von Ursula Kampmann
27. August 2015 – Krisen entstehen nicht aus dem heiteren Himmel. Es gibt zumeist gute Gründe dafür. Und über die sind wir bestens informiert – nach der Krise, wenn jede Menge Finanzwissenschaftler ihre geschliffenen Analysen publizieren, warum es zur Krise kommen musste. Nur leider nützt das nichts mehr, denn für diese Krise kommen ihre Warnungen zu spät und bis zur nächsten sind sie schon längst vergessen, weil wieder einmal weil die gierige Hoffnung auf den schnellen Gewinn den gesunden Menschenverstand ausgeschaltet hat. Dies ist keine Erscheinung des 21. Jahrhunderts. Immer wieder sahen sich Regierungen in der Vergangenheit mit überhöhten Schulden konfrontiert und schlitterten in den Staatsbankrott. Das Hessische Staatsarchiv Marburg hat sich in einer Publikation dieser Thematik angenommen. Es gibt in dem interessanten Sammelband viele Schilderungen, wie Regierungen mit ihren überhöhten Schulden umgegangen sind, und welche Maßnahmen letztendlich aus der Krise geholfen haben (bzw. in eine neue Krise führten).
Andreas Hedwig (Hg.): Finanzpolitik und Schuldenkrisen 16.-20. Jahrhundert. VII und 361 Seiten, zahlr. Tabellen u. farb. Abb., Marburg 2014 (Schriften des Hessischen Staatsarchivs Marburg 28). Kartoniert. Fadenheftung. 17 x 24,5 cm. ISBN 978-3-88964-214-1. 39,00 Euro.
Ausgangspunkt für den Sammelband war eine Ausstellung mit dem Titel „Finanzpolitik und Schuldenkrisen in Hessen“, die vom Oktober 2012 bis zum September 2013 im Foyer des Staatsarchivs in Marburg gezeigt wurde. Bei der Eröffnungsveranstaltung entstand die Idee zu einer Tagung zu eben diesem Thema – diesmal nicht auf Hessen beschränkt. Schon im Juni 2013 reisten die Forscher an, um miteinander zu diskutieren. Das Ergebnis kann nun in dem daraus entstandenen Tagungsband gelesen werden. Er ist ein wunderbares Beispiel dafür, dass die Geschichte durchaus etwas zum Thema „Aktuelle Wirtschaftspolitik“ zu sagen hätte, wenn sie es denn mit ihren Aussagen schaffen würde, eine breite Öffentlichkeit zu erreichen, und diese Öffentlichkeit bereit wäre zuzuhören.
Nehmen wir – als ein Beispiel von elf hoch interessanten Aufsätzen – nur das Thema „Griechenland“. Vielleicht wäre es ganz vernünftig, einmal einen Blick in das Jahr 1893 zu tun, als Griechenland den Staatsbankrott erklärte, weil es bei einem Budget von jährlich ca. 80 Mio. Franc eine Auslandsschuld von 730 Mio. Franc angehäuft hatte. Eine internationale Finanzkommission wurde 1897 eingesetzt. Sie verwaltete einen großen Teil der Staatseinkünfte, um diese direkt an die Gläubiger abzuführen. Die Zusammenarbeit zwischen Regierung und Kommission war denkbar schlecht. Die Kommission beklagte vor allem den Unwillen der Griechen, endlich Reformen in Angriff zu nehmen. (Kommt uns das nicht irgendwie bekannt vor?)
Doch die historische Entwicklung gab der griechischen Regierung Recht. 17 Jahre nach dem Staatsbankrott waren internationale Banken schon wieder bereit, Griechenland zu akzeptablen Zinsen Geld zu leihen. Was sie dazu veranlasste? Nun, ganz einfach, die Hoffnung auf ein gutes Geschäft. Zum Teil ging es darum, sich den griechischen Markt zu sichern, zum Teil versuchten Banken mit einem Kredit, einheimischen Klienten ein lukratives Geschäft zuzuschanzen. Reformen auf Seiten Griechenlands waren dafür keine Voraussetzung. Da durch den sinkenden Goldkurs der Wechselkurs für die auf Silber basierende Drachme stieg, waren alle zufrieden, die in Drachmen investierten. Und bald wollten alle wieder dabei sein…
Was uns das für heute lehrt? Ganz einfach, sobald die Gier der Anleger wieder über ihre Vorsicht siegt, sollte es mit Griechenland bergauf gehen. Und die nächste Krise wird dann so sicher kommen, wie das Amen in der Kirche. Denn die Umstände, die zur Krise geführt haben, werden um keinen Deut andere sein.
Vom 16. bis zum 20. Jahrhundert reicht das Spektrum der historischen Beispiele. Und auch der Zahlungsverkehr wird ins Visier genommen. Konrad Schneider beschreibt, wie in der frühen Neuzeit der Geldverkehr funktionierte. Wir tendieren ja allgemein dazu, unsere Vorstellungen von „Geld“ auf das zu übertragen, was früher im Zahlungsverkehr benutzt wurde, ohne gewahr zu werden, dass die Funktionsweise, die Risiken und Chancen, andere waren als heute. Konrad Schneider widerlegt dieses Vorurteil. Sein Beitrag sollte eigentlich eine Pflichtlektüre für alle Numismatiker sein.
Und Niklot Klüssendorf beschreibt, was passiert, wenn Geld durch eine enorme Inflationsrate seine Funktion als Wertmesser verliert. Wie soll ein Betrieb dann eine vernünftige Anleihe ausgeben? Ganz einfach, er koppelt den Betrag an den Preis eines Wirtschaftsguts, so dass wir aus der Zeit der Inflation von 1922/24 Anleihen kennen, die auf einen Zentner Roggen lauten oder auf 2.000 Festmeter Holz – bei 5 %.
Als Bonus findet sich in dem Band noch das Material, das ursprünglich in der Marburger Ausstellung zu sehen war. Dieser Katalogteil ist ein sprechender Beweis dafür, dass Wirtschaftsgeschichte nicht ohne Archivarbeit auskommt. Es sollte ein Ansporn für alle sein, die sich für wirtschaftliche Zusammenhänge interessieren: In den Archiven finden sich die großen wissenschaftlichen Sensationen!
Wir möchten den Aufsatzband des Hessischen Staatsarchivs Marburg deshalb allen ans Herz legen, für die Münzen mehr sind als etwas, das man in Auktionen kauft und in einem Katalöglein abhakt. Wer sich für den wirtschaftsgeschichtlichen Zusammenhang von Währungen, Schulden und Krisen interessiert, wird viele Anregungen mitnehmen. Eigentlich sollte dieses Buch Pflichtlektüre für alle Investoren sein. Es ist ein perfektes Gegenmittel für die heute viel zu weit verbreitete Gier.
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