Die Reichsstadt Augsburg: Nur die wenigsten sind sich bewusst, dass diese kleine Stadt westlich von München im 16. Jahrhundert das wichtigste Handels- und Industriezentrum in der südlichen Hälfte des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation war – wesentlich wichtiger als Frankfurt am Main oder gar München. Auch wenn die meisten von den Fuggern und Welsern schon einmal gehört haben, wird die unglaubliche wirtschaftliche Bedeutung dieser Stadt erst klar, wenn man sich mit ihren Steuerlisten beschäftigt. Es gab in Augsburg nicht nur wohlhabende Bürger, sondern viele reiche und superreiche.
Wie bedeutend und gut versorgt Augsburg war, zeigt die Tatsache, dass ihre Bürger im Verlauf des 16. Jahrhunderts gleich 13 Reichstage stemmen konnten, mehr als ein Drittel aller in diesem Jahrhundert abgehaltenen Reichstage. Zum Vergleich: Die andere große Handelsstadt des 16. Jahrhunderts, Regensburg, beherbergte „nur“ 8 Reichstage.
Auch wenn die wirtschaftliche Macht Augsburgs durch den 30jährigen Krieg gebrochen war, blieb die Stadt im 17. und 18. Jahrhundert ein Handelszentrum von überregionaler Bedeutung.
Deshalb ist es umso verwunderlicher, dass es bis heute keinen vernünftig Katalog der städtischen Prägung von Augsburg gab. Es war der erfahrene Sammler Anton Vetterle, der sich ans Werk gemacht hat, um diese Leerstelle endlich zu füllen.
Klar begrenzt, klar geordnet
Man muss dem Autor ein großes Kompliment machen. Er hat eines vorbildlich geschafft, nämlich glasklar sein Material abzugrenzen und in eine systematische und übersichtliche Ordnung zu bringen. Anton Vetterle legt einen Katalog der städtischen Münzen vor: Von der Verleihung des Münzrechts durch Karl V. im Jahr 1521 bis zum Verlust der Reichsfreiheit und der Eingemeindung in Bayern im Jahr 1805. Er beschränkt sich dabei vernünftigerweise auf die Münzen und versucht nicht, die Medaillen auch noch einzubeziehen.
Als Materialbasis dienten dem Autor sieben Münzkabinette, acht Privatsammlungen und die Kataloge zweier Münzhandlungen. Das ist für einen Sammler enorm. Ein Wissenschaftler müsste sich vielleicht fragen lassen, warum er nicht die Münzkabinette in der benachbarten Schweiz angefragt hat. Schließlich standen St. Gallen, Schaffhausen und Zürich in engstem wirtschaftlichen Austausch mit Augsburg, so dass in diesen Kabinetten vielleicht zusätzliches Material liegt. Man hätte außerdem weitere Auktionskataloge heranziehen können (CoinArchives & Co.?). Aber wahrscheinlich war das ein Problem der Zeit. Und wer weiß, ob Aufwand und Ertrag überhaupt in einem vernünftigen Verhältnis gestanden hätten.
Der Vollständigkeit halber – nicht als Kritik – sei erwähnt, dass auch die Schatzfunde nicht für den Katalog erfasst oder ausgewertet wurden.
Der Katalog
Es handelt sich bei Anton Vetterles Katalog um einen Typen-, nicht um einen Stempelkatalog: Es sind also alle Typen gelistet und mit einem Beispiel abgebildet. Die Ordnung erfolgt nach Jahr, innerhalb des Jahres nach Nominal: Von Gold zu Bronze.
Jeder einzelne Typ ist mit einer unverwechselbaren Nummer versehen – zusammengesetzt aus Jahreszahl und laufender Nummer innerhalb des Jahrganges. Es folgt als Kurzbeschreibung Nominal und Jahrgang, danach die exakte Beschreibung. Endlich Material, Gewicht und Durchmesser eines konkreten Stücks, dessen Standort angegeben ist. Es folgen die bekanntesten Katalogzitate. Irgendein Hinweis, ob ein Typ häufig oder selten ist, fehlt.
Die Einleitung
Knapp 60 Seiten Einleitung gehen dem Katalog voraus. Kurz gesagt, sie sind der schwächere Teil des Buchs. Der Autor versucht, die Augsburger Münzprägung in ihren geldgeschichtlichen Hintergrund einzuordnen. Er erläutert, welche Münzen vor 1521 entstanden und listet die wichtigsten Ereignisse auf, die auf die städtische Münzprägung Einfluss nahmen. Anton Vetter fasst zusammen, wie er sich den Prägeprozess und die damit verbundenen Veränderungen vorstellt und nennt die involvierten Handwerker. Auch dem Gold- und Silberhandel sowie den Münzdarstellungen sind ein eigenes Kapitel gewidmet.
