von Ursula Kampmann
29. September 2016 – Geben Sie es zu: Tschogha Zanbil steht nicht unbedingt auf Ihrer To-do-Liste von Sehenswürdigkeiten, die Sie unbedingt einmal besichtigen möchten. Stand es bei mir auch nicht, was ein Zeichen für die Unzuverlässigkeit von To-do-Listen ist. Tschogha Zanbil ist unglaublich eindrucksvoll! Das persische Susa dagegen, auf das ich mich wirklich gefreut hatte, können Sie ruhigen Gewissens von Ihrer To-do-Liste streichen.
Der Zikkurat von Tschogha Zanbil, das beeindruckende Zeugnis des elamitischen Königs Untasch Napirischa, gebaut zu Ehren des Gottes Ischuschinak. Foto: KW.
Montag, 14. März 2016
So was nennt man auf Studienreisen erholsam. Um 6.30 aufgestanden, um 7.30 frühstücken, um 8.00 im Bus sitzen und nur zwei Stunden fahren: Schon waren wir in Tschogha Zanbil angekommen. Der Name sagte mir rein gar nichts genauso wenig wie die assyrische Bezeichnung Dur Untasch. Ein Fehler, denn was wir dort zu sehen bekamen, war seinen Titel als Weltkulturerbe durchaus wert.
Aufgang zur Spitze des gemauerten Tempelbergs. Foto: KW.
Wir sahen den besterhaltenen Zikkurat, den es im Zweistromland gibt. Und der war enorm eindrücklich. Schon allein die Größe! Ich hatte mir unter dem Turm von Babel immer eine eher kleine Angelegenheit vorgestellt, aber so wie dieser fünfstufige Tempel in Hügelform sich darbot, konnte man auf einmal verstehen, dass die Errichtung eines solchen Gebäudes von frommen Zeitgenossen als Megalomanie und Gotteslästerung verstanden wurde.
Überall im Gebäude sind Ziegel mit Keilschrift eingemauert. Foto: KW.
Geben wir es zu, ausgesprochen viel wissen wir weder über den Erbauer (ein heute in Berlin aufbewahrtes Keilschrift-Dokument könnte Untasch Napirischa in die Jahre ca. 1275-1240 v. Chr. datieren), noch über den Gott, dem der Tempel geweiht war (Ischuschinak scheint niemand geringerer gewesen sein als der Hauptgott der Elamiter, der für Recht und Ordnung sowie das Wohlergehen seines Landes zuständig war). Und dabei existierte das, was die Archäologen das Reich von Elam nennen, – natürlich mit Unterbrechungen – fast 2.000 Jahre lang. So viel zum eigenen Ehrgeiz, seinen Namen der Nachwelt zu hinterlassen. Immerhin baute Untasch Napirischa in Tschoga Zanbil auf rund 100 Hektar elf Tempel – wahrscheinlich waren noch mehr geplant – und fünf Paläste.
Entdeckt hat man dieses Weltkulturerbe, das übrigens zum ersten UNESCO-Weltkulturerbe des Iran wurde, im Jahr 1935 aus der Luft, als man in der Gegend nach Öl suchte. Und heute werden ganz in der Nähe Probebohrungen unternommen, durch die einige Archäologen die Statik des Gebäudes bedroht sehen.
Iraner sind stolz auf ihre Geschichte. Sie besuchen gerne ihr kulturelles Erbe. Foto: KW.
Wie auch immer, bei uns hätten die Busse in Trauben auf dem Parkplatz gewartet. Hier waren wir ziemlich allein. Eine iranische Familie auf Ausflug, ein paar Bauarbeiter, die mit einem großen Topf voll Teer die Ziegelmauern oben regenfest machten (vielleicht nicht gerade die modernste Art der Restaurierung, aber immerhin) und unsere Gruppe. Wir gingen den neu vorgeschriebenen Weg – Kulturerbe verpflichtet, und staunten. Wir stellten fest, dass das Ding von allen Seiten gleich beeindruckend war, um dann total beeindruckt wieder in den Bus zu steigen.
Ein Blick in die Gruft von Haft Tepe. Foto: KW.
Vom Zikkurat aus ging es ein paar Kilometer weiter nach Haft Tepe, noch so eine Grabung, die es nie auf meine To-do-Liste geschafft hätte. Und dabei wurden in Haft Tepe (= Sieben Hügel) nicht nur Königsgräber gefunden, sondern auch eine Siedlung aus der Mitte des 2. Jt. v. Chr.
