Ausstellung in Zürich zur Entstehung unseres Finanzwesens

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13. September 2012 – Die Wirtschaft sind wir alle, wie der englische Ausdruck sagt: „It’s the economy, stupid!“ Das Landesmuseum Zürich zeigt vom 14. September 2012 bis 17. Februar 2013 in einer historischen Inszenierung, wie alles anfing. „KAPITAL. Kaufleute in Venedig und Amsterdam“ beschäftigt sich mit der Entstehung unseres Wirtschaftssystems, des Kapitalismus.

Paolo Veronese, Juno überschüttet Venedig, um 1553. Dogenpalast, Venedig. © 2012. Photo Scala, Florenz.

„KAPITAL. Kaufleute in Venedig und Amsterdam“ entstand, weil wir bereit sind, unsere Meinung zur gegenwärtig weltweit dominierenden Form der Ökonomie zu äußern, dabei aber viel zu wenig über das Wann, Wie und Warum ihrer Entstehung wissen. Bei der Ausstellung „KAPITAL“ liegt der Fokus auf der Entstehung relevanter Kapitalisierungs- und Finanzinstrumente ab dem späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Und auf den Kaufleuten und Händlern, die diese Instrumente erfanden.

Venedig ab dem 13. und Amsterdam im 17. Jahrhundert spielen in der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung des Westens eine bedeutende Rolle. Kaufleute beider Städte erfinden für ihren Handel und Fernhandel Finanzierungsinstrumente, die wir noch immer nutzen.

Hendrick Cornelisz Vroom, Die Mauritius und andere Ostindienfahrer, um 1600-1630. Rijksmuseum Amsterdam.

Beide Städte orientieren sich zum Meer hin, nehmen Risiken auf sich, bauen Handelsschiffe, erleiden Verluste, erzielen aber auch hohe Gewinne. Beide investieren mit zunehmendem Reichtum in Kunst und Pracht, bevor ihre Blütezeit zu Ende geht.
Internationale Leihgaben aus Italien und den Niederlanden – die meisten von ihnen erstmals in der Schweiz ausgestellt –, erzählen die Geschichte beider Städte: Schiffsmodelle, nautische Instrumente, seltene Seekarten, Handbücher für Kaufleute, Architekturmodelle, luxuriöse Gold- und Silberobjekte, reich illustrierte Folianten und eigens für die Ausstellung produzierte Filme erklären, wofür (Fern-)Händler und Kaufleute in der frühen Neuzeit Handelsgesellschaften, Kreditmärkte, Aktiengesellschaften, Zentralbanken etc. entwickeln. Wann und warum wird zum Beispiel die doppelte Buchführung entwickelt? Seit wann existiert die heute vieldiskutierte staatliche Kreditaufnahme? Wozu dient den Kaufleuten des 13. Jahrhunderts der Wechsel, der Geld zu Papier und Papier zu Geld werden lässt? Warum entstehen Noten- bzw. Zentralbanken?

Die Ausstellung zeigt die Entwicklung unserer Ökonomie am Beispiel zweier von der Schweiz weit entfernter Städte. Doch auch die Schweizer Wirtschaft mit ihrer (Export)Industrie, ihren Handelshäusern und ihrer Finanzindustrie basiert auf Instrumenten, welche die Kaufleute südlich der Alpen und am Atlantik entwickelten. Risiko und (Fern-)Handel, Emission verzinslicher Staatsanleihen zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben, Erwirtschaftung von Reichtum, Hinwendung zu kultureller Repräsentation und zum Genuss: Auch bezüglich dieser Dynamik zeigen sich erstaunliche Parallelen. Was historisch erscheint, entpuppt sich überraschend als Gegenwart.

Gang durch die Ausstellung
In einem Parcours durch den Westflügel des  Landesmuseums Zürich präsentiert sich die Ausstellung „KAPITAL. Kaufleute in Venedig und Amsterdam“. Anhand von Modellen, Gemälden, nautischem Instrumenten, historischen Kleidern und Filmen erzählt die Ausstellung von der Entstehungsgeschichte unserer Ökonomie.

