von Ursula Kampmann
11. August 2016 – Eigentlich ist der Begriff „Renaissance“ wissenschaftlich überholt. Was soll das auch sein, eine Wiedergeburt? Reduziert sich Geschichte etwa auf die Leistungen der Künstler, die irgendwann nach 1300 die antiken Vorbilder entdeckten? Oder ist damit das Selbstverständnis der Führungsschicht gemeint, die immer nur einen marginalen Prozentsatz der Bevölkerung ausmachte? Der Begriff der Renaissance hat heute nicht mehr die gleiche Bedeutung, wie ihm Jacob Burckhardt im 19. Jahrhundert zuschrieb. Der Katalog, der im Rahmen der aktuellen Ausstellung des Schweizerischen Nationalmuseums zum Thema „Europa in der Renaissance – Metamorphosen 1400-1600“ herausgegeben wurde, nimmt dieses neue Bild einer wichtigen Epoche der Menschheitsgeschichte auf, und beleuchtet es von vielen verschiedenen Seiten.
Porträt der Beatrix von Aragón, The Frick Collection, New York, Bequest of John D. Rockefeller Jr., 1961. Davor Medaillen der Renaissance. Foto: UK.
Mit der aktuellen Ausstellung, für die Denise Tonella vom Schweizerischen Landesmuseum mit Bernd Roeck vom Historischen Seminar der Universität Zürich zusammenarbeitete, wird der neue Erweiterungsbau des Schweizerischen Nationalmuseums eingeweiht. Und was man da sieht, lässt auch für die Zukunft viel erwarten. Die bewusst roh gelassenen Räume ermöglichen vielfältige Inszenierungen. Die aktuelle Ausstellung zur Renaissance ist dabei nur die erste von vielen, die folgen werden. Wir können dem Schweizerischen Nationalmuseum nur wünschen, dass all diese Ausstellungen das gleiche Niveau haben werden, wie die Eröffnungsausstellung.
Die Statuten der Münzmeister von Florenz von 1314-1461. Archivio di Stato di Firenze. Foto: UK.
Weit davon entfernt, eine Kunst-Ausstellung zu sein, steckt „Europa in der Renaissance“ erst einmal den Rahmen ab, in dem die Renaissance entstehen konnte. Und dabei geht es durchaus auch um Geld, das Geld der reichen Handelsrepubliken Italiens. Ein Fiorino d’oro steht zusammen mit den Statuten der Münzmeister von Florenz stellvertretend für diesen Aspekt. Wie international der Handel der frühen Renaissance bereits war, zeigt eine Warenorder, die 1402/3 von Barcelona nach Florenz geschickt wurde. Wer mehr über den Hintergrund wissen will, kann dazu Bernd Roecks Einleitung zur Entstehung der Renaissance lesen. Er geht darin auf Handel, Geld und Kulturtransfer ein.
Porträt des Vergil bei der Lektüre der 4. Ekloge, die nach kirchlicher Überzeugung Christi Geburt voraussagen soll. LWL-Museum für Kunst und Kultur, Münster. Foto: UK.
Natürlich illustriert die Ausstellung auch die Wiederentdeckung der antiken Kunst und der antiken Autoren und ihr Wirken auf das Schaffen der damals angesagten Künstler. In diesem Zusammenhang ist mehr als eine Renaissance-Medaille ausgestellt. Diese sind im Katalog – leider nicht in Originalgröße – abgebildet und ausführlich kommentiert.
Nachbau einer Gutenberg’schen Buchdruckerpresse. Foto: UK.
Die Medienrevolution, die auf die Entdeckung der Buchdruckkunst folgte, die Reformation und der Humanismus, sie alle führten zu einem neuen Menschenbild, das in der darstellenden Kunst seinen Niederschlag fand. Eine beeindruckende Zusammenstellung von sehr individualisierten Porträts führt das dem Leser des Katalogs genauso wie dem Besucher der Ausstellung vor Augen. Die Entdeckung der neuen Welt durch Kolumbus und des Kosmos durch Kopernikus mit den daraus resultierenden Veränderungen des Weltbilds wird ebenfalls thematisiert.
Wie stark sich in dieser neuen Welt die Bilder gegenseitig beeinflussten, wird anhand zahlreicher Beispiele, darunter der Torso vom Belvedere nachgezeichnet. Ein Blick auf die Renaissance in der Schweiz und ihr Eindringen in den bürgerlichen Alltag rundet die Ausstellung ab.
Ausschnitt aus einem anonymen Gemälde, das die Plünderung Antwerpens im Jahr 1576 zeigt. Museum aan de Stroom, Antwerpen. Foto: UK.
Wobei auch die dunklen Seiten der Epoche nicht fehlen. Ein figurenreiches Schauerbild des Niederländischen Befreiungskampfes und eine Darstellung der Armada auf einem Porträt von Elizabeth I. deuten die entmenschten Kriegszüge der frühen Neuzeit an.
Europa in der Renaissance – Metamorphosen 1400-1600. Hg. Schweizerisches Nationalmuseum. Hatje Cantz Verlag, Berlin 2016. 380 S. mit 344 Abb. 23,60 x 29,60 cm. Kartoniert. Fadenheftung. ISBN 978-3-7757-4072-2. 49,80 Euro.
Der Besuch der Ausstellung sei jedem Leser angeraten. Es dürfte eine der besten Ausstellungen zu diesem Thema sein, die die Rezensentin je gesehen hat. Und wer es nicht nach Zürich schafft: Der Katalog ist ein nicht vollwertiger, aber sehr guter Ersatz.
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