Auf nach Südspanien! Folge 3: Sagunt

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von Ursula Kampmann

25. Mai 2017 – Es gab bösartige Leute in meiner Familie, die immer behaupteten, ich hätte Alte Geschichte nur aus einem einzigen Zweck studiert, nämlich um herauszufinden, was an den historischen Romanen dran sei, die ich in meiner Kindheit geradezu verschlang. Ich persönlich bestreite das natürlich, auch wenn Sagunt für mich immer mit einem Roman von Hans Baumann verbunden sein wird. Er trug den Titel „Ich zog mit Hannibal“ und handelte von einem alten Mann, der nach langen Jahren der römischen Sklaverei in seine Heimat zurückkehrt, um dort eine Quelle zu ergraben. Sie soll neues Leben in den Ruinen von Sagunt ermöglichen. Er trifft dabei zwei Kinder, denen er von dem gnadenlosen Machtspiel der Politiker erzählt, die diese Stadt und all die Menschen, die in ihr lebten, auf dem Gewissen haben.

Schweiz. Silbermedaille des Genfer Medailleurs Jean Dassier auf den Fall von Sagunt, 1740-1750. Vorderseite: Die Personifikation von Sagunt unter zusammenbrechenden Mauern. Rückseite: Der Römische Senat beim Disputieren. Aus Sammlung RBW und Auktion CNG 364 (2015), Nr. 392.

Für mich wird Sagunt deshalb immer exemplarisch dafür sein, wie die Interessen der Mächtigen rücksichtslos auf Kosten der einfachen Leute durchgesetzt werden. Die Gleichgültigkeit des römischen Senats hinsichtlich der Belagerung der Stadt und dessen Unverschämtheit nach der Eroberung schreit noch heute zum Himmel. Und das genauso wie all die Menschen, die von den Karthagern niedergemetzelt wurden.

Arse-Saguntum. Bronze, ca. 200-150 v. Chr. Aus Auktion CNG 353 (2015), Nr. 1.

Aber von Anfang an. Nach dem Ende des Ersten Punischen Krieges musste Karthago andere Handelsrouten finden, wollte es erstens die römischen Reparationen zahlen und zweitens den Verlust seiner Emporien auf Sizilien, Sardinien und Korsika kompensieren. Es sandte den 26jährigen Hannibal nach Spanien, wo reiche Metallvorkommen lockten. Der begann ein neues Handelsimperium aufzubauen und suchte dafür nach Verbündeten unter den einheimischen Keltiberern. Die Saguntiner ließen sich nicht von ihm gewinnen. Im Gegenteil. Von ihrer Fluchtburg aus unternahmen sie Raubzüge gegen Hannibals Verbündete.

Arse-Saguntum. Bronze, ca. 200-150 v. Chr. Aus Auktion CNG 316 (2013), Nr. 5.

Was Hannibal sich natürlich nicht gefallen ließ. Schließlich war es seine Aufgabe, die Verbündeten zu schützen. Also zog er gegen Sagunt, das daraufhin den römischen Joker spielte. Man sei mit Rom verbündet, also möge sich Hannibal mal ganz schnell verziehen…
Der tat das natürlich nicht. Er belagerte die Stadt und zwar acht Monate lang. Nach der Eroberung ließ er alle Einwohner umbringen oder versklaven und machte Sagunt dem Erdboden gleich. Rom tat inzwischen nichts. Erst nach dem Fall von Sagunt bequemte man sich, einen Gesandten nach Karthago zu schicken, um Hannibal zwecks Bestrafung für Rom zu fordern. Die karthagischen Politiker weigerten sich – und schwupps erklärte Rom den Krieg.

Arse-Saguntum. Bronze, ca. 150-100 v. Chr. Aus Sammlung Huntington und Auktion CNG 316 (2013), Nr. 7.

