von Ursula Kampmann
19. Januar 2017 – Unser Geschichtsbild ist romlastig. Was zum großen Teil daran liegt, dass sich der durchschnittliche Historiker schon mit Latein und Griechisch schwer genug tut und deshalb ganz bestimmt nicht gewillt ist, auch noch Mittelpersisch zu lernen. Ganz abgesehen davon, dass sowieso nur wenige Fragmente der sasanidischen Literatur überlebt haben. Nichtsdestotrotz ist es beeindruckend, wenn man auf einmal begreift, dass es da im Osten eine Weltmacht gab, die Rom ebenbürtig war. Wir besuchen in dieser Folge unseres Tagebuchs einer Iranreise ihre Hauptstadt.
Morgendliche Überschwemmung. Foto: KW.
Dienstag, 15. März 2016
4.30 wecken. 5.30 Frühstück. Wach war wohl niemand, als er heute morgen den Frühstücksraum betrat. Trotzdem, irgendwie funktionierten wir, luden uns die Teller voll, bewegten uns pünktlich zum Bus und starteten exakt um 6.00, um nicht nur die lange Busfahrt, sondern auch das inhaltsschwere Programm zu schaffen.
Im Bus sitzend, war ich mir nicht sicher, ob ich noch träumte oder die Straßen wirklich überschwemmt waren. Mein sehr lebhafter Traum der vergangenen Nacht hatte von Blitz und Donner gehandelt, und am Morgen hatte sich der Traum in die Realität eingewoben oder umgekehrt. Die Straßen waren verschwunden, stattdessen flossen überall kleine Ströme, tiefere und weniger tiefe. Der nächtliche Regen hatte alles überflutet. Aber natürlich ließen wir uns nicht aufhalten…
Ein Blick auf die Felsreliefs von Bishapur. Foto: KW.
Schließlich standen heute die Sasaniden auf dem Programm. Oder besser gesagt die Stadt Bishapur. Sagen Sie jetzt bloß nicht, Sie hätten noch nie was von Bishapur gehört! Ja gut, damit stehen Sie nicht alleine da. Selbst während meines althistorischen Studiums wurde Bishapur höchstens beiläufig erwähnt, nehme ich zumindest an, denn es muss in einem Moment geschehen sein, in dem ich geistig anderweitig beschäftigt war. Und das obwohl Bishapur wirklich wichtig war. Immerhin handelte es sich um die neue Hauptstadt, die Shapur nach seinem Sieg über die Römer baute. Mit freundlicher Unterstützung der versklavten römischen Kriegsgefangenen. Bishapur – oder Bay-Shapur, wie ein Sasanide es vielleicht ausgesprochen hätte – heißt nämlich nichts anderes als Herr Shapur. Und das ist doch auch nichts anderes als all die Traianopels und Hadrianopels der Römer.
Das Siegesrelief von Shapur I. über Gordian III., Valerian und Philippus Arabs. Es soll den Streifen auf Trajans Siegessäule nachempfunden sein. Foto: KW.
Wer einst nach Bishapur reiste, kam auf einer Straße, die ihn schon einmal darauf einstimmte, dass nicht die Römer, sondern die Sasaniden die Herren der Welt waren. Sechs Giganto-Felsreliefs musste der Reisende passieren, ehe er die Hauptstadt betrat. Als unser Bus in dieser Einsamkeit ankam, war es schon weit nach der gewöhnlichen Mittagsstunde, und wir hatten ziemlich Kohldampf.
Shapur I. inmitten von römischen Kaisern. Foto: KW.
Was wir dann zu sehen bekamen, ließ den Hunger erst einmal in den Hintergrund treten. Shapur I. inszenierte sich als Sieger über die Römer. Er reitet auf seinem Pferd über einen Leichnam hinweg.
Gordian III. liegt unter den Hufen des Pferdes von Shapur I. Foto: KW.
