von Ursula Kampmann
4. Oktober 2018 – Südspanien ist einfach phantastisch. Leider wissen das alle. Und so besuchen unzählige Touristen aus aller Welt die drei Metropolen, die jeder einmal im Leben gesehen haben will: Cordoba, Sevilla und Granada. Für uns steht in dieser Folge Sevilla auf dem Programm. Aber bitte nicht mit dem eigenen Auto! Wofür rühmt sich Spanien seines hervorragenden Bahnnetzes?
Die modernen Schnellzüge Spaniens. Foto: KW.
Donnerstag, 30. März 2017
Heute planten wir einen Tagesausflug nach Sevilla. Um nicht mit dem Auto in die drittgrößte Stadt Spaniens fahren zu müssen, entschieden wir uns für die Bahn. Am Bahnhof lernten wir, dass es zwei verschiedene Ticket-Schalter gibt: Einen für Tickets, die ab sofort gelten, einen für Tickets, die erst am nächsten Tag gültig sind. Wir wissen das, weil wir uns natürlich am falschen Schalter anstanden.
Des Lernens war noch kein Ende. Während man bei uns eher relaxt auf den Bahnsteig geht, existieren – wahrscheinlich als eine Reaktion auf den schrecklichen Anschlag in Madrids Hauptbahnhof Atocha – bei den Schnellzügen relativ aufwändige Sicherheitskontrollen. Als guter Schweizer hatte mein Mann natürlich ein Taschenmesser im Hosensack. Und Taschenmesser sind im Zug verboten. Der nette Mann an der Sicherheitskontrolle ermahnte Kurt streng, damit nicht im Zug herumzuspielen, gab es ihm dann zurück und hoffte auf unsere guten Absichten. Natürlich hatte er Recht. Der Zug erreichte Sevilla, ohne dass wir dem Zugführer den Hals mit dem Taschenmesser durchgesäbelt hätten.
Ein Glockenturm namens Giralda. Foto: KW.
Der Hauptbahnhof von Sevilla mit dem schönen Namen San Justa ist ziemlich weit ab von der Innenstadt gelegen, so dass wir uns ein Taxi zur berühmten Kathedrale nahmen. Eine gute Idee, denn während der abenteuerlichen Fahrt lernten wir die Weisheit unserer Entscheidung, mit der Bahn zu fahren, erst richtig zu würdigen.
Ich gebe zu, ich fand unsere Mit-Touristen spannender als das um 1900 entstandene Grabmal des Kolumbus. Foto: KW.
Ich hatte es in der letzten Folge des numismatischen Tagebuchs, die sich mit Cordoba beschäftigte, ja schon angedeutet: Wir waren nicht ganz alleine in Südspanien. Und trotzdem blieb mir der Mund offen, als ich die lange Schlange der Individual-Touristen sah, die in die Kathedrale wollten. (Der Gruppeneingang ist an anderer Stelle.) Nun ja, auch die größte Altstadt hilft nichts, wenn alle Touristen dieselbe Kirche besichtigen wollen.
Wir lernen dieses Tor in und auswendig kennen, weil sich die Schlange vor der Kasse darum herumschlängelte. Foto: KW.
Wir hatten also genügend Zeit, das Äußere der Kathedrale zu bewundern, während wir anstanden. Die Autoritäten von Sevilla setzen auf eine interessante Strategie, um nicht zu viele Touristen auf einmal in die Kathedrale zu lassen. Sie öffnen einfach nur zwei Schalter, an denen man die exorbitant teuren Tickets kaufen kann. Da die Verkäufer Spanisch (die Touristen meistens nicht) sprechen, braucht jeder Kaufvorgang seine Zeit.
Das Grabmal des Kolumbus ist immer von Touristenscharen umgeben. Und das, obwohl es vom künstlerischen Standpunkt aus gesehen einfach schauerlich ist! Foto: KW.
