Internationaler Kongress „Numismatik lehren in Europa“

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von Andrea Casoli und Reinhard Wolters

2. Juli 2015 – Von Donnerstag 14. bis Samstag 16. Mai 2015 fand am Institut für Numismatik und Geldgeschichte der Universität Wien aus Anlass seines 50jährigen Bestehens die Internationale Tagung „Numismatik Lehren in Europa“ statt. Trotz der Möglichkeit, das verlängertes Wochenende von Christi Himmelfahrt zu geniessen, reisten Dozierende aus ganz Europa nach Wien, um über die Situation der numismatischen Lehre in ihren jeweiligen Ländern zu berichten. Dies geschah in einem entspannten, workshop-artigen Klima und gestaltete sich spannend und konstruktiv.
Am Donnerstag gab es zwei Sektionen mit insgesamt vier Referentinnen und Referenten, am Freitag waren es drei Sektionen mit insgesamt neun ReferentInnen und am Samstag teilten sich die vier ReferentInnen in zwei Sektionen, worauf die Abschlussdiskussion folgte. Die Strukturierung des Programms ermöglichte ausführliche und konstruktive Diskussionen der zu Gruppen zusammengefassten Vorträge.

Den Auftakt machten die Darstellung der Situation in Spanien und Italien (Maria Paz Garcia-Bellido, Giovanni Gorini), gefolgt von Frankreich und England (Marc Bompaire, Suzanne Frey-Kupper). Allen vier Ländern gemeinsam ist eine sehr lange, teils bis ins 16. Jahrhundert zurückreichende Tradition der numismatischen Lehre sowie, damit verbunden, eine hervorgehobene Rolle der antiken Numismatik. Insbesondere Maria Paz Garcia-Bellido sprach sich vor diesem Hintergrund auch für die Zukunft für eine disziplinäre Einbindung der wissenschaftlichen Numismatik aus, so etwa für das Altertum in Alte Geschichte oder Klassische Archäologie. Govianni Gorini hob für Italien den sowohl quantitativen als auch methodischen Aufschwung der Numismatik ab den späteren 60er Jahren des letzten Jahrhunderts hervor, eine Entwicklung, die er vor allem zahlenmäßig wieder rückläufig sieht. Eine klare Disziplinarität des Faches und standortübergreifende Abstimmung ortete er als aktuelle Defizite.
Für Frankreich betonte Marc Bompaire die zentrale Stellung der Münzkabinette für Forschung und Ausbildung, insbesondere die Stellung des Cabinet de Médailles in der Pariser Nationalbibliothek seit dem 19. Jahrhundert. In seiner aktuellen Bestandsaufnahme wurde ein insgesamt breites numismatisches Lehrangebot an den französischen Universitäten deutlich, mit vielen Abschlussarbeiten in den letzten Jahren insbesondere an der Sorbonne und der Universität von Orleans. Für England konnte Suzanne Frey-Kupper auf die prestigeträchtige Rolle der Altertumswissenschaften verweisen, die numismatische Lehrangebote als genuinen Bestandteil vor allem altertumswissenschaftlichen Unterrichts sichert. Da ein altertumswissenschaftlicher Abschluss für ein sehr breites und offenes Berufsspektrum von potentiellen Arbeitgebern als gewinnbringend anerkannt wird, besteht auch weniger schnell die Gefahr, dass eine numismatische Spezialisierung in eine Sackgasse führt.
Den Freitag eröffneten Tomislav Šeparovic und Mato Ilkic für Kroatien, Kenneth Jonsson für Schweden sowie Aleksander Bursche und Anna Zapolska für Polen. In Kroatien ist das Studium der Numismatik namentlich in Zagreb und Zadar möglich, wobei das Fach mit der Archäologie kombiniert ist. Die universitären Institute arbeiten eng mit den Museen zusammen und die Kombination mit archäologischen Projekten erlaubt den Studierenden frühe Praxiserfahrung bis hin zu ersten numismatischen Publikationen. Schweden nimmt aufgrund des Fehlens einer altertumswissenschaftlichen Tradition eine Sonderstellung ein. Auf der anderen Seite stehen die überreichen Münzfunde, die bis in die Antike zurückreichen, nicht nur auf Gotland. Das Numismatische Institut der Universität Stockholm setzt entsprechend einen deutlichen Schwerpunkt auf den Bereich der digitalen Erfassung von Fundmünzen, wodurch die begrenzten personellen und materiellen Ressourcen schon weitgehend erschöpft sind. Wird in Schweden Numismatik sonst nur noch an der Universität Uppsala unterrichtet, so ist Polen in der glücklichen Lage, Numismatische Lehre an den meisten seiner Universitäten anbieten zu können. Auch hier stellen Fundmünzen – neben der einheimischen Numismatik – einen wichtigen Teil des Lehrangebots dar. Manche Kurse werden auf Englisch oder Deutsch angeboten.

