von Ursula Kampmann
28. Februar 2013 – Es war ein besonders krasser Fall von monetärer Ungerechtigkeit, den ein gewisser Georg Sawer hinnehmen musste. Er brauchte im Jahre 1515 dringend einen Kredit in Höhe von fünfzig Gulden zu 5 % im Jahr, weil ihm alle seine Pferde gestorben waren. Der Wallfahrtsort Grimmenthal sprang ein, der über ein hohes Einkommen aus Stiftungen und Votivgaben verfügte. Allerdings ließen die Pilger vor allem schlechtes Geld in den Opferstöcken zurück, also Kleingeld, dessen Silbergehalt nicht dem Wert der Münze entsprach. Und in diesem schlechten Geld zahlten die Kirchenoberen dem Kaufmann seinen Kredit aus. Auf etwa 30 Gulden berechnete ein Geschäftspartner von Sawer den Wert des Darlehens – zurückzuzahlen selbstverständlich in guter Münze. Sparen wir uns die restlichen Verwicklungen, wie zum Beispiel den unschönen Umstand dass Georg Sawer auch noch wegen des Besitzes verbotener Münzsorten in Sachsen verhaftet wurde. Halten wir nur fest, dass zur Zeit der Reformation der Geschäftspartner, der am längeren Hebel saß, vorschreiben konnte, ob mit gutem oder schlechtem Geld gezahlt wurde. Und wer hätte diesen immensen Vorteil nicht für sich ausgenutzt?
Philipp Robinson Rössner, Deflation – Devaluation – Rebellion. Geld im Zeitalter der Reformation, Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Beiheft 219. Steiner Verlag, Stuttgart, 2012. XXXIII, 751 S., Abbildungen Schwarz-Weiß und Tabellen. Hardcover. ISBN 978-3-515-10197-4. Preis: 89 Euro.
Die Studie, die Philipp Robinson Rössner mit seinem Buch „Deflation – Devaluation – Rebellion“ vorlegt, ist beklemmend. Sie beschreibt ein gesellschaftliches Phänomen, das sich bis in die Gegenwart fortsetzen scheint, wenn allmächtige Manager ihre Gehälter in schwindelerregende Höhen treiben, während Leiharbeiter nicht wissen, wie sie von ihrem Lohn leben sollen. Der Mächtige diktiert die Bedingungen. Doch während heute zumindest theoretisch Möglichkeiten des Eingreifens existieren – man denke nur an die schweizerische Abzocker-Initiative oder an die Occupy Bewegung, blieb dem kleinen Mann der Reformation nur der Aufstand.
Wobei das Bild vom armen Bäuerchen heute so nicht mehr stimmt. Viele der Agitatoren im Bauernkrieg gehörten zur nicht-bäuerlichen Elite auf dem Land, waren Gastwirte, Schmiede oder Dorfschulzen, die ein erhebliches Vermögen versteuerten und öfter auf dem Markt agierten. Sie waren es, die die Ungerechtigkeiten des Systems verstanden und ihren Kombattanten erklärten.
Und ungerecht war der Geldmarkt in der Tat. Über 600 Münzstände konnten damals zumindest theoretisch Münzen prägen. Besonders ertragreich waren Kleinmünzen, die den alltäglichen Zahlungsverkehr beherrschten. Man brauchte nur alte Münzen mit hohem Silbergehalt einziehen, einschmelzen und neue mit geringerem Silbergehalt ausgeben. Schon hatte man einen interessanten Gewinn gemacht. Zurück blieb die Unsicherheit des Verbrauchers, der damit leben musste, dass sein Geld in der einen Stadt so, in der anderen anders bewertet wurde. Kein Wunder dass sich die Rhein-Flößer darüber beklagten, dass die Weißpfennige zu 1/24 rheinischem Gulden berechnet wurden, wenn der Käufer sie auszahlte. Wenn sie die Flößer dagegen an einem anderen Ort in Zahlung gaben, waren sie nur noch 1/27 rheinischen Gulden wert.
Dass es diese wirtschaftlichen Ungerechtigkeiten waren, die eine entscheidende Rolle bei der Entstehung der Bauernkriege spielten, weist der Autor mit vielen konkreten Beispielen nach. Sein Buch lässt ein gewaltiges Panorama der Geldverhältnisse in der frühen Neuzeit entstehen, das numismatische Einzelstudien weit hinter sich lässt. Die Arbeit bringt die Münze auf die politische Bühne, zeigt, wie stark die „große“ Geschichte durch die Währungsverhältnisse bestimmt wurde.
Natürlich ist es keine leichte Kost, was Philipp Robinson Rössner da bietet. Es ist ein wissenschaftliches Werk, das die Aufnahme in die renommierte Reihe „Beihefte der Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte“ geschafft hat. Man muss also schon eine gewisse Bereitschaft mitbringen, sich mit Fremdwörtern, komplizierten Zusammenhängen und ökonomischen Modellen auseinanderzusetzen, wenn man sich an die Lektüre machen will. Auch die mehr als 600 Seiten werden viele Leser abhalten, sich durch den Text zu quälen. Was schade ist. Denn der Autor hat es geschafft, einen numismatischen Vorgang, den vor ihm Tausende von Münzsammlern und Museumskuratoren gesehen haben, in seinen historischen und vor allem sozialen Zusammenhang zu stellen.
Erst nach der Lektüre hat man wirklich begriffen, was es für einen einfachen Mann bedeutete, dass er sich auf das Geld, das man ihm in die Hand drückte, nicht verlassen konnte. Und wer sich – abgestoßen von unserer Fiat-Währung – wieder nach Gold, Silber und der Vergangenheit sehnt, wird ins Grübeln kommen, ob man eine so wichtige Angelegenheit wie das Geld tatsächlich dem Staat überlassen sollte, der diese Basis der Wirtschaft nach seinem eigenen Bedürfnis straflos manipulieren kann – und dies seit Jahrtausenden getan hat.
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