Wer sich vorstellen will, was für ein Durcheinander auf der Baustelle von Babel kurz nach der Sprachverwirrung geherrscht haben muss, für den ist die Kathedrale von Sevilla das Ziel der Wahl. Asien ist allgegenwärtig und das in jeder Ausformung: Japaner, Chinesen, Inder, eine gewaltige Menge von Filipinos – ich glaube, ich habe noch nie so viele auf einem Haufen gesehen. Sie alle drängten sich in Richtung Grab des Kolumbus. Daneben ballten sich vor allem französisches (sehr stimmgewaltiges) Jungvolk in Horden und versuchte, die Erläuterungen der begleitenden Lehrer zu überhören. In den Ecken ein paar deutsche Gruppen (sehr diszipliniert, alle auf einen Haufen brav dem Führer folgend und nur dann ausfällig werdend, wenn man sie beim Fotografieren stört). Nicht zu vergessen die Schwärme von italienischen Schönheiten, die immer genau dorthin guckten, wohin der Reiseleiter nicht zeigte. Und dazwischen wir.
Ein Blick in die Santa Maria de la Sede. Foto: KW.
Die Kathedrale von Sevilla ist riesig. Immerhin brüstet sie sich, die drittgrößte der Welt zu sein (verzichtet dabei aber auf die protzigen Einlassungen im Boden, wo die anderen enden würden, wie man sie im Petersdom findet). Und eigentlich ist alles riesig.
Such den Goya! ist ein beliebtes Spiel in spanischen Kathedralen. Hier ist er: Dargestellt sind Santa Justa (wie der Bahnhof) und Santa Rufina. Foto: KW.
Über 500 Gemälde gäbe es zu bestaunen, wenn man sich das denn antun wollte. (Wir haben den versteckten Goya in der Kathedrale trotzdem gefunden.)
Besser als das Kolumbusgrab: Das größte Altarretabel der Welt mit 23 x 20 Metern. Ganz nebenbei handelt es sich um ein Hauptwerk der spanischen Gotik, das zwischen 1482 und 1564 entstand. Foto: KW.
Erst das Tele zeigt, wie kunstvoll die Schnitzereien sind. Foto: KW.
Allen kunsthistorisch weltbedeutenden Sehenswürdigkeiten zum Trotz drängen sich die Menschen vor einem eigentlich ziemlich mediokren Grabmal – na ja, wenigstens kunsthistorisch betrachtet. Im 19. Jahrhundert wurde das lebensgroße Monument für Kolumbus geschaffen. Und ich möchte nicht wissen, wie oft es pro Stunde fotografiert wird! (Ich + Kolumbus = unschlagbares Selfie!) Das Beeindruckende daran ist, dass dieses Grab tatsächlich die Überreste des „Entdeckers Amerikas“ enthält. Das wurde durch DNA-Vergleiche mit Brüdern und Nachkommen von Kolumbus eindeutig geklärt. (Was genau im Kolumbus-Grabmal der Dominikanischen Republik liegt, darüber schweigen wir jetzt besser, sonst verärgern wir noch unsere Leser in der Dominikanischen Republik…)
Die Kathedrale verfügt über 80 Kapellen, in denen Ende des 19. Jahrhunderts noch täglich über 500 Messen gelesen wurden. Es gibt also genug zu sehen! Foto: KW.
Wir blieben mehr als zwei Stunden in der Kathedrale, und es war keine Sekunde langweilig!
Eine lange Schlange wartete vor dem Alkazar. Foto: KW.
Danach hegten wir die Hoffnung, dass der Appetit auf ein Mittagessen einen Großteil der Touristen abhalten würde, den neben der Kathedrale gelegenen Alkazar zu besuchen. Ein Irrtum. Es kostete eine gute halbe Stunde, endlich die Tickets zu erobern. Grund für das langsame Vorrücken der Schlange waren die Sicherheitskontrollen, die auch hier durchgeführt wurden. (Unser Schweizer Taschenmesser passierte problemlos. Wahrscheinlich gab es im Alkazar keine Hälse zu durchschneiden.)
Ein eindrucksvolles Gebäude mit Ecken, die starke maurische Einflüsse zeigten. Foto: KW.
Kacheln und geflieste Böden und ständig ein Schubs von hinten, wenn man nicht schnell genug aus dem Weg ging, damit der nächste sein Selfie machen konnte. Foto: KW.
Ein Blick in den Garten. Foto: KW.
Die so genannten Bäder der Dona Maria de Padilla – ein Wasserreservoir, das an die Mätresse von Pedro dem Grausamen erinnert. Foto: KW.