Unter den Hufen liegt niemand anderer als Gordian III., der ja bekanntlich auf seinem Feldzug gegen die Sasaniden ums Leben kam. Die hatten 240/1 Hatra erobert und daraufhin setzte der Prätorianerpräfekt Timesitheus, Schwiegerpapa des bei seinem Tod gerade mal 19jährigen Gordian III. und graue Eminenz hinter dessen Thron, die römische Militärmaschinerie in Marsch. Im Herbst 242 erreichte das Heer Antiochia, erzielte erste Erfolge, und dann starb dummerweise der Schwiegerpapa, während bei den Sasaniden Shapur I. den Thron bestieg. Gordian III. ernannte Philippus Arabs zum neuen Prätorianerpräfekten, und was dann passierte, wissen wir nicht. Die römischen Quellen sprechen davon, dass nach guter, alter Römermanier Philippus Arabs putschte und für die Ermordung Gordians sorgte. Die sasanidische Inschrift von Naqsch-e Rostam konstatiert dagegen, Gordian III. sei in der Schlacht von Mesiche, also ungefähr bei Bagdad, ums Leben gekommen.
Philipp I. fleht kniend den großen Shapur um Frieden an. Foto: KW.
Relativ einig – auch wenn die Wortwahl von einander abweicht – sind sich die Quellen darin, dass Philipp I. Frieden mit Shapur schloss. Philipp ließ sich in Rom dafür feiern; auf den sasanidischen Reliefs ist der römische Herrscher in einer etwas demütigeren Haltung zu sehen. Und tatsächlich wartete Shapur nicht lange mit seinem nächsten Feldzug. 253 eroberte er Armenien und nutzte den Tod von Traianus Decius, um in Syrien und Mesopotamien einzufallen, wobei er sogar Antiochia am Orontes eroberte.
Valerian lässt sich von Shapur brav in die Gefangenschaft führen. Foto: KW.
Natürlich konnten sich die Römer das nicht gefallen lassen. Der neue Kaiser Valerian ließ seinen Sohn im Westen, um sich selbst mit einem großen Heer in den Osten zu begeben und dort bei Edessa vernichtend geschlagen zu werden. Schreckliche Vorstellung: Der römische Kaiser geriet in Gefangenschaft und sein Sohn konnte nichts unternehmen, um ihn zu befreien! Für die Römer ein Weltuntergang. Doch sie hatten Glück im Unglück, denn Shapur hatte noch ganz andere Fronten, um die er sich kümmern musste. So konnte also der relativ unbedeutende Herrscher des Reichs von Palmyra die Sasaniden aufhalten, was wahrscheinlich einzig daran lag, dass die Hauptmacht des sasanidischen Heeres anderswo gebraucht wurde.
Shapur I. – ganz leicht an seiner Krone zu erkennen. Foto: KW. / Gorny & Mosch 240 (2016), 283 Av.
Wie auch immer. Ein Vorteil der sasandischen Reliefs für den geschulten Münzfreund sind die Kronen. Mittels dieser Dinger kann man nämlich mit einiger Übung sofort den dargestellten Herrscher erkennen. (Und im Zweifelsfall kann man schnell auf der nützlichen Überblickstabelle von Göbl nachgucken.) Und sich dann tierisch ärgern, dass die eigene Zuschreibung nicht stimmt.
Shapur II. inmitten seiner Höflinge. Foto: KW.
Shapur II. hielt ich …
Vologases V., 191-208. Drachme. Aus Auktion Münzen & Medaillen GmbH 43 (2016), 134.
… für einen Parther, nämlich Vologases V. Vahram I. hielt ich für Vahram II. (oder war’s umgekehrt?). Jedenfalls ist die Sache mit den Kronen gar nicht so eindeutig, wie man das gerne haben möchte und von der Numismatik gewohnt ist.
Vahram I. empfängt eine Delegation von Arabern. Foto: KW.
Wie auch immer, ich guckte mir fast die Augen heraus, konnte mich nicht satt sehen an der genauen Darstellung der sasandischen Adligen, der Römer in ihren Togen und der Araber, wie sie auf diesem Felsrelief Shapur seit Jahrhunderten ihre Referenz darbieten. Nur zu blöd, dass irgendwann im 19. Jahrhundert ein paar Bauern fanden, dass sie eine Wasserleitung bräuchten. Um diese Wasserleitung zu montieren, hatten sie einfach ein bisschen was vom Relief weggeschlagen. Die unterbrachen auch die anderen Felsreliefs, so das, auf dem König Vahram II. eine Delegation der Araber mit ihren Kamelen und Pferden empfängt.
