von Ursula Kampmann
1. September 2016 – Qom ist nach Maschhad das zweite bedeutende religiöse Zentrum der Schiiten im Iran. Zehntausende von Pilgern besuchen den Ort, und das vor allem deshalb, weil hier der Schrein der Fatima Masumeh zu finden ist. Diese bei uns kaum bekannte Gestalt der schiitischen Überlieferung war die Tochter des siebten Imams und die Schwester des achten. Natürlich schreibt man ihr heute alle weiblichen Tugenden zu. Darüber hinaus soll sie sehr gebildet und weise gewesen sein.
Als ihr Bruder vertrieben wurde, folgte sie ihm. Sie führte dabei eine Karawane mit 12.000 Menschen. Doch ihre Anhänger wurden überfallen, und viele Menschen umgebracht. Man zwang Fatima Masumeh, die Ermordung ihrer 23 Freunde und Familienangehörigen anzusehen. Wenig später wurde sie vergiftet. Als sie den Tod nahen fühlte, soll sie darum gebeten haben, nach Qom gebracht zu werden.
Die goldene Kuppel des Grabmals der Fatima Masumeh. Foto: Muhammad Mahdi Karim / Wikipedia. – Mit bestem Dank für die so schnell erfolgte Publikationserlaubnis.
Dort starb sie am 7. oder 9. November 816 n. Chr. An diesen Tod erinnern Schiiten auf der ganzen Welt noch heute mit Umzügen und Gebeten. Im Iran taten sie dies am Sonntag, dem 13. März 2016. Was wir noch nicht wussten, als wir uns daran machten, loszufahren.
Sonntag, 13. März 2016
Es bedeutete schon fast auszuschlafen, dass wir erst um 6.45 aufstehen mussten. Nach einem spartanischen Frühstück ging es um 7.30 los. Keine Minute zu spät, denn der Weg von Borujerd bis Ahvaz ist ziemlich weit. Viel Verkehr hatten wir nicht, denn heute war ein schiitischer Feiertag, der Todestag der Fatima Masumeh. Aus den Busfenstern sahen wir, wie einige wenige Gläubige bereits begannen, die Tribünen aufzubauen, an denen später geklagt und gefeiert werden sollte. Die schweigende Mehrheit allerdings schien – genau wie im katholischen Bayern an jedem Ostersonntag – den Feiertag für einen verlängerten Schönheitsschlaf zu nutzen.
Luristan-Bronze im Museum von Korramabad. Foto: KW.
Wir dagegen saßen im Bus und fuhren durch Luristan. Natürlich gab es Erklärungen zu den berühmten Luristan-Bronzen. Ich gebe es zu, zum ersten Mal verstand ich, warum manche Menschen derart für eine politisch korrekte Sprache eintreten. Damit verbunden ist immerhin das Nachdenken darüber, was man sagt. Und das Wort „Raubgrabung“ wird heute völlig gedankenlos benutzt, und zwar für alles, was nicht durch die reinen Hände der edlen Archäologen läuft.
Gefühlt fiel dieses Wort in einer halben Stunde 150 Mal, und jedes Mal hätte ich am liebsten ein paar Fragen gestellt: a) wie die konkrete juristische Situation zwischen 1850 und 1900 nach kadscharischem Recht im Persischen Reich aussah; b) wem die Stücke geraubt wurden, bzw. ob man die luristanischen Bauern, die seit Jahrtausenden in ihrer Heimat leben und wegen ihrer eigenen, ganz charakteristischen Tracht auch heute noch im Straßenbild klar erkennbar sind, verurteilen soll, dass sie damals die Bronzen suchten, fanden und lieber an Händler verkauften, als sie treu und brav der kadscharischen Regierung abzugeben; c) welcher Archäologe auf die Idee gekommen wäre, in Luristan eine einzige Ausgrabung durchzuführen, wenn die Bronzen die Fachwelt nicht neugierig gemacht hätte; d) welcher Prozentsatz der im Iran befindlichen Luristanbronzen für die wissenschaftliche Arbeit angemessen publiziert ist.