Waren wir zu müde? War es zu voll? Der Alkazar war toll, aber er beeindruckte uns nicht so, wie ich es erwartet hätte. Das mag auch daran gelegen haben, dass es eigentlich nie einen Punkt gab, an dem man irgendetwas hätte bewundern können, ohne dass einem jemand vor die Nase lief oder einen von hinten anrempelte. Und das in der Mittagszeit an einem beliebigen Donnerstag. Ich möchte nicht wissen, was hier an einem Wochenende vormittags um 10.00 Uhr abgeht.
Die Ausstellungsgebäude der Ibero-Amerikanischen Ausstellung von 1929. Foto: KW.
Wir hatten einen Tag für Sevilla, was bedeutete, dass wir uns streng beschränken mussten in dem, was wir ansehen konnten. Neben Kathedrale und Alkazar hatten wir uns – natürlich, was denn sonst? – für das archäologische Museum entschieden.
Hispalis (= Colonia Romula). Tiberius mit Germanicus und Drusus. As. Aus Auktion Numismatik Naumann 61 (2018), Nr. 307.
Immerhin ist Sevilla (= Hispalis) uraltes Kulturland. Das archäologische Museum ist in einem großen Park angesiedelt, der 1929 anlässlich er iberoamerikanischen Ausstellung angelegt wurde. Am Rand des Parks fanden wir eine Bar, in der wir etwas zu essen bekam. Es nährte. Irgendein spezifischer Geschmack war damit eher nicht verbunden.
Das Volkskundemuseum. Wäre schön gewesen, wir hätten mehr Zeit gehabt. Foto: KW.
Doch wir mussten ja nur ein wenig unsere Füße ausruhen, um den weiten Weg durch den Parque de María Luisa zu bewältigen. Er enthält heute noch die vielen Pavillons, die damals im Rahmen der Ausstellung errichtet worden sind. Das Volkskundemuseum im Mudéjar-Stil sieht äußert malerisch aus.
Der Eingang ins Archäologische Museum. Foto: KW.
Das archäologische Museum hat seine Heimat in einem Bau im isabellinischen Stil gefunden und bietet Funde, die einen nur überraschen können. Wir hatten ja mit einigem Römischem gerechnet, schließlich lag ganz in der Nähe von Sevilla das berühmte Italica, Heimat der Kaiser Traian und Hadrian.
Idol aus dem 3. Jahrtausend v. Chr. Foto: KW.
Stele mit Darstellung eines Idols aus dem 10. – 7. Jh. v. Chr. Foto: KW.
Pfeilspitzen aus Silex. Foto: KW.
Aber auch das Vor- und Frühgeschichtliche war beeindruckend, die Idole, die feinst gearbeiteten Silex-Pfeilspitzen, die Grabsteine mit Gravierungen!
Ein Blick in die Ausstellung der römischen Funde aus Italica. Foto: KW.
Kopf des Alexander, parischer Marmor, aus der Zeit Hadrians. Foto: KW.
Natürlich sind die römischen Funde für Bewunderer der Adoptivkaiser noch viel beeindruckender. Italica wurde im 2. Punischen Krieg von Scipio Africanus gegründet. Wir planten, seine Ruinen noch später auf unserer Reise zu sehen.
Votive mit Füßen – anscheinend in Nordafrika ziemlich häufig. Foto: KW.
Und noch eins Fußvotiv. Foto: KW.
Wohl das Ungewöhnlichste waren merkwürdige Votive, die die Füße der Opfernden zeigten. So sollen sich die Gläubigen verewigt haben, wenn sie sich an Isis, Nemesis oder an Iuno Caelestis wandten. Die Votive sollen im Amphitheater und im Theater von Italica gefunden worden sein – und man hat eine wahre Fülle von ihnen. In der Forschung heißen sie im schönsten Latein „plantae pedum“, und Italica ist neben Nordafrika anscheinend ein Hauptfundort. Kein Wunder, wenn man einen Blick auf die Karte wirft. Afrika ist eben ganz, ganz nah.
Die anderen Vergleichsbeispiele stammen aus Griechenland. Und tatsächlich, wenn Sie in unserem numismatischen Tagebuch Teil 5 von 2011 nachlesen, wo wir unseren Besuch in Dion schildern, sehen Sie Vergleichsstücke.