Ihr Herrscher – ein eher kleines, lokales Licht, der sich nichtsdestotrotz für ziemlich bedeutend hielt – legte genauestens fest, dass eine gewisse Zeit nach seinem Tod jeden Abend vier Mädchen in seinem Grab Wache halten müssten. Und damit sie nicht auf die Idee kämen, irgendetwas von seinem kostbaren Grabinventar mitgehen zu lassen, ordnete er an, wie eng ihre dürftige Kleidung mit Seilen um den Körper befestigt sein sollte…
Totenmaske, gefunden in Haft Tepe. Foto: KW.
Neben dem Königsgrab liegt eine weitere Gruft, in der 23 Personen gleichzeitig und dicht nebeneinander begraben wurden. Kein Wunder, dass jeder sofort daran dachte, dass diese 23 Diener vielleicht geopfert wurden, um den Herrscher auf seinem letzten Gang zu begleiten. Ob das so war? Wir wissen es nicht.
Unsere Phantasie regte sich natürlich. Die Grabung selbst half ihr dabei nicht. Es waren halt zwei Löcher im Boden: Das eine mit hart gestampfter Erde, das andere, etwas königlicher, mit einem Boden aus gebrannten Fliesen.
Urne mit Skelettresten aus Haft Tepe. Foto: KW.
Habe ich mich bei früheren Reisen darüber beklagt, dass in anderen Ländern Museen geschlossen sind? In Haft Tepe war das nicht so. Da kam der lokale Museumswärter sogar eigens zu unserem Guide, um ihn darauf aufmerksam zu machen, dass Museum nicht zu versäumen. Wir gingen also brav hinein, um einige lokale Funde anzusehen. Nun ja, das Museum hatte es schwer. Nach dem Silberschatz von Korramabad konnte uns nichts mehr vom Hocker hauen.
Weibliche Votivstatuetten. Foto: KW.
Hübsch fand ich freilich die Votivgaben, weibliche Statuetten, die rituell am Heiligtum entzwei gebrochen wurden, entweder um sie dem profanen Leben zu entziehen oder vielleicht, damit der Gläubige ein Teil der Statue als Erinnerung an seine Wallfahrt und als zukünftigen Trost mit nach hause nehmen konnte.
Es hatte sich das Gerücht im Bus verbreitet, dass wir heute schon um 4.00 oder 5.00 im Hotel sein würden. Na ja, die Hoffnung stirbt zuletzt, aber als wir so um 13.00 beim Essen saßen und noch die Besichtigung von Susa vor uns hatten, mochte ich an dieses Versprechen nicht mehr so recht glauben.
Ein Blick auf das Heiligtum zu Ehren des Propheten Daniel. Foto: KW.
Und damit kamen wir nach Susa, bzw. Schusch, wie die Stadt heute heißt. Es war merkwürdig. Wir stiegen aus und fühlten uns vom ersten Moment an unwohl. Wo andernorts die Leute freundlich grüßen und unaufdringlich fragen, woher wir denn kommen, umdrängte uns eine Gruppe von jungen Männern mit „Hello, Hello-Rufen“. Frauen wandten ihr Gesicht ab, und Frau Hodel riet, die Handtasche fest zu halten.
Das Zuckerhutdach des Heiligtums von Daniel. Mehr gibt’s hier nicht. Ich war nicht drin. Foto: KW.
Zuerst stand das Grab des Daniel auf dem Programm, ja genau, des Propheten Daniel, den der persische König gemäß Dan 6 in die Löwengrube schmiss, was erster überlebt haben soll, und was zweiteren überzeugt haben soll, selbst den Gott Daniels zu verehren.
Eigentlich gehört Daniel ja nicht zu den durch eine Erwähnung im Koran sanktionierten Propheten, aber die Leute mögen ihn trotzdem, und so ist sein Heiligtum sehr beliebt. Kunsthistorisch ist es nur wegen seines für die Gegend so charakteristischen Zuckerhutdachs bemerkenswert. Das Innere stammt aus der Kadscharenzeit und soll genauso aussehen wie das Mausoleum in Qazwin. Wohlgemerkt „soll“, denn als wir hörten, dass wir schon wieder einen Schador anziehen sollten, streikten wir Frauen. Nicht dass ich grundsätzlich gegen den Schador eingestellt bin oder mich weigere, religiöse Bräuche zu achten. Aber es war über 30 Grad heiß, es war tüppig, und ich fühlte schon unter meinem Kopftuch einen erheblichen Hitzestau. Dazu waren die Leute unfreundlich. Ein Mann fauchte unsere Gruppe grob an und half mit seinen Händen nach, damit wir ihm und seiner Familie Platz machten. Eine Frau, die gerade zum Beten kommen wollte, drehte sich bei unserem Anblick auf dem Absatz um. Ich weiß, wo ich nicht erwünscht bin. Und hier in Susa, beim Grab des Propheten Daniel kam man bestens ohne mich klar.