Es gibt Bibliotheken über die Kriegsschuldfrage. War Hannibal im Recht, weil sich die Stadt Sagunt gemäß dem Ebro-Vertrag auf karthagischem Gebiet befand? Oder war er ein Aggressor, weil er in Spanien die Mittel aufbrachte, um den nächsten Krieg gegen Rom zu finanzieren?
Wen interessiert das heute noch? Und für die Römer war es auch nur deshalb wichtig, weil ihre Götter sie ausschließlich in gerechten Kriegen unterstützten. (Sie glauben gar nicht, wie erfindungsreich das römische Staatsrechts wurde, um gegenüber den Göttern all diese Kriege zu rechtfertigen.) Ob gerecht oder ungerecht, den Saguntinern dürfte das letztendlich egal gewesen sein.
Heutige Historiker haben begriffen (oder sollten es wenigstens begriffen haben), dass es bei einem Krieg selten einen einzigen Schuldigen gibt, sondern meistens viele Interessen, einige Ursachen und einen Auslöser. Rom war auf dem Expansionstrip, und Karthago wollte gute Geschäfte machen. Beides gleichzeitig war nicht möglich. Also begann der Zweite Punische Krieg.

Sie verstehen jetzt sicher, warum ich Sagunt sehen und den Genius Loci spüren wollte…

Die Teufelsbrücke oder „Puente del Diablo“, wie der römische Aquädukt von Tarragona genannt wurde. Foto: Johanna Kempes von 1895.

Mittwoch, 22. März 2017

Zu einer vernünftigen Zeit fahren wir von Tarragona los. Das heißt, noch nicht ganz. Erst wollen wir den römischen Aquädukt sehen, der eine ganz besondere Sehenswürdigkeit sein soll. Der Aquädukt de les Ferreres, gerne auch „Teufelsbrücke“ benannt, ist nicht nur einer der besterhaltenen weltweit, sondern der größte in Katalonien, was eigentlich bedeuten sollte, dass er leicht zu finden ist, vor allem weil wir ihn bei der Ankunft schon von der Autobahn aus gesehen haben. Wir müssen also nur wieder auf die Autobahn fahren.
Damit unterschätzen wir eindeutig die große Zahl von potentiell möglichen Autobahnen mit unterschiedlichsten Einfahrten. Und prompt entscheiden wir uns für die falsche. Wir sehen viel, aber keinen Aquädukt und nach einer halben Stunde Odyssee finden wir, dass wir uns sowieso nicht dafür interessieren, weil wir in unserem Leben schon viele Wasserleitungen gesehen haben, auch römische. Und es lockt eine größere Attraktion: Sagunt, die Stadt, in der der zweite Punische Krieg begann.

Tortosa liegt auf dem Jakobsweg, allerdings nicht auf dem klassischen Camino Francés. Foto: KW.

Auf dem Weg lassen wir uns allerdings verleiten, nach Tortosa abzubiegen. Keine Ahnung, warum. Aber irgendwie verspricht der Name etwas Besonderes, Interessantes. Und die Stadt gibt sich Mühe. Wegweiser leiten uns zu einer Parkgarage, an der wie wild gewerkelt und gezimmert wird. Eine überaus freundliche Aufsicht springt aus ihrem Kabäuschen heraus, um uns einen Plan von Tortosa in die Hand zu drücken. Mit dessen Hilfe (und zahlreichen Wegweisern) finden wir tatsächlich schnell die Altstadt.

Dertosa-Tortosa. Tiberius, 14-37. Bronze. Aus Auktion CNG 76 (2007), 1016.

Viel gibt es über Tortosa nicht zu sagen. Es hat einen ibero-keltischen Ursprung und der Ebro fließt vorbei. Erst haben sich die Römer niedergelassen, später die Muslims. 1148 eroberte Berenguer IV. die Stadt und nannte das einen Kreuzzug. Und das ist es eigentlich schon, mehr oder weniger.

Königreich von Valencia. Juan II., 1458-1479. Terc de croat, Tortosa. Aus Auktion Aureo & Calicó 259 (2014), Nr. 585.

Münzen freilich wurden in Tortosa in großen Mengen geprägt. Vor allem, als es zum Königreich von Valencia gehörte.