Am Nachmittag stellten Wolfgang Leschhorn die Situation der numismatischen Lehre für die Antike und Niklot Klüßendorf für das Mittelalter und die Neuzeit jeweils in der Bundesrepublik Deutschland vor, Benedikt Zäch berichtete über die Schweiz und Reinhard Wolters über Österreich. Obwohl in Deutschland die Altertumswissenschaften an über sechzig, zumeist größeren Universitäten vertreten sind, nimmt die Numismatik in der Ausbildung und insbesondere in den Studiengängen nur eine untergeordnete Rolle ein. Lehrende sind meist Angehörige des Mittelbaus oder externe Lehrbeauftragte. In den Studienordnungen berücksichtigt ist die Numismatik allein in Frankfurt, Köln, Münster und Tübingen. Dabei scheint die Modularisierung der Studiengänge im Rahmen des BA/MA-Prozesses das Gewicht der Numismatik nochmals reduziert zu haben. Dennoch konnte Wolfgang Leschhorn für die Jahre zwischen 1970 und 2014 insgesamt 49 altertumswissenschaftliche Dissertationen mit tragenden numismatischen Anteilen erfassen. In einer ähnlichen Analyse wies Niklot Klüssendorf, der vor allem die mangelnde institutionelle Einbindung der Numismatik an den deutschen Universitäten tiefsinnig analysierte und nach den Ursachen fragte, auf insgesamt 24 verschiedene Universitäten hin, in denen in verschiedensten Formen und in den verschiedensten Fächern Promotionen im Bereich Numismatik und Geldgeschichte erfolgten.
An den Schweizer Universitäten ist die Numismatik regelmäßig vertreten. Benedikt Zäch betonte die – nicht zuletzt aus der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für Fundmünzen und dem Inventar der Fundmünzen der Schweiz –  seit 1975 vor allem informell geschaffenen Strukturen, die sich äußerst erfolgreich über das ganze Land erstrecken und so, zumeist über die Kabinette, auch die Lehre an den Universitäten sichern. In Österreich wird die Numismatik an den größeren Universitäten in den altertumswissenschaftlichen Einführungsveranstaltungen berücksichtigt. Eine Sonderstellung nimmt die Universität Wien ein, wo das Institut für Numismatik und Geldgeschichte regelmäßig rund 30 Semester-Wochenstunden numismatischer Lehre anbietet. Das Fach wird in seiner gesamten zeitlichen und räumlichen Breite sowie methodischen Vielfalt vom Bachelor bis zur Dissertation unterrichtet. Dozenten etwa aus der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und dem Münzkabinett des Kunsthistorischen Museums unterstützten mit spezifischer Expertise das Lehrpersonal, um diese Breite auf hohem Niveau zu gewährleisten.
Melinda Torbágyi (Ungarn), Roman Zaoral (Tschechien) sowie Johan van Heesch (Belgien) berichteten am Samstag; hinzu trat Lutz Ilisch mit einem Blick auf die Islamische Numismatik. In Ungarn werden die klassischen Gebiete der Numismatik – Antike, Mittelalter und Neuzeit – an den Universitäten Budapest, Szeged und Debrecen unterrichtet. Dabei bietet die an der Universität Budapest seit 1753 gepflegte Münzsammlung eine wichtige Materialbasis für die Lehre. Das Wirken von Andreas Alföldi ist als immer noch nachwirkende Tradition zu fassen, was – nicht nur am Beispiel Ungarn – eindrucksvoll zeigt, wie in einem kleinen Fach nachhaltige Akzente bereits von Einzelnen gesetzt werden können. Auch in Tschechien ist an der Charles-Universität in Prag eine alte Münzsammlung vorhanden, die regelmässig für den Unterricht Verwendung findet. Numismatische und insbesondere Geldgeschichtliche Lehrveranstaltungen werden in verschiedenen Departments angeboten, sind jedoch in der Regel nicht aufeinander abgestimmt.