Aber all diese Fragen wären für uns Touristen wohl zu komplex gewesen. (Schon Politiker scheitern ja gelegentlich daran, zu verstehen, dass Zeitumstände und Werte sich verändern können.) Da ist es eben einfacher schwarz-weiß zu malen: hie die hehren Archäologen, da die bösen, bösen Raubgräber – wer auch immer das gewesen sein soll…
Blick auf die Festung Korramabad. Foto: KW.
Kurz und gut, um 11.00 waren wir in Korramabad. Ich gebe zu, ich erwartete nicht allzu viel. Zwar wurde die Festung bereits von den Sasaniden gegründet (sie hieß damals Shapur Khwast), doch davon ist natürlich kein Spürchen mehr zu sehen. Stattdessen haben wir eine Burg der Safawiden, errichtet unter Abbas I. Klar, auch die sieht von unten ganz nett aus, oben ist sie eher Durchschnitt.
Trauerzeremonie in Luristan. Foto: KW.
Sie beherbergt ein Völkerkundemuseum, das überraschend groß und überraschend liebevoll eingerichtet ist. Mit vielen Fotos, vielen Artefakten, einigen hoch interessanten Modellen und alles in Deutsch-Englisch angeschrieben. Jetzt müssen in dieses Museum nur noch die Touristen strömen.
Und wäre das Museum in einer leicht erreichbaren, touristisch erschlossenen Stadt, würden sie strömen, denn es gibt ein unglaubliches Highlight, …
Becher mit fünf schreitenden Löwen. Foto: KW.
… einen vor einigen Jahren aufgefundenen achämenidischen Silberschatz von nicht zu überschätzender Qualität!
Trinkgefäß in Form eines Ziegenbocks. Foto: KW.
Wir schwelgten und staunten und erfuhren auf Nachfrage, dass dieser Schatzfund natürlich nicht publiziert ist.
Zikadenschale. Foto: KW.
Vielleicht wird er das irgendwann einmal (wenn alle verstorben sind, die über die näheren Umstände seiner Auffindung Auskunft geben können?). Er sollte eigentlich nach Teheran geliefert werden, um im Nationalmuseum ausgestellt zu werden.
Silbergefäß mit einem Ausguss in Stiergestalt. Foto: KW.
Gut, dass dies nie geschehen ist. Hier ist er wenigstens zu sehen. Wenn er in der so genannten „Schatzkammer“ des Iranischen Nationalmuseums ruhen würde, wäre er erst einmal völlig verschollen, da diese „Schatzkammer“ aus „Sicherheitsgründen“ – so Mahmoud Rashad in seinem Reiseführer Iran in der Reihe Dumont-Kunst-Reiseführer – nicht wieder eröffnet wurde.
Silberner Bogenschütze, ca. 8-10 cm hoch. Foto: KW.
Dort schlafen also eine ganze Reihe von bedeutenden Funden. Wollen wir hoffen, dass sie alle für eine eventuelle Wiedereröffnung der Schatzkammer noch in ihrem Depot aufgefunden werden.
Prozession zu Ehren der Fatima Musameh. Foto: Sigrid Hodel.
Wie auch immer. Wir verließen die Burg und stolperten mitten hinein in eine kleine Prozession zu Ehren der Fatima bint Musah. Es war eindrucksvoll! Zuerst kam eine Musikkapelle mit Trompeten und Trommeln, wie wir sie gerade noch im ethnologischen Museum gesehen hatten. Es folgten einige Gläubige, tief schwarz gekleidet, die schwarze Kleidung mit Lehm beschmiert, jammernd, klagend.
Transporter, auf dem Dach ein großer Lautsprecher, der lautstark und unüberhörbar religiöse Musik von sich gibt. Foto: Sigrid Hodel.
Mitten im Zug fuhren einige Taxis und Transporter, auf deren Dächern Lautsprecher befestigt waren. Diese gaben ziemlich eindringlich religiöse Musik von sich. Danach kamen wieder Gläubige. Es war sehr eindrucksvoll und wirkte auf uns wie ein Blick in eine ferne Vergangenheit.
Taxis mitten in der Prozession. Foto: KW.