Nicht für Touristen, die Stände des Basars. Bitte beachten Sie die großen Klumpen von Kandiszucker rechts im Bild. Seien Sie vorsichtig, wenn sie iranischen Kandis in den Tee werfen: In seiner Mitte ist ein kleiner Bindfaden, der sich natürlich nicht auflöst. Foto: KW.
So standen wir und warteten im Schatten des Basars, bis die Männer, die trotzdem einmal einen Blick hineinwerfen hatten wollen, wieder zurück waren, und dann ging es zu dem, was von der bedeutenden Stadt Susa noch übrig geblieben ist.
Ein Blick ins Museum. Foto: KW.
Zuerst ins Museum. Immerhin, geöffnet. Und man konnte sogar einen archäologischen Führer in englischer Sprache zu den Sehenswürdigkeiten Persiens kaufen. Was ich natürlich tat. Der Mann am Eingang war ganz überrascht, dass er tatsächlich einmal ein Buch verkaufte, und zwar für die fürstliche Summe von 300.000 Rial – umgerechnet nicht einmal 8 Euro. Dafür erhielt ich rund 300 eng beschriebene Seiten und knapp 60 Bildtafeln.
Einer der monumentalen Stierköpfe, die früher den persischen Thronsaal schmückten. Foto: KW.
Auch dieses Museum ließ nur wenig vom einstigen Glanz der Stadt Susa erahnen. Es gab einen monumentalen Stierkopf, der früher einmal die Säulen im Thronsaal des persischen Königs bekrönt hatte, die das Dach aus Zedernholz trugen. Das war aber auch schon das beste Stück.
Die steinernen Bestandteile einer Stiersäule – nicht im Iran, sondern im Louvre / Paris. Foto: KW.
Was vielleicht daran liegen könnte, dass Susa von Franzosen ausgegraben wurde, die die besten Stücke natürlich für den Louvre reservierten.
Ein Blick auf Susa. Foto: KW.
Fragen Sie jeden vorderasiatischen Archäologen. Susa ist das Größte. Weil Sie nämlich dort die Schichtenabfolge der verschiedenen Siedlungen vom 4. Jahrtausend v. Chr. bis zum 13. Jh. n. Chr. rekonstruieren können.
Der Codex Hammurapi. Heute Louvre / Paris. Foto: KW.
Die Periode Susa I ist frühes Neolithikum mit wunderschöner bunter Keramik. Mit Susa III kommen dann die Proto-Elamer. Sie haben in ihrer Siedlung 1.550 Keilschrifttäfelchen mit proto-elamischer Schrift hinterlassen. Während Susa IVB war die Stadt Teil des akkadischen Reichs, nur um gegen Ende der Epoche wieder unabhängig zu werden. Mittelelamisch, neuelamisch, vor den Augen der Archäologen zieht geradezu ein Film ab, bei dem einige der wichtigsten Zeugnisse der vorderasiatischen Archäologie eine Hauptrolle spielen. Hier wurde nicht nur die fast lebensgroße Bronzestatue der Napirasu gefunden, Gattin des Schöpfers von Tschoga Zanbil, Untasch-Napirischa, sondern auch der Codex Hammurapi.
647 eroberte Assurbanipal die Stadt und zerstörte den Zikkurat, der bestimmt noch größer war wie der heute in Tschoga Zanbil erhaltene. Trotz der Plünderung, die einen Monat und 25 Tage gedauert haben soll, entschieden sich die ehemaligen Bewohner in ihre Stadt zurückzukehren.
Der ehemalige Thronsaal der Achaimeniden. Foto: KW.
Unter den Achaimeniden wurde Susa als Residenz ausgebaut. Herodot nennt Susa als einzige Residenz der Perser namentlich. Dareios I. baute hier einen Palast, den wir vorgaben zu besichtigen. Sagen wir es mal so, unsere Vorstellungskraft kämpfte heroisch mit den kläglichen Resten einstiger Größe.
Seleukos I., 312-281. Tetradrachme, Susa, nach 305/4. Aus Auktion Gorny & Mosch 236 (2016), 572.
Alexander übernahm Susa und erbeutete hier 50.000 Talente Silber, die er zu Tetradrachmen prägen ließ, um seine Söldner zu zahlen. Natürlich gab es in Susa eine Münzstätte, und die prägte fleißig unter den Seleukiden. Die hatten hier ein wichtiges Verwaltungszentrum eingerichtet. Nach Seleukia war Susa die größte Stadt des Reiches. Und tatsächlich wurden hier jede Menge Spuren griechischer Kultur gesichert.
Phraates III., 70-57. Drachme, Susa. Aus Auktion Gorny & Mosch 204 (2012), 1628.
