Annette von Droste-Hülshoff ist eine dieser wunderbaren Gestalten, die bei modernsten Feministinnen und Anhängern des klassischen Bildungsideals gleicherweise Anerkennung finden. Ihre „Judenbuche“ zählt noch heute zur Schullektüre. Ihre Gedichte zeigen sie als unterdrückte Frau, die in einer von Männern dominierten Welt um ihre Selbstentfaltung rang. Damit eignet sich die Dichterin hervorragend für identifikationsstiftende Darstellungen auf deutschem Geld, und zwar so hervorragend, dass sie bereits auf dem 20-DM-Schein zu sehen war, und dass man jetzt selbst ein unrundes Jubiläum wie 225 Jahre gerne benutzt, um sie zu ehren: Am 24. Februar 2022 wird von der Bundesregierung eine 20-Euro-Silbermünze herausgegeben, und zwar in einer Spiegelglanz-Version – in Fachkreisen eher als Polierte Platte oder Proof bezeichnet – und in einer Stempelglanz-Version. Während die Spiegelglanz-Version ausschließlich über die „Münze Deutschland“ und den numismatischen Fachhandel bezogen werden kann, erhält man die Stempelglanz-Version bei der Bundesbank resp. beim heimischen Geldinstitut.
Annette von Droste-Hülshoff
Aber zunächst ein paar Fakten zur „Droste“, wie man sie gerne nennt. Sie wurde 1797 bei Münster geboren und stammte aus einem der ältesten Adelsgeschlechter von Westfalen. Unter Armut litt das zweite von vier Kindern sicher nicht, im Gegenteil. Sie gehörte zur Elite und genoss dementsprechend eine hervorragende Ausbildung. Ihr Hauslehrer wurde – um das Niveau ihrer Bildung zu demonstrieren – später Professor am ältesten Gymnasium von Nordrhein-Westfalen, dem renommierten Paulinum in Münster.
Allerdings passte Annette nicht ins Idealbild einer biedermeierlichen Schönheit. Sie war mit ihren ca. 1,50 m zu klein, ein bisschen kränklich, viel zu vorlaut und intelligenter, als man es damals für angemessen hielt. Kurz, es stellte sich kein passender Heiratskandidat ein. Annette blieb also bei ihrer Mutter nahe Münster oder reiste nach Meersburg, wohin ihre Schwester geheiratet hatte. Stilvoll residierte die Droste dort auf Schloss Meersburg hoch über dem Bodensee. Sie lebte in ihrer abgetrennten Wohnung, zu der ein eigener Turm gehörte. Von dort soll sie gerne über den Bodensee geblickt haben. Hier starb die Dichterin 1848 im Alter von 51 Jahren; sie liegt auf dem Meersburger Friedhof begraben.
Warum die Gedenkmünze der Droste in Karlsruhe geprägt wurde
Das Bundesfinanzministerium, das in oberster Verantwortung die deutsche Münzprägung organisiert, legt Wert darauf, seine Gedenkmünzen in den Münzstätten herstellen zu lassen, die geographisch mit einem Thema am engsten verbunden sind. Nun ist Meersburg Teil von Baden, und so wurde die Münzstätte Karlsruhe als Prägeort gewählt, obwohl eigentlich Stuttgart vorgesehen war. Deshalb gibt es eine kleine Änderung hinsichtlich des zunächst kommunizierten Entwurfs: Findet sich in der Pressemitteilung des Bundesverwaltungsamts noch der Prägebuchstabe F (für Stuttgart) auf der Adlerseite, ist daraus nun ein G (für Karlsruhe) geworden.
Münzvorstellung unter Corona-Bedingungen
Der Ort, an dem die neue Gedenkmünze der Presse präsentiert wurde, passte hervorragend zum Anlass: Das kleine „Fürstenhäusle“ in Meersburg, das einst der spätere Konstanzer Fürstbischof Jakob Fugger um 1600 für sich errichten ließ, gehörte der Droste. Sie kaufte es mit dem zugehörigen Weinberg für 400 Taler. Das Geld hatte sie mit ihrer Dichtung selbst verdient. Nicht, dass sie kein anderweitiges Einkommen gehabt hätte. Sie lebte von einer Apanage, die ihr Bruder zahlte. Dennoch war es ein Symbol ihrer Selbstständigkeit, die Dichterstube mit selbst erworbenem Geld finanziert zu haben. Obwohl Annette von Droste-Hülshoff nur wenige Jahre im „Schwalbennest“ arbeitete, zeugen heute zahlreiche Memorabilien von ihrer Anwesenheit: Das Spektrum reicht vom Kinderstuhl über selbst gefertigte Scherenschnitte bis hin zu einer Locke vom Haar der Droste. Wirklich passend, denn ihre Locken spielen eine zentrale Rolle auf der neuen Gedenkmünze, die am 24. Januar 2022 vor dem Fürstenhäusle vorgestellt wurde.
Schon in der Einladung machten die Staatliche Münzen Baden-Württemberg darauf aufmerksam, dass man sich für diesen Anlass warm anziehen solle, und zwar nicht im übertragenen Sinne. Das geplante große Event hatte wegen der aktuellen Corona-Bedingungen abgesagt werden müssen. Stattdessen wurde eine Pressekonferenz durchgeführt, zu der auch die MünzenWoche anreiste. Um dem Virus keine Chance zu geben, fand die Veranstaltung auf der Terrasse statt.
