, ist wirklich beeindruckend. Und tatsächlich wissen wir nur durch die Ausgrabung zahlreicher halbfertiger Arbeiten und Versuchsstücke von dieser Schule.
Unfertige Statue eines Athleten im Museum von Aphrodisias. Foto: KW.
Außerdem sind an zahlreichen Statuen Bildhauersignaturen angebracht, die wohl das Abrechnen nach Fertigstellung eines Projekts erleichterten.
Aphrodisias. Gallienus, 253-268. Rv. Kaiser n. r. reitend. MMDe 13 (2003), 405.
Auch in Aphrodisias begann im 3. Jh. der Niedergang, wobei es in der Spätantike noch eine blühende Stadt gegeben haben muss. Es existierte ein Bischofsitz, Aphrodisias produzierte zwei Märtyrer, wurde irgendwann in Stauropolis (= Stadt des Kreuzes) umbenannt, um später von seinen Bewohnern als Karia bezeichnet zu werden (Aphrodite war wohl während der christlichen Epoche keine gute Namenspatronin mehr). Aus Karia wurde Geyre, wie das kleine Örtchen, bei dem Aphrodisias heute liegt, genannt wird.
Zaun aus Inschriften. Foto: KW.
Was einen in Aphrodisias erschlägt, ist die Überfülle an Material, die dort auf eine Besichtigung wartet. Es hat schon eine gewisse Größe, einen ganzen Zaun aus Inschriften zu bauen, um die Besucher abzuhalten, dem Augustustempel zu nahe zu kommen.
Das Tetrapylon. Foto: KW.
Reizender Beginn des Rundgangs ist das so genannte Tetrapylon, ein reich verzierter Torbau, der direkt dem römischen Barock entsprungen sein könnte.
Detail des Tetrapylon. Foto: KW.
Wer von klassischer Einfalt und Größe träumt, dürfte sich hier ob des Detailreichtums entsetzt abwenden. Doch die Kunstfertigkeit, mit der gearbeitet wurde, ist beeindruckend.
Aphroditetempel. Foto: KW.
Geradezu in den Schatten rückt der immer noch beeindruckende Aphroditetempel, der seine gute Erhaltung wohl einer Umwandlung im 5. Jh. in eine christliche Basilika verdankt.
Bouleuterion. Foto: KW.
Von besonderem numismatischen Interesse ist das Bouleuterion, …
Aphrodisias. Bronze, 3. Jh. n. Chr. MMDe 21 (2007), 672.
… denn die Boulé ist auf vielen autonomen Münzen der Stadt Aphrodisias abgebildet.
Agora mit Überschwemmung. Foto: KW.
Ansonsten gibt es in Aphrodisias das, was man so zu sehen bekommt: Hadriansthermen, eine (überschwemmte) Agora, ein großes Theater, und viele Touristengruppen. Sie kommen aus Deutschland, Frankreich, USA, noch nicht ganz so häufig aus Russland. Aber das wird noch werden, denn das Material eignet sich einfach zu gut als fotographischer Hintergrund.
Sebasteion. Foto: KW.
Höhepunkt des Besuchs sind die phantastischen Reliefs, die bei der Ausgrabung des Sebasteions zum Vorschein kamen. Gestiftet wurde dieses Heiligtum zu Ehren des Kaisers von zwei verschiedenen Familien der Stadt, die während der Regierungszeit des Claudius und des Nero Geld in die Hand nahmen, um dem Kaiser diese besondere Ehrung zu erweisen.
Claudius und Britannia. Foto: KW.
So findet man prachtvolle Reliefs mit der Darstellung des Kaisers – von unterschiedlicher Qualität. So scheint die obere Anatomie der Britannia nicht der Natur abgeschaut zu sein, …
Claudius als Herrscher über Land und See. Foto: KW.
… während Claudius hier von einer Qualität ist, die auch in Rom bewundert worden wäre.
Aenaeas flieht aus dem brennenden Troja. Foto: KW.
Es ist ein anregendes Bilderbuch von bekannten und unbekannten Szenen der Mythologie. Jeder, der sich mit den Denaren Caesars beschäftigt hat, kennt diese Szene.
Caesar. Denar, 47-46. Sammlung MoneyMuseum, ehemals Wyprächtiger.
Caesar flieht aus dem brennenden Troja, auf den Schultern seinen Vater Anchises. Neben ihm seine Frau (die er vorsichtshalber in Troja verlieren wird) und sein Sohn Iulius.
Die drei Grazien. Foto: KW.
Nicht ganz so bekannt ist das numismatische Nachleben der drei Grazien, …
Aphrodisias. Crispina. Bronze. Gorny & Mosch 126 (2003), 1832.
… die hier zum Beispiel auf einer Münze von Aphrodisias erscheinen.
Münzstempel und Schrötlingsform. Foto: KW.
Ganz im Schatten dieser phantastischen Reliefs steht die Numismatik, auch wenn es durchaus interessante Funde zu vermelden gäbe.
Vitrine mit Münzfunden. Foto: KW.
Eine etwas lieblos gefüllte Vitrine steht am Rande des Besucherstroms …
„Archaische, klassische und hellenistische“ Münzen. Foto: KW.
… und nur der Münzenthusiast kann sich darüber aufregen, dass hier Tetradrachmen vom Alexandertyp als „archaische, klassische und hellenistische Münzen“ bezeichnet werden.
Erholung von der Antike. Foto: KW.