Wir beobachteten ein klein bisschen eingeschüchtert den Zug, und die Khorramabadenser (oder wie immer es korrekt heißen mag) beobachteten uns. Einige sehr wohlwollend. Christine hatte Pech. Ihr rutschte das Kopftuch herunter – über den Kampf mit unseren Kopftüchern könnte man ganze Bücher schreiben. Erschrocken zog sie es wieder nach oben. Eine Muslimin beobachtete sie dabei. Sie selbst gehörte zu den Fortschrittlichen. Leicht erkennbar an dem weit nach hinten gerutschtem Kopftuch und der blonden Strähne, die sie in ihr Haar hatte färben lassen. Sie streichelte Christine beruhigend über den Arm und zog ihr eigenes Kopftuch noch weiter nach hinten, um Solidarität zu bekunden. Dann lächelte sie mir zu, deutete auf die Gläubigen und machte eine international verständliche Geste dafür, dass sie die Prozession für ziemlich bescheuert hielt.
So weit zur gelegentlich in den Medien vertretenen These, dass im Iran ausschließlich Fanatiker leben. Was für ein Unsinn! Es gibt – wie überall auf der ganzen Welt – Gläubige, nicht ganz so Gläubige, übertrieben Gläubige, Abergläubige und gar nicht Gläubige…
Leider nur ein Schnappschuss aus dem Bus, und deshalb nicht besonders scharf. Foto: KW.
Von Korramabad aus fuhren wir über das Zagrosgebirge. Es war eine landschaftlich herrliche Fahrt, auf der man sehr gerne angehalten hätte, um einen Fotostopp zu machen. Doch leider, mit einem Bus geht das nicht so einfach wie mit dem eigenen Auto. Und so fuhren wir an den vielen Nomadenzelten vorbei. Ja, es gibt sie wirklich noch, jene Nomaden, die mit ihren Herden und all ihrem Besitz über die Berge ziehen. Sie haben es nicht einfach. Keine Regierung schätzt es, wenn sie nicht weiß, wohin sie ihren Bürgern den Steuerbescheid schicken soll. Doch im Moment scheint es im Iran – so unsere Reiseleiterin, Frau Hodel – eine Politik der Duldung zu geben. Ja, man versucht sogar, den Nomadenkindern eine gewisse schulische Bildung zu ermöglichen.
Fahrt durch eine großartige Landschaft. Foto: KW.
Die Fahrt war großartig. Doch nach einer gewissen Zeit machten sich leichte Hungergefühle bemerkbar (das Marginalfrühstück lag zu dem Zeitpunkt rund fünf Stunden zurück). Eine Stunde später knurrten die Mägen vernehmbar im Chor. Noch eine Stunde später hatte jeder aus seinem Rucksack den letzten essbaren Vorrat hervorgekramt, der sich darin versteckt haben mochte. Und irgendwann kurz vor drei, als schon niemand mehr daran glaubte, kam ein Restaurant in Sicht. Und was für ein Restaurant! Ein Restaurant der Sonderklasse.
Im Haus eines reichen Kaufmanns aus Schuschtar ist heute von der Iranischen Cultural Heritage Organization ein großartiges Restaurant untergebracht. Foto: KW.
Es wurde das bisher schönste Mittagessen der Reise – und jede Minute des Wartens hatte sich gelohnt. In dem Haus eines reichen Kaufmanns in Schuschtar, das heute der Iranischen Cultural Heritage Organization gehört, ist ein hervorragendes Restaurant eingerichtet, das weniger von Touristen als vielmehr von wohlhabenden Iranern besucht wird. Deshalb findet man hier hauptsächlich die kleinen Plattformen, auf denen man halbsitzend-halbliegend seine Mahlzeit einnimmt. Aber auch zwei europäische Räume mit Tischen und Stühlen waren vorhanden. Wir entschieden uns für Tisch und Stuhl, mit unserer ans Sitzen gewöhnten Muskulatur rutscht das Essen im Sitzen wesentlich einfacher.
Endlich mal Gemüse! Ein Auberginengericht. Foto: KW.