Prolog
Man möchte nicht in seiner Haut stecken, denn er schreit angsterfüllt, während ihn geflügelte Dämonen Richtung Hölle tragen. Die Geschichte des reichen Mannes, der sein Herz dem Geld geopfert hat, steht im Mittelpunkt der drastischen Bildgeschichte von Hans Fries – und am Anfang der Ausstellung „KAPITAL. Kaufleute in Venedig und Amsterdam“. Dargestellt ist sie auf den Bildtafeln des Antonius-Altars von 1506, einem Werk, dessen Bildsprache an heutige Comics erinnert. Den Kontrapunkt bildet im gleichen Raum die Replik des sogenannten „Zürcher“ beziehungsweise St. Galler Globus. 1570 entstanden, symbolisiert der Globus das Selbstbewusstsein der aufsteigenden Kaufleute und zeigt: Die Welt gehört uns. Die 2009 erstellte, farbenprächtige Replik aus der Stiftsbibliothek St. Gallen wird erstmals in Zürich ausgestellt.

Venedig: Public Private Partnership des 14. Jahrhunderts
Auf ebenso schöne und meist erstmals in der Schweiz ausgestellte Exponate treffen Sie in den nächsten Räumen beim Besuch der Seerepublik Venedig. Ihre Handelsflotte beherrschte vom 12. bis ins frühe 16. Jahrhundert vor allem das östliche Mittelmeer.

Jacopo de‘ Barbari, Porträt des Mathematikers Luca Pacioli und eines unbekannten jungen Mannes, um 1500. Museo di Capodimonte, Neapel. © 2012. Photo Scala, Florenz – mit Genehmigung des Ministero per i Beni e le Attività Culturali.

Umgeben von Wasser, ohne bebaubares Umland, lernten die Bewohner am Rialto seit je mit dem Meer und von ihm zu leben, um zu Wohlstand und Ruhm zu gelangen. Während der Begegnung mit venezianischen Schiffsmodellen, nautischen Instrumenten, seltenen Seekarten und Handbüchern für Kaufleute wird auch ein System der Vorfinanzierung von Fernhandelsreisen aus der Frühzeit des Kaufmannskapitalismus vorgestellt.

Vittore Carpaccio, Der Löwe von San Marco, 1516. Dogenpalast, Venedig. © 2012. Photo Scala, Florenz.

Es geht um eine Innovation im Venedig des 14. Jahrhunderts, um das ausgeklügelte und moderne System des Incanto, das die Seerepublik für ihren Fernhandel erfand: eine frühe Form von Public Private Partnership. Venedig baute in der staatseigenen Werft, dem Arsenale, Handelsgaleeren bis zur Grundausrüstung. Private Kaufleute konnten Anteile ersteigern und mussten sich selber um Mannschaft, Werkzeug, Ersatzteile, Navigationsinstrumente und Gegenstände des täglichen Lebens kümmern.

Medienraum: Die Entwicklung von Märkten und Finanzinstrumenten
Im Medienraum, der auf die Räume „Venedig“ folgt, erklären Filme, warum und wofür im Übergang in der frühen Neuzeit Händler und Kaufleute Märkte, Handels-Gesellschaften, Kreditmärkte, Aktiengesellschaften etc. entwickelten, oder warum die Einführung der doppelten Buchhaltung und des Wechsels eminent wichtig waren. Seit wann existieren die heute vieldiskutierten Staatsanleihen, und was genau bedeutet Staatsverschuldung? Warum entstanden Noten- bzw. Zentralbanken? Antworten gibt der Medienraum.

Amsterdams Goldenes Zeitalter
In den nächsten Räumen der visuell opulent inszenierten Ausstellung eröffnet sich einem die Stadt Amsterdam, die vor ihrer Zeit als Welthandelszentrum im 17. Jahrhundert eine Stadt wie jede andere war. Auch sie erkannte, dass die Ozeane nebst Gefahren viele Chancen für gute Geschäfte boten. Amsterdamer Händler waren besonders erfindungsreich, wenn es um die Vorfinanzierung ihrer Fernhandelsreisen ging, die Monate des Segelns auf offenem Meer erforderten. Die älteste erhaltene Aktie von 1606, erst 2010 in der holländischen Stadt Enkhuizen entdeckt, erinnert in der Ausstellung daran, dass in der Stadt der Grachten die erste Aktiengesellschaft erfunden wurde.

