von Ursula Kampmann
21. Mai 2015 – Wie viel Gold in Indien gelagert wird, weiß keiner so genau. Schätzungen hat man dagegen genug. Das World Gold Council sprach in einer Studie aus dem Jahr 2014 von 22.000 Tonnen Gold in Privathand. Das entspräche dem Gewicht einer gewaltigen Herde von etwa 6.300 indischen Elefanten oder einer Flotte von 135 Jumbo Jets. Dieses Gold soll nun nutzbar gemacht werden, um die indische Wirtschaft weiter anzukurbeln.
Die indische Rupie hat nämlich genauso wie die indischen Banken ein Vertrauensproblem. Statt das familiäre Vermögen auf ein Konto zu legen, kauft das Familienoberhaupt lieber Goldschmuck. Damit schlage man zwei Fliegen mit einer Klappe, antwortete die überwältigende Mehrheit der Befragten in einer umfangreichen Studie des World Gold Council: Mit Gold könne man sich nicht nur schmücken, es sei darüber hinaus eine finanzielle Sicherheit. Und tatsächlich, 77 % aller Befragten kauften im Jahr 2013 Gold, manche sogar mehrfach. Allein zwischen Januar und September 2014 waren dies 620 Tonnen Gold, vier Tonnen mehr als sonst durchschnittlich in diesem Zeitraum. Für Goldkäufe gibt jeder Inder – dies ebenfalls ein Ergebnis der erwähnten Studie – durchschnittlich 8 % des täglich verfügbaren Geldes aus. Das ist nur ein bisschen weniger als für medizinische Kosten und Bildung.
Da Indien selbst nur eine geringe Goldproduktion hat, belasten die Importe die Außenhandelsbilanz des Landes. Sie sollen nach Berechnungen der New York Times für 30 % des aktuellen Defizits verantwortlich sein. Einschränken kann man den Import nicht, da rund 2,5 Millionen Arbeitsplätze direkt und indirekt von der Goldproduktion abhängen. Die Lösung sieht die indische Politik darin, dass einmal verkauftes Gold wieder verkauft, eingeschmolzen und dem Kreislauf zugeführt werden soll. Selbstverständlich sehen das die Goldkäufer anders. Sie haben ihre Gründe, warum sie ihr Kapital nicht auf eine Bank bringen. Dem ein sinnvolles Anlageprojekt entgegenzusetzen, plant der indische Finanzminister Arun Jaitley. Er stellte Anfang Mai ein neues Goldkonto vor. Dorthin können Goldbesitzer ihr Gold bringen, um Zinsen zu erhalten. Es wird eingeschmolzen und an Juweliere weitergegeben, die ebenfalls ein Goldkonto eröffnen müssen.
Nun haben frühere Versuche, die Bevölkerung von ähnlichen Ideen zu überzeugen, zu nicht viel geführt. Deshalb schielt die Regierung jetzt auf die Hindu-Tempel, die mit gutem Beispiel vorangehen sollen. Dort lagern riesige Mengen an Edelmetall teilweise seit Jahrhunderten. Es handelt sich um Weihegaben frommer Gläubiger, die sich damit bei ihrem Gott für die Erfüllung eines Wunsches bedanken.
Die Tempel wurden bereits 2013 von der indischen Zentralbank aufgefordert, eine Schätzung ihrer Goldbestände abzuliefern. Dieses Vorgehen löste große Diskussionen darüber aus, in wie weit es Funktion einer Weihegabe sei, im Tempel zu bleiben oder dazu zu dienen, das Bruttosozialprojekt zu fördern. Die Meinungen dazu sind durchaus gespalten. Während einige sich modern gebärdende Tempel das übers Jahr angesammelte Gold versteigern, beharren andere darauf, es als Geheiligt im Tempel aufzubewahren.
Welche Schätze dabei über die Jahrhunderte zusammenkommen können, zeigte das Beispiel des Sri Padmanabaswamy Tempels. Dort wurden in einem Versteck Goldmünzen, Diamanten und Goldstatuen im Wert von etwa 22 Milliarden Dollar gefunden, wobei der kulturelle Wert noch nicht eingerechnet ist.
Und hier liegt eines der grundsätzlichen Probleme, das mit den Plänen der indischen Regierung verbunden ist. Inder bewahren Gold nicht in Form von Barren auf, sondern als Schmuck oder aufwändig gestaltet. Die Gegenstände können billig und maschinell hergestellt sein oder von großen Künstlern. Vieles, was seit Jahrhunderten den Tempeln gestiftet wurde, ist ein kulturelles Erbe, mit dem die Identität der Tempelbesucher verbunden ist. Jahrhundertealte Goldmünzen, kostbaren Schmuck und goldene Statuen einfach einzuschmelzen, um das staatliche Außenhandelsdefizit auszugleichen, erinnert ein wenig an das Vorgehen der Konquistadoren, die alle Erzeugnisse altamerikanischer Goldschmiede rein nach ihrem Gewicht beurteilten.
Außerdem steht man nun in Indien vor einer Frage, die sich 1525 nach der Reformation im gesamten deutschsprachigen Raume stellte: Darf eine Regierung der ausdrücklichen Absicht eines freiwilligen Gebers zuwider handeln? Die Protestanten sagten ja und sanierten ihre Finanzen. Die Katholiken argumentierten damals genauso wie jetzt die Vorsteher der Hindu Priester: “Tausende von Jahren hat die Hindu Gesellschaft dieses Gold den Tempeln geweiht im Vertrauen darauf, dass sie es sicher bewahren würden.“, so Vyankatesh Abdeo, Zweiter Generalsekretär des Welt-Hindu-Rates. „Unser Reichtum liegt in unserem Gold. Der böse Blick der Regierung ruht auf diesem Reichtum. Es ist sicher falsch, und wir widersetzen uns diesem Begehren. Dieser Reichtum gehört Gott, nicht der Regierung.“
Tatsächlich wurden während der Reformation unzählige Kunstwerke zerstört, zu Gunsten der Fürsten und Stadtregimente. Wer in Indien letztlich siegreich bleibt, ist noch abzuwarten. Sharadchandra Padhye, Vorstandsvorsitzender des Mahalakshmi Tempels jedenfalls gibt sich kampfbereit: „Lasst die Bank kommen, lasst sie alle kommen. Wir werden unsere Position nicht aufgeben. Wer bin ich, dass ich diesen Schmuck einschmelzen soll, der von Gläubigen mit gläubigen Gefühlen geschenkt wurde?“.
Die New York Times und die Washington Post hat Ende April einen Artikel zum Thema veröffentlicht.
Einen etwas früher geschriebenen Artikel finden Sie in Indiatoday.
Die Studie des World Gold Council zur Frage, warum Indien eine Goldpolitik braucht, finden Sie hier.
Eine Zusammenfassung der offiziellen Regierungspolitik finden Sie hier.
Und wir berichteten selbstverständlich bereits über den Schatz im Sri Padmanabaswamy Tempel.