Königreich von Valencia. Senyal, Tortosa, um 1470. Aus Auktion Aureo & Calicó 259 (2014), Nr. 794.

Erst wenn man sich mit den Münzen beschäftigt, wird einem klar, dass Spanien nicht die hübsche Einheit ist, als die wir sie wahrnehmen, sondern dass es vor den katholischen Königen fast genauso ein Durcheinander an Fürsten, Städten und Klöstern gab wie im Deutschen Reich.

Aragon. Pedro III., 1336-1387. Florin o. J. (1369/77), Tortosa oder Valencia. Aus Auktion Künker 129 (2007), 281.

Tortosa ist jedenfalls für die mittelalterliche Münzgeschichte Spaniens interessant, weil dort Pedro III. von Aragon mit den Cortes, also der Ständeversammlung, einen Vertrag schloss, in dem Gewicht und Feingehalt der neuen, nach Florentiner Vorbild geprägten Münzen festgelegt wurde. Ob der Turm als Beizeichen für Tortosa oder Valencia steht, darüber streiten sich die spanischen Numismatiker und wir werden uns sicher nicht in diese offene Auseinandersetzung einmischen.

Ein hübsches Gebäude im Stil des Modernismo. Foto: KW.

Also, wo waren wir? Richtig, Tortosa. Es hat eine hübsche Altstadt mit einer hübschen Kathedrale und einigen hübschen Gebäuden aus der Periode des Modernismo, aber nach Tarragona sind wir verwöhnt. Uns überzeugt nicht einmal das Tor, durch das einst die Jakobspilger geschritten sind, und das immer noch an der einen Wand einen gigantischen Santiago, an der anderen einen hl. Christopheros zeigt. So hält uns Tortosa nicht länger als anderthalb Stündchen. Schade, die Stadtväter haben sich so viel Mühe gegeben, um die Aufenthaltsdauer der Touristen in ihrer Stadt zu verlängern.

Von Tarragona aus haben wir ein schönes Hotel namens Puerto di Sagunto reserviert. Die Dame in unserem GPS findet es problemlos. Und das ist gut so. Wir hätten es nämlich nie gefunden! Wir stellten uns vor, dass das Hotel irgendwo in Sagunt liegen würde. Tatsächlich befindet es sich im Industriehafen. Der (natürlich gegen Aufpreis) gebuchte Balkon hat einen unverbaubaren Blick auf die Rückwand eines Fabrikgebäudes. Aber die Zimmer sind okay, und die Lage gar nicht so schlecht wie anfangs gedacht.

Gleich neben dem Bahnhof: Unter dem Glas sind die Ruinen. Foto: KW.

Nachdem wir unser Gepäck aufs Zimmer gebracht haben, fahren wir noch einmal los. Schließlich wollen wir zu den Ausgrabungen von Sagunt! Der Lonely Planet verspricht eine riesige Ausgrabung. Wenn wir sie doch nur finden würden! Wir parken gleich neben dem Bahnhof und entdecken tatsächlich ein mit Glas überdecktes Stück römischer Straße. Aber wo ist nun diese blöde Fluchtburg, in der sich die Saguntiner acht Monate lang halten konnten? Nun, wenn es keine Wegweiser gibt, hilft nur die Logik. Fluchtburgen sollten oben sein, also steigen wir die engen Straßen hinauf.

Mitten drin in der Altstadt: Das römische Theater. Foto: KW.

Grabungen liegen in Spanien nicht wie in Italien, Griechenland oder der Türkei außerhalb der modernen Städte. Im Gegenteil, sie sind mitten drin. So stolpern wir förmlich über das antike Theater, während wir den Burgberg suchen. Wobei, was heißt antikes Theater? Es ist umgebaut, damit die Saguntiner heute immer noch ihre Konzerte und Theaterstücke hier ansehen können. Schon spannend, dass dieser Umbau möglich war, obwohl das Theater 1896 tatsächlich zum ersten „Nationalen Baudenkmal“ deklariert wurde. 