Wann genau Susa aus dem Besitz der Seleukiden in den Besitz der parthischen Arsakiden kam, wissen wir nicht. Phraates IV. jedenfalls benannte die Stadt im Jahre 30 v. Chr. um in Phraata. 116 gelang es Kaiser Trajan, Susa kurz unter römische Kontrolle zu bringen – was aber ein Zwischenspiel blieb (in der nächsten Folge mehr über den römisch-parthisch-sasanidischen Konflikt). Auch wenn die Parther hier die Kontrolle hatten, die griechischen Institutionen funktionierten bis in die ersten Hälfte des 1. Jh. n. Chr. weiter, wie wir aus Inschriften wissen. Danach verlor Susa langsam an Bedeutung.
Ardashir III., 628-630. Drachme, Susa, 629. Aus Auktion Gorny & Mosch 225 (2014), 1719.
Ardashir I. eroberte 224 Susa, zerstörte die Stadt und ließ sie gleich danach wieder aufbauen, was Shapur II. 339 mit 300 Elefanten wiederholte (über das sasanidische Verhältnis zu Arbeitsökonomie kann man durchaus diskutieren). Susa soll zeitweise den sasanidischen Herrschern als Aufenthaltsort gedient haben und war als Zentrum des Goldhandels und der Seidenweberei bekannt.
639 eroberten die Araber die Stadt (zerstörten sie, bauten sie wieder auf). Die archäologische Geschichte Susas endete erst 1259, als die Mongolen sie zerstörten (und nicht wieder aufbauten).
Der östliche Vorhof zum Palast der Achaimeniden, falls Sie das nicht schon längst gemerkt haben. Foto: KW.
Und soweit zur beeindruckenden Geschichte der Stadt. Sehen konnte man davon nicht viel. Dazu war es mittlerweile noch heißer geworden. Ich traute mich schon gar nicht mehr, mein Kopftuch zu lüften, weil darunter der Schweiß in Bächen dahin floss.
Brav folgte ich Frau Hodel erst entlang der kleinen Archivräume, in denen die persische Verwaltung untergebracht war. Dann zum Thronsaal, wo uns ein local Guide, der diese seltene Gelegenheit, endlich ein bisschen Geld zu verdienen, nicht sausen lassen wollte und uns seine Rekonstruktionszeichnungen zeigte. Das war nötig. Die Ruinen lassen nichts ahnen von der einstigen Pracht. Zwar sieht man die gewaltigen Plattformen, auf denen einst die noch gewaltigeren Säulen standen, zwar kann man sich gut vorstellen, wo der persische König thronte und ein paar Säulenreste geben einen Eindruck, wie hoch die Säulen gewesen sein müssen, aber das ist es dann. Irgendwie sagt einem die ganze Grabung von Susa immer nur dasselbe: Sic transit gloria mundi. Egal, wie bedeutend du dir vorkommst, irgendwann trampeln erhitzte Touristen an deinem Allerheiligsten vorbei und sehnen sich nach ein bisschen Schatten.
Die touristische Infrastruktur von Susa. Foto: KW.
Während der größte Teil der Truppe immer noch wissbegierig die Grundrisse der Handwerkersiedlung anschaute, hatte ich genug. Ich setzte mich unter eine Bank unter einem Baum. Immerhin, es gab diese Bank. Aber das war auch alles an Infrastruktur, was es gab. Hier in Susa fiel es mir zum ersten Mal auf, was mir bei den iranischen Grabungen so sehr fehlte. In der Türkei, in Griechenland, in Italien ist das nächste Café nicht weit. Überall kann man sich in idyllischer Umgebung bei einem kalten Saft oder einem heißen Tee erfrischen. Hier gibt es nichts an touristischer Bequemlichkeit. Eine Bank im Schatten ist schon der höchste Luxus. An Getränken gibt es nur das allgegenwärtige Wasser im Bus, und hin und wieder einen Tee, serviert von unserem Busfahrer Nadir und seinem Gehilfen Mustafa – und das war’s. Ja, die vielen Picknicks finden nicht wegen der Idylle statt, sondern weil es für Touristen nur wenig angemessene Restaurants gibt.
Wer in den Iran geht, muss sich klar sein, dass es hoch interessant ist. Dass es viele einmalige Sehenswürdigkeiten gibt. Aber dass die normalen touristischen Standards hier nicht gelten. Hier kann man sich nur im Hotel erholen, und nicht alle Hotels sind so ausgestattet, dass sie eine Erholung ermöglichen.
Wie auch immer, wir waren kurz nach halb sieben wieder daheim. Von wegen ruhiger Tag. Na ja, alles ist relativ. Morgen geht es um 6.00 los, das heißt aufstehen um 4.30. Nun, als Urlaub kann das nicht einmal der strengste Finanzbeamte bezeichnen.
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