17. Dezember 2009
INTERNATIONAL ASSOCIATION OF DEALERS IN ANCIENT ART |
Wandelt sich die Stimmung in der Kulturgüterschutzfrage?
Ein Artikel in der New York Times vom 16. November 2009 wirft Fragen auf
Dr. Zahi Hawass, Generalsekretär der ägyptischen Altertümerverwaltung, scheint in Archäologenkreisen gefürchtet sein, jedenfalls deutet John Tierney in seinem unlängst erschienen Artikel „A Case in Antiquities for Finders Keepers“ in der New York Times vom 16. November 2009 das an. In seiner Funktion hat Hawass nicht nur die Möglichkeit, sich lautstark darüber zu beschweren, daß ägyptisches Kulturgut in Museen außerhalb Ägyptens aufbewahrt wird, sondern auch den Archäologen, die mit diesen Instituten zusammenarbeiten, Grabungslizenzen zu verweigern oder gar zu entziehen. So geschehen im letzten Oktober. Dahinter stand der Wunsch von Dr. Hawass, ein antikes Freskofragment aus Frankreich zurückzuerhalten, was ihm der Louvre dann auch umgehend zurückerstattete. Derzeit verhandelt laut Tierney ein offizieller Vertreter des Neuen Museums in Berlin mit Ägypten wegen der weltberühmten Büste der Berliner Nofretete. Die Angst, daß deutsche Wissenschaftler des Landes verwiesen werden könnten, weil man diese weltberühmte Skulptur nicht an die Ägypter herausgeben will, muß groß sein.
Es ist ungewöhnlich, daß ein Journalist den Zusammenhang zwischen der Rückgabe von Kulturgütern und dem Interesse europäischer Archäologen, ihr Betätigungsfeld nicht zu gefährden, zusammenbringt. Aber John Tierney geht in seinem Artikel in der New York Times noch weiter. Er stellt die Frage, ob dieser vorauseilende Gehorsam der Archäologenwelt tatsächlich gut ist für das kulturelle Erbe der Menschheit.
John Tierney hat aufmerksam ein Buch gelesen, daß 2009 von James Cuno, dem Direktor des Art Institute of Chicago herausgegeben wurde. Darin vertreten renommierte Wissenschaftler eine etwas andere Ansicht, als man es sonst aus Archäologenkreisen zu hören bekommt (James Cuno, Whose Culture?, Princeton University Press 2009). Sie wehren sich gegen die Zensur, wie sie heute in einigen Museen und Universitäten systematisch betrieben wird. Wer es wagt, die Behauptung in Frage zu stellen, daß der Handel mit antiken Gegenständen verantwortlich dafür sei, daß Kulturgut zerstört wird, der muß mit erheblichen Auswirkungen auf seine Karriere rechnen. Viele wissenschaftliche Gesellschaften weigern sich inzwischen, in ihren Publikationen Artikel anzunehmen, in denen Objekte veröffentlicht werden, die aus Privatbesitz stammen und somit in den Augen der Herausgeber von zweifelhafter Herkunft sind.
Der Journalist hat verstanden und zugespitzt formuliert, worum es den Wissenschaftlern in Cuno’s Sammelband geht: „Es gibt keinen Zweifel, daß die Kulturgüterschutzgesetze archäologische Entdeckungen zu politischen Waffen gemacht haben.“ Saddam Hussein habe das Irakische Nationalmuseum instrumentalisiert, um sich selbst als modernen Nebukadnezar zu glorifizieren. Und das sei nur ein Beispiel von vielen. Die Befürworter einer Politik der Rückgabe aller bedeutenden Kunstwerke vergessen dabei, stellt der Autor fest, daß alle Kunstwerke nur entstehen konnten, weil sich die Kulturen untereinander beeinflußt haben. Genauso wie die Entstehung der Renaissance ohne den Einfluß von „geplünderten“ Altertümern undenkbar wäre, müsse man beim berühmten Rosetta-Stone, der die Entschlüsselung der ägyptischen Hieroglyphen ermöglichte, ernsthaft überlegen, ob das islamische Ägypten tatsächlich der adäquate Nachfolger der bilderreichen ägyptischen Kultur ist.