Andries Beeckman, Das Schloss von Batavia, von Kali Besar Westen gesehen, um 1656. Rijksmuseum Amsterdam.

Die Verenigde Oostindische Compagnie VOC diente der Finanzierung des Handels mit Ostindien. Gebrauchs- und Luxusobjekte erzählen davon, wie schnell Amsterdam in seinem „Goldenen Zeitalter“ zur Blüte gelangte – und davon, wie sich in einem Klima von Religionsfreiheit und liberaler Atmosphäre eine vormoderne Form der Mittelschicht entwickelte. Amsterdam wurde wesentlich durch den Handel mit und in Asien reich. Prächtig illustrierte Folianten, in denen man beim Blättern die weitverzweigten Handelsbeziehungen der Amsterdamer Fernhändler in Asien entdeckt, erzählen von der frühen Globalisierung Ostindiens mit reich illustrierten Karten und Bildern.

In voller Blüte – und nun?
Für Venedig wie Amsterdam gilt: Mit dem erreichten Wohlstand werden Luxus und Genuss genau so attraktiv wie der risikoreiche Fernhandel. So beginnen Investitionen in Kultur und Kunst – und damit auch das Ende der Blütezeit beider Städte.

Die Zukunft zu Besuch bei der Vergangenheit: Empfang des holländischen Botschafters Cornelis van der Mijle durch den Dogen von Venedig im Jahr 1609. Unbekannter Maler (vermutlich Odoardo Fialetti, 1573-ca. 1638), Öl auf Holz. Leihgabe: Zeeuws Archief Middelburg, The Netherlands, Collection community of Veere.

Von der Hinwendung zur Pracht erzählen in der Ausstellung Modelle von Villen des venezianischen Patriziats, das seinen Blick statt aufs Meer immer mehr aufs Festland, auf die sogenannte terra ferma richtet. Den Abschluss der „Amsterdam“-Räume bilden fünfzig Gemälde des holländischen Barocks aus der Stiftung Jakob Briner, Winterthur, in einer von historischen Kunstkabinetten inspirierten Hängung.

Epilog
Bewusst abrupt gesetzt ist der Übergang zum letzten Raum der Ausstellung „KAPITAL“, in der Sie sich unvermittelt mit aktueller chinesischer Kunst konfrontiert sehen. Ein kurzer Wandtext – ähnliche finden sich entlang des ganzen Ausstellungsparcours – erklärt den Sprung von der Historie in die Aktualität.

Parallelen und Verbindungen
Die Ausstellung inszeniert die Entwicklung unserer Ökonomie am Beispiel zweier von der Schweiz weit weg liegender Städte. Doch auch die Gegenwart der Schweizer Wirtschaft mit ihrer (Export-)Industrie, ihren Handelshäusern, ihrer Finanzindustrie und ihren Staatsanleihen bzw. Staatsverschuldungen basiert auf einem Instrumentarium, das Kaufleute und Händler südlich der Alpen und am Atlantik entwickelt haben.

Zur Ausstellung erscheint die Publikation „KAPITAL. Kaufleute in Venedig und Amsterdam“ im Verlag Kein & Aber. Herausgegeben von Walter Keller, Gastkurator am Landesmuseum Zürich. Ca. 240 Seiten, Format 9,0 x 14,4 cm. Auf Deutsch. ISBN 978-3-0369-5653-4. CHF 20. Die Publikation ist erhältlich im Museumsshop, im Buchhandel oder zu bestellen per E-Mail.

Für nähere Informationen zu Begleitveranstaltungen und Öffnungszeiten, besuchen Sie die Internetseite des Landesmuseums Zürich.