Und dann reichte es aber auch. Wir setzten uns in das neu eröffnete Café der Grabung. Einen Tee oder den türkischen Ayran gab es nicht. Große Wasserflaschen? Fehlanzeige. Die einzige große Wasserflasche stammte aus einer bekannten, hier ungenannt bleibenden Quelle aus Frankreich und kostete für türkische Verhältnisse ein Vermögen. Wir setzten uns trotzdem und beobachteten etwas, was wir in der Türkei so noch nie gesehen hatten: Die Türken haben nämlich ein ambivalentes Verhältnis zu Katzen und Hunden. Während an einem früheren Reiseziel, in dem kleinen Hafen von Assos, stets eine Flasche mit Wasser gefüllt bereits stand, um damit Katzen zu verscheuchen, stellte ein Gastwirt in Selcuk die Überreste unseres Mahls an den Straßenrand, damit sich kleine Katzen daran satt fressen konnten. In Aphrodisias sah ich einen türkischen Guide, der einen Hund nach dem anderen einfing, um ihm die Zecken aus dem Fell zu klauben. Eine unappetitliche Arbeit, die von den Tieren aber sehr geschätzt wurde. Sie rissen sich förmlich danach, von ihm eingefangen zu werden…
Wir aber fuhren weiter, nicht wie die meisten Busse auf der Hauptstraße, sondern in die andere Richtung, um durch die Berge über zwei Pässe in unser Hotel zurückzukehren. Wir waren mutterseelenallein auf dieser Strecke. Einziger Trost waren die vielen Tankstellen, an denen wir so alle 5 Kilometer auch in der Bergeinsamkeit vorbeikamen. Das war unsere Rettung, als unser Motor in einer Art zu schlagen anfing, dass es mehr als geraten schien, sofort anzuhalten. Wir erreichten noch eine Tankstelle und dann war erst einmal Schluss.
Was macht man nun in so einer Situation? Mein Türkisch hätte nicht einmal ausgereicht, um den Tankwarten zu erklären, dass wir nicht nur tanken wollten. Weiterfahren? Keine Chance. Dazu hatte ich keine Ahnung, wo wir uns eigentlich befanden. Ziemlich verzweifelt und ohne große Hoffnung rief ich bei der Notrufzentral des ADAC an. Dort wurde ich sofort weiterverbunden, und ein junger Mann fragte freundlich, was passiert sei und wo unser Auto sei. „Keine Ahnung!“ Ich reagierte wohl ein bisschen emotional, denn mein Gesprächspartner meinte tröstend, dass gewiss irgendwo eine Tankstelle in der Nähe sei. „Wir sind in einer Tankstelle.“ „Nun, dann geben Sie mir den Tankwart.“ Mein telefonischer Helfer parlierte zunächst in perfektem Türkisch mit dem Tankstellenbesitzer und beruhigte mich danach: „Ich mache mich kundig und rufe Sie in einer Viertelstunde wieder an.“ Das tat er tatsächlich, und in weniger als einer Viertelstunde. Das Abschleppauto sei schon unterwegs. Er habe eine Toyota-Vertragswerkstatt in Denizli gefunden, und dorthin werde das Auto gebracht.
Huckepack auf dem Abschleppwagen. Foto: KW.
So geschah es tatsächlich. Während wir noch von unseren türkischen Gastgebern an der Tankstelle mit Cola, Tee und Kaffee getröstet wurden, kam bereits der Abschleppwagen. Kompetent machte sich der junge Mann an die Arbeit und nicht einmal eine Stunde nach unserer Panne waren wir bereits auf dem Weg nach Denizli.
Unser Auto in der Toyota-Vertragswerkstatt. Foto: UK.
Ich habe meine halbe Kindheit in Autowerkstätten verbracht. Schließlich war das der Beruf meines Vaters. Aber noch nie hatte ich Handwerksmeister gesehen, die im weißen Hemd mit Krawatte unter dem Auto Anweisungen gaben, was zu tun sei. Wir hatten zunächst gefürchtet, die Ölwanne sei durch die vielen Schlaglöcher kaputt gegangen. Das war es nicht. Nach langen Tests kam der Meister und verkündete das Urteil: Es seien wohl die Injektoren. Er habe dieses Ersatzteil nicht auf Lager, aber er werde es in Istanbul bestellen. Man werde uns und natürlich den ADAC auf dem Laufenden halten. Wie es mit uns denn nun weitergehe?
Wir mussten zurück ins Hotel, baten, uns ein Taxi zu holen. Aber das empfand der Chef des Hauses als eine Verletzung seiner Ehre als Gastgeber. Ich bin immer wieder beschämt, wenn ich sehe, wie in anderen Ländern, die durchaus vom Tourismus leben, Touristen immer noch als Gäste behandelt werden. Besonders wenn es um eine Notlage geht, fühlt sich jeder Türke persönlich verantwortlich. Hatten uns die Tankwarte verpflegt und mit Getränken getröstet, bis der Abschleppwagen kam, glaubte sich der Besitzer der Werkstatt verpflichtet, uns in seinem privaten Auto die 30 Kilometer nach Pamukkale in unser Hotel zu fahren. Wir räumten all unser Gepäck in sein Auto, und er brachte uns ins Hotel Ayapam, wo Nihal uns tröstete und feststellte, wir könnten unser Zimmer so lange haben, wie wir es eben brauchten.
Wir waren ein bisschen gedrückt, als wir am Abend beim Essen saßen. Nichtsdestotrotz, ein bisschen genossen wir das Abenteuer. Wer kann schließlich schon davon erzählen, wie toll das ADAC-Notrufsystem in der Türkei funktioniert?
In der nächsten Folge erfahren Sie, wie es mit unserem Auto weitergeht. Außerdem besuchen wir die Grabung von Hierapolis in Pamukkale, für deren Besuch wir kein Auto brauchten.
Alle Teile der Serie „Türkischer Frühling“ finden Sie hier.