Würde die Trilingue heute auf dem Markt auftauchen – und ihr archäologischer Zusammenhang wäre wirklich kein großer Wissensverlust, da sie sekundär in einer osmanischen Festung verbaut worden war –, so hätte der Museumsdirektor, der sie erworben hätte, internationalen Tadel und vielleicht sogar eine Strafverfolgung riskiert. Wissenschaftler hätten den Rossetta-Stone totgeschwiegen, weil die Politik der führenden archäologischen Zeitschriften seine Publikation verboten hätte. Die Folge davon wäre laut Professor Cuno gewesen, daß „Ägyptologie, so wie wir sie kennen, gar nicht erst existiert hätte.“ „Der oberste Antikenrat“, so schließt Tierney seinen Artikel, „hätte also nicht einmal gewußt, was ihm fehle.“
Nachzulesen ist der Artikel im Internet unter
http://www.nytimes.com/2009/11/17/science/17tier.html?_r=1&hpw
Mit dem Artikel eröffnete John Tierney die Diskussion, ob antike Objekte wie der Rosetta Stone an ihr Herkunftsland zurückgegeben werden sollten. Bis jetzt haben sich 156 Interessierte in seinem Blog zu Wort gemeldet – und erfreulicherweise beherrschen nicht die üblichen „hardliner“ und ihre stereotypen Vorurteile die Diskussion. Viele Beiträge halten sich nicht an politische Korrektheit, sondern sprechen sehr offen über die wahren Hintergründe der Diskussion. Anbei einige Reaktionen (in Übersetzung):
Erinnern Sie sich an die antiken Statuen in Afghanistan, die von den Taliban in die Luft gesprengt wurden, oder an die Kunstwerke, die aus dem irakischen Museum geraubt oder gar zerstört wurden? Die Nationen sollten froh sein, dass ihre Kunst über die ganze Welt verstreut ist, da dies Verrückte daran hindert, antike Kulturen vollständig zu zerstören. S. May Gehören diese Funde der gegenwärtigen Nation, auf deren Gebiet sie gefunden wurden? Die Geschichte sieht viele Reiche auf- und wieder untergehen, doch die verschüttete Vergangenheit ist immer da. Welch unverschämte Arroganz, wenn ein Land glaubt, bereits gemachte oder künftige Funde seien exklusiv sein nationales Eigentum. Die Vergangenheit kann nicht einer gegenwärtigen Nation gehören. Sie gehört der ganzen Welt… gdw Sie übersehen, dass das heutige Ägypten mit dem antiken Ägypten nur noch die Geographie gemeinsam hat. Dazwischen liegen mindestens drei Nachfolgekulturen, von denen jede die vorherige nach Kräften zerstört hat. Die christlichen Kopten sind definitiv die Nachfahren von Ägyptern der pharaonischen Zeit, ihre Kirchensprache stimmt mit der antiken gesprochenen Sprache überein. Genau wie andere christliche Völker des Nahen Ostens wurden sie in immer größerem Maße verfolgt und drangsaliert. Der Stein von Rosette ist in Wahrheit ihr Erbe, nicht das eines islamisierten, panarabischen Ägypten – warum sollte man ihn Leuten wie Dr. Hawass übergeben? In gewissem Sinne nimmt jede Archäologie in Kauf, eine Stätte bzw. ein Artefakt zu zerstören und damit Informationen zu verlieren, die man auch durch eine nicht derart zerstörerische, noch nicht existente Technik gewonnen hätte. Jede Verbringung überführt ein Objekt lediglich von einer Sammlung in die andere. … Es sollte nicht so sehr die Frage nach dem Stein von Rosette gestellt werden, sondern vielmehr, wohin der Louvre den Codex Hammurapi zurückgeben würde? Er wurde sicher im heutigen Irak hergestellt. Die Franzosen freilich haben ihn auf dem Gebiet des heutigen Iran gefunden, haben doch die Elamer das Artefakt bei der Plünderung Babylons an sich genommen – Tausende von Jahren, bevor es „den Irak“ und „den Iran“ überhaupt gab. Der Stein von Rosette wurde durch einen griechischen Herrscher in Auftrag gegeben. … Ich glaube nicht, dass es die Ägypter sehr erfreuen würde, wenn das British Museum den Stein an das heutige Griechenland zurückgeben würde. Wenn alles zu seinem geographischen Ausgangspunkt zurückgeführt würde, könnte es kaum noch jemand sehen. Wie viele Menschen haben zum Beispiel die Wunder des antiken Ägypten bei einem Besuch des Metropolitan Museum New York bestaunt? Das Teilen von Artefakten durch Museen schwächt diese Kultur nicht, es stärkt sie… Er berichtete von den Millionen von Italo-Amerikanern, deren Familien vor dem Ersten Weltkrieg in die USA kamen. … Das bedeutet, dass eine gewaltige Zahl von Nachfahren der Menschen, die jene Museumsobjekte, auf die nun die Italiener einen Anspruch erheben, hergestellt, benutzt oder besessen haben, tatsächlich in den USA leben. Warum sollten sie nicht auch Ansprüche auf diese Objekte erheben können? … Es wird immer eine Nachfrage nach diesen Objekten bestehen, genauso wie es immer einen schwarzen Markt geben wird. Dieser zerstörerische schwarze Markt kann nur dadurch eingedämmt werden, indem man einen positiven, legalen Markt schafft. Hierzu könnten die großen Museen ihre Magazine für seriöse Sammler öffnen und damit ein übertragbares Titelsystem schaffen in der Art der Lizenzerteilung für Waffen. … … Den ach so ernsthaften Archäologen stelle ich immer gerne folgende Frage: Stell dir vor, man hätte dich mit all deinen Lieblingsdingen bestattet. … Eines Tages gräbt jemand dich und deine Sachen aus. Wenn du wählen könntest, wo würdest du deine Sachen letztendlich lieber sehen: a) in einem staubigen Holz- oder Pappkästchen in einem schmuddeligen Lager, eifersüchtig bewacht durch jemanden, der nur daran interessiert ist, Informationen zu kontrollieren und esoterische Schriften zu veröffentlichen?; oder 2) auf dem Kaminsims in einem Haus, in dem entweder viel gefeiert wird oder aber auch vielmehr Beschaulichkeit herrscht? Wenn es nach mir ginge, würde ich mir ganz sicher Letzteres wünschen, genau wie viele andere Menschen, wenn sie über dieses Szenario einmal ernsthaft nachdenken… Viele Menschen bedenken gar nicht, dass es viele unserer wertvollsten Artefakte nur deshalb noch heute gibt, weil sie aus früheren „Plünderungen“ kommen. |
Alle Beiträge zur Diskussion im Original unter
http://tierneylab.blogs.nytimes.com/2009/11/16/who-should-own-the-rosetta-stone/?apage=1#comments