Die Soldaten bringen dem König die abgeschlagenen Köpfe seiner Feinde. Foto: KW.
Es gab noch viel mehr. Hauptsächlich Machtübergaben, und dann eben diesen Triumph des Shapur II. Schauen Sie ihn sich genau an: Es handelt sich um den einzigen mir bekannten König, der schon in der Gebärmutter seiner Mutter gekrönt wurde (buchstäblich: man legte seiner Mutter eine Krone auf den Bauch), und es trotzdem schaffte, ein für damalige Verhältnisse hohes Alter zu erreichen. Dieser Shapur war es, der Julian zumindest indirekt das Leben kostete – es soll ja bekanntlich ein Pfeil von hinten gewesen sein, der den Apostaten ins Jenseits schickte. Trotzdem soll es in diesem Relief ausnahmsweise nicht um einen Sieg über die Römer gehen, sondern um die Niederschlagung von Aufständischen: Shapur sitzt in Frontalansicht auf seinem Thron. Zu seiner Rechten stehen die Guten, die Hofbeamten und Adligen, zu seiner Linken führen Soldaten die Gefangenen heran. Und im unteren Register – behauptet der Dumont-Kunstreiseführer – bringt ein Soldat dem König die abgeschlagenen Köpfe seiner Feinde. Na denn, guten Appetit.
Womit wir beim Thema wären. Der Tag war heute viel zu kurz, deshalb sparten wir so viele Stunden wie möglich und machten mal wieder ein Picknick. Allerdings begann es auf unserem Rückweg zum Bus leicht zu tropfen und bis wir am Picknicksplatz waren, regnete es schon spürbar. Als es so richtig zu gießen begann, hatten wir ein äußerst kurzes Picknick beendet und liefen zum Bus zurück, um ins Trockene zu kommen.
Die Stadtmauern von Bishapur. Foto: KW.
Was hatten wir für ein Glück! Denn während wir die wenigen Kilometer bis zur Ausgrabung der Stadt Bishapur fuhren, hörte es zu regnen auf, so dass wir zwar bei grau verhangenem Himmel, aber immerhin trockenen Fußes die Stadt besichtigen konnten.
Bishapur ist, wie bereits gesagt, eine Gründung von Shapur I., der 266 seine neue Hauptstadt anlegte. Sie wurde im Schachbrettmuster angelegt, oder – archäologisch ausgedrückt – nach dem hippodamischen System, weshalb man davon ausgeht, dass Shapur für die Erbauung von Bishapur die römischen Kriegsgefangenen einem nützlich Zweck zuführte. Recht viel mehr wissen wir nicht.
Tempel der Anahita. Foto: KW.
Allzu viel ist auch noch nicht ausgegraben, aber immerhin, man kann einen Tempel wohl der Anahita sehen, den man früher für einen Feuertempel hielt. Um dorthin zu kommen, muss man hinuntersteigen in eine eingetiefte Grube, die mit großen Felsquadern ummauert ist. In der Mitte sieht man ein Becken, das von Kanälen gespeist wird. Schließlich ist Anahita eine Wasser-Gottheit.
Xusro II. Golddinar, 611. Rv. Büste der Anahita mit Flammennimbus. Lanz 161 (2015), 170.
Was mich persönlich immer sehr lustig gedünkt hat. Schließlich wird Anahita mit einem Flammennimbus dargestellt!
Die übermauerten Gänge, in denen einst kleine Bächlein flossen. Foto: KW.
Wie auch immer, die Gänge, durch die all diese Kanäle führten, sind mit ihren geschlossenen Tonnengewölben ziemlich beeindruckend. Allerdings fehlte uns der nötige Ernst, als einer von uns (nein, das kann nicht ich gewesen sein) für den Tempel ein Badeentchen-Orakel postulierte. Der Wille der Götter wurde durch ein Wettschwimmen der ins Wasser gesetzten Badeentchen kund getan. (Warum nicht? Es gibt dümmere Alternativen. Oder finden Sie die Eingeweide eines geschlachteten Schafes überzeugender?)
Sagen wir es mal so: Recht viel mehr Plausibilität haben die vielen anderen Überlegungen, wie der Kult der Anahita ausgeübt worden sein könnte, auch nicht. Wir haben einfach zu wenig Quellen.