Der Burgberg. Von dieser Seite aus viel eindrucksvoller als das, was wir zuerst zu sehen kriegten. Foto: KW.

Die Fluchtburg von Sagunt wurde unter den Keltiberern erstmals besiedelt. Die Saguntiner zogen sich hierher zurück, als Hannibal sie mit seinen Truppen belagerte, und das war bei weitem nicht das letzte Mal, dass die sich Bevölkerung innerhalb dieser Mauern in Sicherheit brachte.

Der Burgberg von Sagunt im Jahr 1563. Von Anton van den Wyngaerde.

929/30 wurde die inzwischen muslimische Festung von Abd-ar Rahman erobert. Zwischen 1098 und 1102 beherrschte der berühmte Cid den Burgberg. Jaume I. gliederte Sagunt 1238 dem Königreich von Valencia ein, und deshalb lebten im 13. Jahrhundert oben die Christen, während die Stadt unten weiterhin von Muslims besiedelt war.

Das Höhlensystem am Fuße der Burg gehörte einst zu einem jüdischen Friedhof. Foto: KW.

Ein jüdischer Friedhof, der im Höhlensystem am Fuße des Burgbergs angelegt wurde, zeugt von der großen jüdischen Gemeinde, die hier im Mittelalter lebte.

Philipp II. von Spanien ließ die Festung von Sagunt ausbauen. Foto: KW.

Aber wir waren mit den Belagerungen noch nicht fertig. Im Spanischen Erbfolgekrieg, im Krieg gegen Napoleon, immer zogen sich die Verteidiger auf die Burg zurück. Und irgendwo las ich auf einer Tafel, dass einzelne Türme noch im Spanischen Bürgerkrieg als Verstecke für Scharfschützen dienten.

Der steile Aufstieg zur Burg. Kein Wunder, dass Hannibal so lange brauchte, bis er die eroberte. Foto: KW.

Grauer Himmel, ein steiler Aufstieg, eine ganz andere Ausgrabung als ich erwartet habe: Zuerst bin ich enttäuscht, weil so wenig aus der römischen Zeit geblieben ist. Und dann packt mich der Genius Loci doch. Ich sitze ganz oben. Der Wind bläst, die Sonne brennt herunter, ich gebe mich Tagträumen hin und stelle mir vor, wie das war, als die Bewohner der Stadt vor mehr als 2.000 Jahren auf das riesige Heer Hannibals im Tal herabblickten und sich fragten, wo denn die Römer, zum Teufel, blieben…

Der Eingang zum Judenviertel. Foto: KW.

Apropos Tal. Als wir vom Berg herunterkommen, haben wir Hunger. Dumme Idee! In Sagunt sind noch weniger Bars am Nachmittag geöffnet als in Tarragona. Irgendwie scheint mein Hunger und Spanien nicht kompatibel zu sein. Wenn die Spanier essen, schlafe ich, und wenn ich essen will, haben die Spanier keinen Hunger und machen deshalb keine Bar auf. Die Rettung naht in Form einer Konditorei. Anscheinend geht Süßes auch in Spanien immer. Na ja, es ist kein kulinarischer Höhepunkt, aber es nährt. Und für das Abendessen kaufen wir vorsichtshalber mal ein, schließlich dürfte der Industriehafen von Sagunt nicht unbedingt die beste Location für ein gutes Restaurant sein…

Ach eines noch, wenn Sie Musik mögen, in Sagunt wurde Joaquín Rodrigo geboren, der das wundervolle Concierto de Aranjuez komponiert hat. Wenn Sie es hören wollen… Hier ist es…

Sagt Ihnen die Lonja de la Seda etwas? Für mich das Großartigste, was wir auf der ganzen Fahrt gesehen haben. Es handelt sich um eine Warenbörse für Seide, geradezu ein Tempel des Handels. Er steht in Valencia, und das ist genau dort, wohin uns die nächste Etappe unserer Reise führt.

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