Das Problem ist die Tatsache, dass der Autor zumeist Exzerpte aus der Sekundärliteratur präsentiert, die nicht immer ein kohärentes, und vor allem korrektes Bild ergeben. Dazu fragt man sich manchmal, was das eigentlich mit den Münzen zu tun hat. Ein Beispiel wären die wunderbaren Stadtdarstellungen, die auf Augsburger Münzen zu sehen sind. Erfahrungsgemäß entstehen solche Bilder nicht im luftleeren Raum, sondern beziehen sich auf gedruckte Vorlagen. Nun listet Anton Vetterle in einem eigenen Kapitel zwar vorbildlich auf, welche gedruckten Stadtansichten von Augsburg existieren, aber er macht nicht den zweiten Schritt zu überprüfen, welche von ihnen für die Münzen übernommen wurden.
Ein anderes Beispiel ist das Kapitel über die Flussgottheiten, die gerne auf Augsburger Münzen dargestellt werden. Hier weist der Autor auf die Bedeutung des Wassers als Trinkwasser und Energiequelle hin. Sinnvoller wäre es wahrscheinlich gewesen, sich die Augsburger Prachtbrunnen anzusehen und zu vergleichen, wie dort die Flussgötter abgebildet sind und ob sie so ihren Weg ist Münzbild gefunden haben. Dass bis in die Neuzeit Flüsse vor allem deshalb wichtig waren, weil auf ihnen schwere Waren kostengünstig transportiert werden konnten, sei nur am Rande vermerkt.
Ein drittes Beispiel ist das Kapitel über die Identifikation der Stadtpersonifikation von Augsburg mit der Gottheit Cisa. Der Autor postuliert zwar, sie sei abgebildet, dann nennt er aber die gleiche Personifikation in seinem Katalog doch Augusta. Dies führt zu der Inkonsequenz, dass eben diese Personifikation auf derselben Münze einmal mit Cisa, einmal mit Augusta tituliert wird.
Auch wenn die Systematik, mit der Anton Vetterle die Einleitung konzipiert hat, bewundernswert ist, scheitert er mit ihr an der Komplexität der Materie. Das tut einem Rezensenten leid, weil der Autor sich hier eine Aufgabe auferlegt hat, die er nicht hätte erfüllen müssen. Es gibt genug Bücher, in denen man sich, wenn nötig, fundiert über das Augsburger Silberhandwerk oder die Kunst der Münzprägung informieren kann. Hier wäre weniger mehr gewesen.
Die Geschichte der Augsburger Münzsammlung
Ebenfalls eigentlich nicht Thema des Buchs, aber durchaus interessant, ist das Kapitel über die Geschichte der Münzsammlung im Maximilianmuseum in Augsburg. Es überrascht, dass diese Münzsammlung erst auf das 19. Jahrhundert zurückgeht! Schließlich existierten in Augsburg vor dem 30jährigen Krieg umfangreiche Münzsammlungen einiger der bedeutendsten Vertreter der deutschen Numismatik. Man denke nur an Adolph Occo, Marcus Welser und die vielen Antiquare, die sich den münzsammelnden Adligen ihrer Zeit als Faktoren andienten. Es wäre durchaus spannend gewesen zu erfahren, ob in Schweden nicht nur der Augsburger Kunstschrank steht, sondern auch Teile der Augsburger Sammlungen gelandet sind, oder ob sie 1805 mit der Eingemeindung nach Bayern in die Staatliche Münzsammlung in München kamen.
Vorbildliches Arbeitswerkzeug
Dem Katalog beigegeben sind zahlreiche zusätzliche Informationen wie
- eine Liste der Münzmeister und Stempelschneiderzeichen
- eine Liste der Augsburger Probationstage
- zwei Listen der Augsburger Stempel im Maximiliansmuseum Augsburg und in der Staatlichen Münzsammlung München
- ein Literaturverzeichnis
- ein Orts- und Personenregister
Man darf dem Autor zu seinem Werk gratulieren, denn trotz kleiner inhaltlicher Schwächen ist der Katalog eine äußerst nützliche Hilfe für jeden Sammler von Augsburger Münzen und jeden Münzhändler, der Augsburger Münzen bestimmen muss. Man kann davon ausgehen, dass sich dieser Katalog zur Standardliteratur entwickeln wird, wenn es darum geht, Augsburger Münzen zu beschreiben.
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