Es gibt nur den geraden Weg – Einblicke in die ägyptische Altertumsverwaltung

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Von Ursula Kampmann

17. Juli 2014 – Setzen Sie sich mal an einen Stammtisch. Nach ein paar Bierchen löst man Ihnen da im Nullkommanichts jedes noch so komplizierte Problem. Leider werden sie mit den meisten dieser Lösung rein gar nichts anfangen können, denn, wenn es um komplexe Probleme geht, ist die weit verbreitete Einteilung der Welt in Schwarz und Weiß, Gut und Böse nicht zu gebrauchen. Stattdessen stößt man auf Vorurteile, menschliche Schwächen, Unwissenheit und Gier. Um die zu bekämpfen hilft keine Patentlösung, sondern der fortwährende Einsatz mit Engagement, Können und Integrität. Waafa El Saddik besitzt diese Eigenschaften. Sie hat sich für die Archäologie ihres Landes mit allen Kräften eingesetzt und beschreibt, mit welchen Hindernissen sie zu kämpfen hatte.

Wafaa El Saddik mit Rüdiger Heimlich, Es gibt nur den geraden Weg. Mein Leben als Schatzhüterin Ägyptens. Kiepenheuer & Witsch, Köln, 2013. 21 x 13,5 cm, 361 S., Abbildungen in Schwarz-Weiß. Hardcover. ISBN: 978-3-462-04535-2. 19,99 Euro.

Als sie im Jahr 1950 geboren wird, gehört sie zur reichen, privilegierten Oberschicht. Ihr Großvater ist Großgrundbesitzer und wacht in patriarchalischer Manier über Wohl und Wehe der ihm anvertrauten Pächter. Ihre Familie bekennt sich zum muslimischen Glauben und steht gleichzeitig, wie damals üblich, der westlichen Kultur offen gegenüber. Der Vater ist einer der Ingenieure, der am Bau des Staudamms von Assuan mitwirkt. Verschleierung und Ganzkörperbadeanzüge sind der jungen Wafaa so fremd wie ihren Altersgenossinnen in München oder London. Kein Wunder, dass diese Familie auch ihre Töchter studieren lässt. Und so entdeckt Waafa El Saddik ihre Leidenschaft für die Ägyptologie.

Nach dem Grundstudium haben die ägyptischen Absolventen damals Anspruch auf einen Posten in der Altertümerverwaltung. Ein Pech, dass es dort nur Verwendung für junge Männer gibt. Die Frauen verbannt man ohne jede Aufgabe in ein Büro. Waafa El Saddik findet sich damit nicht ab. Sie erhält ihre Versetzung in den Außendienst, und muss empört zur Kenntnis nehmen, dass man ihr auch dort keine Aufgabe zuteilt. Die ausländischen Ausgrabungsteams ignorieren sie geradezu. Erst nach und nach begreift sie, warum. Sie ist mit ihrem Enthusiasmus eine Ausnahme. Ihre Kollegen wollen sich die Hände nicht schmutzig machen. Sie sitzen nur im Büro und erpressen von Zeit zu Zeit ein Trinkgeld.

Doch Waafa El Saddik beweist, dass sie anders ist. Ihr geht es darum, von den besser ausgebildeten Ausländern zu lernen. Und die teilen ihr Wissen bereitwillig, als sie das echte Interesse bemerken. Kollegen verschaffen der engagierten Ägypterin ein Stipendium nach dem anderen. Waafa El Saddik reist in die USA, wird in Wien promoviert und findet in Köln den Mann ihres Lebens, mit dem sie 16 Jahre in Deutschland verbringt. Hier hat sie einen großen Freundeskreis. Hier werden ihre beiden Söhne geboren. Köln wird zu ihrer zweiten Heimat.
Durch die Vertrautheit mit der westlichen Kultur registriert sie Mentalitätsunterschiede. Sie beobachtet, wie mancher Wissenschaftler frei von jeglicher Eitelkeit einfachste Aufgaben erledigt und Politiker mit Bürgern auf Augenhöhe kommunizieren. (Dass es auch hierzulande andere Typen gibt, verschweigt sie höflich.) Unnachahmlich ist ihre Beschreibung, wie sie ihren späteren Doktorvater Helmut Satzinger das erste Mal trifft: Im Arbeitskittel bestens gelaunt auf dem Boden liegend, um eine Vitrine schnell selbst zu reparieren.
In all den Jahren lernt Waafa El Saddik; sie lernt mit Begeisterung alles, womit sie Ausgrabungen besser durchführen, Museen sinnvoller gestalten, Depots übersichtlicher organisieren kann. Sie kennt den modernsten Stand von Museumstechnik, Museumspädagogik und Wissenschaft. Und als Zahi Hawass sie 2002 auffordert, die Leitung des ägyptischen Museums in Kairo zu übernehmen, ist sie eine Bürgerin zweier Welten, die sich erhofft, ihre Kenntnisse zum Wohle ihrer Heimat anwenden zu können.