In Belgien wird das Fach Numismatik an den Universitäten Ghent, Löwen, Louvain-la-Neuve und Brüssel gelehrt. Johan van Heesch verwies unter anderem auf das Wirken des großen Organisators Tony Hackens für das „Standing“ des Faches auch an den Universitäten. Numismatik ist ein fester Bestandteil der Ausbildung und die Universitäten bemühen sich um Lehrbeauftragte zur Sicherstellung der Lehre.
Die Islamische Numismatik nimmt schließlich eine besondere Rolle ein: Mit dem Ankauf und der kontinuierlichen Ergänzung einer der mittlerweile weltweit bedeutendsten Sammlungen Islamischer Münzen ist die diesbezügliche Lehre an der Universität Tübingen verankert worden. Lutz Ilisch stellte verschiedene Lehrformen und Projekte vor, mit denen sich Studierende mühelos für diesen teils so fremden Gegenstand gewinnen lassen. Während er auf der einen Seite eine Verlagerung der Kompetenz für Islamische Münzen von den Museen zu den Universitäten feststellte, konstatierte er auf der anderen Seite, dass es die Islamische Numismatik nicht vermochte, sich in die Modularisierung der Studiengänge einzubringen.
In der zusammenfassenden Abschlussdiskussion unter dem Motto „Gemeinsam stärker – aber wie?“ war die zunächst durchaus überraschende Feststellung, dass die Numismatische Lehre über die verschiedenen europäischen Länder an den Universitäten insgesamt besser vertreten ist, als viele Teilnehmer vor dem Kongress befürchteten. Allerdings hängt ein Großteil dieser Lehre vom Engagement Einzelner ab: Die Absicherung der Numismatischen Lehre durch entsprechende Planstellen und nicht weniger ihre Berücksichtigung in den Studienordnungen und Lehrplänen ist in den meisten Ländern defizitär.
Ein anderer Problemkreis berührte die Frage, wo Numismatik als Wissenschaft beginnt. Einigkeit herrschte, dass dieses mehr als das Beschreiben und Bestimmen von Münzen ist. Gemeinsam etwa mit der Papyrologie, Epigraphik, Diplomatik oder Heraldik umgrenzt sich die Numismatik durch ihre besondere Kompetenz für das Material, doch auch dort, wo es um die großen historischen oder kulturwissenschaftlichen Fragen geht, soll die Numismatik nicht nur Hilfswissenschaft sein, sondern kompetent und gleichberechtigt an den Antworten mitarbeiten. Betont wurde, dass es eine Sache der Perspektive ist, welche unter den Disziplinen wann wem als Hilfswissenschaft dient und die Antwort darauf mit den Fragestellungen wechselt. Insgesamt kommt die spezifische numismatische Methodenkompetenz am fruchtbarsten zur Geltung, wenn sie in eine breiter angelegte, sich an zusätzliche Methoden, Texte oder Bilder, an Epochen oder Kulturen orientierende disziplinäre Ausbildung eingebunden ist. Dass Numismatik mit ihren Quellen Wesentliches zu fachübergreifenden Diskussionen beitragen kann und mit vielen ihrer Projekte an der Spitze der Forschung steht, wurde von mehreren Teilnehmern explizit betont und an verschiedenen Beispielen immer wieder deutlich.
Der abschließende Dank gebührte allen Referentinnen und Referenten, die sich mit äußerst engagierten Recherchen auf das vorgegebene Konzept eingelassen haben. Die Bestandsaufnahme zur Numismatischen Lehre in Europa soll in einem Tagungsband festgehalten werden: Als Orientierung innerhalb und außerhalb des Fachs, aber auch als Ausgangspunkt für strategische Positionierungen.

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