Der Palast Shapurs I. Foto: KW.
Anschließend gingen wir durch den sasanidischen Palast. Und wurden von einer jungen Iranerin angesprochen. Sie war sehr gepflegt, eher modern gekleidet und stark geschminkt. Ihre Augenbrauen hatte sie ausrasiert und durch einen breiten Lidstrich ersetzt. Sie wollte von mir wissen, wie mir Bishapur gefallen würde. Natürlich sagte ich ihr, dass es schön sei. Dann fragte sie nach unserer Route, und was wir denn über ihr Land wissen würden. Wir einigten uns, dass Kyros der Große wirklich ein großer Mann war. Und zum Schluss teilte sie mir mit, dass sie die Deutschen alle für schrecklich nette Menschen halten würde. Ich musste ihr Unrecht geben. Es gäbe bei uns, wie überall auf der Welt, nette Menschen und weniger nette Menschen. Wir seien eben alle Menschen. Und daraufhin meinte sie, es seien ihr alle Menschen willkommen, die ihr schönes Land sehen wollten. Sie würde darauf hoffen, dass bald viele, viele Menschen in den Iran reisen würden. Nicht ausgesprochen hat sie, dass dann vielleicht das eine oder andere Vorurteil verschwinden könnte. Es dürfte wohl kein Volk der Welt geben, das Fremden gegenüber offener ist als die Iraner. Man kann es nicht oft genug sagen, dass man die Iraner mit der iranischen Regierung nicht in einen Topf werfen sollte…
Ein eindrucksvolles Panorama. Foto: KW.
Vorbei an zwei weiteren sasanidischen Felsreliefs ging es in Richtung Shiraz. Die Fahrt sollte noch ein paar Stunden dauern, aber wir waren früh genug dran, dass uns unser Fahrer Nadir eine ganz besondere Freude machen konnte: Er nahm den Weg über einen Pass, der uns mitten durchs Hochgebirge führte. Wir hatten trotz des Regens eine hervorragende Aussicht! Und dann hatten wir noch einmal Glück, denn der Verkehr durch Shiraz hielt sich letztendlich in Grenzen. So waren wir etwa um halb sieben im Hotel. Und das sah von außen fast noch prächtiger aus als das letzte. Es war ebenfalls ein Pars-Hotel, ein Mitglied der Luxus-Hotel-Klasse im Iran. Das Hotelfoyer war gewaltig, es gab nicht nur eine Bar, sondern auch mindestens acht kleine Läden, in denen man alles Mögliche vom Original-Perser bis zum Hello-Kitty-Koffer kaufen konnte.
Europäisches Abendessen: Im Vordergrund die interessante Mehlsauce à la Iranienne. Foto: KW.
Und das Abendessen war fast europäisch. Ein wunderbares Salatbüffet, auf dem sich sogar eine Schüssel mit Schweizer Wurstsalat und eine andere mit Spaghetti befand, und danach Boeuf Stroganoff, Filet Mignon und Filetsteak. Sagen wir es so: In Sachen Nouvelle Cuisine hat man hier den Anschluss verpasst. Die Sauce – von der sich unser local guide Ehsan eine ganze Schüssel zu einer Portion Pommes Frites bestellte – war von ziemlich mehliger Konsistenz, angedickt und dem Stil nach eher zu den 50er Jahren passend. Dabei waren alle Gerichte, bei denen sich die Köche auf lokale Traditionen stützten, großartig! Aber fern sei mir jede Beschwerde! Schließlich waren wir nicht die Zielgruppe. Das Restaurant war voll mit einheimischen Großfamilien, die sich begeistert die besagte Sauce schmecken ließen. Ich wette, wenn die mal nach Frankreich reisen und ein Filet Mignon bestellen, sind sie ganz enttäuscht, weil die wunderbare mehlige Sauce nicht dabei ist.
Und damit war dieser Tag beendet. Obwohl ich todmüde war, konnte ich vor Aufregung fast nicht einschlafen. Schließlich war morgen der Tag der Tage! Der Höhepunkt der Reise! Morgen würden wir Persepolis sehen.
Begleiten Sie uns in der nächsten Folge in die Hauptstadt des Persischen Reiches, nach Persepolis.
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