Also keine Powerpoint, sondern kurz gehaltene Reden, in denen die verschiedenen Aspekte der Münze beleuchtet wurden. Die einführenden Worte sprach Gisela Splett, die Staatssekretärin im Ministerium für Finanzen des Landes Baden-Württemberg, die sichtlich Freude an dem außergewöhnlichen Anlass hatte. Michael Hörrmann, Geschäftsführer der Staatlichen Schlösser und Gärten in Baden-Württemberg, würdigte die Person Annette von Droste-Hülshoff und ihr Umfeld in Meersburg. Er wies auf ihre freiheitsliebende Natur hin und zitierte dazu ein zentrales Gedicht, das in der Gedenkmünze aufgegriffen wird, und aus dem wir einige Verse zitieren wollen:
Am Turme
Ich steh‘ auf hohem Balkone am Turm, / Umstrichen vom schreienden Stare, / Und lass‘ gleich einer Mänade den Sturm / Mir wühlen im flatternden Haare. …
O, sitzen möcht‘ ich im kämpfenden Schiff, / Das Steuerruder ergreifen, / Und zischend über das brandende Riff / Wie eine Seemöwe streifen. …
Wär‘ ich ein Jäger auf freier Flur, / Ein Stück nur von einem Soldaten, / Wär‘ ich ein Mann doch mindestens nur, / So würde der Himmel mir raten; / Nun muss ich sitzen so fein und klar, / Gleich einem artigen Kinde, / Und darf nur heimlich lösen mein Haar, / Und lassen es flattern im Winde!
Die flatternde Locke auf der Gedenkmünze
Dass dieses Gedicht eine entscheidende Rolle im künstlerischen Prozess von Anna Auras spielte, erklärte sie selbst. Sie erzählte, dass sie als Kind des Bodensees natürlich von frühester Jugend an mit Annette von Droste-Hülshoff vertraut sei, und trotzdem aufwändig zu recherchieren begann, ehe sie sich daran machte, über das Porträt den Geist der Dichterin einzufangen. Sie faszinierte der Widerspruch. Auf der einen Seite sei Annette enorm privilegiert gewesen und habe nur auf Grund ihrer Privilegien die notwendige Bildung erhalten, um derart qualitätvoll zu schreiben; auf der anderen Seite hätten sie die Konventionen ihres Standes gefangen gehalten.
Diesen Widerspruch fing Anna Auras in ihrem Porträt ein. Es beruht nicht auf dem wohl bekannteren Jugendbildnis der Dichterin, das wir vom 20-DM-Schein kennen, sondern auf einem Werk des Malers Johann Joseph Sprick. Das sehr konventionell gehaltene Bild zeigt die Droste ganz als Mitglied des alten Adels, im Eck oben links das Wappen, die langen Haare sorgfältig in einer Frisur gebändigt, aus der nicht ein einzelnes Härchen zu entkommen wagt.
Anna Auras‘ Idee war es, diese Frisur auf der Münze leicht aufzulösen, um so eine Droste zu schaffen, die in der Ferne die Hoffnung auf Freiheit erblickt, wie es in ihrem Gedicht „Am Turme“ zum Ausdruck kommt. Seemöwe und Ufer weisen ebenfalls auf ihre Verse hin. Im Feld links sieht man die Signatur der Künstlerin.
Aufwändige Herstellung
Benjamin Hechler, Münzleiter der Staatlichen Münzen Baden-Württemberg, schilderte, wie aufwändig die Herstellung der Prägung war. Zur Illustration brachte er einige Originale mit, die unter seinem Adlerblick von Hand zu Hand gingen. Denn der Münzleiter war persönlich verantwortlich dafür, dass diese Münzen wieder in die Münzstätte zurückkehrten. Um sie bei diesem Anlass zeigen zu können, benötigte Benjamin Hechler eine Sondergenehmigung des Bundesfinanzministeriums! Erst zum offiziellen Ausgabetermin dürfen die Münzen die Tresore von Münzstätte resp. Bundesbank verlassen.
Benjamin Hechler erzählte, dass besonders die klar definierte Nase der Droste-Hülshoff große Probleme in der Umsetzung bereitete. Um sie so markant zu formen, sind zwei Pressvorgänge mit fast 100 t Druck notwendig. Jede der 678.000 Münzen der Normalversion in Stempelglanz wird mit hohem Aufwand produziert. Um keine Stempelfehler entstehen zu lassen, wird jeweils nach 700 bis 1.000 Münzen der Stempel bearbeitet. Bei der Version in Spiegelglanz wird dieser Vorgang sogar nach jeder 50. Prägung durchgeführt.
Die Herstellung der Gedenkmünze „Annette von Droste-Hülshoff“
Es ist also viel Liebe und Aufwand in diese neue deutsche Gedenkmünze eingeflossen. Um das zu illustrieren, haben uns Anna Auras und Benjamin Hechler Fotos zur Verfügung gestellt, anhand derer wir den Schöpfungsprozess im Detail nachvollziehen können.
Annette von Droste Hülshoff hatte gehofft, dass ihr die Nachwelt Anerkennung zollen würde. Sie hätte sich also sehr über diese Gedenkmünze gefreut, umso mehr als sie – wie wir aus ihren Briefen wissen – selbst eine begeisterte Münzsammlerin war.
Wenn Sie mehr über Annette von Droste-Hülshoff erfahren wollen, können wir Ihnen die Website der Annette von Droste-Gesellschaft empfehlen.
Hören Sie sich das Gedicht „Am Turme“ auf Youtube an.
Hier gibt es Interessantes zu Anna Auras.
Die Künstlerin Anna Auras kreiert auch eleganten zeitgenössischen Schmuck.
Diese Website informiert über das „Fürstenhäusle“.
Und hier erfahren Sie mehr über die Staatlichen Münzen Baden-Württemberg.
Dass Locken in der Numismatik durchaus eine Rolle spielen, erzählt Ihnen dieser Artikel über das frivole Vreneli.
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