Es war köstlich! Als Vorspeise gab es Joghurt, Brot und Minze und Lauch, dann kamen eine Art iranische Fleischpflanzerl, ein Auberginenbrei, ein Gericht mit Hammel und Kichererbsen sowie eine interessante Variante mit Pflaumen und Fleisch, bei der man aufpassen musste, weil die Pflaumenkerne noch in den Pflaumen steckten. Wir schlemmten! Und schlossen jede Menge Kontakt mit den anderen Gästen.
Die Kaiserbrücke, östlichste Brücke in römischer Bautechnik. Foto: KW.
Beim Tee warfen wir noch einen Blick auf die berühmte Brücke direkt vor unserem Lokal. Sie trägt den schönen Namen Polband-e Qaysar, Kaiserbrücke, und stammt in einigen Teilen tatsächlich aus sasanidischer Zeit. Kaiserbrücke heißt sie, weil sie von den Römern errichtet worden sein soll, die zusammen mit Kaiser Valerian in die Gefangenschaft gerieten. Tatsächlich gilt diese Brücke Bauhistorikern als die östlichste Brücke, die mit römischer Technik errichtet wurde…
Die Wassermühlen von Schuschtar. Foto: KW.
Unser letzter Programmpunkt waren die Wassermühlen von Schuschtar, denen der Dumont-Kunst-Reiseführer – obwohl es sich um UNESCO-Weltkulturerbe handelt – genau neun Zeilen widmet. Er steht damit nicht allein. Man findet nur wenig Informationen über dieses Wunderwerk der Technik, bei dem mittels künstlicher Wasserfälle wahrscheinlich schon seit sasanidischer Zeit auf der einen Seite Energie gewonnen wird, auf der anderen Seite die Wasser des Flusses Gargar für die Bewässerung der Felder aufgeteilt werden.
Mit Kanälen und verschließbaren Ausflüssen wurde der Wasserstrom geregelt. Foto: KW.
Die heute sichtbare komplizierte Struktur von kleinen Kanälen und Dämmen geht auf die safawidischer Zeit zurück, auch wenn fast nichts mehr original ist. Was wir heute sehen, wurde wieder aufgebaut, nachdem dieses Weltkulturerbe im Krieg zwischen Iran und Irak fast vollständig zerstört wurde.
Die Iraner lieben dieses plätschernde Paradies, vor allem an einem so herrlichen Feiertag. Deshalb waren wir Touristen aus dem Ausland eindeutig in der Minderheit. Ganze Busladungen von jungen Mädels in schwarzen Schadors wurden zu den Wassermühlen gekarrt, wo sie sich genauso benahmen, wie sich bei uns junge Mädels ohne schwarzen Schador benehmen. Sie kicherten und diskutierten augenscheinlich über unsere westliche Kleidung. Mich würde nicht wundern, wenn wir hier den einen oder anderen Modetrend gesetzt hätten.
Verbrüderung zwischen Iran und Schweiz. Foto: UK.
Und glauben Sie ja nicht, dass nur Touristen Einheimische fotografieren. Wir waren das wesentlich beliebtere Modell. Keine fünf Schritte, ohne dass uns jemand nach dem woher und wohin fragte. Immer wieder wurden wir gebeten, uns zu einem Gruppenbild aufzustellen. Und jedes noch so kurze Gespräch endete mit dem obligaten „Welcome to Iran!“
Es dauerte nicht mehr allzu lange, bis wir im Hotel waren. Und Frau Hodel versprach uns hoch und heilig, dass es ab jetzt ruhiger werden würde. Immerhin, wir bleiben zwei Nächte in Ahvaz, und das in einem echten Fünfsterne-Hotel, auch nach westlichem Standard. Ich gebe zu, es ist eine große Versuchung, morgen im Hotelzimmer zu bleiben, um das Tagebuch nachzuführen, ein bisschen Wäsche zu waschen und sich zu erholen. Wenn nicht ausgerechnet Susa auf dem Programm stünde, könnte ich in Versuchung geraten. Aber immerhin, morgen fahren wir erst um 8.00 ab.
In der nächsten Folge sehen wir einen perfekt erhaltenen Zikkurat, besuchen Daniel in der Löwengrube und machen einen Rundgang durch den Königspalast von Susa.
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