Tiberius. Sesterz mit Darstellung von Tiberius Gemellus und Germanicus. Um den Hals tragen beide eine Bulla. Aus Auktion Künker 270 (2015), Nr. 8590.
Und so sah eine Bulla tatsächlich aus. Foto: KW.
Natürlich gab es wie immer jede Menge interessanter Details in den Vitrinen, wie man sie so nicht in allen Museen sieht…
Der Schatzfund von Tomares. Foto: KW.
Überraschender Höhepunkt war der Schatzfund von Tomares, von dem wir in der MünzenWoche schon ausführlich berichtet haben. Nun ist ein Teil dieses gigantischen Fundes an Folles in Sevilla ausgestellt.
Einige der gereinigten Folles. Foto: KW.
In 19(!) Amphoren hatten Bauarbeiter rund 600 Kilo Münzen gefunden, vor allem Folles der Tetrarchen. Wie immer sprachen die Medien von einem „unschätzbaren“ Wert. Wir berechneten einen realen Wert von 75.000 Euro. Wobei der wissenschaftliche Wert sich natürlich erst herausstellen wird, wenn der Schatzfund publiziert und wissenschaftlich eingeordnet ist.
Direkt gegenüber überraschte uns noch ein Raum, der den Schatzfunden der Gegend gewidmet war. Leider waren die besten Stücke nur in Kopie zu sehen, aber wir hätten sowieso keine die Zeit mehr gehabt. Denn allmählich mussten wir zum Bahnhof.
Jetzt bereuten wir all die Zeit, die wir an diesen überfüllten Alkazar verschwendet hatten. Wir hätten sie so viel besser nutzen können. Also, in Zukunft besuchen wir im überlaufenen Spanien grundsätzlich das archäologische Museum als erstes! Was dann noch an Zeit übrig bleibt, kann man in die so genannten Sehenswürdigkeiten investieren.
Wir waren nicht flexibel, weil wir uns schon beim Kauf der Fahrkarte für eine Rückfahrtzeit hatten festlegen müssen. Das ist in Spanien so üblich, denn mit der Fahrkarte ist gleichzeitig die Platzreservierung verbunden. In Cordoba war uns 18.45 unendlich spät erschienen, nun wären wir gerne noch ein bisschen später gefahren. Aber nach vorne kann man die Fahrt verschieben, nach hinten nicht!
Unser Problem war die Tatsache, dass es in der Nähe des archäologischen Museums keinen Taxistand gab. Wir warteten also an der Straße und versuchten das System zu durchschauen, nach dem man ein besetztes von einem leeren Taxi unterscheiden kann. Nicht einfach, wenn ausschließlich besetzte Taxis die Straße entlang fahren. Endlich, endlich hielt neben uns ein leeres Taxi und brachte uns zum Bahnhof.
Wir waren gut in der Zeit, entschieden aber, gleich zum Zug zu gehen. Sevilla ist nämlich Endstation für einen AVE, der nur zwei Haltestellen hat, Cordoba und die Endstation in Madrid. Es war eine schlaue Entscheidung, denn wir wurden schon wieder von einer langen Schlange gebremst, die sich vor der Sicherheitskontrolle gebildet hatte. Diesmal machte uns ein Schild darauf aufmerksam, dass Taschenmesser im Zug streng verboten seien. Ich steckte unseres in meine Handtasche und beschloss, auf dumme Touristin zu machen. War gar nicht nötig. Die Handtasche wurde geröntgt, nichts geschah. Wir hätten auch auf der Rückfahrt dem Zugführer den Hals durchschneiden können. Aber wir wollten nicht.
Kurz vor acht waren wir wieder im Hotel und setzten uns noch auf die Terrasse, um mit einem Gläschen vom hiesigen Süßwein den Tag ausklingen zu lassen. Die Fledermäuse flogen herum, die Mondsichel breitete sich malerisch am Himmel aus, und ich suche ernsthaft nach guten Gründen, warum ich überhaupt wieder nach hause fahren soll.
In der nächsten Folge geht es in Richtung Küste. Wir besuchen Baelo Claudia, wo zwar kein Kaiser geboren wurde, dafür heute eine sehr sehenswerte Ausgrabung liegt.
Alle Folgen des numismatischen Tagebuchs „Auf nach Südspanien“ finden Sie hier.