2003 besuchen 5.000 Touristen täglich das ägyptische Museum. Eine Million ägyptischer Pfund (damals ca. 125.000 Euro) rechnet das Museum jährlich an Eintrittsgeldern ab. In guten Jahren bedeutet das rund 45 Millionen Euro. Ein mehr als ausreichendes Budget also, um ein Haus nach modernsten Standards zu führen. Aber die im Museum erwirtschafteten Mittel fließen nicht zurück. Sie werden über das Kultusministerium in die Kassen der ägyptischen Regierung geleitet. Die gewährt dem Museum – ohne Lohnkosten – 2.000 ägyptische Pfund Budget. Nein, nicht täglich, jährlich.
Die Bezahlung ist dazu miserabel. 750 Pfund erhält die Direktorin im Monat, also ca. 100 Euro. Mit Zusatzhonoraren kommt sie auf 2.250 Pfund. Sie könnte davon nicht leben. Schon die Miete der Wohnung in einem der noblen Stadtviertel Kairos kostet 6.000 Pfund. Doch ihr Ehemann hat sich als Apotheker in Köln eine deutsche Rente verdient, mit der sie den Lebensunterhalt und das Schulgeld für die Kinder bestreiten. Damit hat Wafaa el Saddik es nicht nötig, Kompromisse einzugehen.
Und wie gut geht es ihr im Verhältnis zu den einfachen Arbeitern! Die bekommen nicht einmal 200 Pfund, umgerechnet weniger als einen Euro pro Tag. Altersvorsorge oder Krankenkasse? Weit gefehlt! Als einmal ein Mitglied der im Auftragsdienst arbeitenden Putzkolonne von einer hohen Leiter fällt, weigern sich die hauseigenen Sanitäter, den für die Touristen angeschafften Krankenwagen für ihn zu benutzen. Das Krankenhaus nimmt den Schwerverletzten nicht auf, sondern verlangt Vorauskasse für die Erstversorgung.
Überall stößt Waafa El Saddik auf Ungerechtigkeiten. Unendlich wütend aber macht sie die grassierende Bestechlichkeit. Die beginnt mit der Putzkolonne, die von den Touristen auf den Toiletten eine Benutzungsgebühr erpresst, und diese mit dem Chef der Sicherheitskolonne teilt, der offiziell den Auftrag hat, eben das zu unterbinden. Überteuerte, unbrauchbare Vitrinen werden geliefert, deren Vermittlungsgebühr einen unterbezahlten Angestellten reich machen sollte. Die Durchführung eines Kongresses zum Thema Museumspädagogik ist nur in einem überteuerten 5 Sterne-Hotel möglich, weil der Bürgermeister und der lokale Vertreter der Altertumsverwaltung es zu verhindern wissen, dass der Kongress in den weit günstigeren Räumen einer Institution abgehalten wird. Dort hätten sie keinerlei lukrative Vermittlungsgebühr erhalten!
Die Beispiele sind endlos. Aber Waafa El Saddik generalisiert nie. Sie schildert einen konkreten Fall nach dem anderen. Und sie berichtet stolz von ihren Erfolgen. Davon, dass es ihr gelang, einen großen Teil der Mitarbeiter zu motivieren und einen kleinen Sozialfond für die Angehörigen der Altertumsbehörde zu initiieren. Sie berichtet, wie sie die gewaltige Aufgabe auf sich nahm, den Augiasstall unter dem ägyptischen Museum nicht nur zu reinigen, sondern auch zu katalogisieren, das Depot, in dem zum Teil seit vielen Jahrzehnten die Grabungsfunde verschiedener Expeditionen noch originalverpackt aufgestapelt sind. Sie freut sich noch heute über die Blindenführungen für ägyptische Kinder und über ihr in Zusammenarbeit mit Lego entstandenes Kindermuseum.

Und natürlich schildert Wafaa El Saddik, wie sie zum Störenfried wird im System Zahi Hawass / Mubarek. Ägyptische Altertümer werden benutzt, um damit Politik zu machen und Politiker zu bereichern. Die Direktorin des ägyptischen Museums benutzt ihre Position, um dies nach Möglichkeit zu unterbinden. Sie weigert sich, sich einspannen zu lassen für das dubiose Spiel und landet dafür immer wieder vor Gericht.
Eine Intrige jagt die nächste, um sie von ihrem Posten zu entfernen. „Zahi Hawass macht mir manche Tage zur Hölle.“, schreibt die Autorin. Und doch bringt sie die Größe auf, ihn für seine großen Verdienste um die Touristenindustrie zu loben.

Was sie aber immer noch mit Entsetzen erfüllt, sind die Ereignisse nach ihrem Ausscheiden, während der ägyptischen Revolution und die völlig hilflose Reaktion des Antikendienstes. Vieles ist ihr einfach unverständlich. Dem Leser, der ihr über 361 Seiten gefolgt ist, ist es das nicht mehr. Wer zwischen den Zeilen liest, versteht nur zu gut, welch entsetzliche Folgen das menschenverachtende Benehmen einzelner habgieriger Beamter an den Schaltstellen der Macht in diesem Moment der zusammenbrechenden Zentralgewalt hat.

Eine kurze Buchvorstellung ist nicht der rechte Platz, um den Reichtum an Detailwissen wieder zu geben, den uns Wafaa El Saddik präsentiert. Sie hat dies mit Hilfe des Kölner Journalisten Rüdiger Heimlich getan, der einen leicht lesbaren Text abliefert, den man wie einen Roman verschlingt.
Tatsächlich muss man sich natürlich bewusst sein, dass auch Frau El Saddik durchaus ihre eigene Sichtweise hat. Aber diese scheint derart differenziert und fundiert, dass das Buch die Kulturgüterschutzdebatte beflügeln könnte. Wer es durchliest, verfügt danach über eine solche Detailkenntnis, dass er allen Stammtisch-Kulturgüterschützern der Welt widersprechen kann, die im Handel den einzigen Sündenbock sehen für die Vernichtung unseres gemeinsamen Menschheitserbes.

Wenn es denn doch so einfach wäre, kann man da nur sagen.